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Redaktioneller Teil. 215, 15. September 1916. Dann traf der Feind uns mit schwerem Kaliber, es gab Tote und Verwundete, wir mutzten räumen, wieder mar schieren ... bis wir nun dahin kamen, wo wir unsere Zelte auf schlugen. Noch am Abend dieses Tages muh ein Teil von uns in Stellung. So schnallen wir das Sturmgepäck auf Rücken, die noch von der Last der Tornister schmerzen, stülpen die Stahl helme stirnticf über den Kopf und schreiten hintereinander in den Feuerrachen der Front. Weit schlagen die Pranken dieses Ungeheuers. Sie langen über Kilometerfernen hinweg in die hohen Kornfelder und drücken Dörfer und Städte platt auf den Erdboden. Sie kommen heulend durch die Luft gefahren, so schnell, datz ihre Strecken Glutbahnen sind, sie fegen schreiend über die bebende Erde, die sich im Schmerz prasselnd gegen den Himmel wirst. Helle Schenkel der Scheinwerfer stehen steilhoch. Sekunden lang starrend. Dann werfen sich die leuchtenden Radien lang hin, schlagen wieder hoch und wandern von neuem den .Halbkreis, wie die Zeiger einer gewaltigen Uhr, — oder sie peitschen die Nacht gleich dünnen geschälten Ruten. Manchmal saugen sie einen Flieger in ihre Helle, der wie eine lichtgeblendete Motte gegen die schwarzen Kegelwände stützt und immer wieder in die Helle zu- rückfällt, bis grüne Keltenkugeln die Abwehrkanoncn richten. Immer näher kommen wir, immer lauter, tosender wird der Orkan der Geschütze. Wir müssen rufen, wenn wir uns hören wollen. In den Trümmern des Dorfes B. wühlt die feindliche Ar tillerie; sie wirft Gebälk und Steine krachend ineinander, reitzt Riesentrichter auf und schüttet sie wieder zu. Immer, schon seit Wochen. In beizender Brnndluft klettern wir darüber hin und komme» zu Tal. Durch mannshohes Schilfgras bahnen wir unser» Weg; wir sacken wechselnd in Granat- und Sumpflöcher, stehen aber schließ lich an der Somme und finden den Brückensteg, der heute hier und morgen da ist, dem die feindliche Artillerie mit schnellen Geschossen nachfllhlt. Auf schwankenden Brettern überschreiten wir diesen Flutz furchtbarsten Namens, vorsichtig, einer weit nach dem andern, um drüben wieder zur Höhe zu steigen, zur weiten schutzlosen Fläche. Durch brusthohes Getreide führt die Gasse zur Stellung, ein schmaler schrapnellbestrichener Weg. Immer stärker zittert die Erde unter uns. Es ist, als wolle sie das Korn hier selbst entsamen. überall zucken Leuchtkugeln nervös gegen den dunkelroten Himmel und gietzen gleißende Helle lveithin über die Felder. Aus allen Fernen starren die glühen den Gerippe brandgeschosscner Gehöfte, Fenerdörfer wälzen schwarzen Qualm. Hinter Büschen lauern Feldbattcrien, in Erdfaltcn liegen Reserven und Verwundete. Eine lange Reihe Essenholer qucrt unfern Weg. Wie Schat tenbilder heben sie sich aus der Hellen Front. Ein Bild voller Schauder und Erhabenheit, wie sie da mit ihren Siegfried helmen durch das glutende Kornfeld ziehen. Ununterbrochen funken Batterien aller Kaliber. Ein Ge schoß jagt das andere; es ist, als müßten sie gegeneinanderrasen, als sei alle Luft Eisen, dröhnendes, donnerndes, klirrendes Eisen. Und je weiter wir Vorgehen, mit jedem Schritt singt der Tod neue Melodien um uns. Eine Kette von Gasgranaten huscht wie ein Wildentenschwarm iiber uns hinweg in das Hinterland; Maschinengewehre über klopfen das Gelände; Aufschlagschrapnclls mähen sirrend, »nd die kleinen Spitzkugeln singen dazu wie Bienen im Honigmond. Schon reichen die Leuchtkugeln der Franzosen zu uns, diese lieblichen Feuerwerke, die sich langsam am seidenen Fallschirm niedcrsenken. Jedesmal, wenn sie raketengleich auffahren und sich über uns wie ein flackerndes Licht zur Gleiße entzünden, stehen wir bewegungslos. Nur in den kurzen dunklen Zeit räumen können wir uns vorwärtsschieben. 