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Nr. 80. i' eigencn Anzeigen zahlen ' ' 32 M. statt 3S IN. LH^MüinLMöMMrUns'öÄ'SMWeW Leipzig, Freitag den 9. April 191S. 82. Jahrgang. Redaktioneller Teil. Die Krieqsliteratur der Engländer. Von Philipp Rath in Berlin-Wilmersdorf. Als Thomas Carlyle am 1i. November 1870 seinen bekann ten Brief an den Redakteur der »Times« schrieb, in dem er die deutschen Ansprüche Frankreich gegenüber verteidigte, schloß er ihn mit den bedeutsamen Worten: »Mrat noble, xatient, cieex, pious and solid Oerinanv sbould bk nt lellAtb rvelded into L Xa tion, and beeome tzueen ok tbe Oontinent, instend ok vngoniinA, vainZIorious, gestienlnting, gunrrelsome, restless and over-ssnsi- tive b'ranve, seems to me tbe bopskulest public kaet tkat bas oecm- red in M)- time«. Zu deutsch: »Daß das edle, geduldige, gründliche, fromme und ordentliche Deutschland nun Wohl endlich zu einem Reiche zusammengsschweitzt und die Herrscherin auf dem Fest lande werden wird anstatt des launischen, ruhmredigen, gestiku lierenden, streitsüchtigen, unsteten und überempfindlichen Frank reich, das scheint mir das verheißungsvollste Politische Ereignis zu sein, das in meiner Zeit geschehen ist.« Goldene Worte, von einem der größten Kenner Deutsch lands, aber vergeblich gesprochen. Denn seine freundliche Gesinnung hat keine allgemeine Anerkennung gefunden, keine nachhaltige Wirkung gehabt. Hält man hiergegen einen Ausspruch Kants, der auch heute noch Wort für Wort gilt: »Die englische Nation (Zeus), als Volk (populus) betrachtet, ist das schätzbarste Ganze von Menschen im Verhältnis gegen andere betrachtet. Aber als Staat gegen andere Staaten das verderb lichste, gewaltsamste, herrschsüchtigste und kricgserregendste unter allen«, so versteht man, datz^obwohl auch jetzt noch zahlreiche eng lische Nichtpolitiker denken, wie Carlyle sprach, wir uns doch mit dem Staate England im Krieg befinden, in einem Kriege auf Leben und Tod. Dem Staate England erschien der wachsende Einfluß des Deutschen Reiches gefährlich, und so haben seine Politiker schon seit Jahren den Krieg geschürt, meist heimlich und unter der Hand, während die beiden Völker wenn auch nicht in ihrer Gesamtheit, so doch im großen und ganzen eine gegenseitige Feindschaft nicht kannten. »IVe nie on tbe »vronA sids« — »wir sind ja auf der falschen Seite!«, soll, wie berichtet wird, der Aus ruf von Engländern gewesen sein, die durch die Kriegserklärung an Deutschland überrascht waren. Mag es wahr sein oder nicht, unmöglich wäre das keinesfalls. Trotz alledem handelt es sich in dem jetzigen Völkerkrieg um den Kampf Englands gegen Deutschland. Merkwürdigerweise aber sind die beiden Länder, um die es sich dreht, auf ihrem eigenen Boden in der Hauptsache von der Kriegsfurie verschont geblieben. Auf dem Gebiete der englischen Verbündeten tobt der Kampf. Während die wirtschaft liche Kraft der Belgier, Franzosen und Russen schon verhängnis volle Schläge erlitten hat, steht die der beiden hauptbeteiligten Staaten durchaus ungebrochen da. Das zeigt sich auch in der literarischen Produktion, vor allen Dingen aber in der überfülle der Kriegsliteratur in beiden Ländern. Dem Kampf der Waffen hat sich der der Federn gesellt. Wie er von England aus geführt wird, das soll im folgenden eine Übersicht der von August bis Dezember 1914 erschienenen Bücher und Broschüren zeigen. Das kann natürlich nur in großen Zügen geschehen; denn die Zahl der einzelnen Erscheinungen in diesem Zeitraum beträgt