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.V 48, 24. Februar 1912. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 2439 »lehr als zweifelhaft ist. Im übrigen stehen wir stets auf dem Standpunkt, daß man das Vermögen eines Vereins möglichst nur dann in Anspruch nehmen soll, wenn es sich um Entscheidungen handelt, die für den ganzen Stand von prinzipieller Bedeutung find. Grotz ist allerdings auch die Zahl der Klagen, die gar nicht zur Kenntnis der Vereine gelangen. Daß der hochehrbare Stand der Verleger mit Kopsschüt- tcln wahrnimmt, welch große Entrüstung in den Kreisen der Autoren über Willkür und gröbliche Rechtsverletzungen herrscht, das ist mir völlig erklärlich. Denn die Verleger, von denen hier die Rede ist, stehen größtenteils außerhalb jeder nach moralischen Grundsätzen geleiteten Organisation, und sie gewinnen gerade dadurch einen Schutz, daß die Streit fälle bei den verschiedenen Amts- und Landgerichten zur Ent scheidung kommen und nicht zur allgemeinen Kenntnis der Berufsgenossen gelangen, oder doch nur in völlig falscher Darstellung.*) Nichts bewegt mich so sehr, für die Schaffung einer Autoren- und Verleger-Kammer einzutreten, als gerade der Umstand, daß diese Streitfälle von unlauteren Charakteren völlig entstellt zur Kenntnis der Verleger gebracht werden, die sich dann ein ganz falsches Bild von der Persönlichkeit des Autors machen. Das aber ist gerade der Zweck der Übung. Wenn alle diese Fälle in aktenmäßiger Darstellung zur Kenntnis angesehener Persönlichkeiten gebracht werden, denen Kollegen das Richteramt anvertraut haben, so haben wir diese Gefahr nicht mehr zu fürchten. Dann werden die Verleger erst sehen, wer die Persönlichkeiten sind, gegen die die zahlreichen Prozesse sich richten. Es sind größtenteils sehr dunkle Existenzen, die man allerdings auch als »Ver leger« bezeichnet, weil ihre Tätigkeit im Vertrieb von Druck schriften besteht, die aber, wenn das Geschäft einmal nicht gut geht, mit derselben Bereitwilligkeit einen Gemüse- oder Käse handel beginnen. Das sind dieselben Leute, die aus Rache gegen einen Autor, der sie verklagt oder gepfändet hat, ein Lügenmärchen ausspinnen, um ihn moralisch oder wirtschaft lich zu vernichten. Wir werden ja aufatmen, wenn für uns endlich die Stunde kommt, wo wir unsere Akten vor Männern wie Brockhaus, Diederichs usw. ausbreiten könnten, um zu zeigen, wie viel auf diesem Gebiete gelogen und be trogen wird, und wie trefflich der literarische Dieb stahl organisiert ist. Mehr noch als der Autor hat der Stand der Verleger ein Interesse daran, Klarheit in dem Punkte zu schaffen, daß die unlauteren Elemente außerhalb jeder anständigen Gemeinschaft stehen und energisch zurllckgewiesen werden müssen, wenn sie unter den Fittichen eines Verlegervereins Schutz zu finden suchen. Un redliche Elemente gibt es aber auf beiden Seiten, wie über haupt in jedem Berufe. Sie vermögen die Ehrbarkeit des Standes absolut nicht herabzuwürdigen. Darum biu ich überzeugt, daß die Differenzen die Schaffung einer Autorcn- und Verleger-Kammer durchaus nicht erschweren, sondern daß gerade dieses gemeinsame Wirken, das größere Verantwort lichkeitsgefühl der Sachverständigen, sowie die allgemeine Übersicht über die typischen Fälle der Rechtsverletzungen einen vollsländiigenWandel auf diesemGebiete herbeiführen werden. Aber etwas brauchen wir, um das Gebäude zu errichten — einen festen Grundstein, nämlich das gegenseitige Vertrauen, daß die andere Partei bei dieser Gründung nicht ihr Schäf chen ins Trockene bringen, sondern dem andern Teil entgegen kommend die Hand reichen will, um gemeinsam mit ihm den Weg des Rechts zu finden. *> Diese Zeilen sind vor dem Erscheinen des vr. de Grupter- schen offenen Brieses an Herrn Victor Blüthgen in Nr. 