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34, 10. Februar 1912 Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dlschn. Buchhandel. 1798 Nichtamtlicher Teil, Neue Veröffentlichungen der Gutenberg-Gesellschaft. i. Vor dreivtertel Jahrhundert ist die erste Bibliographie der Inkunabeln vollendet worden, und sie ist heute noch das maßgebende Werk. Ein stiller Gelehrter. Ludw. Hain, hat das Riesenwerk unternommen, dessen Vollendung er nicht erleben sollte. 1781 zu Stargard geboren, war er 1812 in der Redaktion des großen Brockhausschen Lexikons in Leipzig beschäftigt, dann zog er nach München, wo er hauptsächlich auf Grund der dortigen großartigen Schätze der Bayrischen Hof- und Staatsbibliothek die Inventarisierung der Wiegendrucke unternahm. Bei Cotta erschien 182k der erste Teil seines Werkes, das den Titel führt: »Repertorium bibliogrspbioum, in quo libri omues ab arte tzrpograpbica inveuta usguo nä »unnm 810«; 1838. zwei Jahre nach dem Tode Hains, wurde das Werk mit dem Erscheinen des 4. Teils vollendet. Es werden darin 16 299 Werke notiert und beschrieben, aber es war von vornherein klar, daß. wenn einmal die Existenz so vieler Tausende von Inkunabeln festgestellt worden war. die Vollständigkeit des Welkes als ein Ding der Unmöglichkeit erscheinen mußle. Nach einem halben Jahrhundert unternahm es W. A. Copinger, der Präsident der Liblioxrapbiesl Loeiet^ in London, das Werk Hains zu vervollständigen und. wo es nötig war, zu berichtigen; besonders der letzte, nach Hains Tod er schienene Band ist am wenigsten zuverlässig. Copingers Supplement to Uaiu's Rep. bibi. erschien 1898 in 2 Teilen, deren erster fast 7000 Berichtigungen und Ergänzungen brachte, während der zweite annähernd 6000 Titel auttührte. die Hain entgangen waren. Der Bibliothekar des Börsen vereins der Deutschen Buchhändler. Konrad Burger, gab 1902 in London bei Henry Sotheran L Co., wo auch das Copingersche Werk erschienen war. ein Register zu Copinger heraus unter dem Titel: »lös Printers Lvä publisbsre ok tbs XV. esoturz- «itb lists ok tbeir rvorbs«. nachdem er schon 1891 Register zu Hains Repertorium veröffentlicht hatte (Leipzig, Otto Harrassowitz). Endlich hat dann noch vr. pbil. Dieter Reichling am Münfterschen Paulinischen Gymnasium von 1905—1910 ein Werk in 6 Faszikeln bei Jacques Rosenthal in München veröffentlicht: »Lxpon- äiess aä blainii-tlopinqeri rsport. blbl. aääitivnss et omsn- äationss». wozu 1911 ein Register erschien. Reichling konnte wiederum annähernd etwa 2000 neue Inkunabeln buchen, aber mit diesen 24 000 Titeln dürste die Inventaraufnahme des 15. Jahrhunderts ziemlich erschöpft sein. Die bekannten Bibliotheken sind allerorten durchforscht*), und es wäre nur möglich, daß eine unbekannte Prioatbibliothek noch irgend etwas Wesentliches herbeibrächte. Eine solche Privatbibliothek war diejenige des verstorbe nen Lord Amherst of Hackney. eines eifrigen Bibliophilen, der zu einer Zeit, als sich in England für die alten Drucke noch niemand interessierte, sie sammelte. So erwarb er 1868 ein Catholicon, und es freute ihn, wenn er in seiner Bibliothek einem Besucher zwei Exemplare eines alten Druckes auf weisen konnte, von dem die gewiegtesten Bibliographen be hauptet hatten, es gebe nur drei bis fünf Exemplare. Ver mögensverluste zwangen diesen Bücherliebhaber 1808, sich seiner Bibliothek zu enläußsrn, und diesen Schmerz überlebte er nur wenige Wochen. *) Die Kommission sür den Gesamtkatalog der Wiegendrucke, die ihre Arbeit im Juli IStl abgeschlossen hat, stellte fest, daß 878 Bibliothelen Inkunabeln besitzen. Die Sgl. Bibliothek in Berlin hat einen Bestand von 6000, die Hof- und Staatsbibliothek IN München 21000. Im ganzen wurden 148 484 Inkunabeln inventarisiert. Schon früher hatte Lord Amherst of Hackney den Biblio graphen Seymour de Ricci in Paris gebeten, einen be schreibenden Katalog seiner Bibliothek zu schaffen und nun hat er eine vollständige Bibliographie aller Mainzer Drucke und mit in Mainz entstandenen Typen hergestellier Werke von 1445 bis 1467 zustande gebracht, abschließend mit dem vermutlichen Todesjahr Fusts.*) Zu diesem Zwecke hat Ricci England, Deutschland und Italien bereist und die öffentlichen und privaten Bibliotheken besucht, die einen Nutzen für seine umfassende Arbeit zu geben versprachen. Wohin er nicht selbst kommen konnte, da sicherte er sich gewissenhafte und sachkundige Mit arbeiter. und die Kommission zur Inventarisierung der In kunabeln in Deutschland hat ihm gute Dienste geleistet. Die Gutenberggesellschaft hat die Veröffentlichung übernommen; der hohen Herstellungskosten wegen gilt das Werk als VereinS- gabe der Mitglieder für die beiden Geschäftsjahre 1908/09 und 1909/10. Der Katalog befand sich, wie dem am 25 Juni 1911 eistaitelen Jahresbericht der Gesellschaft zu enlnehmen ist, seit Januar 1910 im Druck, der anscheinend große Schwierigkeiten bereitet hat. Offenbar mußte während des Druckes, den Direktor Schwenke in Berlin größienteils überwacht hat. noch manche Korrektur berücksichtigt werden. Es ist aber ganz selbstverständlich, daß der Katalog auch in seiner jetzigen Gestalt nicht das Unikum ist. an dem nichts mehr auszusetzen, zu berichtigen und zu ergänzen wäre: Kritiken, die übrigens den Hütern von Jnkunabelschätzen überlassen bleiben müssen. Jedenfalls ist das Werk außerordentlich dankenswert als Versuch einer Zusammenstellung der ältesten Druckwerke der ersten beiden Jahrzehnte nach der Erfindung Gutenbergs aus den Oifizinen des Erfinders und seiner Nachfolger Fust und Schösser. Die Schwierigkeit, alte Drucke mit einiger Sicherheit einer bestimmten Osfizin zuzuschreiben, ist aber sehr groß, besonders auch weil mit dem teuern Letternmaterial Handel getrieben worden ist. So kann es Vorkommen, daß ein Druck mit den Lettern Gutenbergs oder Schöffels gar nichts mit diesen Druckern zu tun hat und viel später das Licht der Welt erblickt hat. als Werke, die mit derselben Type von jenen ersten Druckern stammen. Ricci hat deshalb die ihm bekannt gewordenen Drucke nicht nach Oifizinen zusammen gestellt. sondern — einem Vorgang deutscher Bibliographen folgend — sie nach Typen geordnet. Als älteste bringt seine Darstellung die Type der gkzciligen Bibel, die aber ver schiedene Entwickelungsstusen bzw. Güsse aus denselben Formen durchgemachl hat. Es sind deshalb unterschieden: die Donar- lype, die Kalendcrtype. die Pfistertype (36 zeitige Bibel) und die damit identische Type weiterer Pfisterdrucke. Als aller erstes der bekannten Druckwerke stellt Ricci das Fragment des deutschen Sibyllenbuches des 14. Jahrhunderts an die Spitze, das nach zwei früheren Kölner Drucken von Oskar Schade in seinen »Geistlichen Gedichten des 14. und 15.Jahr hunderts vom Niederrhein» herausgegeben wurde. Das in Mainz 1892 aufgetauchte B ältchen ist im Jahre 1903 durch Herrn Eduard Beck dem Gutenberg-Museum geschenkt worden. Es ist von Interesse, an der Hand Riccis die Ent wickelung und den Gebrauch dieser verschiedenen Lettern- typen zu verfolgen, deren erste Gillenberg zugeschrieben wird. Während der Zeit der Verwendung der ältesten, der Donat- schrift. taucht dann das zweite große Typensystem auf, das man nach dem Hauptwerk die Type der 42zeiligen Bibel nennt. <1448—1487).^ Mainz, Verlag der Stttenberg-G-s-llschast. III unb 188 Seiten, 1 Tasel. 2L1»