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262, 11. November. - Nichtamtlicher Theil. 4519 bekannten Traditionen jener Zeit zu Cavalieren erzogen, die, was Anmuth der Form und vollendete Liebenswürdigkeit des Wesens betrifft, auch im nachmaligen späten Alter der jungen Generation als unerreichbare Muster voranleuchteten. Sechs widerstrebende Neigungen hatte der Alte mit ruhiger Härte vor das Kaufmannspult zu bringen gewußt, keiner der Söhne wurde ein schlauer, gewiegter Handelsherr wie er, dafür aber pflegten sie mit um so größerer Freude die alte Tradition des Hauses: durch elastische Stiche aller Hauptmeisterwerke der italie nischen Blüthezeit ihrer Familie einen Ehrenplatz in der Geschichte der Kupferstechkunst zu sichern, und hielten auch nach dem Ableben ihres Vaters die Firma auf einer so vornehmen Höhe, daß ihre Personen bei den häufigen Geschäftsreisen an die Höfe von München, Wien rc. in der dortigen Aristokratie eine für heutige Zeit ganz un denkbare Stellung einnahmen. König Ludwig, nicht minder als sein Vater, waren dem jungen Philipp speciell befreundet, und der elftere legte hohen Werth auf dessen feines künstlerisches Urtheil, ohne ihm die unbestechliche Wahrheitsliebe übelzunehmen, welche stellenweise die königlichen Anschauungen durchkreuzte. Noch im hohen Alter kam er häufig von seinem Edenkobener Schlößchen zu dem alten Artaria herüber, und besuchte in dessen Gesellschaft die Stätten seiner Jugend, oder nahm die großen Veränderungen in Augen schein, womit die neue Zeit ihre Vorwerke in die ehemals gras bewachsenen Gassen hereinschob. Sie ergriff auch in mächtiger Wirkung den Mann, welcher, damals schon auf eine lange geschäftliche und gemeinnützige Thätig- keit zurücksehend, alles Recht gehabt hätte, sich, wie so viele Andere, körperlich und geistig zur Ruhe zu setzen. Photographie und Lithographie brachten eine ungeheure Um wälzung in den Kunsthandel, allenthalben entstanden größere und kleinere Geschäfte, die Firma Artaria aber konnte sich nicht ent schließen, Auslagefenster an ihr altes stattliches Haus anzubringen und die Erzeugnisse des Lichtdrucks in Verlag zu nehmen. Nach ein ander starben auch mehrere der Brüder, so beschränkte sich das Ge schäft mehr und mehr auf Reproduction der alten Platten, an neue dachte man vorderhand nicht mehr. Schließlich übergab Philipp Artaria den ganzen Verlag an ein Berliner Haus. Seine rastlose Thätigkeit erstreckte sich nun auf andere Gebiete. Von Jugend auf hatte er ein warmes Herz für seine Vaterstadt gehabt, und als ständiges Mitglied des Gemeinderaths und Inhaber unzähliger Ehren- und Vertrauensposten stets die schönen Bürger tugenden bewährt, welche ihm die Liebe und Verehrung der ganzen Stadt eintrugen: den unbeugsamen Gerechtigkeitssinn, der ihn zum Anwalt jedes Unterdrückten machte, eine über jeden Zweifel erhabene Lauterkeit der Gesinnung und dabei die großartigste Liberalität in allen seinen Handlungen. Nun kam zu den städtischen Aemtern noch das Abgeordneten-Mandat, und es war wunderbar zu sehen, mit welchem Feuer der bereits Alternde die seiner eigenen Jugender ziehung so widerstrebenden liberalen Ideen rückhaltlos zur obersten Richtschnur seines politischen Verhaltens nahm, und mit der ganzen Energie seines Wesens in den Concordatsstürmen der badischen Kammer im Jahre 1860 vertrat. Er war ein guter und gewandter Redner, der durch eifriges Studium in späteren Jahren die Lücken seiner früheren Bildung ergänzt hatte; seine Verdienste als Mitglied der verschiedenen Ausschüsse ehrte der Großherzog durch Ernennung zum ständigen Mitglicde der ersten Kammer. Freiwillig legte der kluge hellsinnige Mann diese Würde nieder, als er vor etwa 10 Jahren die ersten leisen Boten des Grcisenalters spürte, und beschränkte sich von da an als wahrer Vater der Stadt auf seine localen Thätigkeiten: Gründung von Wohlthätigkeits- anftalten aller Art, die er mit bedeutenden eigenen Opfern unter