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10822 B«rl-»bl(« I. d. «qchn. vuchhan«-!. Nichtamtlicher Teil. oV 217, 17. September 1S12. Eisenbahnlinien übernommen, die vorher Hachette L Cie. ge pachtet hatten, aber die Erfahrungen der beiden Firmen müssen Wohl wenig erfreulicher Art gewesen sein, da sic nach Ablauf einer gewissen Zeit ihre Rechte wieder an das Haus Hachette L Cie. abtraten, das seitdem unbeschränkt auf dem Gebiete des Eisenbahnbuchhandels herrscht. Inzwischen hat die genannte Firma auch noch die Stationen der Untergrund bahnen in ihr Bereich gezogen. Dies Monopol ist nicht ohne Schattenseiten für die Ver leger, da eine solche Firma ihre Bedingungen für die Zu lassung der Bücher und Zeitschriften stellen kann. Bei den ersteren ist zwar eine gewisse Grenze gezogen, doch scheinen die von den Zeitungsverlegern geforderten Rabatte recht bedeu tend zu sein, denn ich entsinne mich, in einer Revue folgendes Inserat gelesen zu haben: Bitte, bestellen Sie dies Blatt direkt bei der ^Expedi tion, die Zwischenhändler saugen uns das Blut aus! Die Verkaufsstellen auf den Bahnhöfen werden von Frauen oder jungen Mädchen besorgt, und die Verkaufspreise der Bücher sind stets die ausgedruckten. So muß ein 3 Frcs. 50 Cts.-Roman auf den Bahnhöfen tatsächlich mit 3 Frcs. 50 Cts. bezahlt werden, während er auf den Boule vards nur 3 Frcs. kostet. Ich hatte einmal Gelegenheit, in einer Eisenbahnbuch handlung in Bordeaux nach dem Absatz der 3 Frcs. 50 Cts.- Bände zu fragen, wozu ich durch die großen Mengen der vor rätigen Ausgaben zu 95 Cts. veranlaßt wurde. Man ant wortete mir: Mit dem 3 Frcs. 50 Cts.-Roman ist nicht viel zu machen, das Publikum kauft lieber 3 Bände L 95 Cts. — Ich hatte aber nicht den Eindruck, daß der Verkäuferin daran gelegen sei, einen 3 Frcs. 50 Cts.-Roman anstelle von 3 Bro schüren L 95 Cts. zu verkaufen. Die Kritiker verschiedener Pariser Tageszeitungen rieten ihren Lesern, nicht die Ferienreise anzutreten, ohne einige neue Bücher mitzunehmen, da die Sommerreise für viele beschäftigte Menschen die einzige Epoche sei, in der sie über genügend freie Zeit zum Lesen verfügten. Diese Anregung ist sicher anzucr- kennen, aber ein Kritiker konnte es sich nicht versagen, dem Buchhändler die Schuld an der mangelhaften Orientierung der Käufer zuzuschieben. Man warf ihm vor, daß er seinen früheren Einfluß verloren habe und nicht mehr, wie sonst, ein Berater in literarischen Dingen sei. Es gäbe nur noch wenige Buchhändler, die dieses Namens würdig seien, in der Regel seien sie nichts anderes als Kaufleute, die nur das verkaufen, was sie gerade am Lager haben. Wenn man die bedeutenden Summen in Betracht zieht, die von den Großstädten zur Schaffung von Volksbibliotheken ausgeworscn werden, so kann man schwerlich die Entscheidung des Gemeinderates einer kleinen französischen Ortschaft mit 585 Einwohnern (Genets) verstehen, der die Annahme einer Volksbibliothek ablehnte. Ein Arzt hatte sich bereit erklärt, eine Bibliothek von 1000 Bänden, die Werke über Ackerbau, populäre Wissenschaft und Literatur enthalten solle, zu stiften, und sich auch von vornherein dazu verpflichtet, die Kosten der Einrichtung der Bibliothek zu übernehmen. In der Sitzung des Gemeinderates wurde jedoch von einem Mitglied der Satz formuliert: Die Einwohner von Genets haben es nicht nötig, zu lesen, und 7 von 10 Stimmen schlossen sich diesem Urteil an, das glücklicherweise Wohl ohnegleichen dastehen dürfte. Als Beweis dafür, daß auch in Frankreich seit langer Zeit Versuche gemacht werden, um den regulären Buchhandel aus zuschalten, mag folgendes Beispiel dienen: Als Balzac infolge finanzieller Schwierigkeiten seine Druckerei hatte ver kaufen müssen, war er gezwungen, sich nach neuen Erwerbs quellen umzusehen. Er gründete darum im Jahre 1830 »Iw keuillkton äes ckournaux politiques« (das aber nur kurze Zeit bestand) und gliederte dieser Publikation eine buchhänd lerische Agentur an, die den Zweck hatte, den Buchhändler aus- zuschaltcn, den Gewinn des Verlegers dadurch zu erhöhen und den Verkaufspreis der Werke zu vermindern. Die Idee war für jene Zeit neu und gewagt, aber an dem Widerstande der Buchhändler ist auch dieses Unternehmen gescheitert. Der 3 Frcs. 50 Cts.