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13164 Börsenblatt f. d. Dischn. Buchhandel- Künstlg erscheinende Bücher. 254, 1. November ISOS Dostojewski v. Otto Julius Bierbaum (Fortsetzung). Wie Shakespeare läßt auch er sich zu Späßen herab, aber man sehe sich auch nur diese Späße genauer an Sie mögen auf manchen düsteren Deutschen burlesk, übertrieben wirken. Und die Wehleidigkeit, die sich gern ästhetisch drapiert, wo sie nichts weiter ist, als Sentimentalität im seichtesten Sinne, wird sich über die Grausamkeit beklagen, mit der Dostojewski iildcin er Trauriges, Tragis^es was sie Optimismus nennen. Sie übertreiben zwar nichts und so auch nicht den „Humor", aber sie fälschen das Leben, indem sie es als etwas „Lustiges" hinstellen .... Alles Tiefe hat Dostojewskis Sympathie. Wo er liebt, tritt er darnieder. Er will aber nicht das gewöhnliche Mit- leiden erwecken, wie es die Art westlicher Sentimentalität ist, die sich um die gewaltigste Forderung des Christentums auf eine er bärmlich wohlfeile Manier herumschwindelt, sondern seine Ab- sicht ist gerade das Gegenteil davon. Er will die triumphierende Demut zeigen. Die innere Ekstase der Demut als höchstes Glück, ja als einziges menschenwürdiges Glück und alles andere als Laster und Scheinglück zu demonstrieren, wird er nicht müde. Man hat das Gefühl: er peinigt sich wolllüftig selber, wenn er seine Menschen von Qual zu Qual in die Tiefen ihrer selbst führt. Wenn unser Ideal Menschen sind, die ihre Persön lichkeit möglichst groß und frei entfalten, so zwingt er uns Bewunderung für solche ab, die ihre Persönlichkeit gleichsam einfallen: auf einen inneren Punkt reduzieren, äußerlich Verachtete, Zertretene, innerlich Glorreiche, Erhabene. Viel eher als von Mitleid kann von Mitfreude die Rede sein, die der Dichter damit Hervorrufen will. Dostojewski wirkt, gemessen selbst am Größten unserer Dichtkunst, Goethe, als eine tiefere, reinere Offenbarung von Natur- oder Volkskräften (wie man will), so daß neben ihm alle Literatur des Westens (ganz Weniges ausgenommen, wie z. V. einige Verse Verlaines, einige Worte Lilles) den Eindruck von auf Flaschen Gefülltem, Destilliertem macht neben einer sprudelnden Quelle. Mit anderen Worten: Dostojewski, obwohl er doch in einem höchst unantiken Maße, ja recht eigentlich als der größte Anti-antike, Analytiker, Zerfaserer, Bohrer, Wühler ist, besitzt dennoch die große, den älteren lebenden Literaturen fast ganz abhanden gekommene Eigen- schast echter Urwüchsigkeit. Was alles ihn auch künstlerisch beeinflußt haben mag, denn es fällt auch in diesem Sinne kein Meister vom Lümmel: der Eindruck ist, als ackere er, ein Ur- bauer der Dichtkunst, jungfräuliche Erde. Dies ist ein Reiz, dem sich niemand entziehen kann, der Sinn für Kunst hat. Aber auch der ganz naive Leser (der beste Leser) fühlt sich auf der Stelle ergriffen und belebt. Man kann auch ein Bild aus denAnfängen der Architektur heranziehen, indem man Dosto jewski einen Zyklopen nennt, der mit ungeheuren unbehauenen Quadern hantiert, die er ohne den Mörtel der uns überkommenen technischen Hilfsmittel des Romans verbindet: Rißkante in Rißkante gefügt. Aber auch hier meldet sich sogleich der differenzierende Zusatz, daß es dabei nicht an einer fast un- übersehbaren Fülle von Einzelheiten fehlt. Indessen spricht sich gerade in dem Nichtdeckcnden der gewählten Bilder ein weiterer Grund für den bannenden Reiz Dostojewskischer Bücher aus. Ihre hohe und edle künstlerische Einfalt, ihre reine und urtümliche Epik würde moderne Leser vielleicht nur zu kalter Bewunderung zwingen, wenn nicht auch für moderne Nerven- und Gehirn-Wünsche in eigenartigem Maße gesorgt wäre, — eben durch das feine psychologische Detail und durch die Durch- äderung mit Problemen, Beobachtungen, Phantasien rein moderner, erst uns zugänglicher,von