4L dss. Blattes niedergeschrieben. Red. Das Recht auf den Ladenpreis. In Nr. 7/8 von »Musikhandel und Musikpflege« vom 21. Februar 1912 ist ein Schreiben des Herrn Wilhelm Mensing in Fa. Thüringer Musikhaus Hermann Mensing in Erfurt zum Abdruck gebracht, das sich mit dem Entwürfe der neuen Verkaufsbestimmungen für den Musikalienhandel beschäftigt und an dieser Stelle schon deswegen nicht unwider sprochen bleiben darf, weil es zeigt, wie notwendig es bei gerichtlichen Entscheidungen ist, jeweils die Wesenheit des besonderen Falles ins Auge zu fassen und sich vor Ver allgemeinerungen zu hüten. Wir geben den ersten Teil des Schreibens — der zweite beschäftigt sich lediglich mit den Rabattverhältnissen des Musikalienhandels und eignet sich daher mehr für die Be handlung durch den Herrn Referenten für »Musik und Musikalienhandel« — im Wortlaut wieder: Zu den neuen Verkaufsbestimmungen erlaube ich mir folgendes auszuführen: Ich halte die neuen Verkaufsbestimmungen für durchführbar und bin überzeugt, daß sich das Publikum ebensowenig wie bei den vorigen Rabattverkürzungen dagegen auflehnen wird, wenn es seitens des Sortimenters in entsprechender Weise aufgeklärt wird. Wohl zu verstehen: die Durchführbarkeit dem »Publikum« gegenüber. Dagegen muß ich leider bestreiten, daß der Verein der Deutschen Musikalienhändler wie der Börsenverein der Deutschen Buchhändler resp. ihre Vorstände die Macht haben, die Ein haltung der Verkaufsbestimmungen, denen, die sich danach richten, gegenüber Übelwollenden und Schleuderern zu gewährleisten. Als klassisches Beispiel für diese Überzeugung führe ich den Wortlaut des Urteils in dem bekannten »Warenhausprozeß« (Nr. 42/43 Musikhandel und Musikpflege 1911, Seite 242) an: »Hieraus ergibt sich nach Ansicht der Kammer, daß die An schauungen des Berufsstandes der Buch- und Musikalien händler nicht zum Maßstab dafür genommen werden können, was beim Notenverkauf der Beklagten als die gute Sitte verletzend oder nicht verletzend anzunehmen ist«. Und weiter, Seite 243: »Sie (die beklagte Warenhaussirma), die außerhalb des Be rufsstandes der Buchhändler und seiner vertraglichen Be ziehungen steht, braucht sich um diese möglicherweise ein tretende Folge nicht zu kümmern« und — für mich das Unfaßbarste in diesem Urteil — (Seite 242) »erscheint es deshalb als keine sittenwidrige oder unanständige Tätigkeit, wenn ein Warenhaus im bewußten Gegensatz zu den Bestimmungen des Börsenvereins und des Vereins der Deutschen Musikalienhändler schleudert«. DaS Urteil ist in der Nummer vom 26. Oktober 1911 ab gedruckt, der Vorstand (des Vereins d. Dtschn. Musikalienhändler) hat es bisher nicht für nötig oder mitteilungswert gehalten, die Mitglieder darüber zu unterrichten, ob gegen dieses Urteil Berufung eingelegt worden ist oder eingelegt werden kann Dieses Urteil ist von einer Kammer für »Handelssachen« am Sitze des Buchhandels in Leipzig gesprochen worden! Mit der Konkurrenz der nichtangeschlossenen Warenhäuser muß jeder Sortimenter, an demselben Platze oder auswärts, rechnen. Wenn also die Vereine keine Macht haben, ihre Verkaufsbestimmungen durchzuführen oder auch nur zu schützen, so ist es überflüssig, den Mitgliedern durch noch schärfere Be dingungen die Hände zu binden. Die zitierten Stellen sind einem Urteile des Kgl. Land gerichts Leipzig in dem Prozesse der Firma P. Pabst gegen das gleichfalls in Leipzig domizilierte Kaufhaus Brühl ent nommen. Hier wie in der bekannten Reichsgerichtsentscheidung im Falle König-Guben gegen das Warenhaus Jandorf stützt sich das Urteil in der Hauptsache darauf, daß zwischen den klagenden Parteien keinerlei Vertragsverhältnis bestanden habe und daß der Verkauf zu billigeren Preisen an sich nicht gegen die guten Sitten verstoße. Scheiden wir den 318*