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-k 86, 15, April 1918. Redaktioneller Teil. II. Leipzig, den 8. April 1918. An den Herrn Staatssekretär des Kriegsernährungsamtes B e r l i n IV. 8. Aus die Zuschrift vom 28. März d. I. L. I. 1988 wird er widert, daß sich der ergebenst Unterzeichnete Vorstand der Aus fassung des Kriegsernährungsamtes nicht anschließen kann. Die Frage, ob Bücher im allgemeinen als Gegenstände des täglichen Bedarfs anzusehen seien, hat u. a. ein Mitglied des obersten Gerichtshofes, Herr Reichsgerichtsrat vr. Neukamp, gutachtlich verneint. Dar Gutachten ist in der Anlage a beigefügt. Auch andere Mitglieder des Reichsgerichts sind durchaus nicht der Ansicht, daß Bücher ohne weiteres als Gegenstände des täg lichen Bedarfs anzusehen seien. Es ist überhaupt fraglich, ob die erwähnte Verordnung von Haus aus Bücher hat mit ein begreifen wollen, und ob bei der Abfassung des Wortlautes auch an Bücher gedacht worden ist. Jedenfalls ist die berufene Ver tretung des Buchhandels hierbei nicht gehört worden, sonst würde sie ihre warnende Stimme gleich zu Anfang erhoben haben. Auf diese Frage nun näher einzugehen, ist nicht Sache des Unterzeichneten Vorstandes. Seine Ausgabe und seine Pflicht ist es vielmehr, auf die Gefahren hinzuweisen, die aus einer derartigen Auslegung der Bestimmung erwachsen können. Zugleich macht der Vorstand noch darauf aufmerksam, daß Wirt- schaftliche Notwendigkeiten gemeiniglich aus die Dauer stärker sind als geschriebene Gesetze, die mit dem Rechtsgefühl der be troffenen Allgemeinheit in Widerspruch stehen. Der Sortimentsbuchhandel hatte schon vor Beginn des Weltkrieges keine günstige Lage, und diese hat sich durch die allgemein eingetretene Teuerung sehr verschlechtert. Schon diese unbestreitbare Tatsache mutz ernstlich ins Auge gesatzt und be rücksichtigt werden. Dem deutschen Sortimentsbuchhandel sind seit Jahrhunderten sowohl die Einkaufs- wie die Verkaufspreise vorgeschrieben gewesen; er konnte seine Lage nur durch Ver mehrung des Umsatzes verbessern. Dies aber ist wegen der Viel gestaltigkeit der Geistesprodukte eine sehr schwierige Ausgabe, und an sich schon ist deshalb mit der Vermehrung des Umsatzes »och keine entsprechend schritthaltende Erhöhung des Nutzens verbunden. Je höher durch besondere Anstrengung der Umsatz steigt, um so mehr Pflegt erfahrungsgemäh prozentual der Nutzen zu schwinden; wenn kleine Geschäfte einen Nutzen von 12 v. H. des Umsatzes erzielen, ist dieser bei mittleren etwa 10°/«, bei größeren 7^7° und weniger. Bedenkt man nun, datz die staatlichen und städtischen Be hörden, durch die überhandnehmende Teuerung genötigt, sich gezwungen gesehen haben, ihren Beamten sehr namhafte Auf besserungen durch Zulagen zuzubilligen, so ergibt sich, datz etwas Ähnliches für den Sortimentsbuchhandel geschehen mutzte, wenn dieser nicht völliger Verarmung und Verkümmerung anheimfal len sollte. Ein zweiter, noch viel mehr ins Gewicht fallender Grund liegt aber in dem eingetretenen Paptermangel. Der Verlags buchhandel ist bis aus weiteres nur etwa aus die Hälfte der jenigen Menge Papiers, die er im Jahre 1916 verbraucht hatte, beschränkt worden. Hieraus ergibt sich zwingend, datz in ganz kurzer Zeit die Menge der erzeugten und verkäuflichen Buch ware und damit der Umsatz des Sortimentsbuchhandels sinken mutz. Durch die Verminderung der Kaufkraft des Geldes einer seits und durch die Verringerung des Gesamtquantums der Buchware anderseits steht dem Sortimentsbuchhandel ein wirt schaftlicher Niedergang, eine Not und Entbehrung vor Augen, die seine Tatkraft lähmen, sein Gemüt verbittern müßten, wenn nicht Mittel angewandt werden, die ihn vor dem Hunger und Elend schützen. Sollte es nun wirklich die Absicht der Ge setzgeber gewesen sein, die Bücher unter den Begriff des täg lichen Bedarfs mit einzubeziehen, so müßte sogleich eine Än derung zugunsten des Buches durch eine besondere Verfügung herbeigeführt werden, wenn nicht ein schwerer Kulturschaden entstehen soll; denn die Aushungerung des Sortimentsbuchhan dels, die ja ohne Zweifel vom Kriegsernährungsamt nicht be absichtigt ist, aber ebenso zweifellos nach dem Dargelegien ein- treten mutz, wird gefährliche Folgen nach sich ziehen, die