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2108 Nichtamtlicher Teil. 51, 2. Marz 1905. betreffenden Korrespondenten notwendig sein sollte, damit nicht störrische oder verständnislose Erben sich der Veröffent lichung von Geisteserzeugnissen bedeutender Männer von großem literarischen oder geschichtlichen Wert sollten wider setzen können. In Holland kann ein Verbot gegen Veröffentlichung eines Briefes nur dann erfolgen, wenn die Sache aus an dern Gründen unter das Strafrecht fällt. Ebenso auch in Deutschland, das sehr streng — mit Geldstrafe bis zu 300 ^ oder mit Gefängnis bis zu s Monaten — unbefugte Brief öffnung bestraft, dagegen nicht die Veröffentlichung des Briefes selber. Aber auch hier in diesen Ländern sind Be strebungen erkennbar, die darauf hinziclen, diese unsichern Verhältnisse zu regeln. Die königliche holländische Akademie der Wissenschaften hat z. B eine Denkschrift niedergelegt über die Ausgabe von Privatbricfen, Tagebüchern u. a , in der es heißt: »Der Besitzer der Handschrift hat das ausschließliche Recht, die darin niedergelcgten Gedanken zu veröffentlichen.« Hier liegt doch eine Vermischung von zwei der Natur der Sache nach grundverschiedenen Dingen vor. Briefe, die auf einem Verhältnis zwischen zweien beruhen, können nicht Tagebüchern und ähnlichem an die Seite gestellt werden, die ja den einfachsten Regeln schriftstellerischer Tätigkeit unterworfen sind und bei denen jeder Zweifel ausgeschlossen sein wird Ein holländischer Schriftsteller, Tromp, der wahrscheinlich Mitverfasser dieser Denkschrift gewesen ist, wünscht, daß die Frage über Veröffentlichung des Briefes auch fernerhin vor das Forum des Gewissens gebracht, nicht aber von den Ge richten entschieden werden möge. Er wisse recht wohl, — schreibt er — daß Briefe großen Geldwert haben können und daher allein dem Verfasser oder seinen Erben zukommen. Aber,— so fügt er hinzu, im Anschluß an den belgischen Entwurf zu einem Urheberrechtsgesetz — damit nicht interessante (?) Briefe durch Willkür der Erben der Öffentlichkeit entzogen werden, muß der Inhaber solcher Briefe eines verstorbenen Verfassers nachdem hinreichend lange Zeit (?) verstrichen ist — freie Hand haben, sie auf eigene Verantwortung (?) zu veröffent lichen. — Hier sind wir wieder auf luftigen Gebieten, die Erde schwindet unter unfern Füßen. Denn was sind inter essante Briefe und was uninteressante? Was Hinz inter essiert, macht Kunz Langeweile. Und was ist hinreichend lange Zeit? Endlich kann ja in diesem Falle nur die Rede sein von moralischer, nicht von juristischer Verantwortung sür den betreffenden Herausgeber. Da lauscht man lieber dem holländischen Rechtsgelehrten äs Lavoillin I-oliwan, der auf die Notwendigkeit, diese Frage unter die Bestimmungen des Strafgesetzes einzubeziehen, ausdrücklich hinweist. Freilich schlägt auch er die gefährliche Bahn ein, die Briefe rubri zieren zu wollen nach solchen, die wirkliche Belehrung bieten und deshalb ausschließlich dem Verfasser Vorbehalten bleiben sollen, und solchen, die auf gegenseitigem Gedanken austausch beruhen, wo seiner Auffassung nach mit der sub stantiellen Übertragung auch das literarische Eigentum auf den Empfänger übergegangen ist, der also hier das Recht zur Veröffentlichung haben sollte. — Das hat nicht viel mehr Hand und Fuß, als wenn George Sand (Korresp. T. IV, S. 193) entwickelt, wie es dem Besitzer des Briefes gestattet sein müsse, ihn herauszugeben, »wenn es nicht ge schieht, um sich Gewinn oder Rache zu verschaffen, und wenn der Brief dem, der ihn geschrieben hat, nur zur Ehre ge reichen kann, und endlich, wenn nichts im Briefe steht, was jemanden bloßstellen oder beleidigen kann«. Wir haben ja gejehcn, wie es Peder Hjort erging, der dieselbe Auffassung geltend