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X- 135. 22, Juni 1920, Redaktioneller Teil, Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Ausschließungsverfahren vor, und nach dem dortigen Wortlaut war cs bisher nicht möglich, Firmen, die derartige Literatur, wie sie Herr Or. Ruprecht verurteilt hat, veröffentlichten, ohne weiteres auszuschließen; denn nach Absatz a muß die Aus schließung vom Börsenverein vorgenommen weiden, wenn ein Mitglied sich eines entehrenden Vergehens schuldig gemacht hat. Wir konnten darunter die Verösscntl chung derartiger Literatur nicht erblicken. Unter d 1 heißt es — Herr Or, Ruprecht hat den Absatz schon angeführt —, daß die Ausschließung auf Antrag des Vorstandes durch die Hauptversammlung crsolgen kann, wenn fortgesetzte Veröffentlichung oder Verbreitung unzüchtiger Schriften, Abbildungen und Anlünd gungen erfolgt. Wir haben bisher noch nicht bei diesen Firmen seststellen können, daß eine fortgesetzte Veröffentlichung derartiger Schriften, Abbildungen und Ankündigungen stattgesunden hat, (Widerspruch,) Aber die Ansichten hierüber sind geteilt, und als die Satzungen sestgclcgt wurden — das war im Jahre 1887 —, war die Verösscntlichung derartiger Schriften noch nicht so im Schwange wie jetzt. Ich habe Ihnen vorhin gesagt, daß der Ausschuß zur Abänderung der Satzungen im Lause des Sommers tagen soll. Er wird die Ausgabe haben, die Satzungen auch nach dieser Richtung hin abzuändern, wenn es ihm erwünscht erscheint, und cs werden dementsprechend dann die Bestimmungen für das Börsenblatt ebenso abgeändert werden. Ehe ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich die Redner bitten, sich möglichster Kürze zu befleißigen. Wenn der Herr Antragsteller länger gesprochen hat, so soll das nicht ein Beispiel sein, daß die anderen das gleiche tun. Und endlich wiederhole ich meine Bitte, das Rauchen zu unterlassen, (Bravo!)s Willibald Franke (München): Meine Herren, ich erkenne ebenso wie Sie alle die edlen Motive an, die Herrn Or, Ru precht zu diesem Vorstoß veranlaßt haben! ich bedaure aber, daß er cs nicht unterlassen konnte, in der Reihe derjenigen, gegen die sich mit Recht seine Ausführungen wandten, den Georg Müller Verlag zu nennen. Meine Herren, wir, die w r jetzt den Georg Müller Verlag in der Form der Aktiengesellschaft leiten, betrachten uns nur als die Verwalter des Erbes Georg Müllers und die Fortsetzer seiner Traditionen, Ich brauche nichts zu se nem Ruhme zu sagen; er ist anerkannt, und es steht sest, was er für den deutschen Buchhandel und sür deutsches Geistesleben geleistet hat. Zu seinen Grundsätzen gehörte die Vorbchaltlosigkcit wie in der Wissenschaft, so auch in der Kunst, Sie wissen, wofür einmal in Deutschland der Goethe-Bund gegründet weiden mußte; er wurde gegründet, um die deutsche Literatur und Kunst vor Zelotentum und Banausentum zu schützen, und ich kann Herrn Or, Ruprecht den Vorwurs nicht ersparen, daß er nicht genau unterschieden hat, als er sich veranlaßt fühlte, auch den Georg Müller Verlag in dieser Beziehung in eine Reihe zu stellen mit denen, die unzüchtige Literatur veröffentlichen um des Gewinnes willen. Meine Herren, in einem so großen Betriebe wie dem Georg Müller Verlag herrschen demokratische Grund ätze; da ist kein einzelner Kopf und kein einzelner Verleger, der entscheidet; cs ist eine Körperschaft von geistig hochstehenden Män nern, denen die Bücher, die zur Verösscntlichung gelangen, vorgelegt werden. Es ist auch das Buch von Corrinth genannt worden, D cs Buch von Corrinth hat auch bei uns Bedenken erregt; es ist aber von dieser Körperschaft geistig hochstehender Männer wegen seiner literarischen Qualitäten so cmpsohlcn worden (Zuruf), daß man sagte: Es kommt darin ein Sturm und Drang zum Ausdruck, ein Most, der ausgären wird (Zuruse: Es handelt sich um Anzeigen! — Schmutz!); und daß diese unsere Berater nicht aus falschen Wegen waren, ist dadurch bewiesen worden, daß Männer mit hochgeehrten literarischen Namen in aussührlichen Feuilletons auf die literarische Bedeutung