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259, 9. November. Nichtamtlicher Theil. 5003 daß — wie Fr., von Raumer darüber an Brockhaus schrieb — „der König und sein Leben ausgeboten wurde wie Heringe und Neunaugen und mitten unter solchen Objecten"; er ließ den Minister von Schuckmann übel an wegen schlechter Handhabung der Censur, wegen Mangel an Aufsicht u. s. w. bei Gelegenheit des „dummen Zeugs", das Benzcnberg habe drucken lassen. Schuckmann seinerseits benutzte die Sache, um gegen den ihm längst mißliebigen Verleger einen entscheidenden Schlag zu führen; Hardenberg, welcher Brockhaus im Ganzen viel wohlwollender gesinnt war, konnte, weil der Verfasser der ihm selbst so fatalen anderen Schrift wieder im Spiele war, nichts thun — und so erschien wenige Tage darauf die verhängnißvolle Verfügung — wieder ein charakteristischer Beitrag zu dem Capitel von den kleinen Ursachen und großen Wirkungen. Es ist natürlich, daß Brockhaus in dem Bewußtsein, seine staatsbürgerlichen Pflichten stets voll und ganz erfüllt zu haben und nichts weniger als von „revolutionärem Geist" oder von „feindseligen Gesinnungen gegen die preußische Regierung" durch drungen zu sein, sich nicht ohne Weiteres einer Maßregel unter werfen konnte, welche ihm auf der einen Seite die schwersten geschäftlichen Schädigungen und eine unerträgliche Hemmung im Verkehr mit einem großen Theile Deutschlands in Aussicht stellte und andrerseits, da sie ihn allein traf und mit einer harten Verurtheilung seiner persönlichen Gesinnung verbunden war, aller dings ganz den Charakter einer Willkürmaßregel trug, als welche er sie in allen seinen Eingaben und Polemiken mit Vorliebe hin stellte. Dabei läßt sich aber nicht verkennen, daß er, wie sein Biograph am Ende dieses Capitels selbst gesteht, den Kampf in einer Weise führte, daß er „der Regierung ein Wiederein lenken sehr schwer, ja fast unmöglich machte". Vollständig durch drungen von dem, was er als sein gutes Recht ansah, war es ihm offenbar ganz unmöglich, einzusehen, daß die preußische Re gierung ihrerseits formell ebenso gut in ihrem vollen Rechte war. Denn die Censur bestand nun einmal gesetzlich in allen Staaten des Deutschen Bundes und eine vorbeugende Ueber- wachung der Presse war als nothwendig anerkannt. Da sich nun keineswegs irgend eine Regierung verpflichtet hatte, alles unbesehen in ihren Staaten zuzulassen, was die Censur in einem anderen Staate passirt hatte — obgleich Brockhaus die betref fenden Beschlüsse stets so auslegte —, so konnte an der Berech tigung des preußischen Staats, irgend einen Theil der Literatur, welchen er als einer verschärften Controle bedürftig ansah, noch mals censiren zu lassen, doch füglich kein Zweifel sein. Brock haus dagegen bestreitet in allen seinen Eingaben der Regierung von vornherein einfach das Recht zu ihrem Verfahren, ver handelt mit ihr also gleichsam von Macht zu Macht als gleich berechtigte kriegführende Partei und erreicht damit natürlich nur, daß die gegen ihn allerdings vorhandene persönliche Gereiztheit immer mehr wächst. Alle seine wahren Freunde (darunter in erster Linie Fr. von Raumer, welcher als Neffe von Karl von Raumer, dem Präsidenten des Berliner Obercensurcollegiums, stets im Stande war, ihm die nützlichsten Winke zu geben) riethen ihm, sich mit guter Manier der Maßregel zu unterwerfen und darauf zu sinnen, wie sie auf eine für ihn und die Behörden am wenigsten beschwerliche Weise auszuführen wäre. Auf diese Weise wäre sic nach der allgemeinen Meinung nach ganz kurzer Zeit von selbst wieder „eingeschlafen". Aber Brockhaus' verletzter Stolz und sein Rechtsgefühl bäumten sich auf gegen eine solche Anerkennung des gegen ihn geführten Schlags und er zog vor, in einem aus sichtslosen Kampfe die beste Kraft seiner letzten drei Lebensjahre zu opfern. Es ist unmöglich, die einzelnen Stadien dieses