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^ 232, 1k. Dezember 1916. Redaktioneller TeU. Ich nannte die Verbands- und Vereinsbuchhandlungen »Zweckbuchhandlungen«. Dabei leitete mich folgender Gedanke: Alle Arbeitnehmer-Organisationen Deutschlands sind — bis auf geringfügige Ausnahmen — nicht nur nüchterne Vertretungen der Arbeitnehmer-Interessen, sie sind vielmehr durchweg auf dem Boden besonderer Weltanschauungen erwachsen. Es ist eigen tümlich — und zugleich äußerst lehrreich für den Psychologen —, daß die Organisationen am besten gedeihen, die eine gewisse, außerhalb des engeren Arbeitnehmer-Programms liegende Grund richtung am deutlichsten erkennen lassen. Es ist nun einmal so, daß der Mensch nicht vom Brote allein lebt. Die freien Gewerk schaften sind auf dem Boden der Sozialdemokratie gediehen, die christlichen Gewerkschaften wollen im Geiste des Christentums ar beiten. Die Hirsch-Dunckerschen Vereine stehen dem Freisinn nahe. Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband betont seine ausgesprochen deutschnationale Grundrichtung. Die Ver bandsleitungen haben den natürlichen Wunsch, daß die Mitglie dermassen im Geiste der betreffenden Grundrichtung erzogen werden, daß besonders die begabteren Köpfe den Geist der Be wegung tiefer fassen möchten. Gelegentliche kurze Aufsätze in den Vereinsblättern können stets nur anregend wirken. Die Hauptarbeit muß dem Buche Vorbehalten bleiben. Bet dem Wechsel und dem starken Anwachsen der Mitgliedermassen, bei dem steten Zustrom von ganz jungen Menschen würden die Bücherbesprechungen hier ganz versagen. Der reguläre Sorti mentsbuchhandel versagt aber ebenfalls, denn er kann sich na türlich nicht auf die besonderen Bedürfnisse dieser oder jener Or ganisation einstellen. Der einzige Ausweg ist die Verbands-, die Zweckbuchhandlung. Dadurch, daß sie nach einer ganz bestimmten Richtung hin tätig ist, kann sie mit der Zeit eine sehr starke und sehr nachhaltige Wirkung ausüben. Sie kann, da sie die einschlägige Literatur genau verfolgt, zu einer gei stigen Rüstkammer werden. Das Buch »Wenn ich der Kaiser wär« wurde von der Deutsch nationalen Buchhandlung in vielen hundert Exemplaren, der Arndtsche Katechismus für den deutschen Wehrmann in 2960, die Köhlersche Schrift »Der neue Dreibund« bis jetzt in mehr als 500 Stück verkauft. In Massen wurden Schriften von Cham- berlain, Sombart, Lienhard, Sven Hedin usw. verbreitet. Auch der Rohrbachsche »Deutsche Gedanke« wurde in Mengen abge setzt. Daß solche Schriften und zahlreiche andere ohne Ein greifen der Deutschnationalen Buchhandlung ausgesucht in Hand lungsgehilfenkreisen eine erhebliche Verbreitung gefunden haben würden, darf billig bezweifelt werden. Für die Buchhandlungen anderer Organisationen würden natürlich andere Schriften in Betracht kommen. Die politische Sozialdemokratie besitzt ja bereits eine Anzahl den Interessen der Partei dienender Sortimentsbuchhandlungen. Nach den allerdings wenigen Proben, die ich gesehen habe, entsprachen diese aber nicht den Anforderungen, die man an sie zu stellen be rechtigt wäre. Der kleinliche Parteigeist einzelner Ortsgrötzen kommt dabei zu sehr zum Vorschein. Parteibuchhandlungen, gleichviel welcher Partei sie dienen, sind freilich stets der Gefahr ausgesetzt, zu kleinlich und zu engherzig zu werden. Es ist aber ohne weiteres anzunehmen, daß Gewerkschaftsbuchhand lungen großzügiger geleitet werden würden. Da die Gewerk schaft nicht mit dem Parteimann, sondern mit dem ganzen Men schen zu tun haben würde, so ist anzunehmen, daß sich die Ge werkschaftsbuchhandlungen ihr Betätigungsgebiet viel weiter um grenzen würden. So wie etwa die Deutschnationale Buchhand lung die Langewieschesche Carlyle-Auswahl »Arbeiten und nicht verzweifeln« oder das Buch von Wegener »Wir jungen Männer«, oder mein Ehebuch in je tausend bis zweitausend Stück abge setzt hat, so wie sie, wenigstens vor dem Kriege, den Gesund brunnen-Kalender verbreitete, so würde sich jede andere Ge werkschafts- oder Verbandsbuchhandlung für andere gute Bücher ins Zeug legen, je nachdem die Beschaffenheit der Mitglieder massen es als wünschenswert erscheinen läßt. Die Verbandsleitung, gleichviel welcher Richtung sie im übrigen angehört, hat einmal ein Interesse daran, daß die Ver bandsmitglieder im Geiste der Bewegung