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.V 136, 16. Juni 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 7153 Schiedsspruch des Vorstandes des Börsen vereins in einer Streitfrage zwischen Autor und Verleger. Wir sind ermächtigt, den nachstehenden Schiedsspruch abzudrucken, der von den Voistandsmitglicdern des Börsen vereins aus Anrufen der beiden Parteien abgegeben worden ist. Red. Die Firma L in L hat Herrn 6 in v über den beim Verkauf der Schrift erzielten Reingewinn eine neue Abrechnung nach folgenden Grundsätzen zu legen und Herrn 6 das sich für ihn aus der Abrechnung ergebende Guthaben abzüglich der bereits geleisteten Beträge auszu bezahlen: 1. Für jedes Jahr sind die sämtlichen Einnahmen aus dem Verkauf der Schrift zusammenzuzählen. 2. Aus den gesamten Herstellungskosten sind die Her stellungskosten des einzelnen Exemplars zu ermitteln. 3. Die Verlagshandlung ist berechtigt, von dem Absatz eines Jahres bis höchstens 20"/„ als Vertriebs- und Geschäftsunkosten in Anrechnung zu bringen. Als Absatz ist der Erlös aus den in einem Jahre fest und bar verkauften Exemplaren zu betrachten. 4. Von der nach Ziffer 1 ermittelten Gesamteinnahme sind in Abzug zu bringen: a) die nach Ziffer 3 berechneten Spesen, b) von den in dem betreffenden Jahre fest oder bar verkauften Exemplaren die nach Ziffer 2 ermittelten Herstellungskosten. Die verbleibende Differenz ergibt den Reingewinn. 5. Der Verfasser erhält die Hälfte des so ermittelten Reingewinns zuzüglich der nach Ziffer 4b zu ver gütenden Herstellungskosten, die Verlagshandlung eben falls die Hälfte des Reingewinns zuzüglich der nach Ziffer 3 ermittelten Spesen. Begründung. Zwischen den Parteien ist am 29. Dez. 1904 ein Der- lagsoertrag abgeschlossen worden, durch den die Firma L den Verlag der Schrift des Herrn 0 übernommen hat. Gemäß tz 2 des Vertrags ist eine Auslage von 1000 Exemplaren hergestellt worden, deren Herstellungs kosten der Verfasser gemäß Z 2 I mit ^ 275.— über nommen und an die Firma L ausgezahlt hat. Diese hat über den Absatz des Buches dreimal mit dem Ver fasser abgerechnet: im Jahre 1906, unter dem 13. August 1907 und im Jahre 1908. Die Abrechnung von 1907 liegt vor, die von 1906 und 1908 nicht. Es ist aber unter den Parteien unbestritten, daß in denselben jedes mal von der gesamten Auslieferung zuzüglich der Disponen- dcn ein Betrag von 10"/, für Geschäfts- und Vertriebs spesen in Abzug gebracht und der verbleibende Rest als »Reingewinn« unter den Parteien zu gleichen Teilen verteilt worden ist. Aus Grund dieser Abrechnungen hat Kläger 1906 59.77, 1907 ^ 14.70 und 1908 2.— erhalten. Kläger hat sich bezüglich der Richtigkeit der ersten beiden Abrechnungen nicht geäußert, die Richtig keit der dritten dagegen mit Schreiben vom 15. August be anstandet, weil die Abrechnung nicht vertragsgemäß aus- gesührt sei. Der Verleger hat darauf unter dem 16. August dem Verfasser anhermgegeben, richterliche Entscheidung über die Frage herbeizuiühren, und hinzugefügt, daß für derartige Entscheidungen der Vorstand des Börsenoereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig kompetent sei Dieser, dem der Verfasser mit Schreiben vom 19. Sep tember die bezüglichen Akten mit der Bitte um Entscheidung überreicht hat, beschloß in seiner Sitzung vom 13. Oktober Börsenblatt sür den Deutschen Buchkandel 77- Iakraanu 1909, die nachgesuchte Entscheidung zu fällen, wenn beide Parteien bereit seien, diese