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214, 14. September 1804. Nichtamtlicher Teil. 7661 »einten die Gerichte die Eigenschaft eines Werkes der bilden den Kunst, wenn es sich auch um Erzeugnisse handelte, die durch ein anerkanntes Kunstverfahren, z. B. Lithographie, hergestellt waren. Oftmals war es auch der scheinbar allzu geringe Wert des Gegenstandes, der die Gerichte, ungeachtet seiner feinen künstlerischen Ausführung, dazu führte, den Schutz gegen Nachbildung zu versagen. Angesichts der bisherigen schwankenden Verhältnisse in unsrer Rechtsanwendung, namentlich da, wo es sich darum handelt, ob ein Erzeugnis der Graphik zugleich ein Werk der bildenden Kunst sei, sollen im neuen Kunstschutzgesetz gewisse Kautelen geschaffen werden, die verhindern sollen, daß der zu geringe Wert des Gegenstandes oder sein wirtschaft licher Bestimmungs- und Gebrauchszweck oder die Art der Anbringung des Gegenstandes auf einem andern, nicht künst lerischen Erzeugnis künftig ein Hindernis sei für dessen An erkennung als Kunstwerk. Diefenbach erinnert daran, welche Mühe es gekostet hat, einem zu ungeahnter Bedeutung ge langten Erzeugnis der Graphik, der Bildpostkarte, in den Fällen zum Schutze gegen Nachbildung zu verhelfen, in denen diese uns als Erzeugnis der graphischen Kunst entgegentritt, oftmals in den feinsten und sorgsamsten Reproduktionen verschiedener Kunstverfahren. Wie lange hat es gedauert, bis die Rechtsprechung in jenen Erzeugnissen der Graphik nicht mehr durchweg Jndustrieerzeugnisse erblickte! Aber noch heute steht diese auf dem falschen Standpunkt, daß jede Bildpost karte, die noch erheblich Raum für Mitteilungen lasse, un geachtet ihres künstlerischen Charakters, ein Erzeugnis der In dustrie darstelle und schutzlos sei, wenn sie nicht als Muster eingetragen werde. Stellt dagegen die Karte ein Bild auf ihrer ganzen Fläche dar, oder läßt sie nur wenig Raum für Mitteilungen, so glaubten bisher die Gerichte ein Werk der bildenden Kunst in ihr zu erkennen und sprachen den Schutz zu. Dies sind jedoch kleinliche Gesichtspunkte, die wohl zu einem System in der Rechtsprechung verhelfen, in der Haupt sache aber, was die Frage der Schutzberechtigung anbetrifft, nicht entscheidend sein können. In der Hauptsache kann es immer nur darauf ankommen, ob ein graphisches Erzeugnis — einerlei, in welcher äußern Form es sich darstellt und welchem Zwecke es dient, wie es in die äußere Erscheinung tritt und welchen materiellen oder ideellen Wert es besitzt — künstlerische Gebilde in originaler Wiedergabe zum Ausdruck bringt, und zwar in dem Maße, daß sich von dem betreffen den Gegenstände, unabhängig von seinem Werte, seiner Be stimmung und seinem wirtschaftlichen Gebrauchszweck sagen läßt: es verkörpert sich in dem Gegenstände in ausreichendem Maße ein Stück bildender Kunst, dem man, für sich be trachtet, »schöpferische Eigenart- nicht absprechen kann. Dies aber ist bei vielen Erzeugnissen der Graphik heute der Fall, die immer mehr danach trachtet, die Kunst mit Hilfe sich vervollkommnender Reproduktionsverfahren in ihr Gebiet mit einzubeziehen und den aus ihren Werkstätten hervorgehenden Gegenständen den Charakter von Erzeug nissen aufzuprägen, an denen man zugleich ein künstlerisches Schaffen, wenn auch in einer dem Gegenstände und seinem Bestimmungszweck sich unterordnenden Weise betätigt sieht. Der Richter, der über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Nachbildung bei solchen graphischen Erzeugnissen zu er kennen hat, soll sich unter der Herrschaft unsers neu zu ge staltenden Schutzes nicht mehr fragen: Was ist das graphische Erzeugnis an sich wert? Hat es neben seinem Wert als Gebrauchsgegenstand einen eigentlichen Kunstwert, d. h. ist es als solches ein »Kunstwerk- und nicht nur ein Erzeugnis der Gewerbe, das bildende Kunst verkörpert? Der Richter soll künftig auch daran keinen Anstoß nehmen, daß der Be stimmungszweck des Erzeugnisses in der Hauptsache ein wirt schaftlicher ist und vielleicht an einem dem alltäglichen Be- Börsenblati für den deutschen Buchhandel. 