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298, 23. Dezember 1909. Nichtamtlicher Teil. Börsevl-'-^L f. d. Dtschi^ Buchhandel 15843 Bett und las seiner Frau den Teil seines Bandes laut vor, während ihm die Tränen über das Gesicht herabliefen. Mr. Greenwood berichtete, daß er nach Ablauf einer Stunde ge dacht hätte, sein Interesse an der Geschichte flaue ab; aber im Gegenteil wurde von da ab seine Bewunderung um so größer, je weiter er kam. Sein Vorschlag war, den Ankauf des Buches sofort abzuschließen und es unverzüglich zu drucken, damit nicht ein anderer zuvorkomme. Es war der letzte März, als dies auch beschlossen wurde, und am 16. April wurde die erste englische Ausgabe von »Onkel Toms Hütte« in einer Auflage von 6000 Exemplaren in Leinen gebunden zum Preise von 2 8b. 6 ck. von Charles H. Clarke L Co. in London ausgegeben. Der Verkauf begann; aber die Bestellungen kamen so spärlich, daß der Verleger schließlich, wenn auch mit innerem Widerstreben, bekennen mußte, daß er einen Fehlgriff getan hatte. So blieb der Absatz einige Monate ganz unbedeutend, bis auf einmal im August desselben Jahres ein fünf Spalten langer Artikel über das Buch in den »ll'im68« erschien. Lobende Besprechungen folgten bald auch in andern Zeitungen, das Buch wurde bekannt, es wurde beispiellos populär und schließlich — Mode, wie es wohl kein Buch bisher geworden war. Die Kräfte der Drucker und Buchbinder wurden bis aufs äußerste angestrengt, sie arbeiteten Tag und Nacht, und es wurden an einem einzigen Tage, als der Verkauf auf seiner Höhe stand, nickt weniger als 60 000 Exem plare an den Buchhandel abgeliefert. Dieser Erfolg des schönen Buches erinnert einigermaßen an einen Kometen, insofern sich der Verkauf von einem sehr bescheidenen Anfangsmaß ins Ungeheure steigerte, bis der literarische Ruhm des Buches sich über die ganze Welt verbreitete. Ein so kolossaler Erfolg brachte natürlich auch Konkurrenz- Ausgaben auf den englischen Markt, und besonders eine war ein wörtlicher Abdruck der Ausgabe von Clarke L Co. Unglücklicher weise hatte der Nachdrucker auch das Vorwort, das von Mr. Greenwood stammte, mit abgedruckt, und dieses war geschützt. Es wurde zwar sofort eine Berichtigung an alle Buchhändler gesandt; aber trotzdem durfte keiner diese Ausgabe rechtlicher Weise verkaufen, bevor nicht mit Clarke L Co. eine Vereinbarung ge troffen war. Im Herbst des Jahres 1862 sandte Clarke seinen bewährten Mitarbeiter Mr. Beeton nach Amerika, um Mrs. Harriet Veecher- Stowe zu interviewen und ihr ein Ehrenhonorar von 20 000 zu überreichen als Anerkennung und in Anbetracht des Gewinnes, den er aus ihrem Buche gezogen hatte. Das mag wohl das erste Beispiel gewesen sein, daß ein englischer Verleger die moralische Verpflichtung fühlte und anerkannte, den Autor eines nicht vor Nachdruck geschützten Werkes an seinem Gewinn teil nehmen zu lassen. Unterdessen machte der Verkauf in England kolossale Fort schritte. Clarke L Co. lieferten an die Firma Noutledge 400000 Exemplare einer billigeren Ausgabe zu einem Schilling. Diese Firma hat ihr Hauptbuch aus den Jahren 1852/53 sorgfältig aufbewahrt aus dem besonderen Interesse, weil es die genauen Einträge über die erhaltenen Exemplare von »Onkel Toms Hütte« enthält. 26 000 Exemplare einer 6 6-Ausgabe wurden an eine andere Firma geliefert, und inner halb 12 Monate wurden nicht weniger als 1'/« Million Exemplare von dem Buch bei Clarke L Co. hergestellt und verkauft mit einem Reingewinn von 360 000 -k. Als Mrs. Beecher Stowe einige Zeit später England besuchte, wurde ihr zu Ehren eine Soiree gegeben, in der der Earl of Shaftesbury den Vorsitz führte. Bei dieser Gelegenheit über reichte ihr Mr. Clarke ein massiv goldenes Schreibzeug. Charles Clarke, der Sohn, der ebenfalls teilnahm und damals noch ein kleines Kind war, hatte, wie er erzählt, die Ehre, kurze Zeit auf ihrem Schoße sitzen zu dürfen, und er erinnerte sich noch nach 50 Jahren genau an ihre Erscheinung. Ihre Stirn war hoch und breit, sie hatte durchdringende braune Augen, eine lange kräftige Nase, jedoch weder Adlernase noch griechische Nase, son dern ein