machte. Während die deutsche Gesetzgebung uns so ziemlich im Stich läßt, hat es doch ein gewisses Interesse, ein Gutachten über diese Frage seitens des »Literarisch-künstlerischen Sachver ständigen Vereins« heranzuziehen, das wohl die feinste und am besten überlegte öffentliche Meinung darüber darstellt. Hier wird dasRecht, den Brief zu veröffentlichen und auszunutzen, auf Grund des Urheberrechts ausschließlich dem Schreiber zuerkannt, indem entwickelt wird, wie derjenige, der aus des Empfängers rechtmäßigem Besitz am Briese auch das geistige Eigentumsrecht an diesem ableiten wollte, sich desselben Arguments bedienen würde, mit dem man ehemals Nachdruck zu rechtfertigen pflegte: -Da Herr 8. 8. ein Exemplar des Originals für sein Geld erworben hat, so kann er mit diesem seinem wohlerworbenen Eigentum machen, was er will- Nachdem aber dies Argument längst in der Gesetzgebung aller gebildeten Nationen aufgegeben worden ist, liegt kein Grund vor, es in dieser Frage wieder hervorzuholen: selbst da wo positive gesetzliche Bestimmungen zur Entscheidung der Frage fehlen, muß man den Briefschreiber als Inhaber des so genannten Eigentums mit allen daraus fließenden praktische» Folgen anerkennen. In England endlich behilft man sich, wie so oft in diesem Lande, auch hier mit der Rechtstradition, und diese untersagt dem Empfänger entschieden, den Brief zu ver öffentlichen. Schon 1741 sprach sich Lord Hardvick dahin aus, daß nur das Papier dem Empfänger gehöre: aber das gäbe ihm kein Publikationsrecht, sein Eigentumsrecht falle mit dem des Briefschreibers zusammen. Den Anlaß gaben Popes und Swifts Briefe, für die die Hilfe des Gerichts in An spruch genommen wurde, um ihren Druck zu verhindern. Dasselbe ist später mit Lord Chesterfields Briefen geschehen. Außer Italien und Rußland soll von andern euro päischen Ländern, die über das Herausgeben des Briefes eine Gesetzgebung haben, noch Portugal genannt werden, wo das Gesetz indes ganz im Gegensatz zu der gewöhnlich sten Auffassung sich damit begnügt, die Einwilligung des Empfängers zu fordern. — Nach diesen Betrachtungen mehr theoretischer Art er übrigt noch zu untersuchen, wie in der Praxis das Verhält nis sich für gewöhnlich gestaltet. Die Frage über das Herausgeben eines Briefes wird sich naturgemäß in eine der folgenden drei Hauptgruppen ein reihen lassen: 1. Der Verfasser des Briefes oder seine Erben wünschen selbst einen Teil der Briese zu sammeln, die er im Laufe der Jahre an verschiedene feiner Mitmenschen abgesandt hat, und sie herauszugeben. Das wird natürlich nur dann statt finden, wenn er ein berühmter Mann ist, der eine hervor ragende Stellung im Dienste des Staats oder der Gesellschaft eingenommen hat, oder wenn er ein bedeutender Künstler oder Schriftsteller ist. Dieser Fall ist der allereinfachste. Der Verfasser des Briefs inuß sich nämlich hier notgedrungen an seine Adressaten oder deren Erben wenden, um seine Briefe ausgeliefert und die Erlaubnis zu ihrem Abdruck zu bekommen — sofern nicht etwa Abschriften vorhanden sind, was bei Privatbriefen natürlich äußerst selten der Fall ist. Das Ideal, daß der Verfasser das Herausgeberrccht hat, beide Parteien aber doch erst über die Ausgabe einig sein müssen, ist damit ver wirklicht. 2. Der Adressat oder seine Erben wünschen die Briese herauszugebcn, die er im Laufe der Jahre empfangen oder gesammelt hat. Geschieht dies nun ohne das Einverständnis des Briefschreibers oder seiner Erben, so wird — von dem Gesichtspunkt aus, aus dem dieser Artikel ruht — eine Ver letzung des Urheberrechts des Briefschreibers vorliegen, das dem dänischen Urheberrecht vom 19. Dezember 1902 zufolge fünfzig Jahre lang nach Ablauf des Jahres, in dem der Verfasser gestorben ist, besteht. Die Rechtsgelehrten, die nach