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^5 168, 22. Juli 1912. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Ltfchn. vuchtzandel. 8641 Winnen. Da dies das teure Buch unmöglich konnte, mutzte das billige Buch entstehen. Der erste, der diesen Versuch mit Erfolg wagte, war Philipp Reclam jun.: Mit einem Faust zu 20 Pfennigen führte er seine Universal-Bibliothek ein, die inzwischen eine sehr stattliche Nummernzahl erreicht hat. über das, was diese Sammlung alles bietet, kann nur eine Stimme der Bewunderung sein; es ist ein gewaltiges Stück Bildungsarbeit, das dieser Verlag geleistet hat. Hunderttausende, man kann Wohl sagen, Millio nen Deutscher sind den Quellen der Wahrheit und den Bergen der Schönheit genaht, die diese kleinen roten Hefte in sich schließen, weil es billig war, es zu tun. Mit bewunderungs werter Zähigkeit ist die Unillersal-Bibliothek nach allen Rich tungen hin ausgebaut worden. Ob es nicht aber möglich gewesen wäre, an diesem Schatzhause auch in formaler Be ziehung manches zu bessern, ist eine Frage, die ich hier be rühren möchte, gerade weil ich die Bedeutung des Unter nehmens so hoch schätze. Die Zeiten sind seit der ersten kleinen roten Nummer andere geworden. Wir stellen Ansprüche auch an billige Dinge, nicht nur in bezug aus Gehalt und Menge, wir verlangen auch Zweckmäßigkeit und Schönheit damit der- eint. Noch immer hüllt der dünne Papierumschlag die Bänd chen ein, noch immer ist der Satzspiegel so gross, daß man einen Teil der Schrift mit den Fingern deckt, wenn man darin liest, noch immer ist der Satz vielfach zu koinpretz und für viele Augen auch zu klein. Wie schlecht sieht so ein Bändchen bald aus, trägt man es in der Tasche mit sich; wie oft kauft man ein solches nicht, weil das Lesen in ihm anstrengen würde, statt Erholung zu bieten! Papier und Schrift sind ja seit Jahren besser geworden, aber dennoch — allgemein verwendbar sind sie noch nicht. Ich weiß die Tradition zu schätzen: wäre es hier nicht erfreulich, wenn man die Aufgabe und die Unkosten auf sich nähme, zu erneuern, fortzuschreiten, gleicherweise der Ab nehmer wie des Umsatzes halber, und so, wenn auch in anderer Weise, das Werk des alten Philipp junior fortsetzen, verjüngen würde? Andere Sammlungen, wie die Bibliothek der Gesamtlitera tur, leiden an durchscheinendem Papier und einer Type, die in ihrer Schmalheit nicht besonders gut lesbar ist, Meyers Volksbücher sind noch niedlicher als die Reclamhesle, die doch für unser Gefühl schon an der untersten Grenze angelangt sind. Diese Ausstellungen sind nicht willkürlich; ich weiß, daß sie vom bücherkaufenden Publikum gemacht wer den; sie haben das Entstehen anderer Ausgaben zu Schulzwecken veranlaßt, sie ließen eine an sich ganz un nötige Konkurrenz auf dem Markte der billigen Bücher groß werden, dadurch, daß diese die Fehler der vorhandenen Editio nen vermied, ohne ihnen an innerem Werte bisher gleichzu kommen. Immerhin sind bereits verschiedene neue Samm lungen tüchtig auf dem Marsch nach vorwärts. Von den er freulichen Unternehmungen nenne ich hier die sehr handliche, angenehm lesbare Sammlung Göschen und die im Druck weniger hübsche Folge aus Natur und Geisteswelt. Innerhalb der Stoff-Grenzen, die sich diese Bücherreihen gesetzt haben, ent halten beide ganz Vorzügliches. Wenn ich an Äußerlichkeiten Kritik übe, so geschieht es aus der Überzeugung heraus, daß eine solche gerade an dieser Stelle am wenigsten schädlich, vielleicht aber im besonderen und allgemeinen Interesse sehr nützlich sein kann. Schließlich wird immer das Buch am lieb st en gekauft werden, das bei gleichem Gehalt am angenehmsten zu ge brauchen ist. Zu den billigen Büchern gehören auch vielfach Klassiker- Ausgaben und Gesammelte Werke. Ich habe in diesen Blät tern schon einmal davon gesprochen, wie die Schriftsteller, die den Ruhm haben, den Klassikern beigezählt zu werden, in