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158, 10. Juli 1912. Nichtamtlicher Teil. v«rtm»l»u I. ». ryqn. vuchh-ndL 8275 schule, in der er jedoch nur zwei Jahre verblieb. Er führte dann suchend und irrend ein unstetes Leben und war bald hier und bald da tätig, bis er endlich Mitarbeiter einer Zeitschrift wurde; aber die Unsicherheit seiner Lage aus jour nalistischem Gebiete hörte erst dann aus, als er Mitarbeiter des »Xurjsr IVarsrsvsIri« wurde. Besondere Beachtung fanden namentlich in letzter Zeit seine wöchentlichen Feuilletons im »Ilürjsr Ooärisvo^», einem in den Mittelklassen der polnischen Gesellschaft verbreiteten Blatte. Höher als seine publizistische Tätigkeit steht das Wirken Prus' auf belletristischem Gebiete. Seine erste Arbeit in dieser Richtung war die Erzählung »Lloxot/ babuvi» (1873), nach zwei Jahren folgte, weit reifer als diese, eine Novelle »Lalsv i ruckera« (1875). Nach weiteren kleineren Novellen beginnt die Reihe der größeren Werke mit der »Llaoo-elia-, in der die fast mystische Anhänglichkeit des polnischen Bauern an seine Scholle geschildert wird, sowie seine volle Ohnmacht beim Zusammentreffen mit einer höheren Kultur. Einen starken Einfluß hinterläßt seine Novelle »Ow^lba», in der eine tragische Episode aus der Zeit des polnischen Auf standes geschildert wird. Große soziale Probleme behandelte Boleslaw Prus vor allen Dingen in »karsoo», »I»aIIra» und »LmavexpatLi«, er steht aber als Künstler am höchsten da, wo er ganz tendenzlos schildert, wie z. B. in »kr^goäo Stosia«' Einen großen Glauben hatte er an die Persön lichkeit, und noch kurz vor seinem Tode hat er über die Not wendigkeit der Selbsterziehung zur Persönlichkeit und der Er ziehung des Willens geschrieben. Sein Zukunstsideal waren die -Vereinigten Staaten von Europa«. Sein Begräbnis wurde häßlicherweise zu einer politischen Demonstration gemacht. Tolstoi und kein Ende! Die »Lstseb» bringt einige interessante Einzelheiten über den Streit um den literarischen Nachlaß Tolstois, der im Historischen Museum zu Moskau aufbewahrt wird. Wie ich in meineni vorigen Berichte (Nr. 124) erwähnte, hat Tolstoi diese Handschriften testa mentarisch seiner Tochter Alexandra vermacht. Als sich nun die Komtesse an das Museum wandte und um Herausgabe der Handschriften ersuchte, wurden ihr diese verweigert mit der Begründung, daß die Museumsverwaltung nicht wisse, wem die Handschriften gehören, ihr oder ihrer Mutter. Die Komtesse wandte sich daraus an die Regierung, aber ohne Erfolg, und auch ein an den Zaren gerichtetes Bittschreiben wurde abschläglich beschicken. Von der Bittschriftenkanzlei traf folgende Resolution ein: Wenn zwischen der Komtesse Alexandra und ihrer Mutter keine friedliche Übereinkunft er zielt wird, so bleibt nur die Lösung der Frage durch ein Schiedsgericht oder durch die ordentlichen Gerichte übrig. Da wohl die Komtesse, nicht aber die Gräfin Sophie zu einem Schiedsgericht bereit ist und die Komtesse sich zu einer gericht lichen Lösung des Streites nicht entschließen kann, so muß eben mit der Veröffentlichung gewartet werden. Wie ich von anderer Seite erfahren habe, wollen eine Anzahl Gelehrte bei der Komtesse, sowie auch bei der Gräfin vorstellig werden, da mit der so überaus wichtige Nachlaß nicht lange unveröffent licht bleibt. — Das an dieser Stelle schon erwähnte Tolstoi- Museum hat von dem Fürsten N. L. Obolensky, einem Schwiegersöhne Tolstois, wertvolle Briefschaften, Schriftstücke und Porträts zum Geschenk erhalten. Die Briefe find in der Zeit von 1865 bis 1891 geschrieben und enthalten sehr wichtiges Material zur Tolstoi-Forschung. Eine sehr reiche Schenkung erhielt das Museum kürzlich von der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg, die alle ihre Dubletten Tolstoi betreffend dem Museum überwies. — Auch ein posthumes Bllhnenwerk Tolstois gelangte vor kurzem im Theater des »Literarisch-Künstlerischen Vereins» zur Aufführung. »Von ihr alle Eigenschaften» (Orr, ne« veb uaneoroa) ist ein kleines Bühnenwerk, mehr eine dramatische Skizze — in seiner Kürze aber von eindringlicher, sehr ernst stimmender Wirkung, obwohl es in seiner Form gar nicht schwerernst und dramatisch behandelt ist, sondern von Tolstoi durchweg im Komödienspiel, meist sogar in scherzhafter Art gehalten ist. Der Inhalt ist kurz folgender: In ein recht wohlhabendes Bauernhaus kehrt in Abwesenheit des Herrn des Hauses ein Wanderer ein, ein Vagabund, der auf seinen Streifzügen durch Rußland ein flüchtiges Asyl in der gast freundlichen Baucrnhütte gefunden hat und hier von seinem Vorleben den aushorchenden Frauen erzählt. Durch die un freiwillige Komik, mit der er von sich und seinen Taten be richtet, wird er auf der Bühne zu einer humoristischen Figur. Einst hat er eine »Lxpropristiov» begangen, einen ganz ge wöhnlichen Raubüberfall, für den er im Gefängnis hat büßen müssen. Aber in seiner Phantasie war es, wie er sich durch halboerstandene sozialrevolutionäre Schlagwörter einreden will, ein politisches Verbrechen, und so hat ec eben für seine politische Überzeugung gelitten. Diese Täuschung sucht der herabgekommene Vagabund auf jeden Fall und mit einem gewissen Stolz aufrechtzuerhalten, um sich noch einen Rest Selbstachtung trotz aller Verkommenheit zu wahren. Was verschlägt es dabei, daß er den zuhörenden Bauers leuten die sozialpolitischen Begriffe und Schlagwörter durch einandermischt und in unfreiwilliger Komik falsch an wendet I Seine Zuhörer nehmen ihn ernst und sind nur sehr enttäuscht, als er am Schluß die Gastfreundschaft durch einen gewöhnlichen Diebstahl verletzt, indem er den vom Hausherrn den Seinen mitgebrachten Tee und Zucker mit auf die Wanderschaft nimmt. Unter der unfreiwilligen Koinik birgt sich erschütternder Lebensernst. Ist es auch mehr das Streben nach Selbstrechtsertigung, das den Vaga bunden zum Bekenntnis treibt, daß alle seine »Eigenschaften» von »ihr-, von der Branntweinflasche herstammen, so fühlen wir doch die Wahrheit durch und sehen sie in der kurzen, aber lebenswahren Szene veranschaulicht, in der der be trunkene Hausherr gegen seine Frau tobt und zum Schlage gegen sie ausholt. Mag auch der stets renommierende Vagabund mehr zur Wahrung seiner Heldenpose hier dazwischentreten und den Betrunkenen zur Vernunft bringen, so ist doch die wüste Szene Wirklichkeit. Von feinem Humor ist die letzte Szene, in der der Bauer sich, als Herr des Hauses, von seiner Frau nichts sagen lassen will, als sie Mitleid für de» ertappten Dieb empfindet, und aus Trotz überbietet er sie noch, indem er den Vagabunden nicht nur laufen läßt, sondern ihm schließlich auch noch das Gestohlene zum Geschenk mit auf die Wander schaft gibt. Ties ergreifend ist der Schluß, wo das innige Mitleid der Frauen durchbricht, die dem Dieb und Vagabunden nachweinen, weil er doch »ein Mensch ist», ein Mensch wie wir alle. Als einen kaux-xas muß man es bezeichnen, daß nach diesem Stücke Kadelburg-Presbers »Dunkler Punkt» aufgeführt wurde. Nun endlich ist auch Deutschland so weit, mit Rußland eine Konvention zum Schutze der literarischen und Kunst- Werke abzuschließen, und optimistische russische Zeitungen sehen schon Rußland sich der Berner Konvention an schließen. Der schnelle Abschluß der deutsch-russischen Literaturkonoention wäre um so freudiger zu begrüßen, als nach Zustandekommen der französisch-russischen (vgl. Bbl. Nr. 144) die Verleger, die sich lediglich mit der Herausgabe unautorisierter Übersetzungen befassen, sich noch mehr als bis her der deutschen Literatur zuwenden werden. Daß dadurch dem deutschen Verlage und den deutschen Autoren ein großer Schaden zugesügt würde, dürfte einleuchtend sein. Sehr oft fand ich bei russischen Lesern, die die deutsche Sprache ebensogut wie die russische beherrschen, deutsche Autoren in 1078»