Kampfes, dessen Darstellung in unserem Werke beinahe 200 Seiten füllen, hier eingehend darzustellen. Um so nachdrücklicher aber muß auf diese selbst hingewiesen werden, denn es kann kaum eine inte ressantere Lectüre geben. Und wenn man absieht von dem Grund irrthum, in welchen nach unserer und wohl auch nach seines Biographen Meinung Brockhaus bei der Behandlung der An gelegenheit verfiel, und welcher ihm sicherlich nicht zur Unehre gereichte, so wird man gerade durch dieses Capitel am meisten zu einer wahren Bewunderung für den zähen und unermüdlichen Vertheidiger seiner Interessen hingerissen, welcher den Kampf mit dem ganzen Aufgebot seiner außergewöhnlicher Befähigung führt, nach allen Seiten hin in wahrhaft glänzend geschriebenen Eingaben und Denkschriften seine Sache verficht und den jede Niederlage nur anspornt, den Kampf an anderer Stelle mit neuen Kräften wieder auszunehmen. Seine Vorstellungen richten sich zumeist an den Staatskanzler Fürsten von Hardenberg, an den Minister von Schuckmann und an den König Friedrich Wil helm III. selbst, von welchen nicht weniger als drei — natür lich ablehnende — Antworten in der Form der bekannten la konischen Cabinetsordres vorlicgen. Auch die Intervention seiner eigenen Regierung rief er mehrmals an und gab sich dabei der Illusion hin, daß er von dort aus kräftige Unterstützung finden würde. Die sächsische Regierung aber, die ihn im eigenen Lande allerdings gegen die Reclamationen der preußischen geschützt hatte, trug gewichtige Bedenken, sich amtlich in eine Angelegenheit zu mischen, die sie als eine interne „preußische" ansehen mußte. Wie Recht übrigens Diejenigen hatten, welche Brockhaus vor aussagten, daß er bei einer klugen und vorsichtigen Behandlung der Sache die beste Aussicht habe, die Maßregel von selbst auf hören zu sehen, lehrt die eine, vielleicht interessanteste Episode der sich über zwei Jahre lang hinziehenden Angelegenheit, welche zugleich beweist, daß Brockhaus auch mächtige Fürsprecher an maßgebender Stelle hatte. Auf einige in der Augsburger All gemeinen Zeitung erschienene Artikel hin, welche in einer gegen Brockhaus höchst gehässigen Weise die Maßregel besprachen, deren Opfer er geworden war, wendete sich dieser in einer längeren Eingabe am 15. April 1822 an den Staatskanzler Fürsten Hardenberg, worin er demselben auseinandersetzte, daß der Ver fasser jener Artikel nach seiner festen Ueberzeugung ein gewisser vr. Klindworth (der bekannte spätere „Staatsrath" in hanno verschen Diensten) sei, daß dieser selbe Klindworth ihm früher in Berlin den Verlag einer im höchsten Grade staatsfeindlichen Schrift angeboten und überhaupt selbst sehr stark die „revolu tionären Tendenzen" habe blicken lassen, welche man mit Unrecht ihm — Brockhaus — vorwerfe. Jetzt lebe Klindworth nun in Berlin und es werde behauptet, daß er im Dienste der Geheimen Polizei stehe. Es sei also anzunehmen, daß er entweder ein Mann von sehr leicht veränderlicher politischer Gesinnung sei, oder daß er ihm jenen Antrag geradezu als a§6nt xrovocatsur gemacht habe. Dieser Mann aber habe durch gewisse Canäle Einfluß auf den König selbst und sei sicher nicht unbetheiligt an der ungünstigen Meinung, welcher Brockhaus an höchster Stelle fort und fort begegne. — Hardenberg nahm sich hierauf wirk lich Brockhaus' Sache energisch an, es mochte ihm auch die Aus sicht nicht angenehm sein, so delicate Verhältnisse vor das große Publicum gebracht zu sehen, womit Brockhaus in höflichster Form, aber ziemlich unverblümt gedroht hatte. Der Staatskanzler hatte offenbar direct beim König Bericht erstattet und Minister vonSchuck- maun erhielt in einer Cabinetsordre vom 9. Mai nicht nur einen abschlägigen Bescheid auf seinen Antrag, die gegen Brockhaus ergriffenen Maßregeln auch auf den Verlag der Metzler'schen Buchhandlung in Stuttgart auszudehnen, sondern er wurde auch