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4464 Nichtamtlicher Teil. ^ 108, 11 Mai 1905. nicht einen blinden, urteilslosen Patriotismus, sondern das, was auch der greise Goethe seinen Faust als der politischen Weisheit letzten Schluß verkünden läßt: »Auf freiem Grund mit freiem Volke steh'u.- Schillers -Teil- ist die Verherrlichung der Demokratie, der durch Selbstbeherrschung zur Herrschaft berechtigten un geteilten Volksgemeinschaft. Sein Held ist das Schweizervolk, Teil selbst ein schlichter Mann ohne alles heldenhafte Pathos, ohne das Übermaß leidenschaftlichen Wollens, des heißen Begehrens nach Ruhm oder die überwältigende Macht des Liebesverlangens. Nur die höchste Not treibt ihn zu einem Handeln, das heroisch erscheint und doch schon äußerlich so gar nichts von helden hafter Größe an sich hat, wenn er hinter dem Busch hervor auf den Bedroher seines Kindes die Pfeile schnellt. Er wird getrieben von der eignen Not, und absichtlich hat es Schiller durch den großen Monolog in der hohlen Gasse und die spätere Szene mit Parricida verhüten wollen, daß die Tat Teils als politischer Mord angesehen würde. Sicher nicht aus feiger Vorsicht, sondern weil er die Freiheit des Volkes nur aus dem Gesamtwillen, nicht aus Motiven per sönlicher Art ableiten wollte, und weil er anderseits überall an Stelle des pragmatischen Zusammenhangs den psycho logischen zu setzen suchte. Die Idee der Freiheit, die nach Goethes Ausspruch durch alle Werke Schillers geht, erscheint am Schluß hier im -Tell- am strahlendsten. Ünd zugleich leuchtet auch die künstlerische Freiheit in diesem Werke glänzender als zu vor auf. Die Strenge der Form wird zugunsten einer er höhten Annäherung an die Wirklichkeit gemildert. Bon neuem neigt sich der Dichter dem Realismus zu, den er in dem Werke seiner Jugend betätigt hat, nur in geläuterter, von allem Rohen und Niedrigen entkleideter Gestalt. Noch deutlicher offenbart sich diese realistische Richtung im -De metrius« — der Vorhang sinkt, dann empfinden wir unendliche Wehmut in dem Gedanken, daß so Herrlichem vom Schicksal die Vollendung versagt wurde. Daß Schiller mit 46 Jahren von der Erde hinweg genommen wurde, ist der schwerste Schlag, der unser Geistes leben betroffen hat. Nicht nur weil er alle die großen Ent würfe mit sich ins Grab nahm, die unsrer Dichtung und unsrer Bühne neue Schätze von unvergleichlichem Werte ver hießen. Unvollendet war seine Künstlerlausbahn. Zu immer höheren Zielen hätte ihn das nimmer rastende Streben ge trieben, seinem Volke Werke zu schenken, die allen Freude und Erhebung spenden, noch unmittelbarer, noch inniger der deutschen Art und dem modernen Bewußtsein entsprechend als die großen Schöpfungen seiner letzten Periode. Schiller hat das Ziel dieses Strebens nicht erreicht, aber er ist ihm so nahe gekommen wie kein andrer. Keiner ist nach Schiller aufgestanden, der edle Volkstümlichkeit mit hoher Kunstvollendung zu vereinigen gewußt hätte wie er. Und so bedeuten seine großen dramatischen Werke heute wie vordem wertvollsten geistigen Besitz unsers gesamten Volkes. Sie sind die tragenden Pfeiler der deutschen Bühne, sie er wecken in jeder Brust eine reine und starke Begeisterung, sie lehren uns das enge Dasein hier zur Ewigkeit erweitern, sie wirken mit ungebrochener Kraft auf unsre Sinne und ge währen uns die erhabensten ästhetischen Genüsse. Vor allem aber trägt uns die Persönlichkeit, die in diesen Werken waltet, zu Höhen empor, die sterblicher Kraft kaum erreichbar erscheinen. Der kühne, weltüberwindende Idealismus, die sittliche