rund 700, wobei die als Kriegsnummem ausgegebencn Hefte der illustrier ten, der politischen, literarischen und anderer Zeitschriften nicht berücksichtigt find. Ganz beiseite werden die erst nachträglich zur Kriegsliteratur aufgefrischten älteren Publikationen gelassen, wie sic nach einem Rezepte, das der »LookseUsr« am 21. August 1914 gab, entstanden sind. Es hieß da: »Viele Verleger haben unter ihren Publikationen Bücher Uber Gegenstände der Marine und des Militärwesens, die in Friedenszeiten nicht genügende Beachtung gefunden haben. Wenn diese, neu gedruckt und wo möglich noch mit einigen Bemerkungen über die gegenwärtige Krise versehen, zu volkstümlichen Preisen angeboten werden, so mögen sie jetzt Wohl das Gefallen der Käufer finden.« Man ist der Mahnung gründlich nachgekommen. Geschäft ist eben Geschäft! Von vornherein ist zu betonen, daß der größere Teil der englischen Veröffentlichungen, die hier erwähnt werden, dem Vertrieb im deutschen Buchhandel entzogen bleiben muß. Teils aus politischen, teils aus militärischen Gründen sind sie häufig bedenklich oder gefährlich, dabei enthalten viele außerdem noch Majestätsbeleidigungen in solcher Fülle und von solcher Schwere, daß sie von den überwachungsstellen unweigerlich beschlagnahmt werden. Den höchsten Zivil- und Militärbehörden des Reiches freilich, auch einzelnen größeren Bibliotheken stehen sie, damit die ganze Bewegung verfolgt werden kann, in ihrer Gesamtheit zur Verfügung. Die ganze Kriegsliteratur beginnt mit den offiziellen Doku menten, die den beiden Häusern des Parlaments auf Befehl Seiner Majestät des Königs von England (ünxers bx oommnnd: »s6d. 7467.j« oder »Lliseellnneous. dlo. 6 (1914)« bezeichnet) am 6. August vorgelegt wurden, diesmal nicht als »Line Loob«, sondern als ein »Mbit« Unxer«. Der Titel der umfangreichen Druckschrift (XVI u. 77 S. in Folio) lautet: »Oorrespondencs respeetinZ tbe Lniopsnn crisis«. Es besteht der begründete Ver dacht, daß eine Anzahl der hier veröffentlichten Dokumente für den Zweck, dem ihre Veröffentlichung dienen sollte, zurechtgestutzt wurde. Ganz offenbar ist das bei Nr. 105, einem Brief Sir Ed ward Greys an Sir Francis Bertie, den britischen Botschafter in Paris, datiert »lkorsign Ollice, dul^ 30, 1914«. Dieser Brief hatte 3 Einlagen (enelosures 1—3), eine vom 22. November 1912, eine zweite vom 23. November 1912 und eine dritte, eine De pesche von Mr. Viviani in Paris an Mr. Paul Cambon in Lon don, datiert: »Unris, le 31(!) duillet, 1914«. Eine reine Un möglichkeit. Die Unrichtigkeiten sind aber damit noch nicht zu Ende. Der 31. Juli dieses Jahres war ein Freitag. Nun heißt es in der Depesche: »U'nrnwe nllemsnde n ses nvnnt-postes sirr nos bornes-krontieres, dier vendredi« — in der danebenstehenden englischen Übersetzung: »z-esterdax (lkridaz-)«. Daraus zu schlie ßen, wäre sie überhaupt erst am 1. August aus Paris abgegangen! Es ist ein bösartiger Zufall, der die englische Regierung in ihrer Sammlung offizieller Dokumente ein solches »Versehen« begehen ließ. Alsbald darauf aufmerksam gemacht, hat sie es »verbes sert«, aber nicht gerade mit Glück. Sie hat den ersten Druck eingezogen und einen zweiten hergestellt, in dem sie einfach das Datum der dritten Beilage gestrichen, aber — der böse, böse Zufall — das »vier vendredi — xosterdn^ (lkrida;-)« hat stehen lassen. Diese Unstimmigkeit ist dann erst später in einem dritten Druck durch Ausmerzung der Worte »vendredi« und »?ridnz-« beseitigt worden, berichtigt kann man ja Wohl nicht 481