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128, 4. Juni 1908. Nichtamtlicher Teil. »örsrablatt I. d. Llichn. «uqhand-l. 6225 gründet, sie in erster Linie für die Sachlage verant wortlich zu machen. Solange der Verleger seine bnchhändlerische Tätigkeit ausübt, wird, ja muß er die Neuausgabe von Büchern und die Gründung von Zeitschriften als seine wesentlichste Auf gabe betrachten, und wo auch immer er ein Bedürfnis erblickt oder zu erblicken glaubt, wird er Pläne schmieden und zu verwirk lichen suchen. Der medizinische Verlag ist ein Geschäft zu Erwerbs zwecken wie jedes andere kommerzielle Unternehmen, und wenn auch heutzutage medizinische Verleger für die Förderung unserer Wissenschaft mit dem Ehrendoktorhut, der höchsten Würde, die die Fakultäten zu verleihen haben, belohnt werden, so darf doch ehrlicherweise nicht verkannt werden, daß die außerordentlich be werteten Verdienste nur sekundär einen idealen Charakter gewonnen haben, ursprünglich aber auf rein geschäftlichem, materiellem Boden gewachsen sind. Bei den Verlegern dürfte also in dieser Beziehung ein Anruf von idealen Bestrebungen kein Echo finden. '§Mit viel größerer Berechtigung wendet sich die Mahnung v. Müllers an die Ärzte selbst. Kein Kollege kann sich der Über zeugung verschließen, daß man nicht mehr imstande ist, alle oder auch nur die wesentlichen Veröffentlichungen selbst eines Spezial faches zu überblicken. Und doch finden sich in jedem Jahr einige, die dem eigenen inneren Drange oder dem Lockruf eines Ver legers nicht zu widerstehen vermögen und sich zur Übernahme der Redaktion »noch« eines neuen Blattes entschließen. Die Anlage zum Redakteur fühlen in einem solchen Falle die meisten in sich: die Sache sieht ja ganz einfach aus, und was dieser und jener Kollege kann — oder wenigstens zu können scheint —, traut sein Nachbar sich in gleichem Maße zu. Die unbedenklich nötigen Requisiten sind denn auch bald beschafft; namentlich sind zu dem Redakteur und dem Verleger die heute unumgänglich nötigen »Herausgeber« leicht gewonnen. Nicht viele unter den Großen unseres Standes gibt es, die es verschmähen, ihre Namen in regelmäßigen Intervallen auf dem Titelblatt eines Journals in fetter Schrift drucken zu lassen, vom Glorienschein eines wissenschaftlichen Mäzens umstrahlt. Manche Professoren dulden es, daß man ihren ehrlichen Namen selbst auf einem halben Dutzend mehr oder minder obskurer Blätter als Aushängeschild benutzt, und wenn sie auch »selbstverständlich« jede Verantwortung für den Inhalt der von ihnen protegierten Zeitschriften ablehnen, so widerstrebt es ihnen doch nicht, als Lockmittel für Abonnenten und Inserenten »verwertet« zu werden. Kann ein Redakteur nicht unter den Ordinarien des Landes seine »Herausgeber« finden, so begnügt er sich auch mit Oii ruinoris graäus, oder er erwirbt exotische Namen, oder er behilft sich — wie es jüngst ein recht geschäftskundiger Schriftleiter getan hat — mit einigen ärztlichen Mitgliedern des bayerischen Königshauses. Es gibt ja Kollegen, die sich durch derart ausstaffierte Titelblätter »über zeugen« lassen und zum Abonnement bestimmt werden. Aber auch Inserenten werden auf diese Weise gewonnen. Freilich — bei diesen bedarf es noch einer andern Zugkraft, um sie zu der wichtigen, für außerordentlich viele medizinische Journale völlig unentbehrlichen Unterstützung zu veranlassen, nämlich der hohen Auflageziffer. Die wenigsten unter den Ärzten haben eine Ahnung davon, in welchem Mißverhältnis bisweilen die Ziffer der zah lenden Abonnenten eines Blattes (die doch zur Beurteilung seiner »Verbreitung« allein maßgebliche Ziffer, vgl. Börsenblatt 1908, Nr. 121) zu dersogenannten Auflage*) steht! Es gibt angesehene Zeitschriften, bei denen seit Jahr und Tag ein und dieselbe Auf lage verzeichnet wird, trotzdem alle Welt weiß, daß die Schar der Abonnenten seit geraumer Zeit sich mehr und mehr verringert hat. Und wenn das am grünen Holze geschieht, dann kann man ich vorstellen, welcher »Wind in den dürren Blättern säuselt«. Freilich reichen bei manchen kleinen Journalen selbst derartige Mittel nicht zum Unterhalt aus, und es müssen noch stärkere Lebens elixiere angewandt werden. Eine ebenso beliebte wie einiger maßen einträgliche Methode besteht