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128, 18. Oktober. Nichtamtlicher Theil. 2349 Nichtamtli Der Gehilfe wie er ist, und wie er sein sollte. Ein Beitrag zur Gehilfenfrage von einem College». Seit einiger Zeit hat das Börsenblatt hin und wieder Artikel abgedruckk, welche zu erörtern versucht haben, wie es möglich ist, den Buchhandlungsgehilfen in eine günstigere Lage und in eine günstigere Stellung zu bringen. Der Verfasser dieser Zeilen hat jene Aufsätze mit großem Interesse gelesen, bedauert indes ge stehen zu muffen, daß sie ihm wenig Neues und Bemerkens- werthes geboten haben. Alles was die Herren Collegen anführen, ist wahr, richtig und allbekannt, wird aber zu einer Besserung unserer Lage nicht führen. Niemand der Herren Schreiber hat das Ucbel bei derWurzel angegriffen; Sic wollen bessern, machen wenigstens Vorschläge dazu, und'wissen doch recht gut, daß Sie es nicht können, meine Herren College», wenn Sie sonst, was ich gern glaube, unser Geschäft so genau kennen gelernt haben, wie es einer kennen muß, der reformiren will. Lassen Sie sich dies Wort nicht hart erscheinen; allein es ist nichts desto weniger wahr. Unsere Stellung von heule ändern wir nicht, auch unsere Prinzipale können sie nicht ändern, nur die Zeit, falls sie einmal unsere geschäftlichen Einrichtungen ändern sollte, wird auch unsere Lage ändern, aber auch nur sie, Niemand weiter. Kommen muß sie, diese rechte Zeit, daran zweifle ich nicht einen Augen blick; aber wann sie kommt, steht bei den Göttern; vorläufig müssen wir zufrieden sein. Angeregt durch erwähnte Aufsätze, habe ich mir die Auf gabe gestellt, meinen Herren College» in diesem Artikel den Buch- handlungSgehilfen wie er ist, und wie er sein sollte, vor die Seele zu führen. Beide will ich zu behandeln versuchen, und zwar in Wahrheit und in Klarheit. Zürnen Sie mir nicht, wenn ich die Geißel schwinge, wo es nöthig ist, ich gehöre zu Ihnen und schließe mich nicht aus; aber wir wollen uns einmal über uns selbst klar werden, das allein ist der Hauptzweck meiner Zeilen. Gestatten Sie mir sofort in mväias ros zu gehen. Der Buch- Handlungsgehilfe wie er ist, der Commis von heule. Gehen Sie in die großen Städte, und sehen Sie sich die große Mehrzahl der Herren College» an. Da sind nur Wenige, denen das Geschäft ,,dic hohe himmlische Göttin" ist, Vielen, ja den Meisten bleibt es immer nur „die milchende Kuh, die sie mit Butter versorgt". Wenige verstehen, wie es sein soll, beides zu vereinen, und das ist ein Fehler, dessen Tragweite für den Vortheil des Geschäftes, wie für die Zukunft der in Rede stehenden Herren, nicht zu unter schätzen ist. Gchilfenvereine sind in vielen großen Städten, und werden fast in allen versuchsweise gegründet, aber auch nur ver suchsweise— denn was ist ihrgweck? Etwa Meinungsaustausch? Etwa Fortbildung? Etwa Ausbildung im freien Worte? Nichts weniger als dies. Wie bei allen Vereinen heutzutage, so läuft auch hier alles auf eine solenne Kneiperei hinaus. Wo bleibt bei dieser unumwunden und offen ausgesprochenen Wahrheit daS Interesse für das Geschäft, wo bleibt das Fortstudium, wo der Sinn für alle Kunst und alles Schöne, das so eng mit unserem Buchhandel verknüpft ist, wie der Frühling mit der Sonne? Noch etwas Anderes aber kommt hinzu, das nicht unerwähnt bleiben darf, und was einen großen und gerechten Tadel verdient, ich meine den ganz unbegründeten Stolz solcher College», die das preußische Buchhändlerexamen gemacht haben. Es ist mir rein anklar, wie man sich hierauf soviel cinbilden, wie man hierauf beim Stellenwechsel so sehr pochen kann; denn ein klar denkender, wrurtheilsfreier Mann muß sich doch sagen, daß dies