sich auf das gesamte Kultur- und Bildungsleben Deutschlands er strecken. Das deutsche Volk ist, wie Heinrich von Treitschke mit Recht gesagt hat, das gedankenreichste Volk der Erde. Seine hohe geistige Entwicklung prägt sich seit langem in einem üppigen Reichtum der Literatur, besonders der wissenschaftlichen und technischen, aus, und in dieser Beziehung ist das deutsche Voll das erste des Erdballs. Die geistige Kraft ist es vor allem ge wesen, die es ihm möglich gemacht hat, den beispiellosen, unge heuren Kampf gegen die zahlenmäßige Übermacht, gegen eine Welt von Feinden zu führen, so zu führen, datz alles, was die Weltgeschichte an Kämpfen verzeichnet, dagegen unbedeutend er scheint, den Dreißigjährigen Krieg nicht ausgenommen. Es ist unbedingt notwendig, dafür zu sorgen, daß der deut schen Nation dieses Primat, diese Widerstandskraft, die auf geistiger Potenz beruht, erhalten bleibt, soll sie nicht dennoch, allen Anstrengungen zum Trotz, dem Untergang geweiht sein. Nicht nur die U-Boote, die märchenhaften Schußwaffen, die chemischen Entdeckungen, die medizinischen Errungenschaften sind Ursachen dieser ungeahnten Kräfte; auch die bewunderungs würdige kriegerische Gesamtorganisation ist ein Ergebnis lan ger geistiger Schulung und allgemein gewordener Einsicht. Diese aber ist wiederum ein Resultat der angewandten Wissenschaft und Technik, die durch die zahlreichen Bildungsstätten, die zahl losen Bücher und Zeitschriften dem Volk nähergebracht worden sind. Raubt man diesem nun die erworbene herrliche Fähig keit, diesen merkwürdigen Vorzug vor allen anderen Völkern der Welt, so lähmt man seine Macht und stellt die Errungen schaften in Frage, die es ihm ermöglichen würden, sich auch in Zukunst so stolz wie jetzt zu behaupten. Die Bücher nämlich, die geistige Munition, sind die Grundlage aller übrigen Kampf mittel; und die Träger dieser Geistesmunition sind die Buch händler, die Verleger und die Sortiments- oder Ladenbuchhänd ler. Sie halten das kostbare Gut in Händen und suchen es so viel als möglich und so rasch als möglich wirksam zu machen. Lähmt nun eine Verordnung diesen geistigen Pulsschlag, diesen Kreislauf der Bücher, so hemmt man den Fortschritt und ver mindert die geistigen Kräfte; das wäre also eine geradezu ver hängnisvolle Maßregel. Es geht nun nicht an, etwa nur die unmittelbar beteiligten Wissenschaften, also die Chemie, die Medizin und die Technik für sich allein zu begünstigen. Die Bildung eines Volkes ist ein Ganzes, das als Ganzes nur lang sam steigt, wie der Wasserspiegel eines großen Sees. Von diesen Erwägungen ausgehend, von der Überzeugung durchdrungen, daß die sehr schwierige Lage des Sortimentsbuch handels einen autzergewöhnlichen Schritt fordere, hat im Sep tember 1917 eine Versammlung von hervorragenden Vertretern des Buchhandels auf Veranlassung des Unterzeichneten Vorstan des im Deutschen Buchhändlerhause zu Leipzig getagt und dabei die Überzeugung ausgesprochen, datz es notwendig sei, dem Sortimentsbuchhandel einen Teuerungszuschlag zuzubilligen. Die Höhe dieses Zuschlages sollte von den einzelnen Kreis- und Ortsvereinen des Buchhandels bestimmt werden, und fast all gemein ist dieser notwendige Zuschlag auf 10°/° bemessen wor den. Angesichts der Tatsache, datz den staatlichen und städtischen Beamten eine wesentliche Erhöhung ihrer Bezüge von 25—507» hat zugebilligt werden müssen, würde es als ein schreiendes Un recht erscheinen, wollte man dem ebenfalls notleidenden Sorti mentsbuchhandel einen solchen, wesentlich geringeren Zuschlag streitig machen. Eine Verfügung, die so ausgelegt werden kann, datz sie einen ganzen Stand der Not und dem Elend preisgibt, kann als eine segensreiche nicht angesehen werden. Eine rein formale Deutung eines ganz unbestimmten Ausdrucks (täglicher Bedarf) erscheint, wenn sic streng gehnndhabt werden sollte, den Betroffenen willkürlich und drakonisch, wird aber auch gar nicht zum Ziele führen, sondern nur eine Umwälzung des Gesamt buchhandels, ja eine Entartung desselben herbeiführen. Ange sichts der wichtigen Rolle, die dem Sortimentsbuchhandel bei der Verteilung des geistigen Gutes im Volke zugefallen ist, an gesichts der Notwendigkeit, ihm diese Rolle zu erhalten, erscheint 187