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2456 Nichtamtlicher Theil. .V 157, 10. Juli. trachtet werden kann, noch unmöglich ist, literarischen Instituten! eine so hohe nationale Bedeutung und Wichtigkeit zu geben, wie dies in England der Fall ist (und jetzt unter einer freien und re präsentativen Verfassung auch in Frankreich der Fall zu werden an fängt), wo wir in den ebensowohl mit umfassender Gelehrsamkeit und tiefer Sachkenntniß, als mit seltenem Scharfsinn und siegreicher Dialektik ausgeführten „Räiuburzb" und „(juartorl^ Reviews" zwei kritische Zeitschriften sehen, welche ties in das Volksleben und die Gesetzgebung Großbritanniens eindringen, und aus die ganze Lite ratur und die geistige Entwickelung des englischen Volks einen nicht zu berechnenden Einfluß haben, so ist doch nicht zu leugnen, daß auch in Deutschland nicht nur ein ungewöhnliches Streben auf dem weiten Gebiete der Wissenschaft und Kunst nach allen Seiten hin sich äußert, sondern auch, in Erwartung weiterer Emancipation, die öffentlichen Angelegenheiten inehr als zu irgend einer anderen Zeit lebhaftes Interesse erregen." Wie sehr ein derartig kritisch-literarisches Organ in Deutsch land Bedürsniß war, beweist noch der Umstand, daß eine ähnliche Zeitschrift, die „Jahrbücher für Literatur" in Wien ins Leben traten, welchen eine gleiche Idee, wie dem „Hermes" zu Grunde lag. Obgleich dieses oesterreichische Unternehmen noch vor dem Block haus' das Licht der Welt erblickte, so glaubte dieser seinen Plan dessenungeachtet nicht anfgeben zu müssen, da, wie ihm dünkte, die äußeren Bedingungen, unter welchen jene „Jahrbücher" erschienen, der Freiheit und Selbständigkeit nicht überall günstig waren, wie die bereits erschienenen drei Stücke zur Genüge bewiesen. Ein Gleiches geht auch aus einem Briefe hervor, den Blockhaus' treuer Freund Hasse in Dresden an jenen schrieb. Darin heißt es: „Glückauf zu Ihrem »Hermes«! Ein wichtiges Unternehmen, durch das Sie sich um die Literatur verdient machen. Sie werden mehr leisten als die in Philosophie, Theologie, Geschichte und Po litik im spanisch-oesterreichischen Censurpanzer eingezwängten »Jahr bücher der Literatur« in Wien. Möge das Publicum Sie mit reger Theilnahme unterstützen!" Ende 1818 erschien das erste Heft des „Hermes", dem alle Vierteljahre ein ähnliches folgen sollte. Seinem Programme gemäß und seinen englischen Vorbildern folgend, brachte der „Hermes" meist größere Abhandlungen von selbständigem Werth, die an ein wichtigeres Werk oder eine Reihe verwandter Werke anknüpften und den Stoff in den Vordergrund stellten, die kritische Analyse nicht als Selbstzweck gelten ließen, also Essays im jetzigen Sinne des Wortes; hierdurch gerade wollte sich der „Hermes" von den übrigen kritischen Blättern, den in Jena, Halle und Leipzig er scheinenden „Literaturzeitungen" unterscheiden. Der ausländischen Literatur war im ersten Jahrgange ein besonderer, Analysen aus ländischer kritischer Zeitschriften enthaltender „Anhang" zngewiesen, für den Brockhaus im Vorworte als Redacteur bezeichnet war. Darin war also seine frühere, mit dem „Dreizack" beabsichtigte Idee, und zwar in erweiterter, auf die gesammte ausländische Literatur ausgedehnter, nicht bloß die englische umfassender Form verwirklicht. Bereits mit dem Ende des ersten Jahrganges des „Hermes" legte Krug die Redaction desselben nieder, wahrscheinlich wegen Ueberhäufung mit Berussgeschästen, da er noch weiter mit Brock haus in freundschaftlichem wie geselligem Verkehr blieb. Brock haus übernahm nun selber die Redactton der Zeitschrift und führte sie auch bis zu seinem Tode fort. Diedamaligen politischen Verhältnisse, schreibt der Verfasser, ins besondere die Karlsbader Beschlüsse vom 20. September 1819 mit ihren verderblichen Folgen für die Preßfreiheit, und die Ein drücke, die Brockhaus