uns aber eben darum ersehnter Art. Vielleicht darf eine Formel gewagt werden: Einfalt plus Nervosität. Oder, das Lamprechtsche Wort zu verwenden: Ein Seher im antiken Sinne mit moderner Reizsamkeit. Dieser gigantische Prophet des russischen Christus hat auch den russischen Teufel im Leibe gehabt. Und was ttir einen! In wieviel Gestalten! Eine Legion von Teufeln! Darum ist sein Werk ein wahres Pandämonium. Und dieser Überchrift läßt, darin seinem deutschen Gegenpropheten, Nietzsche, überlegen, auch den Teufeln ihr Recht. Sie toben sich in einem kolossalen Stile aus. Und damit ist auch dies gesagt: Dostojewskis Demut ist nicht Tolstojs Askese. Wie klein nimmt sich neben seiner Erotik, die Blut und Klauen hat, die doktrinäre Erotik der jungen Russen aus! Aber nicht bloß die sinnliche Leidenschaft: jede braust durch die wirbelnde Welt Dostojewskis, die, wie ungeheuer reich an Geist sie auch ist, nicht aus einem blut leeren Gehirne konstruiert, sondern, wie im Hirn, so auch im Herzen erlebt worden ist. Dieses Lerz, dieses Lürn, dieser Mensch war selber ein Pandämonium .... Wer eine Biographie Dostojewskis gelesen hat, der wird sofort dreierlei erkennen, was die Entwicklung seines Genies beeinflußt hat. Einmal: Dieser Mann ist wegen eines Nichts zum Tode verurteilt worden, er stand bereits am Pfahle, des tödlichen Schusses gewärtig und wurde nach den Ewigkeitsminuten der Todeserwartung zur Zwangsarbeit in Sibirien begnadigt, die er vier Jahre lang erduldet hat. Was heißt das? Lest seine Bücher, und ihr wißt es. Ihr wißt dann auch, daß seine Demut nichts Niederes, sondern der unerhörte Triumph einer Seele ist, die man nicht anders als überchristlich nennen kann. Uns ballen sich die Fäuste schon, wenn wir das nichts würdig Scheußliche dieser perfiden „Begnadigung" lesen und die Marterungen eines solchen Geistes unter der drohenden zu betrachten, wie etwas Verdientes und Gerechtes. Und konnte später von dem Zaren, der es ihm angetan, mit der souveränen Milde eines Heiligen sprechen. Welch ein Mensch! wohl russisch, aber genial sublimiert. Man würde sich aber irren, wenn man glaubte, es sei durch diese Erlebnisse an Dostojewski geschehen, was an Oskar Wilde durch seine Zuchthausstrafe geschah. Er wurde nicht zertreten, sondern erhoben, er wurde nicht verdunkelt, sondern verklärt. Er wurde nicht ein Anderer, sondern ganz Er, Er in einer höheren Potenz Und, was das Wichtigste ist, es geschah das nicht etwa aus der Sensation des Schmerzes, wie aus einem Leidensrausch, der gleichsam Begnadigung, Inspiration war, sondern offenbar Kraft des kämpfenden Ge dankens. Die Demut kam nicht über ihn mit der Gewalt des unerhörten Erlebnisses, sondern er kämpfte sich zur Demut durch, von dem Erlebnisse nicht geschwächt, sondern gleichsam erfüllt, belebt, erftärkt. Mit anderen Worten: nicht das Erlebnis überwand ihn, sondern kraft des Erlebnisses überwand er sich selbst, um dennoch gerade dadurch zu seinem Innersten zu gelangen Ferner: Er war Epileptiker. Was heißt das? Nur, daß er die Fallsucht hatte, wie mancher andere? Daß man ihn also „pathologisch erklären" kann? Nein: Genie kann so wenig durch Epilepsie, wie durch rachitische Schädelbildung erklärt werden. Aber es scheint, daß die Epilepsie, bei genialen Menschen auftretend, die Genialität gleichsam dämonisch tingiert Es scheint, daß ihre Zustände die Sphäre des Unterbewußtseins gleichsam mystisch erleuchten, daß sie Momente der Ekstase Hervorrufen, die im genialen Gehirn später produktiv werden, und zwar in jener vehementen Richtung zum Entfesseln innerer Gesichte und zum seelischen Hellsehen, das für Dostojewski kennzeichnend ist. — Was heißt es also? — Daß er eine geheimnisvolle, für einen kurzen Moment jach und herrlich erhebende, für Tage darauf grausam niederwerfende Macht in sich fühlte, den Dämon.