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9218 VSil-ntlall 1 d. Dtlchn, Buchhand-t. Nichtamtlicher Teil. ^ 185, 10. August 1912. die Produktion selbst, das Druck« und Buchbtndergewerbe und der Verlagsbuchyanoek behalten immer eine gewisse Stetigkeit. Die Werbezirlulare sür die großen Weiynachtskataloge der Barsortimenle und der Firma E. A. Seemann sind die ersten Vorboten dessen, was in nächster Zeit kommen wird und zum großen Teil m diesen stillen Sommermonaten der Vollendung entgegengehl. Die Wervezirkulare erinnern uns aber auch daran, daß die Tage dieses schönen Sommers gezählt sind. Auch die Schulserien neigen sich allerorten ihrem Enoe zu. Die Lehrer an den höheren Schulen Dresdens, die an der Schassung einer zweiten Landesuniversität am Strande der Eibe naa) den Ferien lebhaft Anteil nehmen wollten, sind durch die schnelle Entscheidung dieser Frage Lurch die sächsi sche Slaalsregierung sicher um eine besonders interessante Sitzung gekommen. Sie können sich jetzt den anderen betrüb ten Lohgerbern anschließen, deren Felle schönster Hoffnungen so unerwartet schnell davongeschwommen sind. Die ablehnende Erklärung der Regierung gegenüber der beabsichtigten Grün dung einer zweiten Lanüesuniversität ist so bündig und wohl- begründet, daß die erwähnte Gruppe Dresdner Lokalpatriolen sich wohl oder übel bei der höchsten Orts getroffenen Entschei dung beruhigen wird. Es wäre aber verkehrt, wollte sich nun der Leipziger in der Rolle des Schadenfrohen gefallen. Er Vars sich gewiß der Entscheidung zu seinen Gunsten freuen, wird aber gut tun, einmal die Gelegenheit zu benutzen, um in der sommerlichen Stille Einkehr bei sich selbst zu halten, wie man es am besten anfängt, sein Glück auch zu verdienen. In seinem Äußeren hat Leipzig im Laufe der letzten Jahre ganz gewaltige Fortschritte zu seinem Vorteile gemacht. Ein neues, herrliches Rat- und Stadthaus, Lar alle Rathaus in den wundervollen Bausormen des Meisters Lotter wiederher- gestellt, prächtige Meßpaläsle und neuzeitliche Geschäftshäuser, ein neuer Bahnhof, der größte der Welt, sind sprechende Zeug nisse dieser rapiden Weiterentwicklung. Hand in Hand damit geht eine gärtnerische Verschönerung, die das Auge aller Fremden entzückt und nicht vergessen werden darf, wenn es sich um die Erwähnung von Dingen handelt, die zur Schönheit unseres Stadtbildes sehr wesentlich beitragen. In diesem Rahmen eines sich immer prächtiger gestaltenden und immer mehr erweiternden Gemeinwesens müßten, sollte man meinen, Literatur und Ärmst eine der Tradition entsprechende Pslege- stätle finden. Wohl schließen sich unserem Handel und unserer Industrie Buchhandel und Buchgewerbe würdig an und ebnen den Boden sür literarische und künstlerische Produktion. Trotz dieser scheinbar recht günstigen Vorbedingungen ist es nicht wieder gelungen, den geistigen und künstlerischen Hochstand zu erreichen, der Leipzig auszeichnete, als der Student Goethe in seinen Mauern weilte. Buchgewerbe und Buchhandel sind inzwischen zu hoher Blüte gelangt, aber menschenleer und un- begangen steht diese Brücke inmitten eines merkantilen Lebens von großer Buntheit und Lebendigkeit. Es fehlt nicht an Schriftstellern und Künstlern, auch nicht an Größen auf wissenschaftlichem Gebiet. Wir haben eine kleine Well von Wissenschaftlern durch unsere Universität. Eine Schciststellerwelt und eine Äünsllerwelt wie Berlin und München haben wir nicht. Wir sind den genialen Geistern der Kunst und Literatur zu nüchtern, zu merkantil, vielleicht auch zu schwerfällig und dabei ein wenig klein städtisch. So kommt es, daß die Redaktionen unserer weit verbreiteten illustrierten Familienblätter zum Teil ihr Domizil in Berlin haben oder dort wenigstens Vertreter, Berater und Mitredakteure besitzen, die ihnen unsere Stadt nicht zu bieten vermag. Leipzig ist die Stadt der Arbeit. Man möchte hoffen und wünschen, daß die bevorstehenden großen Reformen an unserer Universität, die nicht mehr durch ein zweites ähnliches