auf seiner Reise nach Paris im August und September desselben Jahres dort und in den bundestäglichen I Kreisen in Frankfurt a. M. empfangen hatte, bestimmten ihn denn, nach alleiniger Uebernahme der Redactton des „Hermes" noch weitergehende Aenderungen innerer und äußerer Art mit dem selben vorzunehmen, als er bei der Trennung von Krug beab sichtigt hatte. Da erreichten ihn in Paris die Nachrichten aus Karlsbad und Frankfurt a. M., die nach dem Vorgehen gegen Oken und nach den Demagogenversolgungen der letzten Zeit frei lich Niemand überraschen konnten, aber doch erst den wirklichen Eintritt der politischen Reaktion in Deutschland und das seintft selige Auftreten der Regierungen gegen die Presse bczeichneten. So fort entschloß er sich, dem „Hermes" neben dem literarischen auch einen politischen Charakter zu geben, ihn zum literarischen Mittel punkte des jetzt noch mehr als früher gebotenen Kampfes für Preßfreiheit und constitutionelle Staatsformcn zu machen. In diesem Sinne forderte er noch von Paris aus hervorragende deutsche Patrioten, wie Karl von Rotteck, zur Mitarbeiterschaft an der Zeitschrift aus. Obgleich der „Hermes" bisher durchaus keinen Conflict mit der sächsischen Censur gehabt hatte, so konnte Brockhaus, nachdem auch die Politik darin eine Stätte finden sollte, nicht mehr an einen gleich ungestörten Fortgang recht glauben. Um nun die Zeitschrift den deutschen Censurbehörden zu entziehen, verlegte er den Druck und Verlag derselben nach Amsterdam, siedelte ein Jahr später aber damit wieder nach Leipzig über, ohne mit der Censur in Streit zu gerathen. Der neue Jahrgang des „Hermes" brachte in seiner neuen Gestalt dem Unternehmen auch neue Freunde, und hob sich das selbe zur Freude seines Herausgebers. Die Gelehrten hielten es für eine Ehre, Mitarbeiter der Zeitschrift zu sein, und begegnen wir den hervorragendsten Schriftstellern der damaligen Zeit in dem Berzeichniß derselben. Wenn so der „Hermes" in der Politik ein Bild der Restau rationsepoche und der ersten Anfänge konstitutioneller Ent wickelung lieferte, über die philosophischen Tendenzen der Zeit aber den Mitlebenden genaue Auskunft ertheilte, so warf er nicht minder in der schönen Literatur, die damals sich in keiner Blüthe- zeit befand, das Gewicht seines kritischen Ansehens mehrfach in die Wagschale, und ein für die Literatursorschung nicht unwich tiger Schatz gründlicher und geistreicher Besprechungen damaliger Production ist in seinen Bänden verborgen. Es war der Höhe punkt der Schicksalstragödie, dieser Nachblüthe der Romantik; Goethe's Stimme ließ sich nur zuweilen noch vernehmen, neue Talente wie Uhland, Kerner tauchten auf; die Uebersetzungslite- ratur war rüstig und thätig. Dieser Charakter der damaligen Epoche spiegelt sich nach allen Seiten hin in den hervorstechenden Zügen im „Hermes" ab, deutlicher als in andern Zeitschriften. Der „Hermes" ist für die Literaturgeschichte der damaligen Zeit das, was die „Zeitgenoffen" aus dem Gebiete der politischen Historie sind, nnd somit auch für unsere Zeit von bleibendem Werth. Aber nicht allein der Literatur und dem Publicum im Allgemeinen wurde damit gedient, der „Hermes" war auch für den Fachgenossen ein Wegweiser auf den vielfachen Irrwegen unserer Literatur, nnd der deutsche Buchhändler, der sein Geschäft nicht bloß mechanisch betrieb, konnte daraus viel zu seinem Vortheile lernen. Trotz der wohlverdienten Theilnahme, welche der „Hermes" im Publicum fand, war derselbe durchaus kein lucratives Unter nehmen, wie aus folgendem Briefe von Brockhaus an den Geheimen Rath Karl Ernst Schund in Jena hervorgeht, der zugleich charakte ristisch für unser Journalwesen im Allgemeinen ist. Brockhaus schreibt: „Der Absatz des »Hermes« ist steigend, und ich bin nahe daran, auf meine Kosten zu kommen, wobei ich aber für alle meine Mühen w.