Volltext Seite (XML)
^ 288, II. Dezember 1912. Nichtamtlicher Teil. große, als daß man nicht von einem guten Teile des neuen Arbeitcrperfonales in absehbarer Zeit das gleiche erwarten tonnte. Die Gefahr, niemals wieder auf den innegehabten Ar beitsplatz zu kommen, wächst für den Einzelnen mit jedem Tage in dem gleichen Matze, in dem sich die Ersatzmannschaften in die ihnen zum Teil recht fremden Verhältnisse einarbeiten. Das mag den jungen Leuten von 18—2» Jahren, die den größeren Prozentsatz der Streikenden bilden, vielleicht weniger Kummer machen, denn wenn sie brauchbare Arbeiter sind, so finden sie auch anderwärts ihr Fortkommen. Sie konnten mit Begeisterung den Kampf heraufbeschwören, weil ihnen nicht viel dabei.verloren gehen mochte. Dafür mutz der kleinere Teil älterer Männer und Familienväter die Zeche bezahlen. Man fragt sich, ob hier nicht doch auch der Vorwurf einer unver kennbaren Gewissenlosigkeit die jüngeren Elemente trifft. Denn mag auch von der Partei für die beklagenswerten älteren Opfer des Streiks zeitweilig gesorgt werden, ihre Existenz ist vor läufig doch dahin. Wir habe» das gleiche Bild, wie es die Streiks der Hilfsarbeiter in unseren graphischen Betrieben oft gezeigt haben. Dieses Personal wird trotz seiner eingebilde ten Unentbehrlichkeit nun einmal am leichtesten und schnellsten ersetzt. Die Streiks zeitigen daher oftmals an Stelle einer Verbesserung eine wirtschaftliche Schwächung der Arbeiter. Und wie heute die Dinge für die Markthelfer liegen, ist trotz der gegenteiligen Behauptungen der sozialdemokratischen Presse die Niederlage der Streikenden sogut wie entschieden. Vielleicht wäre dem Kampf ein großer Teil seiner Härte ge nommen worden, wenn ihn die sozialdemokratische, in der Leipziger Volkszeitung verkörperte Presse nicht mit Schmäh artikeln begleitet hätte, die das Unglaublichste von Unkenntnis duchhändlerischer Verhältnisse und Verdrehung der Tatsachen gezeitigt haben, und wenn nicht der Ton jener rasch aufeinander folgenden Flugblätter ebenso ungeschickt wie verhetzend gehal ten gewesen wäre. Man fragt sich unwillkürlich, wie lange noch der deutsche Arbeiter sich diesen Phrasenschwall von Gift und Galle seiner »berufenen« Führer gefallen lassen wird. Was man da alles dem harmlosen Zeilungsleser in seiner Zeitung austischt, soll hier an einem kleinen Beispiele gezeigt werden: In der Nummer vom 13. November der Leipziger Volkszeitung wird in einem unter der Spitzmarke »Der Kampf im Leipziger Buchhandel« erschienenen Artikel auch der Reingewinn der Unternehmer gestreift. Der Schreiber des Elaborats leistete sich bei dieser Gelegenheit einen vielbe lachten Lapsus dadurch, daß er das Börsenblatt für den Deut schen Buchhandel zitierte und eine Gegenüberstellung der Bc- triebsgewinne der A k t i e n g e s e l l s ch a s t e n des gra phischen Gewerbes (!) anzog mit der Selbstver ständlichkeit, daß diese Aktiengesellschaften mit den bestreikten Leipziger Buchhandelsfirmcn identisch seien! Es scheint dem kenntnisreichen Herrn dabei gar nicht zum Bewußtsein ge kommen zu sein, daß weder der Buchhandel zu den graphischen Gewerben gehört, noch daß sich unter seinen Betrieben in Leip zig, soweit sie durch den Streik in Mitleidenschaft gezogen wer den, überhaupt Aktiengesellschaften befinden! Aber er brauchte solches Material, weil er wußte, daß man mit Zahlen impo nieren kann. Woher er sie bezog und ob sie in dem betreffen den Falle auch anwendbar waren, scheint ihm höchst gleichgültig gewesen zu sein. Der Zweck heiligt selbst die lächerlichsten Mit tel, wenn es gilt, dem naiven Zeitungsleser Sand in die Augen zu streuen. Man merkt deutlich, daß den Streikenden ein tieferer Einfluß aus die Art des Pressefeldzuges gar nicht eingeräumt worden ist. Sie müssen sich den Führern des Transportarbeiter-Verbandes und den Federhelden ihres Ge nossenblattes fügen, die ihre Arbeit nach dem sattsam be kannten Schema verrichten. Aus