als Schiedsspruch anzusehen und sich demselben zu unterwerfen. Diese Erklärung ist seitens der Parteien durch zwei Schreiben, jedes vom 22. Oktober 1909 datiert, abgegeben worden. Jeder Partei ist Gelegen heit gegeben worden, sich eingehend zu der von ihr ver tretenen Anschauung und zu den ihr mitgeteilten Aus führungen der Gegenpartei zu äußern. Maßgebend für die Entscheidung ist der Z 2 des er wähnten Verlagsvertrages, welcher lautet: »Die Verlagsübernahme seitens der Firma erfolgt unter den nachstehend ausgesühiten Bedingungen: 1. Der Herr Verfasser übernimmt die Herstellungskosten des Buches in vereinbarter Satzeinrichtung und Aus stattung auf seine Kosten .... 2. Der Herr Verfasser verzichtet auf Honorar, erhält aber die Hälfte des jährlich sich ergebenden Reingewinns.« Streitig zwischen beiden Parteien ist die Auslegung des zuletzt angeführten Absatzes, insbesondere die Auslegung des Wortes »Reingewinn«. Bei jeder Gewinnberechnung ist zu unterscheiden zwischen Roh- oder Brutto-Gewinn und Rein- oder Netto-Gewinn. Ersterer ist der Überschuß der aus der Verwertung eines Produktes erzielten Einnahmen über die sür dessen Her stellung oder Beschaffung aufgewendeten Ausgaben ohne Rücksicht auf die durch den Geschäftsbetrieb verursachten all gemeinen Unkosten, wie Lokalmiete, Gehälter usw. Werden von dem Bruttogewinn auch diese Unkosten in Abzug ge bracht, so ergibt sich der Rein- oder Netto-Gewinn. Ohne Deckung der Herstellungskosten also kein Brutto-, geschweige denn ein Reingewinn! über diese allgemeine Begriffsbestimmung des Wortes »Reingewinn« kann ein Zweisel nicht bestehen. Sie ent spricht sowohl dem allgemein kaufmännischen wie auch dem speziell buchhändlerischen Sprachgebrauch. (Vgl. u. a. Voigt länder, Der Verlagsvertrag, 3. Aust., S 37 f., wo in Z 5 unter o die Kosten für Druck, Papier usw. ausdrücklich auf geführt werden.) Zu erörtern ist aber, ob etwa aus dem Wortlaut des Vertrages hervorgeht, daß dis Parteien mit dem Wort -Reingewinn« einen anderen Begriff verbunden haben, als den allgemein üblichen In der Tat besteht die Möglichkeit, den Z 2 I des Vertrages dahin auszulegen, daß der Verfasser die Herstellungskosten gewissermaßen L kouäs xeräu hergeben und auf ihre Erstattung von vornherein ver zichten sollte. Wollte man den Vertrag in diesem Sinne auslegen, so wäre das Gesellschastsverhältnis zwischen Autor und Ver leger, wie es durch den Vertrag geschaffen ist, folgendes: Der Autor bringt in die Gesellschaft seine geistige Arbeit bei der Abfassung der Schrift und den Barbetrag für deren Druck legung ein, beides unter Verzicht auf Erstattung. Der Verleger dagegen übernimmt lediglich die Leitung der Herstellung und den Vertrieb der Schrift, erhält aber seine unmittelbaren und mittelbaren Auslagen vorweg ganz oder zu einem erheblichen Teile erstattet. Hiernach ist der Verleger nach Risiko und Leistung wesentlich weniger be lastet als der Autor. Trotzdem sollen beide Parteien an dem — noch dazu durch die Leistungen des Autors außergewöhn lich erhöhten — Reingewinn gleichen Anteil haben. Es mag dahingestellt bleiben, ob unter ganz beson deren Verhältnissen, namentlich bei ausnahmsweise wichtigen und schwierigen Leistungen des Verlegers sür den Vertrieb eines Buches ein solches Abkommen angezeigt erscheinen kann. Im allgemeinen aber widerspricht es jedenfalls den Grund sätzen der Billigkeit. Es erscheint zudem als innerer Widerspruch, bei einem 926