erzogen werden, sie hat außerdem ein Interesse an der allgemeinen geistigen Hebung der Mitglieder. Schließlich kommt für die Leitung vieler Ver bände noch die Erweiterung der Fachkenntnisse der Mitglieder mit Hilfe des Buches in Betracht. In allen drei Fällen wird für jede Verbandsleitung der innere Wert des zu verbreitenden Buches von so großer Bedeutung sein, daß daneben die Frage nach pekuniärem Gewinn an die zweite Stelle rückt. Dieser Vorzug der Zweckbuchhandlung vor der privaten Sortimentsbuchhandlung kann nicht leicht zu hoch bewertet werden. Der Sortimentsbuchhändler will und mutz verdienen, um leben zu können. Die Rabattfrage steht des halb für ihn meist an erster Stelle. Die Zweckbuchhandlung will wirken. Sie arbeitet deshalb für das — in ihrem Sinne — gute Buch, und sie kann es sich erlauben, hochrabattierten Schund links liegen zu lassen. Ja, sie d a rf nicht einmal minder wertige Bücher verkaufen, weil sie mit viel strengerem Maße ge messen wird als jedes Privat-Sortiment. Jedes Verbandsmit glied ist in viel weitergehendem Sinne zur Kritik berechtigt, als etwa ein Kunde es dem privaten Buchhändler gegenüber ist. Die Klage darüber, daß auf dem Büchermarkt das minderwertige Erzeugnis das gute so oft erstickt, würde durch die Zweckbuch- handluügen keine Nahrung empfangen. Noch eine wichtige Er fahrung : Für die Kreise der Arbeitnehmer ist die übliche Reklame der Verleger in Zeitungen, Zeitschriften usw. so gut wie wir kungslos. Ich habe das bei dem Vertrieb der Kriegsliteratur feststellen können. Nicht diejenigen Kriegsbücher wurden in der Teutschnationalen Buchhandlung gekauft, die sonst die Schau fenster der Sortimenter füllten. Die Wirkung der großen, oft ganzseitigen Anzeigen der Ullstein-Bücher usw. in gelesenen Zeit schriften reichte kaum in die Abnehmerkreise der genannten Buchhandlung hinein. Es konnte das verkauft werden, was die Buchhandlung und die hinter ihr stehende Verbandsleitung ver kaufen wollten. Empfahlen diese ein Buch, so wurde es ver langt, empfahlen sie es nicht, so existierte es für die Verbands mitglieder zumeist nicht. Die Zweckbuchhandlungen sind tatsäch lich fast unabhängig von dem Tagesgeschmack, sie können die von ihnen literarisch versorgten Kreise vor Tageserzeugnissen vom Schlage der Berliner Range, des Götz Krafst usw. sich rede ab sichtlich von vergangenen Erscheinungen) vollständig be wahren. Sie können den als richtig und gut erkannten Weg unbeirrt von Modeströmungen weitergehen. Sie können man cherlei, was das »reguläre« Sortiment nicht kann. (Schluß folgt.) Unter Eskimos und Walfischfängern. Eismeer- führten eines jungen Deutschen. Von Kurt Faber. (Memoiren-Bibliothek V. Serie, 8. Band.) 3. Auflage. 8°. XXV, 370 S. m. Titelbild u. 1 Karte. Stuttgart 1916, Robert Lutz. Ladenpreis 6.— ; in Lwd. ^ 7.50: in Halbfranz ^ 8.50. Ein interessantes Buch, von dessen lebendiger Schilderung mir uns gern bis zur letzten Seite fesseln lassen. Dem fachlichen Gebiete fern bleibend, hat es doch einen gewissen kollegialen Reiz, insofern als der Erzähler seine unstete Laufbahn als Buchhändler begonnen hat. Wie er selber bekennt, »ein störrischer, verschlossener junger Tunicht gut«, mit dem nichts anzufangen mar. »Er liest gern Bücher; lassen wir ihn Buchhändler werden«, so hatte sein Vater gesagt: doch der Versuch schlug fehl; reumütig bekennt der Sohn, daß die Fr. Wagner- fche Universitätsbuchhandlung in Freiburg i. B. wohl nie einen schlech teren Lehrling gehabt habe als ihn. An tüchtiger Schulbildung hat es ihm sicher nicht gefehlt. Sein Buch beweist es. Aber unbezwing barer Eigenwille, ein übermächtiger Drang nach Freiheit und Selbstbe stimmung in ihm rang mit der Enge heimischer Verhältnisse. Zu schauen und zu erleben, was er in Büchern gelesen, die Weiten des Erdballs zu durchmessen, Unbekanntes zu erforschen, schien ihm be gehrenswertestes Glück und Lebensziel. So führte ihn, wie so viele andre, das Ungestüm seines Wandertriebs zunächst nach Amerika. Das »gelobte Land« nahm ihn in die gewöhnte harte Schule. Nach mancherlei Irrfahrten, Not und Demütigung kam er nach dem gepriesenen San Franzisko und fuhr von da im Frühjahr 1003 hinaus nach Norden. Das Verhängnis hatte ihn einem gerissenen Heuerbas zugeführt und als »Grünhorn« (Grünschnabel) auf einen Walfisch fahrer verdingt. 1523