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8758 Börsenblatt f. d. Dlschll. Buchhandel. Fertige Bücher. 285, 8. Dezember 1916. Seite 57 Vierter Auftritt. Philotassallein): O fürwahr; der Mensch ist mächtiger, als er glaubt, der Mensch, der zu sterben weiß! Aber ich? Ich, der Keim, die Knospe eines Menschen, weiß ich zu sterben? Nicht der Mensch, der vollendete Mensch allein, muß es wissen; auch der Jüngling, auch der Knabe; oder er weiß gar nichts. Wer zehn Jahr gelebt hat, hat zehn Jahr Zeit gehabt, sterben zu lernen; und was man in zehn Jahren nicht lernt, das lernt man auch in zwanzig, in dreißig und mehreren nicht. 'Alles, was ich werden können, muß ich durch das zeigen, was ich schon bin. Und was könnte ich, was wollte ich werden? Ein Held. — Wer ist ein Held? — O mein abwesender vortrefflicher Vater, jetzt sei ganz in meiner Seele gegenwärtig! —Hast du mich nicht gelehrt, ein Held sei einMann, der höhereGüter kenne, als das Leb en? Ein Mann, der sein Leben dem Wohle des Staates geweihet; sich, den einzelnen, dem Wohle vieler? Ein Held sei ein Mann. — Ein Mann? Also kein Jüngling, mein Vater? — Selt same Frage! Gut, daß sie mein Vater nicht gehöret hat! Er müßte glauben, ich sähe cs gern, wenn er Nein darauf antwortete. — Wie alt muß die Fichte sein, die zum Maste dienen soll? Wie alt? Sie muß hoch genug, und muß stark genug sein. Jedes Ding, sagte der Wcltweisc, der mich erzog, ist vollkommen, wenn es seinen Zweck erfüllen kann. Ich kann meinen Zw eck erfüllen, ich kann zum Vesten des Staats sterben: ich bin vollkommen also, ich bin ein Mann. Ein Mann, ob ich gleich noch vor wenig Tagen ein Knabe war. Seite 127: Aus der Denkschrift Gneiscnaus vom Juli 1807. Ein Grund hat Frankreich besonders auf diese Stufe von Größe gehoben: Die Revolution hat alle Kräfte geweckt und jeder Kraft einen ihr angemessenen Wirkungskreis gegeben. Dadurch kamen an die Spitzen der Armeen Helden, an die ersten Stellen der Verwaltung Staatsmänner, und endlich an die Spitze eines großen Volkes der größte Mensch aus seiner Mitte. Welche unendlichen Kräfte schlafen im Schoße einer Nation unentwickelt und unbenutzt! In der Brust von tausend und tausend Menschen wohnt ein großer Genius, dessen aufstrebende Flügel seine tiefen Verhältnisse lähmen. Währenddem ein Reich in seiner Schwäche und Schmach vergeht, folgt vielleicht in seinem elendcsten Dorfe ein Cäsar dem Pfluge, und ein Epam inondas nährt sich karg von dem Ertrage der Arbeit seiner Hände. Warum griffen die Höfe nicht zu dem einfachen und sicheren Mittel, dem Genie, wo es sich auch immer findet, eine Laufbahn zu öffnen, die Talente und die Tugenden anfzumnntcrn, von welchem Stande und Range sie auch sein mögen? Warum wählten sie nicht dieses Mittel, ihreKräfte zu vertausendfachen, und schlossen dem gemeinen Bürgerlichen dieTriumphpsorte auf, durch welche derAdligejctztnurzichensoll? Die neue Zeit braucht mehr als alte Namen, Titel und Pergamente, sie braucht frische Tat und Kraft. Aber: „Es ist doch besser, es bleibt der Ruhm, auf Ahncnparadcbett, durch keine Mesalliance mir dem Genie von gemeiner Herkunft befleckt, zu verscheiden, als sich in Verbindung mit ihm zu halten." Franz Hanfstaengl, München