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W 184, 10, August Ig2g. Redaktioneller Teil, Börsenblatt f. d.Dtschn.Buchhandel. Wie beim Studium der alten deutschen Meister der Druck kunst, setzt auch hier die seltsame und fast beispiellose Erscheinung in immer neues Erstaunen, das; die höchsten und vollkommensten Leistungen am Anfang der Entwicklung stehen, Werke, daran man sich in späteren Zeiten immer wieder bewundernd erinnert, auf die mau forschend und lernend zuriickkommt. Es wäre eine interessante Aufgabe, deu Ursachen dieser in der Geschichte der Künste einzig artigen Erscheinung nachzugehen. So ist also das Buch der Frühzeit schon vollkommen, sowohl in technischer als auch in ästhetischer Beziehung, und auch der Anfang des folgenben Jahrhunderts, des italienischen Cinquecento, läßt noch eine Fülle kostbarer und feiner Druckwerke entstehen, würdige Seitenstücke zu den glänzenden Schöpfungen der bildenden Kunst jener großen Zeit. Dann aber begann ein deutlicher Verfall der Buchkunst. Die Sorgfalt der Herstellung ließ nach, blasse Druck farbe, nachlässige Komposition fallen störend ins Auge, und die wenigen Werke dieser Zeit, die einen höheren künstlerischen Wert besaßen, verdankten ihn nicht ihren typographischen Vorzügen, son dern der Pracht und Üppigkeit ihrer Illustrationen, die das Buch beherrschen und die Arbeit des Druckers als ärmliches und gleich gültiges Beiwerk zurücktreten lassen. Eine starke Reaktion gegen diesen Zustand, der bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts herrschte, bildet das Auftreten des großen italienischen Druckers Giam- li a t t i st a Bodoni*). In seinen Anfängen von der französi schen Druckkunst angeregt und beeinflußt, gelangte Bodoni bald zu einer ganz persönlichen Eigenart, die in allen seinen Schöpfungen zum Ausdruck kommt. Sein Ziel war, die edle, an kein dekoratives Beiwerk gebundene, in sich ruhende Schönheit der Type wieder zur Geltung zu bringen. Er war selbst Schriftgießer und schuf Schriften von einfacher klassischer Schönheit; gleiche Aufmerksamkeit verwandte er auf technisch vollendeten, durch tiefe und glänzende Farbe ausge zeichneten Druck wie auf eine äußerst fein abgewogene, den ästheti schen Sinn vollkommen befriedigende Komposition. Die größte Ein fachheit und Klarheit ist für seine Werke charakteristisch, die die italienische Typographie, die in der vorhergehenden Zeit verkümmert und verwildert war, mit einem Schlage zu Glanz und Ansehen brachten. Doch Bodonis Kunst war zu sehr von seiner Persön lichkeit getragen, zu stark von seiner Eigenart durchdrungen, als daß sie ihn lange zu überleben vermochte. So stark sein Einfluß zu seinen Lebzeiten und in den ersten Jahrzehnten nach seinem Tode gewesen war, so rasch verlor er an Kraft, und schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts setzt ein neuer Verfall der Druckkunst in Italien ein, begünstigt durch die allgemeine Gleichgültigkeit gegen die schöne Form, die das leidenschaftliche Einsetzen der besten Kräfte für die Sache der nationalen Einigung zur Folge hatte. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts begann ein neuer Einfluß in der italienischen Druckkunst hervorzutreten. Durch den lebhaften Handelsverkehr mit Deutschland, der seit 1870 eingesetzt hatte und der deutsche Erzeugnisse wie Typen, Farben, Maschinen u. a. nach Italien brachte, kamen deutsche Einflüsse zur Gel tung, deutsche Typenformen tauchten auf, leicht verändert und dem italienischen Geschmack angepaßt, doch ohne daß sich aus dieser Be rührung neue und fruchtbare Entwicklungsmöglichkeiten ergeben hätten. Neue fremde Einflüsse, die von entscheidender Bedeutung werden sollten, wurden in den ersten zwanzig Jahren des 20. Jahrhunderts vorherrschend. Mit der Einführung der englisch-amerikanischen Ma schinen, der Setzmaschinen und Notationsmaschinen, gelangten anglo- amerikanische Typenformen nach Italien und wurden mit lebhaftem Interesse aufgenommen und nachgeahmt. Ihre klaren, unkompli zierten Formen sagten dem italienischen Geschmack mehr als die deutschen zu; besonders die amerikanischen Typen wurden sehr beliebt, um so mehr als sich bald die für die Italiener hochinter essante Tatsache herausstellte, daß sie auf alte italienische Typen zuru^gingen, daß also die italienischen Drucker, ohne es zu wissen, die Drucktypen ihrer eigenen großen Vergangenheit, wenn auch in fremder Verkleidung und Umformung, willkommen geheißen hatten. Mit um so leidenschaftlicherer Begeisterung verfolgte man jetzt in *) Die Bodoni-Literatur ist in den letzten Jahren, von dem grundlegenden, weiter unten genannten Werke Raffaello Ber- tieris abgesehen, stark angewachsen, namentlich in Italien. Vor allem ist die große Bibliographie des in Italien lebenden Eng länders H. C. Brooks »Compendiosa Bibliografia di Edizioni Bodo- niane« (Florenz, Tipografia G. Barbera; Luigi Gonnelli L Figli Editori 1927) zu nennen, die das Verzeichnis Giuseppe De Lamas von 1818, des Freundes und Mitarbeiters Bodonis, in starker Weise korrigiert und ergänzt und dadurch fast ersetzt. Eine umfassende deutsche Monographie gibt es noch nicht (die ist bis jetzt sogar erst wenigen deutschen Druckern zuteil geworden!). 