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230, 3. Oktober 1931. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn Buchhandel. scheu Umsang angenommen hat. Mir sagte ein Sortimenter, der ein sehr großes Lager unterhält: »Jede Volksausgabe etwa von -der Art von Hasses ,Weg nach Innen' bedeutet für mich einen sofortigen experimentell nachweisbaren Lagerverlust von IOVO.— Ml.». Es mutet tatsächlich geradezu vorsintflutlich an, wenn man einem Kunden heute einen beliebigen Unterhaltuugs- rouiau zum Preise von 9.50 Mk., 10.— Mk. oder womöglich noch höher vorlcgt. Es liegt auf der Hand, daß alle diese Preise über Nacht sinnlos geworden sind. Ein weiterer sehr wichtiger Punkt, der in seiner außer ordentlich umsatzhcmmeudeu Wirkung m. E. noch gar nicht genügend unterstrichen worden ist, ist der ausgesprochene P u - b l i k u in s ä r g c r, den jede neue Volksausgabe bei -denen er zeugt, die das Buch vor noch nicht allzu langer Zeit in der Normalausgabe gekauft haben. Der Kunde, der bei mir im Frühling d. I. dreimal ein solches Werk zu Geschcnk- zweckeu gekauft hat für je 14.50 Mk. (jetzt 4.80 Mk.), ist -für lange Zeit nicht mehr an ein neues teures Buch heranzubringen. Diese Kunden — und es gibt deren eine ganze Menge — kom men sich regelrecht bemogelt vor, und cs gibt kaum eine Mög lichkeit, bei ihnen die Überzeugung von der Ehrlichkeit der Buch- talkulation aufrcchtzuerhalten. Dieser Nichterfolg des »Erfolges« stellt überhaupt so einen Kardinalfall in einer laugen Reihe ähnlicher Fälle dar. Hier hat der Verleger, um sich den Bombcnautor zu sichern (wie gern hätte er -ihn wahrscheinlich jetzt doch der Konkurrenz über lassen!), ein übermäßig hohes Honorar zu zahlen gehabt, wcl- ches von vornherein eine enorme Auflageuhöhe — man spricht von 40 000 - bedingte, um überhaupt nur einen einigermaßen erträglichen Verkaufspreis zu kalkulieren. Nun sind nur 10 000 Exemplare abgesetzt worden — doch eigentlich ein schöner »-Er folg« —, und der Verleger ist hineiugefallen und muß mit anarchischen, den ganzen Buchmarkt beunruhigenden Mitteln versuchen, zu retten, was noch zu retten ist. Welches sollte der ausschlaggebende Gesichtspunkt bei der Herstellung von Volksausgaben sein? Meines Erachtens aus schließlich dieser: Neue Käufcrkrcise an das Buch heranzuführen, also zusätzlichen Umsatz zu schaffen. Aber gerade diese Mission erfüllt die heutige Volksausgabe leider nur zu einem sehr geringen Teil, hingegen erschwert sic den Absatz normal kalkulierter Bücher in beängstigender Weise. Ich habe in mei nem Sortiment folgende interessante Feststellung gemacht: Das Weihnachtsgeschäft 1930 stand schon recht sehr im Zeichen des billigen Buches. Ich habe im Weihnachtsmouat 1930 der Stück zahl der Bücher nach 9?S mehr verkauft als im gleichen Monat 1929. Der Umsatz aber war 8!4?S geringer. Also erhöhter Arbeitsaufwand, vermehrte Lagerinvestierung, verminderter Umsatz, verringerte Durchschuittsrabatthöhe. Wie wird das 1931 werden? Unsere Notzeit erfordert ganz zweifellos, daß der Buch handel alle Änstrcugungeu macht, um der geminderten Kauf kraft der kulturell interessierten Kreise durch Herstellung billi ger, guter Bücher nach Kräften entgcgcnzulommen. Ohne Ver nichtung oder Verkümmerung vieler wertvoller Einzelexistenzen wird er das aber nur können, wenn er — eine wundervolle Ausgabe für die Vereinigung schönwisseuschaftlicher Verleger — an eine Planmäßige, auf zuverlässige, statistische Berechnungen gegründete Volksausgabenerzeugung geht. Und hierzu ist zu fordern: 1. Keine Neuausgabe -dürste erfolgen, die nicht dem Sorti- ' ment die lpbciisnotwendige Gewinnspanne läßt. 2. Bet Erscheinen einer Volksausgabe, zumal der modernen Literatur, muß der Verlag sämtliche innerhalb der vor- angegangenen^- Jahre bezogenen Normalaüsgaben in Umtausch zurücknehmen. Die heutige Bestimmung der Verlehrs-O., die eine Rüoknahmepflicht an einen nicht länger als drei (bzw. sechs) Monate zurückliegenden Bezug bindet, ist praktisch so gut wie wertlos. Die Hauptbezugsmonate sind Septem ber bis Dezember. Für alle ab April erfolgenden Preis herabsetzungen und Volksausgaben entfällt praktisch die Ersatzpflicht des Verlegers. Es ist anzuerkennen, daß schon jetzt