7t. Jahrgang. dürfnis untergeordneten Gebrauchs- und Verkehrsgegenstand, z. B. an einem Plakat, einer Speise-, Tanz- oder Visiten karte, einem Briefkopf u. dergl. erscheint. Der Richter soll bei Beurteilung der Schutzfrage künftig hiervon ganz ab- sehen und lediglich die künstlerische Seite des Gegenstandes, die Art ihrer Ausführung und deren Wirkung auf das ästhetische Gefühl des Beschauers in Verbindung Mit dem Erzeugnis als Ganzes in Betracht ziehen. Findet er dann, daß dem graphischen Erzeugnis ein hinreichender Grad von künstlerischer Eigenart im Vergleich zu andern ähnlichen Er zeugnissen der Graphik innewohnt, so hat er ihm den Schutz gegen Nachbildung zuzusprechen und das zu gewähren, was unser neu zu gestaltendes Kunstschutzgesetz graphischen Er zeugnissen von künstlerischem Charakter in diesem Fall ge währen will: die Gleichstellung mit den Werken der reinen Kunst. Diefenbach wird in seiner Anschauung, es genüge durchaus nicht, daß diese Gleichstellung in allgemeinen Worten in den »Erläuterungen« zum künftigen Gesetz hervor gehoben sei, die Vertreter der graphischen Gewerbe verlangten vielmehr und legten Wert darauf, daß im Gesetz selbst dies ausdrücklich erklärt werde, durch l>r. Albert Oster rieth, Generalsekretär des deutschen Vereins zum Schutze des gewerblichen Eigentums, unterstützt. Die Ausführungen Osterrieths, die der Abhandlung Diefenbachs als Einleitung und zugleich als geschichtlicher Überblick über die ganze seit herige nationale und internationale Bewegung im modernen Kunstschutz vorangestellt sind, erscheinen überaus beachtens wert für jeden, der auf juristischem oder kunstgewerblichem Gebiet tätig ist. Osterrieth weist darauf hin, daß ein aus drücklicher ergänzender Zusatz, wie ihn auch Diefenbach zur Schutzgewährleistung für das graphische Gewerbe im künftigen Gesetz für notwendig erachtet, schon deshalb unbedingt nötig sei, damit unsre deutschen kunstgewerblichen Erzeugnisse von künstlerischem Charakter in dem gesamten Berner Kon ventionsland nicht schutzlos dastehen. Ist ihnen im In land die Eigenschaft eines Werks der Kunst mit Rücksicht auf Gebrauchszweck, Wert, Bestimmung oder seine Ver wendung gerichtlich abgesprochen, so hat dies die Wirkung, daß das deutsche graphische Erzeugnis, obwohl es nach der Konvention in den ausländischen Staaten gegen Nachbildung geschützt wäre, dort frei reproduziert werden kann, weil es im Heimatstaat als einfaches Jndustrieerzeugnis gilt. Hierzu bemerkt noch Diefenbach, daß gerade das deutsche lithographische Kunstgewerbe ein besondres Interesse an der ganzen Frage habe, weil der Absatz seiner Erzeugnisse (z. B. auch der Bildpostkarte) sich stark auf das Ausland erstrecke, bei einzelnen Firmen bis zu 85 Prozent ihrer Gesamterzeugung an lithographischen Drucken. Die Erzeugnisse des graphischen Gewerbes, denen zu gleich das Prädikat eigenartiger Schöpfungen von künst lerischem Charakter zugesprochen werden kann, genießen heute schon, sofern sie von deutschen graphischen Anstalten her- gestellt sind, in den Berner Konventionsstaaten Belgien, Frankreich und Luxemburg als Werke der Kunst Schutz gegen Nachbildung unter der Voraussetzung, daß sie diesen Schutz auch im eignen Heimatland (Deutschland) genießen. Die letztere Frage kann aber deswegen nicht unbedingt bejaht werden, weil sie in jedem einzelnen Fall von der Kognition der deutschen Gerichte abhängt, die ja zurzeit noch aus dem bisherigen Standpunkt steht, daß der Nutz- und Gebrauchs zweck eines graphischen Erzeugnisses von Eigenart und künstlerischem Charakter dessen Eigenschaft als »Werke der bildenden Kunst« aufhebe und daher im Inland die Ver leihung des Kunstschutzes in diesem Fall ausschließe. Wir müssen daher die belgischen, französischen, luxemburgischen graphischen Erzeugnisse von künstlerischein Charakter zur- lv08