Examen cher Theil. weiter nichts ist, als eine Formalität, die in Preußen nothwendig ist, um die Concession zum selbständigen Betriebe des Buch- und Kunsthandels zu erlangen. Das Examen macht Niemand zu einem fertigen tüchtigen Buchhändler, ist auch kein maßgebender Beweis für seine Leistungen, sondern ist eine reine Form, die er füllt werden muß aus oben angedcutetem Grunde. Es hat aller dings noch den Vortheil, daß der Examinand sich vier bis sechs Wochen vorher hinsetzen muß, um Literaturgeschichte und Gesetze zu studiren, ein Vorthcil, der Vielen recht Noch thut; aber sonst hat es weiter keinen Zweck; ich kenne sehr tüchtige Buchhand lungsgehilfen ohne dies Examen, wie mir im Gegentheil ganz traurige Subjecte bekannt sind, die daS Examen glücklich bestan den haben. Es ist deshalb dringend anzuempfehlen, sich hierin nicht zu überschätzen und mit Bescheidenheit aufzutreien, die jeden Buchhandlungsgehilfen besser kleidet, als ei» narrenhaftes eingebildetes Wesen, das nur seine eigene Hohlheit documcntirt. So habe ich den Buchhandlungsgehilfen von heute gezeichnet in einzelnen großen Zügen. Es bleibt mir noch vieles zu be merken übrig, doch davon ein anderes Mal. Es versteht sich ganz von selbst, daß cs recht viele Ausnahmen dieser Kategorie gibt, und für dieseAusnahmen besonders schreibe ich den zweiten Theil, über den Buchhandlungsgehilfen wie er sei» sollte; denn heute ist es noch ein xivm rolom, wie der schöne Gedanke einer Buchhandlungsakademie heute auch nur ein frommer Wunsch geblieben ist. Wenn ich zu schildern bemüht bin, wie ein Buchhandlungs gehilfe sein soll, so bleibe ich zunächst beim Soriimentsgehilfen stehen, wie ich denn überhaupt den Sorlimentsbuchhändler für den wahren Buchhändler Halle; denn nur ein tüchtiger Sorti menter kann auch ein tüchtiger Verleger werden, ich glaube, man wird mir hierin wohl ziemlich allgemein beistimmen. Was macht nun den tüchtigen Sortimenter? Ist es nur die Kunst, ein Buch mit einer gewissen Gewandtheit zu verkaufen? Unbedenklich nicht. Es gehört mehr dazu. Zu einem tüchtigen Sortimenter gehört neben den umfassendsten Sorlimcnlskenntniffen nach meinen An sprüchen ein nicht unbedeutender Bildungsgrad. Es muß mir nicht die geringste Schwierigkeit verursachen, in diesem Moment mit einem Juristen, in jenem mit einem Mediciner, jetzt mit cinemTheologen, alsdann mit einem Philologen zu verkehren, und zwar in solcher Weise, daß dicKunden sofort herausfühlcn, derMann ist bewandert in allen Wissenschaften, und weiß bei geziemender Bescheidenheit doch eine gewisse Sicherheit an den Tag zu legen. Das fesselt die Kunden unbedingt ans Geschäft, und ein kurzes Gespräch über irgend ein wissenschaftliches Werk mit einem Fach- mannc flößt demselben sofort Vertrauen ein, und er kommt ganz gewiß wieder. Zu solchen Leistungen kann man cs natürlich nur durch fortgesetztes energisches Studium bringen. Jeder muß aber darnach streben, sie zu erreichen; denn heute macht das gebildete Publicum im Buchladen ganz andere Ansprüche als vor fünfzig Jahren, und wer von den Herren Collegen nicht fortstudirt, der meint cs weder mit dem Geschäfte, noch mit sich selbst gut. Vor allem aber ist eine gediegene Schulbildung das Nöthigste, das man sich angeeignet haben muß, ehe man in die Lehre geht, und nun komme ich zu dem eigentlichen Brennpunkt meiner Ab handlung, oder zu den Wurzeln alles UebelS, von denen ich in der Einleitung sprach. Um einen tüchtigen Gehilfen zu schaffen wie er sein sollte, müßte erstens kein Prinzipal einen Lehrling einstellen, der nicht die Bildung eines Gymnasial-Primaners Nachweisen kann (ich lege Gewicht auf das Wort Gymnasial-Primancr, weil die wahre