dem Betriebe des Verkehres im Leipziger Buchhandel ist ein Rad ausgeschaltet und durch ein neues ersetzt, das aber nur nach und nach in Gang kommt. Man kann nur wünschen, daß aus dem Chaos eine neue Vcrkehrsreform ent steht, die eine bessere Gewähr für die Sicherheit der buch- händlerischen Verkehrseinrichtungen gibt, als die kampflustigen Markthelfer, deren Lohnbewegung seit einigen Jahren wie eine drohende Wolke über dem Ganzen schwebte. Die einge tretenen Störungen im Verlage und Sortiment sind zu ertra gen und bei weiten nicht so schlimm, wie eine große unvor hergesehene Stockung in den Tagen vor Weihnachten gewesen wäre. Die Politik des Hilfsverbandes ist daher nicht allein eine Wahrnehmung der eigenen berechtigten Interessen, son dern eine dem ganzen Buchhandel zugute kommende Prohi- bitivmaßregel gegen Überfälle eines Gegners, dem jedes Mit tel zur Erreichung des gesteckten Zieles recht ist. Denn die Moral unserer großen Arbeiterpartei gibt ihren Angehörigen einen fast unbeschränkten Spielraum in der Wahl der Kampf mittel, die bei den sogenannten herrschenden Klassen durch An stand und Sitte ihre natürliche Begrenzung erfährt. Man sagt sich, daß solche Kämpfe, auf den Boden größerer Sachlichkeit gestellt, doch Wohl schneller zu einem für beide Teile annehmbaren Frieden führen müßten. Dann darf der wirtschaftlich schwächere Teil auch viel eher auf die Sym pathien der Allgemeinheit rechnen, die für ihn ein besserer Helfer sein kann, als die Leipziger Volkszeitung oder die Flugblätter, deren Ton und Inhalt man schon kennt, ehe man sie gelesen hat. Dieser innere Kamps und die Befürchtungen, daß die un sichere Politische Lage unter Umständen nachteilig auf das bc vorstehende Weihnachtsgeschäft einwirken kann, stehen in, Mittelpunkte des Interesses im Leipziger Buchhandel. Manche schöne und interessante, ebenfalls mehr oder minder den Buch Handel betreffende Dinge treten dadurch von selbst ein wenig in den Hintergrund. Unser Kunstverein, der in diesem Jahre auf sein fünfundsiebzigjährigesBestehen zurückblicken kann und aus diesem Anlaß eine sehr sehenswerte Jubiläumsaus stellung in seinem Domizil im Städtischen Museum veran staltet hat, erfreute sich von Anfang an der lebendigen Anteil nahme und tatkräftigen Förderung bedeutender Persönlichkeiten des Leipziger Buchhandels. Unter den Bildnissen der Grün der des Vereins erblickten wir Hermann Härtel (Breitkopf L Härtel), gemalt von Theodor Grosse, und unter den För derer« des Museums das von Friedrich August Kaulbach ge malte vorzügliche Porträt des Stadtrates und Verlagsbuch händlers Alphons Friedrich Dürr. Die Ausstellung selbst enthielt eine beschränkte, aber desto sorgfältiger getroffene Auswahl von Werken meist lebender Meister der Gegenwart. Unter einigen für das Museum daraus gemachten Ankäufen verzeichnen wir ein wundervolles Frauenbildnis von Albert von Keller und ein Selbstbildnis Max Liebermanns (das be kannte mit dem Strohhut). Unter einer Anzahl aus Leipzig stammender Künstler begegneten wir auch den Namen Otto Grciner, Thomas Theodor Heine und Oskar Zwintscher, des sen sarbprächtiges Öldildnis Professor Karl Lamprechts im Rektor-Ornat der Leipziger Universität die Augen aller Be schauer auf sich zog. Neben diesem starken für die Kunst in Leipzig herrschenden Interesse haben wir eine große und zum Teil sehr bemerkens werte Produktion auf allen Kunstgebieten. Davon legt auch Zeugnis ab die freilich mehr auf das rein graphische Gebiet Rücksicht nehmende Ausstellung des Leipziger Künstlerbundes im Buchgewerbehause, die sich über den Monat November bis Anfang Dezember erstreckt. Im Mittelpunkte dieser Ver anstaltung stehen die Namen Heinz Dörffel, Richard Grimm- Sachsenberg und Erich Grüner. Im Saale der alten Drucke befindet sich außerdem eine Sonderausstellung graphischer Arbeiten von Theodor Schultze-Jasmer, Leipzig. Viel weniger laut spricht das literarische Leipzig zu LVS3»