darin, die Fabrikanten Pharma zeutischer Präparate zur Insertion durch das Ver sprechen zu veranlassen, daß »wissenschaftliche« Auf - ätze über ihre geschäftlichen Produkte imredaktionellen Teil des Journals veröffentlicht werden sollen*). Die Wege, auf denen derartige Artikel in die Spalten der be treffenden Blätter gelangen, sind verschiedenartig. Der einfachste ührt natürlich durch die Redaktion selbst: Wit Wissen des Redakteurs wird ein solcher Aufsatz, der von einem bezahlten, gewerbsmäßigen Artikelschreiber verfaßt ist, in das Journal aus genommen. In anderen Fällen ist die Redaktion an dem Attentat auf Wissenschaft, Arzte und Publikum unschuldig, und der Ver leger arbeitet allein mit dem Artikelschreiber hinter dem Rücken des Redakteurs. Der Verfasser der Aufsätze braucht aber nicht zu der Zunft der »gewerbsmäßigen« Schriftsteller zu gehören. Durch Vermittlung des Verlages oder der Redaktion erhält der Assistent eines Krankenhauses — auch der Direktor — den »ehren vollen« Auftrag, ein bestimmtes Präparat (für das das Inserat bereits bezahlt ist!) zu untersuchen und darüber in dem namhaft gemachten Blatt zu berichten: und bereitwillig unterzieht sich der »Beauftragte« dieser Aufgabe, ohne zu ahnen, daß er mit seiner ehrlichen Arbeit nur einer geschäftlichen Manipulation, die zwischen Verlag und Inserent vereinbart ist, zum Opfer fällt. Mit solchen und ähnlichen Mitteln werden Journale gegründet, auf diese Weise fristen sie ihr Dasein, sie wechseln jahraus jahrein Verlag, Redaktion; der von ihnen gestiftete Schaden allein ist dem Wechsel nicht unterworfen. Und man glaube ja nicht, daß derartige Blätter völlig im Verborgenen blühen: auch solche er freuen sich der Protektion von »Herausgebern« mit klangvollen Namen. Glücklicherweise ist ihre Zahl nicht groß und der Bereich ihres Wirkens nicht umfangreich. Trotzdem wird für alle redaktions lüsternen Ärzte und für alle Herausgeber die Mahnung, die Schar dieser Journale nicht zu vermehren und unsere Schundliteratur nicht bereichern zu helfen, als Wohl berechtigt anerkannt werden. Und speziell die »Herausgeber« mögen den Appell Friedrich v. Müllers eindringlich beherzigen: entstammen sie doch meist den Kreisen der Akademiker, die für die idealen Aufgaben unserer Wissenschaft im besonderen Maße zu sorgen haben. Aber auch auf dem Gebiete der »guten« Literatur müssen vornehmlich die Akademiker die an die A u t o r e n gerichtete Mah nung v. Müllers beachten. So erfreulich der Drang nach wissen schaftlicher Betätigung und Schriftstellerei ist, so muß doch eine Einschränkung der Publikationslust mit allem Nachdruck gefordert werden. Es sollte die Überzeugung unter den Kollegen Platz greifen, daß nicht jede theoretische Arbeit, nicht jede interessante Einzelbeobachtung durchaus urbi st orbi mitgeteilt werden muß; und der natürliche Trieb der Jünger unserer Wissenschaft, sich recht bald publizistische Sporen zu verdienen und Lorbeer auf Lorbeer zu häufen, sollte von den Krankenhaus- und Kliniken leitern möglichst gezügelt werden. Das Hasten und Wett laufen bei den Veröffentlichungen, das eine Zeitlang namentlich auf dem Gebiete der Bakteriologie geradezu beängstigte, hat glücklicherweise erheblich nachgelassen; die »vor- *) Bei jeder Zeitschrift muß die Auflage höher sein als die Abonnenteuzahl; denn eine Summe von Exemplaren muß der Verlag sich reservieren für den Einzelverkauf, für die Ergänzung verloren gegangener Abonnementsexemplare, für Tausch-, Frei-, Belegexem plare. Man spricht aber auch von Journalen, die nicht nur—um Inserenten durch die »hohe Auflage« anzulocken — eine durch die tatsächlichen Bedürfnisse nicht gerechtfertigte große Zahl von Reserveexemplaren drucken, sondern auch eine höhere Auflage angeben, als wirklich gedruckt wird. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 75. Jahrgang. läufigen Mitteilungen« — denen oft »nachläufige« nicht folgten oder die sich häufig so bald als irrig erwiesen, daß ich mich einmal entschloß, derartige vorzeitige Artikel prinzipiell abzulehnen — erscheinen nicht mehr oft auf der Bildfläche. Aber auch heute noch tritt die Neigung, unaus gereifte, nicht genü- *) Selbstverständlich geben sich gewissenhafte Firmen zu der artigen Geschäftsverbindungen nicht her. 810