Volltext Seite (XML)
6892 SSrsevtkaÜ f. d. Dtschu. Vvchhandki. Nichtamtlicher Teil. ^ 130. 9. Juni 1909. oder uneigentlich hat, kann doch wohl nur für verknöcherte Bureaukraten nicht einerlei sein! Unsere Schrift hat »eigentlich« kein Zeichen für den einfachen Sauselaut, den wir durch die Zusammensetzung sch wiedergeben, während die slawischen Sprachen dafür das Zeichen s haben. Das kommt daher, daß die deutschen Wörter, die wir jetzt mit diesem Zeichen schreiben, früher nur ein s hatten. So sprach man sneiden, slagen, swimmen, smelzen usw. Das hat sich aber vom Mittelalter an dahin geändert, daß der Zischlaut vor Konsonanten sich allmählich in den Sauselaut verwandelte (vor k ist in Fremdwörtern die Aus sprache jetzt noch schwankend, z. B. Skandal, Sklave 2c.). Da die Schrift die Aufgabe hat, die Sprache wiederzugeben, so mußte sie dieser Änderung folgen und man kam notgedrungen auf die Buchstabenzusammensetzung sch. Also »eigentlich« hat die Schrift für den Sauselaut ebensowenig eine Bezeichnung wie die Antiqua für Ir! Was die Schreibungen Grimms betrifft, so weiß jedermann, daß Grimm, der Vater der historischen Schreibung, die Marotte hatte, die Wörter nach ihrer Darstellung im Gotischen und Mittel hochdeutschen zu schreiben, und daß dadurch selbstverständlich für den Uneingeweihten scheinbare Inkonsequenzen zutage traten? Weiter »ist das deutsche V ein anderer Laut als das latei nische V«, so behauptet Simrock; auch das ist nicht richtig, denn das Wort Vater wird genau so ausgesprochen wie das Wort Vater. Man könnte höchstens sagen, daß die Römer das V anders ausgesprochen haben als wir es tun, wenn wir überhaupt über die Aussprache der Römer unterrichtet wären. Bisher ist aber leider noch kein Phonograph in Italien ausgegraben worden. Freilich sprechen wir das V anders aus als die romanischen Völker. Leider benutzen wir es überhaupt! Denn das V ist in Wirklichkeit zur Fixierung unserer Sprache völlig überflüssig! Warum schreiben wir nicht Fater, Fi, Folk, da wir doch so sprechen? Und wenn die Betreffenden wollen, daß ihr Name Weldeke und Warrentrapp ausgesprochen werde, was in aller Welt zwingt sie denn dazu, sie mit einem anderen Buchstaben zu schreiben, der den gewünschten Wortlaut nicht wiedergibt? Aber das hat doch mit der Antiqua nichts zu tun, da die Fraktur doch genau so schreibt! »Ich kann nicht umhin, die lateinische Schreibung eine falsche zu nennen, weil sie auf die deutschen Laute nicht paßt.« Ich kann nicht umhin, eine Behauptung nicht deshalb zutreffend zu finden, weil sie öfter wiederholt wird. Was Simrock dann weiter noch aus führt, von der »unrichtigen« Aussprache von Wörtern wie Küsse und Rosse, läßt uns ein Lächeln nicht unterdrücken. Es ist der Professor, der hier spricht, der »teutsche« Professor, der Duringe schreiben will statt Thüringen, obschon kein Mensch mehr so spricht! Heut zutage, wo in die deutsche Professorenschaft glücklicherweise ein ganz frischer Zug gekommen ist, stehen allerdings diese Professoren dem Volksleben nicht mehr zugeknöpft gegenüber. Und so wird wohl niemand mehr von einer »unrichtigen« Aussprache zu sprechen wagen, wenn die oberste Instanz, die Gesamtheit des Volkes, sie sanktioniert hat. Und daß wir mit der Schreibung not- wendigerweise der Sprache gefolgt sind, wie das hoffentlich immer weiter und in vollkommenerer Weise geschieht als bisher, nachdem nun einmal der einzig richtige phonetische Grundsatz in der Schreibung ausgestellt ist, das nennt Herr Professor Simrock »Verheerungen«, die durch den klassischen Zopf in der Schreibung angerichtet worden seien. Ich verstehe wenigstens unter dem klassischen Zopf die »lateinischen« Schriftzüge. Was Simrock dann noch über den Unterschied des lateinischen und des französischen gegen über dem deutschen 8 sagt, hat mit der Schriftform nichts zu tun. Wenn die Mehrheit des deutschen Volkes das Doppel-s im Inlaut scharf spricht, so ist diese Aussprache »richtig«, und wenn jemand behauptet, daß diese »Beschädigung« unserer Sprache von Anwendung der Antiqua komme, so schlägt er sich selbst ins Gesicht, wenn er sagt, daß die Fraktur die deutsche Schrift sei und immer gewesen sei; denn wenn die Antiqua vom Volke nicht angewandt worden ist, so kann sie doch auch nicht den