Institut in Sachsen beeinträchtigt werden können, dazu beitragen, auch aus Kunst und Literatur befruchtend einzuwirken und diejenige Zahl schassender Geister auf diesen Gebieten in unseren Mauern zu vereinigen, die der Tradition entspricht. Wir verzichten Labei gern aus die Lileratur-Eafäs anderer Großstädte, in denen die bleichen Jünglinge und Jungsrauen sitzen, Sie sich nicht genug ausleben können, die Schiller uno Goethe längst überwunden haben und deren künstlerische uno literarische Qualität durch den Haarwuchs, durch Hut uno Äravatte und andere äußerliche Abgeschmacktheiten bestimmt wird. Die »Persönlichkeiten«, die wir brauchen, können wir heute nicht mehr der Boheme entnehmen. Wenn sie einer -zeit der Arbeit ihr Gepräge geben sollen, müssen sie diese selbst kennen und aus ihr eiuporgewachsen sein. AVer auch unserem Buchgewerbe uno unserem Buchhandel erwächst die Pflicht, hier helfend einzugreisen, eniporslreoende Talente yer- anzuziehen und zu fördern. Freilich ist das eine Kapitalanlage mit recht unsicherer Verzinsung. Sie wird aber kaum zu um gehen sein, wenn es sich einmal darum handelt, all den Steinen, oie in den letzten Jahren in Leipzig verbaut worden sind, auch Leven und Bedeutung zu verleihen. Was nüyl uns sonst all die tote Pracht, wenn nicht eigentlich erst die Menschen, ein neues Zeitalter, ihr den Stempel lebendigen, Werte schassen den Sems ausorüal? Insofern möge man bedenken, daß der kleine, im Kampf um die Universität erfochtene Sieg über Dresden nur oie Vorbedingung des Erfolges, oie Ausnutzung dieses Sieges aber allein der Erfolg sein kann! Wie sa-on angedeulet,herrscht im buchhändlerischenBerufs- leben unserer Stadt sommerliche Stille. Selbst der Umstand, daß eines unserer kleineren Kommissions- und Grossogeschäste von der Bildsläche verschwunden ist, vermag die Gemüter nicht iir Wallung zu bringen. Größerer öffentlicher Aufmerksamkeit begegnete der Be such des Nationalen Deutsch-amerikanischen Lehrerbundes, der etwa 370 Personen, Damen und Herren, auf ihrer Europareise in unsere Stadt führte. Es verdient besondere Anerkennung, daß sich der Buchhandel die Gelegenheit nicht entgehen ließ, die Gäste in seiner Zentrale willkommen zu heißen und ihnen ein möglichst umfassendes Bild von der Bedeutung des Leipziger Buchgewerbes zu bieten. So fand denn auch in der für derartige Zwecke be sonders geeignelcn Gutcnberghalle des Buchgewerbeyauses ei» feierlicher Begrützungsakt stall, in dem Herr Verlagsbuch händler Degen er als Vorsitzender des Vereinsausschusses vom Buchgewerbeverein und Herr De. Kurt Koehler im Namen der Firma K. F. Koehler die Gäste willkommen hießen. Der Erwiderung eines Vertreters der Gäste folgte ein Vortrag des Herrn Lehrer Löffler über Handfertigkeitsunterricht und Arbeitsunterricht in Leipzig. An diesen Begrllßungsakt schloß sich die Besichtigung der umfangreichen, im Erdgeschoß von der Firma K. F. Koehler veranstalteten Lehrmittelausstellung an, die sich durch klare und übersichtliche Anordnung der einzelnen Gruppen aus zeichnete. Wie groß das Interesse der Gäste gerade für diese Ausstellung war, geht z. B. daraus hervor, daß mancher von ihnen trotz des kurz bemessenen Aufenthaltes in Leipzig »ach der offiziellen Besichtigung wiederkam, um sich die einzelnen Gruppen nochmals mit Mutze anzusehen. Es ist sehr erfreulich, daß der Buchhandel in diesem Falle ohne Rücksicht auf ein materielles Interesse sich in den Dienst einer solchen öffentlichen Sache gestellt hat. Dabei darf die Firma K. F. Koehler das Verdienst in Anspruch nehmen, sich in besonders rühriger Weise an der Organisation aller Veranstaltungen beteiligt zu haben. Es wäre wohl zu wünschen, daß der Buchhandel auch in künftigen ähnlichen Fällen sein Licht nicht unter den Scheffel stellt; denn gerade in Lehrerkreisen begegnet man oftmals einer Geringschätzung unseres Berufs, die weniger auf besonderer Abneigung als aus Unkenntnis beruht. Daß es in den Sommern der nächsten beiden Jahre weni-