864 Italien die gefundene Spur. Auf die eigene nationale Vergangenheit wollte man zurückgehen; von ihren schon so vollkommenen Formen wollte man sich zu neuen Schöpfungen anregen lassen. Dieser Ver lauf der Dinge wird in Italien nicht allgemein anerkannt. Es gibt Gelehrte, welche der Ansicht sind, die italienische Druckkunst habe aus der ihr fremden amerikanischen neue und fruchtbare An regungen erhalten, während andere in den fremden Mustern die eigenen nationalen Vorbilder wiedererkennen, deren sich die fremden Nationen schon vor ihnen bemächtigt haben. Die Produktion der ersten Jahrzehnte unseres J-ahrhunderts in Italien zeigt, was unter dieser Anregung, getränkt von dieser neuen Quelle der künstlerischen Inspiration, im italienischen Druckgewerbe geschaffen wurde. Eines der hervorragendsten Merkmale der heutigen italienischen Druckkunst ist die Harmonie aller Teile des Buches. Der Sinn für strenges Maß, für minutiöse Abwägung der künstlerischen Ele mente hat sich, gestärkt durch das Studium der Frühdrucke, ver feinert. Mißgriffe auf diesem Gebiete, denen man früher auch in Werken mit hervorragenden Einzelschvnheiten begegnete, sind selten geworden. Es ist besonders charakteristisch, daß diese sorgfältig erwogene Harmonie, der feine Geschmack in der Zusammenfügung der Elemente des Buches in der gesamten Buchproduktion zutage tritt, also auch das billige Gebrauchsbuch nicht ansschlietzt. Zwar trat das Streben nach Harmonie und Schönheit zuerst in den Luxus publikationen (»lidri rl'eeeerione«) und Privatdrucken hervor, wie sie in Italien seit einer Reihe von Jahren gepflegt werden; sie sind insofern eine Neuerscheinung, als sie sich früher fast nur durch größeres Format und feineres Papier von den gewöhnlichen Aus gaben unterschieden. Jetzt aber ist man bemüht, gerade in Werken dieser Art hervorragende Proben von Schönheit der Komposition und Glanz der technischen Ausführung herauszubringen. Wie in anberen Ländern, so wird auch in Italien gegenwärtig das rein typographische Buch bevorzugt, und alle Bemühungen gehen darauf hinaus, die höchste Schönheit nnd Vollkommenheit in rein typo graphischen Werken zu erreichen, ohne verwandte Künste heranzu ziehen. Dennoch gibt es auch in Italien eine Reihe ausgezeichneter illustrierter Bücher, an denen hervorragende Künstler mitgearbeitet haben, wie z. B. die Monumentalausgnbe von Dantes »Divina Com media«, die Amos Nattini illustriert hat. Doch bezeichnender für den Fortschritt in der italienischen Buchherstellung als diese Pracht werke sind die gangbaren Bücher, die zu mittleren und kleinen Prei sen verkauft werden, und hier sind es vor allem die klaren und ausdrucksvollen Typenformen, der kunstvolle Aufbau der Seiten, die feine Verteilung der weißen Zwischenräume und die solide Technik, auf denen der künstlerische Wert der Bücher beruht. Was die Form der Typen anbetrifft, so sieht man in Italien allgemein in den Meistern der Friihzeit die gültigen und unerreich ten Vorbilder. Darin liegt eine gewisse Beschränkung, ein Mangel an Mannigfaltigkeit. Dennoch zeigen sich überall Bestrebungen, über die bloße Nachahmung des Alten hinaus zu eigener schöpfe rischer Produktion zu gelangen, das Feuer des eigenen schöpferischen Willens an dem der Vergangenheit zu entzünden. So wird auch das Studium Bodonis, an dem man sich inspiriert wie an den älteren Meistern, zur Grundlage weiterer Fortschritte. Dennoch ist der Einfluß der klassischen Vorbilder so stark, daß ihre Einfachheit und Klarheit überall an der modernen Produktion in die Er scheinung tritt, so stark, daß ganz neuartige Versuche selten gemacht, ganz abgelegene Pfade nicht betreten werden. Hier besteht ein starker Gegensatz zur deutschen Buch- und Schriftkunst und eine gewisse Verwandtschaft mit der englischen. Der Charakter einfacher, unaufdringlicher Schönheit, der für die italienische Typographie so bezeichnend ist, hat zur Folge, daß sie auf den ersten Blick hinter den glänzenden Schöpfungen anderer Länder zurücktritt und daß ihre besondere Schönheit sich erst genauer, geduldiger und oft wieder holter Betrachtung erschließt. Es ist schon erwähnt worden, daß der neue Geist im italieni schen Buchgewerbe alle Arten von Büchern erfaßt und durchdrungen hat. Bücher von mittlerer Kostbarkeit, Bücher, die für den Preis von etwa 40 Lire verkauft werden, sind oft von einer ungemeinen Schönheit und Harmonie in Aufbau und Ausführung. Hier be sonders tritt der Gegensatz zu der Ausstattung, die man diesen Büchern vor zwanzig Jahren gab, stark hervor. Nachlässiger blasser Druck, rücksichtslose Beschneidung kamen häufig vor und wurden selten vom Publikum getadelt. Auch heute gibt es noch Verleger und Drucker, die veraltete Typen benutzen und von den neuen Grundsätzen im Druckgewerbe wenig wissen wollen; doch das sind nur wenige, und in den meisten Fällen ist die Besserung deut lich zu erkennen. Am deutlichsten offenbart sich die Erneuerung des Geschmacks in der äußeren Umhüllung des italienischen Buches. An die Stelle der schlecht gearbeiteten, elenden Einbanddecken, die vor noch nicht