Kraft, die allen Hemmnissen zum Trotz, sich die Freiheit erkämpft, die Weite des Blicks, der durch kein Vorurteil niederer Art beschränkt wird, die Milde reinen, warmen Anteils an allem Menschlichen, der unver söhnliche vernichtende Haß gegen das Gemeine und das hohe Pflichtbewußtsein, das jeder Atemzug an die Erfüllung der Aufgaben setzt, die dem Menschen hier auf Erden gestellt sind. Das ist der Ewigkeitswert von Schillers Erbe. Mögen die äußern Formen seiner Werke von andern Gestaltungen abgelöst, überflügelt werden; der Geist, der in ihnen lebt, bleibt unvergänglich, und vorbildlich bleibt uns seines Lebens Führung. Blicken wir von dem Endpunkt seines Daseins auf den Weg zurück, den er gegangen ist. Durch harten, eisernen Druck wird er der Freuden der Jugend beraubt, und, als er dem tyrannischen Willen entflieht, treten Not und Mangel ihm zur Seite. Mit unermüdlicher Arbeit muß er er ringen, was ihm die Notdurft des Tages abfordert, und als er die Geliebte zu seinem Weibe gemacht hat, bricht sein schwacher' Körper unter der Last zusammen. Er ist von jetzt an ein totgeweihter Mann. Aber mit dem Rest seiner Kraft erringt er Sieg auf Sieg und vermag endlich auch das Behagen des Daseins, die Freiheit von der drohenden Sorge für sich und die Seinen zu erringen. Keines Mäcenaten Güte hat ihm gelächclt; beschämend klein war die Unterstützung, die Karl August von Weimar dem Dichter spenden konnte. Allein dem tatkräftigen befreundeten Verleger Cotta dankte Schiller diese Besserung seiner äußern Lage. Wie zuvor Göschen mit treuer, hilfreicher Freundschaft dem Dichter in der schwersten Zeit zur Seite stand, so hat ihm Cottas vornehme Gesinnung die letzten Lebensjahre erleichtert. Der deutsche Buchhandel darf stolz den Schillertag auch als einen Ehrentag seines Standes begehen, das hat noch in jüngster Zeit die lange Reihe der Aufsätze über »Schiller und seine Verleger« bewiesen, die im Börsenblatt er schienen sind. In der Gegenwart fällt Ihnen, meine Herren, neben der Schule, der Bühne und der Wissenschaft die große Auf gabe zu, Schillers Erbe lebendig zu erhalten und immer weitere Kreise unsers Volkes seiner teilhaftig zu machen. Wohl ist die Bedeutung von Schillers Denken und Dichten in das allgemeine Bewußtsein übergegangen, aber noch sind wir weit entfernt davon, daß der Schatz seiner Dichtung, die einzelnen Ergebnisse seiner Forschung zum Besitz und Genuß aller geworden wäre. Diese große Aufgabe bleibt dem zweiten Jahrhundert in Schillers Ewigkeitsdasein Vorbehalten. Wenn die Be geisterung dieser Tage verraucht sein wird, dann möge als dauernder Gewinn aus ihr das Bewußtsein in uns bestehen bleiben, daß wir das Andenken Friedrich Schillers zu hegen und wahren haben, nicht durch einen leeren und wertlosen Toten- kultus, sondern indem wir festhalten, was er uns an er habener Schönheit, an sittlichen und geistigen Werten ge schenkt hat. Ich steh' euch fest und steh' euch unbezwinglich. Und Hilsts euch nicht, so steh ich euren Kindern Und auch den Kindern steh ich eurer Kinder, Bis sie gelernt, mit reiner starker Hand Das alte Sehnen frei sich zu erfüllen, Und meisterlich zu leben, wie sie denken Ein großer Torso ists, den heut wir feiern Dem allzufrüh das große Leben brach; Und unermeßlich ist, was ungeschaffen Er mit hinab zur Nacht des Todes trug! Birgt in sich eine Welt unweiser Schönheit Vollendet ans Unendliche sich knüpfend, Und lehrt uns so zu handeln, daß wenn morgen Ein Gott uns jählings aus dem Dasein triebe, Ein fertig Geistesbild bestehen bliebe. (Gottfried Keller.)