Mittelding zwischen beiden; bemerkenswert war ihre kurze Oberlippe, die ihre Vorderzähne hervortreten ließ. Sie hatte einen breiten, aber wohlgeformten Mund mit vollen roten Lippen und ein langes, aber etwas zurücktretendes Kinn. Ihre Gesichts farbe war blaß, und nur ihre Wangen zeigten etwas Farbe. Ihr nußbraunes Haar war voll und dicht und in der Mitte gescheitelt. Nach beiden Seiten aber hingen, die Ohren gänzlich verdeckend, fünf gedrehte Locken von beträchtlicher Länge herab. Sie war nicht groß, aber kräftig und machte den Eindruck einer glücklichen jungen Frau. Ihr Wesen war außerordentlich lebhaft und ihre Stimme nicht unmusikalisch; sie sprach schnell mit einem starken amerikanischen Akzent. Bald nach Erscheinen von »Onkel Toms Hütte« hatte die Königin Viktoria die Gnade, ein illustriertes Exemplar entgegen zunehmen, das in prachtvolles rotes Leder gebunden war und auf dem Einband das königliche Wappen trug. 25 Jahre später empfing Ihre Majestät im Schloß Windsor Josiah Henson, das Original, nach welchem Mrs. Beecher-Stowe den Onkel Tom ge schildert hatte. Immer, auch jetzt noch müssen, die Verleger Neudrucke von dem Buche machen, und manche von ihnen verkaufen bis zu 60000 Exemplare im Jahre, eine Absatzziffer, die kaum mehr als ein halbes Dutzend Verfasser heute mit ihren Werken er reicht. Wenn irgendwo die Frage nach dem erfolgreichsten Buche/auf taucht, nach dem Buche, das den größten Eindruck auf die Leser vieler Nationen gemacht hat, so wird immer die Antwort lauten: »Onkel Toms Hütte«. Einmal erregte das Buch den Zorn Carlyles, der bei einer Gelegenheit seinen Unwillen über die aussprach, die die Ab schaffung der Sklaverei verlangten. Darüber entsetzten sich zwei Damen, indem sie sich an ihn wandten: »O Mr. Carlyle, reden Sie nicht so, denn sicher meinen Sie es gar nicht so. Kennen Sie denn Mrs. Stowe nicht?« »Jawohl«, antwortete er, »ein armes, verrücktes Frauenzimmer, das ein Buch geschrieben hat, voll von erbärmlichem Unsinn, betitelt ,Onkel Toms Hütte'*. Trotz alledem — das Buch machte die Sklaverei zu einer brennenden Frage und war eine der Ursachen zum amerikanischen Bürgerkrieg, der den Sklaven dieses Kontinents die Freiheit brachte. Kleine Mitteilungen. * Verbreitung guter und billiger Schriften in Hamburg. — Von einen Sortimenter in Hamburg wird uns folgendes mitgeteilt: Um den fortgesetzten Vorwürfen in Lehrerkreisen und auch in der Bürgerschaft zu begegnen, die darin gipfelten, daß der Buchhandel mit der billigen Literatur nichts zu tun haben wolle, haben wir 11 Sortimenter mit Unterstützung der betreffenden Herren Verleger 200 000 Prospekte über Werke Hamburgischen und anderen Verlages und 10 000 Taschen mit Verzeichnissen der billigen Sammlungen verbreitet, und zwar die Prospekte als Beilagen in dem hiesigen »Generalanzeiger« — dem »Fremdenblatt« — den »Nachrichten« und dem »Hamburger Kirchenblatt« und die Taschen aus der Hand verteilt auf dem Dom. Interessant ist die Tatsache, daß das »Hamburger Echo« (sozialdemokratisch), dem im vorhinein die Beilage des Prospekts zugedacht war, die Beilage abgelehnt hat, ohne einen Grund anzugeben. Uber den finanziellen Erfolg läßt sich noch nichts sagen; jedenfalls hat aber das Unternehmen in allen Bevölkerungskreisen Anklang gefunden Jede der im Prospekt und auf der Tasche (großes Brief kuvert) verzeichneten Sortimentsfirmen, elf an der Zahl, hat fünfzig Mark beigetragen; die weiteren Kosten sind von den Ver legern, die für jeden Titel 4 Mark, jede Reklamezeile 2 Mu^r zahlen, gedeckt worden. Titel von Werken über 4 Mark wurden ausgeschlossen. Von seiten der Verleger ist das Unternehmen sehr wohl wollend, z. T. sogar enthusiastisch ausgenommen worden. Die Beilage umfaßt 4 Quartseiten. Sie verzeichnet am Kopf die ausgebenden 11 Sortimentsbuchhandlungen mit genauer Adresse. Inhaltlich bringt sie Bücher aus allen Gebieten bis zum Höchstpreise von 4 Jugendschriften sind durch einen Stern gekennzeichnet. Am Schlüsse folgen unter Angebot kostenloser Verabfolgung ausführlicher Verzeichnisse die Titel der großen I Sammlungen; Hendel, Meyer, Reclam, Wiesbaden, Teubner, 2063*