Rieseneinsluß ausgeübt haben, der dazu nötig ist, die Weiter entwicklung der Sprache zu veranlassen! Schließlich spricht man dem Grasen Zeppelin den Patriotismus ab, weil er kürzlich dem Lateinschriftverein beigetreten ist! Zum Schlüsse führt Simrock auch die alte Fabel an, daß die Fraktur ihre eckige Form von den Runen her habe. Es war im Jahre 1873, als er das schrieb. Heute würde er von dem schön zusammengedachten Märchen nicht mehr reden, und vielleicht hätte er sich auch von seinem durch und durch falschen Standpunkt angesichts der durchschlagenden Gründe, die für die Abschaffung der überflüssigen Doppelschrift sprechen, abbringen lassen. Daß man aber mit so antiquierten Briefen und Anschauungen heute noch hausieren geht, um eine verlorene Sache zu retten, hätte ich nicht für möglich gehalten.*) Köln, 27. Mai 1909. G. Hölscher. Kleine Mitteilungen. Schutz der Jugend vor sittlicher Gefährdung durch Bilder, Schriften usw. — Wie im Börsenblatt 1909, Nr. 61 mitgeteilt worden ist, hat der Regierungsrat Basel-Stadt beim Großen Rat die Annahme der nachfolgenden Gesetzes entwürfe beantragt: § 98 Abs. 2 des Strafgesetzes für den Kanton Basel-Stadt vom 17. Juli 1872 wird aufgehoben und durch folgende Be stimmungen ersetzt: § 98 a. Wer unzüchtige Schriften oder Bilder oder andere unzüchtige Gegenstände zum Verkauf herstellt, einführt, feilhält, verbreitet, öffentlich ankündigt, geschäftsmäßig ausleiht oder an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt, ebenso wer unzüchtige Aufführungen an Orten, welche dem Publikum zu gänglich sind, veranstaltet, wird mit Gefängnis bis zu 1 Jahr oder mit Geldbuße bestraft. Wer diese Handlungen gegenüber Personen begeht, die das 18. Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben, wird mit Gefängnis bis zu 1 Jahr und Geldbuße bestraft. Die unzüchtigen Schrifteu, Bilder oder Gegenstände, die sich im Besitz des Täters finden, sind, wenn sich die anstößigen Merk male nicht gesondert beseitigen lassen, zu vernichten. Dieses Gesetz ist zu publizieren und unterliegt dem Re ferendum. Dem Polizeistrafgesetz für den Kanton Baselstadt wird als § 57 folgende neue Bestimmung beigefügt: Schutz von jugendlichen Personen vor sittlicher Gefährdung. 8 57. Wer anstößige Schriften, Bilder oder andere Gegen stände, welche das sittliche Wohl von jugendlichen Personen unter 18 Jahren zu gefährden geeignet sind, in einer Weise, daß sie deren Kenntnisnahme zugänglich sind, feilhält, verbreitet, öffent lich ankündigt, geschäftsmäßig ausleiht, oder an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt, wird mit Geldbuße oder Haft bestraft. Die verbotenen Schriften, Bilder und Gegenstände, die sich im Besitze des Täters finden, sind, wenn sich die anstößigen Merk male nicht gesondert beseitigen lassen, zu vernichten. Dieses Gesetz ist zu publizieren und unterliegt dem Refe rendum. * . * Am 3. Juni d. I. kamen diese Gesetzentwürfe im Großen Rat zu Basel zur Beratung, über die wir den »Basler Nach richten« folgenden Bericht entnehmen: Ehr. Buchmann spricht für den Antrag und zeigt an Bei spielen, wie's gemacht wird, um die Schundware an den Mann zu bringen, und wie dadurch Millionen aus den Taschen des armen Mannes gezogen werden. Viel schlimmer aber als der materielle ist der moralische Schaden. Das Volk, speziell die Jugend, wird dadurch vergiftet. Volks- und Jugendbibliotheken, der Verein für Verbreitung guter Schriften suchen dem Übel durch Verbreitung gesunder Lektüre entgegenzuwirken, aber es hat sich gezeigt, dag oies nicht genügt, daß das Übel immer weiter frißt, daß wir ge setzlicher Maßnahmen bedürfen und daß die Strafgesetze den *) Neuerdings (vgl. die Nr. 124 d. Bl.) mu^ sogar die gute Frau Rat Goethe als Eideshelfer dienen! Als ob man nicht wüßte, daß der eine die Fraktur, der andere die Antiqua aus persönlicher Liebhaberei vorzieht. Natürlich kann man mit Leichtigkeit eine viel größere Anzahl Urteile von bekannten Leuten für die Antiqua zusammenstellen. Aber in die,er Frage sollen doch nicht persönliche Ge,chmacksrichtungen, sondern lediglich sachliche Gründe entscheiden. Die rein sachlichen Gründe sprechen aber für die Abschaffung unseres überflüssigen zweiten Alphabets, wie es ja schon bis zum Überdruß ausgesührt worden ist.