dieser Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. Form sorecht eigentlich und endgültig eingesargtwerden. Statt der lebendig erhaltenden Titel der Einzelwerte läßt man diese Dichter vor der Menge nur noch mit ihrem Namen da sein, und dies ist für die Garzuvielen doch meist nichts als ein leerer Schall. Wenn es gut geht, erinnert man sich bei dem Namen an eines oder das andere der hinter ihm verborgenen Werke — im übrigen grault man sich vor dem »Klassiker«: dank der wehmütigen Erinnerungen aus der Schulzeit, wo das Menschenmögliche geschah, uns die Meister zu verekeln. Die meisten der volkstümlichen Klassiker-Ausgaben sind nun tatsächlich relativ billig. Man kaust für weniges Geld eine ganze Reihe von Bänden, Und doch, weniger wäre mehr. — Man kauft Gedichte, Dramen, Erzählungen, wissenschaftliche Abhandlungen eines solchen Klassikers, alles auf einmal, ohne recht häufig Verwendung eben für dies alles zu haben. Man kauft Dinge, die man nie alle lesen wird. Wenige sind es, die ein Interesse an allen Gedichten eines Autors oder auch nur an einer weitläufigen Auswahl solcher haben. Wenige auch, die je daran denken, die dramatischen Erzeugnisse eines Man nes alle zu lesen, ganz wenige, die den wissenschaftlichen Ab handlungen Aufmerksamkeit widmen wollen. Trotzdem setzt man ihnen all dies oder doch das meiste davon vor. Man setzt es vor, aber nicht gefällig angerichtet. Statt auf einem guten festen Tafeltuch finden wir die Gedichte auf dünnem oder minderwertigem Papier; wir haben, statt Ellbogenfrei heit, alles aufs engste zusammengedrängl; es sieht unerfreulich aus, und wir können es nur mühsam genießen; die Augen, die arbeitsmllden, die dem Geiste eine Erfrischung vermitteln sollten, müssen sich durch kleinen und engen Satz hindurch quälen, bis sie erschlaffen. Ich meine: man sollte Volks- Klassiker nur nach ihren verschiedenen Schasfensgebieten ge trennt herausgeben, also Verse für sich in einem Band, Theater stücke und allgemein verständliche Prosa je wieder gesondert und dazu noch in knappen Auswahlen, dafür aber in erfreulicher Ausmachung, auf gutem Papier in großem und weitläufigem Druck. Auch auf die Gefahr hin, daß die einzelnen Bände, die so entstehen, sich an Umfang nicht gleichkommen! Damit wäre dem Volke gedient. Daß auch dem Sortimenter mit solchen Ausgaben ein guter Artikel geboten ist, beweisen z. B. Langewiesches Bücher der Rose, die ja zum Teil das bieten, was eben erwähnt wurde: gute Auswahlen von Klas sikern in guter Form — allerdings unter zugkräftigen Titeln, die es vermeiden, den Inhalt der Bände deutlich auszudrllcken; sie schmuggeln gewissermaßen die Klassiker unter einem klingenden Stichwort ins Haus. Vielleicht, daß die in diesen Bänden enthaltenen Werke lieber gelesen werden, als wenn sie z. B. als »Auswahl von Goethes Werken« gekommen wären; das hätte schon wieder nach Klassikern geschmeckt Wer philologische Ausgaben notwendig hat, mag sich diese anschasfen oder in öffentlichen Büchereien entleihen. Was nützen uns denn die billigen und doch viel zu teuren Ausgaben? Denn das sind sie, da mit ihnen Luxus getrieben wird: man hat Schätze in ihnen und läßt sie tot liegen, weil man zu vieles für sein Geld bekommen hat, das man weder aufnehmen noch verwerten kann, infolge des Wahnes, eines Dichters Ver mächtnis müsse bis zum Wäschezettel herab für die Allge meinheit Interesse haben. Die Kehrseite der Medaille sind da allerdings »Hubers Werke«, in denen Hauptleistungen, gerade die, die den betreffenden Autor heute noch lesens wert machen, ganz oder nahezu ganz fehlen. Ein Beispiel bieten die meisten Gutzkow-Ausgaben, in denen man vergeblich nach den beiden großen Romanen sucht. Man verlegt Gutzkows Werke; würde man die umfangreichen Arbeiten aufnehmen, so würde die Ausgabe viel zu teuer. So nimmt man in die »Werke« das literargeschichtlich-wissenschaftlich Wesentliche auf, das wenige Sterbliche kümmert, und läßt das Lcben- 1126