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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. 166, 21. Juli 1914. epidemisch eine Art literarischer Magenerweiterung, an der jede Fähigkeit zu wirklich ersprießlicher Lektüre unvermeidlich zu grundegehen mutz. Auf meine Umfrage nach der Ursache für das Auflassen der Lieferungsausgaben durch die großen Verlagsanstalten ist mir gesagt worden, die Ratenhändler, die im voraus ganze Auflagen bestellen, hätten den Verlegern ein für allemal zur Bedingung gemacht, daß ein lieferungsweiser Vertrieb nicht stattfinde. Ob dies der Wahrheit entspricht, weiß ich nicht. Aber ich bin der Überzeugung, daß diese Aktion der Rateninstitute ebenso bedauer lich wie unbegründet wäre. Die Abzahlungsgeschäfte werden an den Kolporteur ebensowenig Kunden verlieren wie dieser an sie. Wir Deutschen in Österreich müssen das Verschwinden der alten beliebten Vertriebsform noch aus anderen Gründen be klagen. In Böhmen gibt es unzählige deutsche Familien, die beide Landessprachen gleich gut beherrschen. Der tschechische Verlagsbuchhaudel leistet aber in der Herausgabe von Lieferungs werken geradezu Mustergültiges. Nicht nur, daß der tschechische Leser die älteren Meisterwerke aller Literaturen in tschechischer Übersetzung fortwährend in Lieferungen kaufen kann, nein, von jedem neuen Werke, von dem viel gesprochen und geschrieben wird, erscheint bald nach Ausgabe des Originals schon das 1. Heft der tschechischen Übertragung. Ist es da ein Wunder, daß die Leser, denen es gleichgültig ist, ob sie deutsch oder tschechisch lesen, dem tschechischen Kolporteur, der so Vieles, Neues und so Gutes bringt, mehr abkaufen, als dem deutschen, der immer nur Eschstruth, Heimburg und Werner hat? Die junge Generation aber lernt infolgedessen vorzugsweise in der tschechischen Sprache denken und fühlen und geht unserer nationalen Widerstandskraft allmählich verloren. Aber der deutsche Buchhandel dürfte auch ein geschäftliches Interesse haben, zu untersuchen, ob ihm durch die Einstellung des Lieferungsvertriebs nicht weite Kundenkreise ganz verloren gehen. Bei Unzähligen versiegt das Lesebedürfnis aus Mangel an geeigneter Befriedigung und wird durch andere Passionen ersetzt. Viele, die sich früher Reisebeschreibungen oder Geschichtswerke anschafften, sättigen jetzt ihr Verlangen nach Lektüre durch Ver schlingen sämtlicher Tagesblätter in den Caföhäusern, was ge wiß auch kein wünschenswerter Ersatz ist. Vielleicht bedarf es nur einer Anregung, um die deutschen Verleger zu veranlassen, dem Vertrieb in Lieferungen wieder größere Aufmerksameit zu zuwenden. Nach der langen Aushungerung muß der Markt eine sehr starke Aufnahmefähigkeit besitzen, so daß an einem geschäft lichen Erfolg kaum zu zweifeln sein dürfte. Zwei Fehler müßten freilich bei den Lieferungsausgaben vermieden werden. »Die Abnahme der 1. Lieferung verpflichtet zum Bezüge des ganzen Werkes« ist eine ganz zwecklose Formel, die man so häufig auf deutschen, niemals auf französischen oder tschechischen Lieferungen sieht. Diese Bestimmung hat noch keine hundert Abonnenten gezwungen, ein Werk, das sie langweilt, bis zum Schlüsse zu beziehen, aber viele Tausende abgehalten, die 1. Lieferung zu kaufen. Wie die quantitative Herstellung der späteren Hefte abzustufen ist, das muß die Erfahrung ergeben. — Der zweite Fehler besteht darin, daß viele Verleger 5 bis 6 Liefe rungen zu 50 ^ erscheinen lassen, dann aber beginnen mit einem Male die Doppellieferungen L 1 Das zeugt von völliger Un kenntnis der Käuferpsychologie. Eine halbe Mark geben sehr viele gern auf einmal für das Lesen aus, eine ganze erscheint selbst manchem Wohlhabenden als ein mit seinen Verhältnissen nicht vereinbarer Luxus. Ich möchte es den Herren Verlegern recht dringend ans Herz legen, der Frage ernsthaft näherzutreten. Wenn auch die Werke der Klassiker in billigen Heftchen überall verbreitet sind, so geht eine tiefdringende, umfassende Wirkung doch hauptsächlich von jenen Werken aus, die aus der Zeit für die Zeit geschrieben denke nur an Dickens, dessen ungeheure Popularität in allen Schichten seines Volkes außer durch sein großes Talent nur ""'stand /u erklären ist, daß seine Romane frisch vom Schreibtisch weg lieferungsweise zu seinen Zeitgenossen gelangten und jedermann zugänglich waren. ^ ^ 1153 Aus dem italienischen Buchhandel. v. (IV siehe Nr. 154.) Urheber- und Verlaqsrechtltches. — Staatliche Leihbibliotheken. — Aufschwung der »^ssoeiLLiolls lllpogr.