1202 Da endlich erreichen wir den sichernden Annäherungsgraben, der in kurzen Windungen zur ersten Linie stößt. Wir schlichen uns eng auf, um kurz zu bleiben, denn hinter uns kommen »och viele, die nach vorn müssen. Alle, die ausge- schwärmt über das Feld kamen, drängen sich durch diesen engen Schlauch vor. Und immer wieder müssen wir uns dicht an die Grabenwand stellen, es kommen Ambulanzen mit Toten und Verwundeten, Munitionsträger, Meldegänger, Offiziere und Ab lösungen; fortwährend fangen wir uns in den Drähten der Te- lephonleitungen und haken in den Stacheldrahtrollen fest, die noch heute nacht aufzustellen sind. In kleinen seitlichen Nischen, in Minen- und Granatrissen hocken Ruhende, halbsitzend, halbstehend ... sie wollen ja nur schlafen . . . nur schlafen, irgendwie. Unp sie können es, kauni datz sie merken, wenn unsere achtlosen Füße gegen sie treten. Wir kommen zur ersten Linie. Was ist sie, seit wir die Front zurückbicgen mutzten! Ein wandernder Graben, gebildet aus schnell ausgcworfeuen Schützenlöchern, unregelmäßig, eng, Schutz gegen Sicht, nichts mehr. Aber diese Soldaten da! Diese deutschen Soldaten mit dem deutschen Siegfriedhclm, mit der Faust am heißen Gewehr, mit den ehernen Gesichts zügen von Mut, Liebe und Grauen, diese Heroen, denen Minen und Granatfencr immer wieder alles einebnen, so zuschlltten, datz sie obenauf liegen müssen, nur ein paar Hände voll Sand vor sich . . . und der Feind trommelt drüben aus starker Stel lung und wirft hunderttausend Zentner Sprengmunition in klir renden Minentöpfen herüber, daß die Lust doll ist von haar scharfen, rasend rotierenden Messern und die Erde haushoch gegen den Himmel spritzt — diese Männer an der Somme sind die Wehr im letzten ungeheuerlichsten Orkan dieses Krieges, hinter der ihr in der Heimat sorglos und voller Zuversicht zur hohen Ernte gehen könnt! Diese kleine, wunderfeine Mandoline . . . Am Morgen, der noch von der Nacht fror, kam ich aus der Stellung zurück, da vorn von der blutsaugenden Somme. Das Quartierdorf schlief. Nur die Posten der Bagage und Ortskommandantur schritten laut über die holprige Straße. Ein Hund bellte gegen das Frührot, in dem der bleiche Mond stand. Müde und nervenmatt schleppte ich das Sturmgepäck. Was- fenrock und Hemd waren so weit geöffnet, datz die frische Mor genluft an die heiße Brust drang; das Gewehr hing schräg davor, selbst müde und schlafend. Der junge Wind wehte den dicken kalkträchtigen Staub sichtlos vor mir her. Auf meinem Zeltquartier im Obstgarten lag der Frühtau. Aber ich ging daran vorüber. Automatisch, wie man etwas tut, über das man sich selbst keine Rechenschaft geben kann, kam ich an die Kompagnieschreibstube, stand eine Weile apathisch vor dem neuen Hauptquartierbericht, den eigentlich zu lesen das Licht noch zu schwach war, und sah mich, so ohne rechte Gedanken, im Hofe um. Man kennt dieses Bild: alles fein säuberlich gekehrt, die Gerätschaften in kalter Ordnung aufgestellt und darüber der Weiße Staub der Etappenstratze. Wie ich aber so stehe und hindöse, selbst nicht wissend, warum ich mich nicht schlafen legte, singt aus der Stille ein feiner zitternder Saitenton. Ich stutze und lausche. Und wieder klingt es wehmütig, ganz sanft wie leichter Harfenschlag, aus der Stille. Da fällt mir etwas ein, Seltsames. Mir ist, als kennte ich diesen Klang, und ich kann doch nicht fassen, woher er ist. Grübelnd setze ich mich auf das an die Hauswand gerollte Brunnenrohr, stütze den Kopf aus die Knie und schlafe wohl ein. Aber meine Seele hört immer wieder diesen kleinen, feinen, wehem Harfenschlag.