ein Teil des Verlages eine etwas größere Weitherzigkeit an den Tag legt. Aber doch verlangt die Entwicklung der Dinge gebieterisch eine Neuordnung die ser Fristen in der Verkehrsordnung. Der Verlag kann durch das Börsenblatt leicht -die Anzahl etwa noch vor handener Normalausgaben feststellen, um seine Kalkula tion danach einrichten oder etwa auch die Volksausgabe als unnötig ganz unterlassen zu können. Es ist mir völlig klar, daß mit -diesem Aufsatz nicht an nähernd alles gesagt ist, was aus diesem überaus wichtigen Ge- biete gesagt werden könnte und sollte. Aber ich hoffe, zu der bereits vorhandenen Diskussionsgrundlage einiges nicht Über flüssige beigesteuert zu haben. Auch halte ich es für sicher, daß ich nicht einseitig den Standpunkt des Sortiments vertreten habe, sondern daß eine Planmäßige Durchdringung -des weiten Problemkreises, der mit den Volksausgaben im Buchhandel äußerste Wichtigkeit erlangt hat, für Verlag und Sortiment gleicherweise notwendig geworden ist. Bruno Hanckel, Vorsitzender des Buchhändler-Verbandes Hannover-Braunschweig. Der Ivüv. Göschen-Vand. In den ersten Oktobertagen bringt der Verlag Walter de Grntztcr L Co. den 1000. Band der Sammlung Höschen heraus. 1000 Bände Göschen — was das für die deutsche Verlags- und damit für die deutsche Geistesgeschichte bedeutet, braucht dem Buchhändler nicht besonders gesagt zu werden. Ihm find die kleinen braunen Bände längst vertraut, seiner unermüdlichen Mitarbeit ist es zu danken, das; Millionen von Exemplaren in die Welt hinausgegangen sind. Mancher der älteren Kollegen wird sich noch an die Entstehung der Sammlung erinnern. Im Jahre 1889 kündigte die damals unter der Leitung von Adolf Nast in Stuttgart ansässige Verlagsbuch handlung Göschen als ersten Band der neuen Reihe Klopstocks »Oden« an. Ter Plan der Herausgabe handlicher, mustergültig hergestellter Bändchen zu einem billigen Einheitspreis stammte von einem Mit arbeiter des Verlages, E. Weiblinger. Ursprünglich sollte die Samm lung nur die Klassiker der deutschen Literatur umfassen, aber be reits nach dem Erfolg der ersten Bändchen — auf Klopstock folgten einige Ausgaben Lessingscher Werke wurde das Programm er weitert und im Laufe der nächsten Jahre auf sämtliche Zweige der Geistes- und Naturwissenschaften ausgedehnt. Gelehrte von Welt ruf, wie Richard Muther, Georg Simmel u. a., stellten ihren Namen und ihre Arbeitskraft zur Verfügung und verknüpften so die Samm lung für immer mit der Geschichte der deutschen Wissenschaft. Von Anfang an hat der Verlag durch die Auswahl der Autoren und der einzelnen Stoffgebiete ganz bewußt Stellung zum geistigen Leben genommen: jeder einzelne Band sollte durch Zusammenfassung ge sicherter Forschungsergebnisse aus seinem Gebiet eine feste Basis zu weiterem Schaffen und Arbeiten bilden. In diesem Bestreben hat sich der Verlag stets als Erbe einer Tradition gefühlt, die bis zu dem Weimarer Dreigestirn — Goethe, Schiller, Wieland — zuriick- reicht. Es ist selbstverständlich kein Zufall, das; der 1000. Band der Sammlung eine Arbeit des Heidelberger Philosophen Karl Jaspers über »Die geistige Situation der Zeit« bringt. Es ist auch kein Zu fall, das; dieser Band gerade jetzt erscheint. Die einleitenden Worte geben Rechenschaft darüber: »Seit mehr als einem Jahrhundert ist immer dringender nach der Situation der Zeit gefragt worden; jede Generation hat die Frage für ihren Augenblick beantwortet. War es aber früher ein Nachdenken weniger Menschen, die die Bedrohung unserer geistigen Welt fühlten, so steht seit dem Kriege fast jeder mann in diesem Fragen.« Hier spricht in letzter Stunde eine ent scheidende Stimme aus, worauf es heute allein ankommt: auf die geistige Haltung eines jeden einzelnen von uns: »Der Mensch ist das Wesen, das nicht nur ist, sondern weiß, das; cs ist. Selbstbewußt erforscht er seine Welt und verwandelt sie planend. Er ist hindurch- gebrochen durch das Naturgeschehen, das nur die ungewußte Wieder holung des unwandelbar Gleichen bleibt; er ist das Wesen, das nicht schon als Dasein restlos erkennbar ist, sondern frei noch entscheidet, was es ist: der Mensch ist Geist, die Situation des eigentlichen Men schen seine geistige Situation.« l)r. H. 878