-üidraria Italiens«. — Zeit- schriften-Stattstik. — Reisegesellschaften zur Leipziger Buchgewerbe- Ausstellung. — Lehrbücher-Texte. — Italienische Ausstellungen. — Kataloge von ll. Hoepli in Mailand (1871—1914) und E. Loescher L Co., Rom. — Neuigkeiten. Das Abgeordnetenhaus hat endlich die im Jahre 1908 zuBerliu revidierte Berner Konvention über den Schutz des litera rischen Eigentums angenommen. Italien hat aber von dem bei der Berliner Revision zugestandenen Vorbehalt betreffs des Über setzungsrechts Gebrauch gemacht, so daß die Unterhandlungen lange Zeit in Anspruch genommen haben. Nun ist dieser Punkt durch einen Zusatz erledigt, und das übersetzungsrecht ist wie in der Berner Konvention vom 9. September 1886 (Art. 5) geregelt. In den interessierten Kreisen herrscht die Ansicht, daß Italien, als noch junge Nation, bezüglich des Urheberrechts nicht auf allzu weittragende Verbindlichkeiten eingehen sollte, ja es gibt sogar eine Strömung, die von einem Schutze des Urheberrechts über haupt absehen und dieses Recht als Verlegerrecht anerkannt wis sen möchte. Zwar läuft dies auf eins hinaus, denn das geistige Eigentum wird so oder so geschützt. Nur ist die Form eines solchen Schutzes bei den Gegnern aller literarischen Konventionen grund verschieden, indem sie das geistige Eigentumsrecht des Autors durch das materielle Recht desVerlegers ersetzen wollen. Vielleicht erkämpft sich eine derartige Strömung mit der Zeit den Sieg; heute hält es die Mehrheit aber noch mit den bestehenden Ur heberrechtsgesetzen. Aus einem Lager ertönt das Losungswort: ohne Autoren keine Verleger; aus dem der Gegner erschallt das Kriegsgeschrei: ohne Verleger keine Autoren. Die letzteren erwidern darauf, daß sie auf ihre eigenen Kosten ihre Werke herausgeben können. Aus die ser Schlußfolgerung schaut ja das Verlags- oder vielmehr das Verlegerrecht heraus. Ein geistiges Eigentum ist ein idealer Be griff, ein Verlegerrecht dagegen etwas Greifbares, gestützt auf greifbare Markscheine, die man den Schriftsetzern und Druckern als Wochenlohn auszahlen muß, auf greifbare Rezensionsexem plare, aus greifbare Fakturen der Papier- und anderen Liefe ranten. Gabriele d'Annunzio protestiert in der Tagespresse j gegen den Nachdruck seiner Werke, die, sei es mangels der gesetz- ! ltchen Deponierung als Gemeingut, sei es wegen Ablaufs der ge- ! setzlich vorgeschriebeuen Frist, als in die zweite Schutzperiode ein getreten angesehen werden. Aber sein Protest wird so lange zwecklos bleiben, als das heute bei uns bestehende Urheberrechts- gesetz noch in Kraft bleibt. Die Konkurrenten bieten natürlich solche gesetzlich erlaubten Nachdrucke zu wahren Spottpreisen feil. Man kann z. B. bei den die Dorfmessen besuchenden Krämern d'Annunzios »II kuooo« für 2 I., ja selbst für 1 I. kaufen, während der bei den rechtmäßigen Verlegern erschienene Roman 4 I. kostet. Es ist wirklich zu bedauern, daß die Regierung einem solchen Übelstande gegenüber, einer falsch verstandenen Freiheit zuliebe, nichts unternehmen will. Ein königliches Dekret, von dem man schon leise gesprochen hat, könnte das alte Gesetz aufheben und dadurch dem Verkauf von verstümmelten und von Druckfehlem wimmelnden Ausgaben ein Ende machen. Diese eigenartige gesetzlicheLage des Urhebcrrechtsschutzes wurde bisher vou einer Verlagsfirma ausgebeutet, deren Abnehmer sich hauptsächlich aus aller buchhändlerischen Schulung baren Kol porteuren resp. von Dorf zu Dorf wandernden Krämern rekru tieren. Der wahrscheinlich gute finanzielle Erfolg dieses Unternehmens hat nun eine seit drei oder vier Jahren in Mailand bestehende Verlagsfirma zur Nachahmung verleitet. Sie kündigt die Herausgabe einer aus 100 Bänden bestehenden Sammlung zeitgenössischer Schriftsteller zu einem wahren Spottpreis an: 11. für den elegant gebundenen Band, darunter Schriftsteller wie d'Annunzio und de Amicis! Und die Verleger der betreffenden