dieses Werkes hin gewiesen haben. Meine Herren, auch sür uns gibt es da freilich eine Grenze, für mich persönlich besonders, wo die Grenze des guten Geschmacks überschritten wurde. Es sind uns von diesem Autor weitere Manuskripte eingercicht worden, und ehe irgend jemand im Börsenblatt oder sonstwie gegen dieses Buch: »Der Potsdamer Platz«, das hier ungezogen wurde, ausgetreten st, haben wir gesagt: Nein, hier scheint uns diese Grenze überschritten zu sein, und trotz der unleugbaren Qualitäten und des unleugbaren Talents — man hat sogar von Genie gesprochen — dieses Mannes haben wir gesagt: Hier können wir nicht mehr mit. Me ne Herren, die Grenzen der Auffassung wandeln sich. Sie wissen genau, daß ein Goethe sich abgestoßen fühlte von dem Sturm und Drang des jugendlichen Schiller, und manche Ausdrücke in seinen »Räubern« bleiben heute mit Recht aus der Bühne weg. Ich will sie nicht zitieren. Sie wissen auch, daß selbst ein Schiller ein Werk geschrieben hat, das in die gesammelten Ausgaben seiner Werke bis heute ausnahmslos nicht ausgenommen ist. Niemand wird ihn deshalb als einen unsittlichen Schriftsteller bezeichnen, weil er auch vorbehaltlos das Höchste und Menschlichste behandelt hat. Nun aber muß ich weiter gehen. Alles dies, was ich gesagt habe (Rufe: Schluß!), soll mich nicht vcran'assen, Ent gleisungen in Schutz zu nehmen (erneute Rufe: Schluß!) — ich bitte, mich aussprechen zu lassen — wie sie, wie ich anerkenne, in einer Anzeige dieses Buches vorgekommen sind. In einem großen Verlage kann man nicht alles selbst machen. Wir haben, als das Inserat erschien, mit Bedauern sestgestellt, daß der Leiter dieser Abteilung die Grenzen überschritten hat, die auch wir als gegeben ansehen. Er ist rektifiziert worden, und es ist Abhilfe geschossen worden, Herr Or, Ruprecht hat aber — und das muß ich noch hervorhebcn — unsere Anzeige des Romans von Tcsoe, einer sehr ernsten Gesellschaftskritik des 18, Jahrhunderts, angeseindet. Meine Herren, was darin stand, ist der Abdruck des Titels dieses Buches; das ist keine Empfehlung von uns gewesen, (Zuruf,) Or, Hermann von Hase (Leipzig): Meine sehr geehrten Herren! Wir haben Wohl alle mit Freude die Aussührungen des Herrn Or, Ruprecht begrüßt, (Zustimmung,) Ich habe darin ncch etwas vermißt. Das Börsenblatt ist in den letzten Zeiten auch der Schauplatz von Anzeigen gewesen, die nicht wegen unsittlichen Inhalts anzugreisen sind, sondern wegen eines Inhalts, der dem Buchhandel und dem Börsenblatt aus anderen Gründen zur llnchre gereicht. Meine Herren, gestatten Sie mir, daß ch eine Anzeige vorlese, die am 27, April 1920 im Börsenblatt gestanden hat: 2 Aussehen erregende Neuerscheinungen! Erich Kuttner: Die erdolchte Front, Eine Anklage in Versen. So unerbittlich ist noch nie mit den wahren Meuchlern der Front, den reaktionären Qssizicrcu, Abrechnung gehalten worden. In Versen von Urkraft und grimmigem Witz erstehen die erschütternden, allzu wirklichen Bilder vom Mann- schastselend im Kriege, werden die Menschenschinder und Etappcnschlemmer in ihrem Luderleben, a l die traurigen Helden im Silberportepec von »Hilter« über »Marloh« bis zn den Kappmeuterern an den Pranger gestellt. (Ruse: Psui!) Es liegt mir absolut sein, irgendwie politisch hier etwas auszusprechen; aber, meine Herren, ich bin stolz darauf, daß ich als Soldat in den Krieg gezogen bin, — als einfacher Soldat, Ich habe nichts von dem Mannschastselend gesehen; ich habe nichts von den Menschenschindern und Etappenschlemmern gesehen, (Zurus: Aber viele andere!) — Und wenn etwas gewesen ist, meine Herren, so stehe ich aus dem Standpunkt: im Börsenblatt so etwas zu bringen, das gereicht dem Börsenblatt und dem deutschen Buchhandel zur Unehre. (Bravo! — Sehr richtig! -— Händeklatschen.) Ij Meine Herren, ich gehöre selbst dem Ausschuß sür das Börsenblatt an, und ich bedaure, daß diese Anzeige nicht dem Ausschuß vorher vorgelegt worden ist. Es ist ganz klar, daß hier §16 der Bestimmungen über die Verwaltung de ^Börsenblattes Anwendung zu finden hat, worin es heißt: