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248 f. d. Ttschn. Bucht,and-I, Nichtamtlicher Teil. S, 8. Januar 1912. Nichtamtlicher Teil. Die weitere Ausgestaltung des Leipziger Kommissionsgeschäfts und Barsortiments. m. Eine Entgegnung an Herrn S. von Paul Nitschrnann. Der nach mancher Richtung interessante Aufsatz des Herrn S., den die erste Nummer des Börsenblattes unter obiger Spitzmarke bringt, darf nicht lange unerwidert bleiben. Solange der Herr Verfasser, dessen bescheiden hinter einem schlichten S. verborgene Persönlichkeit man wohl nicht weit von den großen Barsortimentskonzernen zu suchen hat, seine Pläne im Busen trug und nur wenige Eingeweihte etwas von ihnen wußten, konnte man der Entwicklung der Dinge ruhig zusehen. Etwas anderes ist es, wenn am ersten Arbeitstage des neuen Jahres Herr S. gewappnet in die Arena des Buchhandels sprengt und auf der Spitze seines Speers dem Gesamtbuchhandel ein Geschenk präsentiert in Form einer gewaltigen Kommissions- und Barsortiments aktiengesellschaft, bei der jeder, auch der winzigste Provinz sortimenter sich beteiligen und Sitz und Stimme erhalten kann. Also heranspaziert, meine Herrschaften, und zu gegriffen! (Verletzen Sie sich, bitte, an der Spitze nicht!) Herr S. singt uns zunächst die zweite Strophe des Liedes vom Niedergang des Barsortiments. (Die erste haben wir Glücklichen, die wir die vorläufig endgültigen, renovierten Lieferungsbedingungen mit schaffen durften, in wochenlanger Memorierarbeit uns zu eigen gemacht.) Von den Lieferungsbedingungen ist bei Herrn S- jetzt nicht mehr die Rede, zu neuen Ufern lockt ihn ein neuer Tag. Fusio nierung der Barsortimente, Aufsaugung aller ganz- oder halbselbständigen Kommissionäre, »Festsetzung von Bedingungen für den Verkehr mit den Kommittenten, die wesentlich un günstiger sein können als die durch die freie Konkurrenz entstandenen», eventuell auch Vorschrift der Lieferungs bedingungen des Verlags! Das ist der Sylvesternachtstraum des Kollegen S., der erste Fühler, den der Polyp langsam tastend vor der Umklammerung ausstreckt. Die Form des geplanten Universalgeschäfts ist für Herrn S. vollkommen klar: es ist die Aktiengesellschaft. Damit ist auch die Frage erledigt, was mit den aus gesogenen Kommissionären anzusangen ist, sie werden Direk toren oder Ausfichtsräte. (Wenn der Wind darüber hingeht, sind sie nicht mehr, und ihre Stätte kennest du nicht mehr.) »Was ist heute schließlich das Geschäft von F. Volckmar?», fragt sich und uns Herr S. »Eine große Familienaktien gesellschaft mit 6 Direktoren. Wie heule der Gesamtbuch handel gegen diese Einsprüche nicht zu erheben hat, wird er es ebensowenig tun, wenn der Leipziger Kommissionsbuch handel sich weiter zu einer großen Aktiengesellschaft, an deren Spitze die bisherigen Kommissionäre als Direktoren oder Ausfichtsräte stehen, entwickelt.» Ich muß Herrn S. wider sprechen. Sehr energisch muß und wird der Gesamtbuchhandel Einspruch erheben gegen -die von Herrn S. erstrebte zu nehmende Vertrustung bei uns! Mir Mißtrauen, mit Arger, mit Verbitterung und anderen höchst unchristlichen Gefühlen betrachten wir seit langer Zeit das Hinschwinden ehemals blühender Leipziger Kommissionsbetriebe, sehen sie einen nach dem andern in den bekannten Groß-Firmen ausgehen, noch eine Zeitlaug ein Schattendasein unter eigener Firma führen und dann verschwinden aus Nimmerwiedersehen. W Und was wäre wohl das Endresultat, wenn die Träume des Herrn S. in Erfüllung gehen sollten? Etwa eine Ge sundung der Verhältnisse im Barsortiment und Kommissions geschäft? Eine Spesenersparnis großen Stils? Ein Vorteil für den Buchhandel? Der Kundige weiß, daß das alles nicht der Fall ist. Je größer die Konzerne geworden sind, desto unrentabler haben sie sich gestaltet, desto lauter sind ihre Klagelieder angestimmt worden. Und das sollte sich ändern, wenn diese Betriebe noch größer, noch unübersichtlicher werden, wenn statt sechs Direktoren dreißig sich in die Leitung teilen, wenn Aussichtsrat und Generalversammlung, Börsenverein, Verlegerverein, Kreis- und Ortsoereine Hineinreden dürfen als Mitbesitzer des Aktien-Kapitals, ohne doch jemals nennenswerten Einfluß ausüben zu können, da der weitaus größte Teil des Aktienbesitzes naturgemäß immer in den Händen der ehe- maligen Firmeninhaber sein wird. Oder ist es nicht so ge dacht, Herr S.? Von der Idee eines genossenschaftlichen Unter nehmens, das, gesund aufgebaut, pekuniär unabhängig und vom Gesamtbuchhandel im Interesse der eigenen Tasche unterstützt, ein Segen werden könnte, ist der Plan der kapi talistischen Gründung des Herrn S. durch eine Welt ge trennt. Machterraffung und aus Grund der errafften Macht Festsetzung der Verkehrsbedingungen sind die deutliche Si gnatur dieses Planes. Herr, schütze mich vor meinen Freunden! mögen die Barsortimenter im Hinblick auf die Ausführung des Herrn S. ausrusen. Wir alle aber dürfen Herrn S. und seinen Anhängern keinen Zweifel daran lassen, daß der Buchhandel eine Fortsetzung des Aufsaugungsprozesses im Kommissionsgeschäft und Bar sortiment als eine Gefahr, als eine gegen ihn gerichtete Waffe betrachtet, gegen die er, wenn er will, nicht machtlos ist. Denn wer will mich hindern, meinem Kommissionär, bei dem ich »Umzugsgelüste» wahrnehme, die Freundschaft zu kündigen? Wir alle, Verleger wie Sortimenter, haben ein'Lebens interesse daran, uns in Leipzig einen Stamm unabhängiger und kapitalkräftiger Kommissionäre zu erhalten. Darum ist es unsere Pflicht und unser Interesse, die Kommissionäre, die heute noch auf festen Füßen stehen, zu halten und nach Kräften zu fördern. Sollte aber der Plan des Herrn S. jemals in die Wirklichkeit umgesetzt und das unabhängige Leipziger Kommissionsgeschäft vernichtet werden, dann werden wir keine bessere Aufgabe haben, als es neu zu schaffen; denn es hat sich bewährt, lange bevor die Bäume der großen Konzerne die Absicht gezeigt haben, in den Himmel zu wachsen. In der Forstwirtschaft ist es so, daß einem allzu ungesunden Wachstum die Wurzelsäule oder die Axt in der Regel ein Ziel setzt — und das ist gut so. Jur Reform des Verkehrs des Verlages mit dem Großstadtbuchhandel. Die Mißstimmung zwischen Sortiment und Verlag hat, wie jeder Kenner der Verhältnisse weiß, einen so hohen Grad erreicht, daß es so nicht weitergeht. Die gegenseitige Erbitte rung hat es so weit kommen lassen, daß beide Parteien nur den Splitter in des andern Auge sehen, den Balken im eigenen jedoch nicht. Wenn es zu einer Verständigung kommen soll, müssen beide Parteien erst einmal aus hören, die Schuld an der jetzigen Misere nur bei der andern Partei zu suchen. Meines Erachtens müßte eine Kommission von Verlegern und Sortimentern eingesetzt werden mit dem Ziele, großzügige Reform vorschläge auszuarbeiten. Denn mit den bisher vor geschlagenen kleinen Mitteln ist das Übel nicht zu heilen; das mutz endlich einmal offen ausgesprochen werden. Ge-