-Roman wurde früher in Paris zu 2 Frcs. 75 Cts. verkauft, und erst durch den Zusammenschluß der Sortimenter zum »Syndikat der Buchhändler« haben sie dahin gelangen können, den Verkaufspreis des Romanbandes auf 3 Frcs. fcstzusetzen. In letzter Zeit ist eine weitere Be wegung im Gange, ähnlich derjenigen, durch die im deutschen Buchhandel die Einhaltung des Ladenpreises durchgesührt wurde. Man fordert heute, daß entweder der Band zum fest gesetzten Ladenpreis verkauft wird, oder aber daß die Verleger den Ordinärpreis auch nur mit 3 Frcs. angeben und dement sprechend rabattieren. — Nicht ohne Grund wird von ernst haften Kritikern aus den schädigenden Einfluß der billigen Ausgaben hingewiesen, die eine Nichtachtung des modernen Buches verursachen, vor der dasjenige früherer Zeiten geschützt war. Da aber die billigen Kollektionen von Anfang an dazu bestimmt sind, nach dem Lesen fortge worfen oder verliehen zu werden, so widmet man ihrer Lektüre nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie einem Buche, das man ohne Eile und nur aus Neigung liest. Ohne Zweifel verlängern die billigen Ausgaben gewisse Berühmtheiten und verhelfen auch manchem Werke zu einem zweiten Frühling, aber die vielen in den Text eingeschalteten Bilder werden wohl nur die wenigsten Leser zu einem bewußten Genießen des Werkes gelangen lassen. Was nun die Illustrationen selbst betrifft, so überrascht es oftmals, wenn junge Männer, die der Autor als schlanke, bartlose Personen schildert, in der Illustration wohlgenährt und mit starkem Knebelbart erscheinen, oder wenn blasse, bleich- süchtige junge Mädchen kraftstrotzend und rosig dargestellt werden. Dies beweist die Berechtigung eines Wortes von Barbey d'Aurevilly, der von den Illustratoren sagte, daß sie hin und wieder ein Buch läsen, jedoch nicht das, das sie zu illustrieren hätten. Nachdem die Dichter und Prosaschriftsteller ihre Fürsten erwählt haben, ist zurzeit eine Bewegung im Gange, die auch den Bllhnenschriftstellern zu ihrem Fürsten verhelfen will. Vielleicht ließe sich manches gegen diese Art der Ausübung des Wahlrechts einwenden, da besonders bei der Wahl des »Dichterfürsten« viele junge Dichter ihre Stimme abgaben, deren Werke gänzlich unbekannt sind und von denen man bis heute noch nicht weiß, worin eigentlich ihre dichterische Tätig keit besteht. Als »krinoo äes Lutsurs ckramatiques« erwählt zu Iverden, hätte Edmond Rost and Wohl das meiste An recht, denn seine Stücke »b,'L!glon« und vor allem »6z-rano cw Lei'ßerao« haben überall in der zivilisierten Welt glänzende Erfolge zu verzeichnen gehabt und sind auch in alle bedeuten den Kultursprachen übersetzt worden. Hierbei kann Wohl Erwähnung finden, daß in der Fa milie Rostand drei Glieder schriftstellerisch tätig sind. Das Familienoberhaupt, Edmond Rostand, ist u. a. der Verfasser der obengenannten Stücke, seine Gemahlin, die unter dem Pseudonym Rosemonde Görard schreibt, hat vor einer Reihe von Jahren bei Lemerre einen Gedichtband unter dem Titel »b,os kipoaux« erscheinen lassen, der heute sehr gesucht ist und bis zu 200 Frcs. bezahlt wird. Mit ihrem Sohne Maurice zusammen hat Mine. Rostand ein Theaterstück ge schrieben, dessen Motiv einem Kinderroman von Mine, de Segur entnommen ist und der den Titel führt: »vn bon xetit viabie«. Maurice Rostand, der das Alter von 20 Jahren nur wenig überschritten haben dürfte, hat bereits einen Band Gedichte veröffentlicht und bereitet einen weite ren vor.