stützte, von Kunst- und literarischen Vereinen; ja, vor einigen Jahren fand ich den Vierundsiebenzigjährigen wohlgemuth in dem aus geleerten ehemaligen Leihbibliothek-Saale des Mannheimer Schlosses, umgeben von kolossalen Bücherhaufen und im Begriff, daraus die Anfänge einer städtischen Bibliothek zu bilden. Er las mir den auf steigenden Gedanken aus den Augen und sagte lachend: „Ja, ja, fertig bring' ichs wohl nicht mehr, aber Jeder muß wirken, solang er da ist." Und im vorigen Jahre führte er mich triumphircnd in den selben Saal: da standen Schränke an Schränke und darinnen wohl- geordnet und numerirt Tausende von Bänden. „Fertig" war er auch damals nicht, und ich weiß nicht, ob er fertig geworden ist; aber ich kann nicht ohne Bewegung an dieses wohlangcwandte schöne Menschen leben denken, dem der natürliche Lohn des unermüdlichen Wirkens für Andere in so reichem Maße zutheil geworden ist. So wandelte er als verehrtes Haupt unter der jüngeren Gene ration mit warmem Antheil und steter Hilfsbereitschaft für ihre Be strebungen, seinen inneren Zielen unverrückt zugewandt und ein leuch tendes Beispiel von der Möglichkeit, die vielseitigste Lebenpraxis mit der edelsten Begeisterung für ideale Güter zu vereinigen. Sein Ver lust ist ein unersetzlicher für die treue Lebensgefährtin, mit welcher ihn die glücklichste Ehe durch zweiundvierzig Jahre verband, für seine Familie und die zahlreichen Freunde, wie für die Stadt, welche ihm so vieles zu verdanken hat. Die allgemeinste Trauer geleitete seinen Sarg zur letzten Ruhe stätte: voraus und zur Seite schritten die Waisenkinder, denen sein edles, warmes Herz das rettende Asyl gegründet hat; die Geistlichen der drei Confessionen umgaben den milden Christen, der sein Leben lang ein Muster frommer Religiosität und vollkommenster Toleranz gewesen war, alle Bürger der Stadt, alle Beamten und Offiziere, so wie die Behörden folgten in endlosem Zuge. Seit lange hatte der Tod eines Privatmannes keine solche Bewegung hervorgerufen. Vir optimus — man kann es ihm mit Fug und Recht als Grab- schrift setzen! (Allg. Ztg.i Ueber Kataloge von Privatbibliothckcn und insbesondere der Odrll'schcn Sammlung. Leider, aber aus für den Sachkenner sehr leicht begreiflichen Gründen ist es, mit verhältnißmäßig nur sehrwenigenAnsnahmen, das unabweisbare Geschick aller Privatbibliotheken der heutigen Zeit, daß sie, nachdem erst die Besitzer oft eine langeReihe von Jah ren hindurch große Mühen aufgewendet und ansehnliche Opfer ge bracht haben, um sie, sei es für ihre wissenschaftlichen Studien, sei es für Zwecke der Bibliophilie, anzusammeln, Plötzlich, sobald die Besitzer die Augen für immer schließen, nicht selten auch zu deren Lebzeiten, wieder nach allen Winden hin zerstreut werden. Tagtäg lich sieht mau solche Privatbibliotheken unter den Hammer kommen oder in den Besitz antiquarischer Buchhändler übergehen, die sich dann um ihres Geschäftes willen darauf angewiesen finden, die er worbenen Sammlungen möglichst schnell zu zerstückeln und das Zer stückelte — ein Glück ist es noch, wenn einzelne enge zusammen gehörige Partien beisammen gelassen werden — an verschiedene andere Sammlungen käuflich abzutreten. Der echte und wahre Bücherkenner und Liebhaber fühlt herzliches Bedauern darüber, Privatbibliotheken der schönsten und werthvollsten, ja kostbarsten Art auf diese Weise als Ganzes wieder verschwinden sehen zu müssen, obwohl er sich freilich auch sagen muß, daß dies unsere Zeit verhältnisse so und nicht anders gebieterisch verlangen. Dagegen läßt sich nichts thun; wohl aber ist der Wunsch nicht bloß gerecht fertigt, sondern auch erfüllbar, daß von solchen der Zerstückelung an heimfallenden Privatbibliotheken, die sich in irgend einer Art von der gewöhnlichen Menge besonders auszeichnen, insoweit noch ein dauerndes Andenken für die Zukunft erhalten bleibe, als durch An fertigung und Veröffentlichung guter Kataloge derselben dafür ge- 620*