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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.11.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021115015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902111501
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902111501
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-11
- Tag 1902-11-15
-
Monat
1902-11
-
Jahr
1902
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Eines Kommentars bedürfen sie nicht. ,I8on England durften wir einen aktiven Beistand gegen den Kaiser Napoleon nicht erwarten, obschon die englische Politik einer stark befreundeten Kontinentalmacht mit vielen Bataillonen bedarf und dieses Bedürfnis unter Pitt, Vater und Sohn, zu Gunsten Preußens, späterDester- reichs, und dann unter Palmerston bis zu den spanischen Heiraten, dann wieder unterClareudon zu Gunsten Frank reichs gepflegt hatte». Das Bedürfnis der englische» Politik war entweder cmtento oorckialo mit Frankreich oder Besitz eines starken Bundesgenossen gegen Frankreichs Feindschaft. England ist wohl bereit, das stärkere Deutsch- Preußen als Ersatz für Oesterreich hinznnehmcn, und in der Lage. Vom Herbst 1806 konnten wir auf platonisches Wohlwollen und belehrende Zeitungsartikel dort allen falls zählen; aber bis zum aktiven Beistände zn Wasser und zu Lande würde sich die theoretische Lynrpathie schwer lich verdichtet haben. Tie Vorgänge von 1870 haben ge zeigt, daß ich in der Einschätzung Englands recht hatte. Mit einer für uns jedenfalls verstinrmendcn Bereitwillig keit übernahm man in London die Vertretung Frankreichs in Norddeutschland, und während des Krieges hat man sich niemals zu unser» Gunsten so ivcit kompromittiert, daß nicht die französische Freundschaft gewahrt worden wäre; jm Gegenteil." (»Gedanken und Erinnerungen", II. 55.) „England hat im Laufe der neueren Geschichte jeder zeit das Bedürfnis der Verbindung mit einer der konti nentalen Militärmächte gehabt, und die Befriedigung des selben, je nach dem Standpunkt der englischen Interessen, bald in Wien, bald in Berlin gesucht, ohne, bei plötzlichem Uebergang von einer Anlehnung an die andere, wie im Siebenjährigen Kriege, skrupulöse Bedenken gegen den Vorwurf des Instichlasfens alter Freunde zn hegen. Wenn aber die beiden Höfe einig »nd verbündet waren, so fand die englische Politik nicht ihres Dienstes, ihnen etwa im Bunde mit einer von den ihr gefährlichen Machten, Frank reich und Rußland, feindlich gegcnübcrzutreten. So bald aber die preußisch-österreichische Freundschaft gesprengt worden wäre, würde auch damals das Eingreifen deS europäischen Scniorenkvnvcnts in der dänischen Frage, unter englischer Führung crsolgt sein. Es war deshalb, wenn unsre Politik nicht wiederum entgleisen sollte, von höchster Wichtigkeit, das Einverständnis mit Wien festzu halten; in ihm lag unsre Deckung gegen englisch-euro päisches Eingreifen." („Gedanken und Erinnerungen", I. 334.) „Dieses England mit seinen paar tausend Mann Linientruppen und seiner — dadurch halb gezwungenen — Nichtinterventionspolittk ist eine ganz gleichgültige Groß macht, die sich nur durch ewiges tantenhaftcö Bevor munden einen gewissen künstlichen Einfluß geschaffen hat, den man auf seine reale Grundlage wieder zurückführeu muß!" (Scheibert, „Mit Schwert und Feder". Mitte 64.) „Die Engländer sind voll Acrgcr und Neid, daß wir hier große Schlachten geschlagen haben — und gewonnen. Sie gönnen cs dem kleinen ruppigen Preußen nicht, daß es in die Höhe kommt. Das ist ihnen ein Volk, das bloß da ist, um für sie gegen Bezahlung Krieg zu führen. Das ist so die Ansicht der ganzen englischen Gentry. Die haben uns niemals wvhlgewollt und immer nach Kräften geschadet. — Diese Meinung ist auch in der Kronprinzessin verkörpert. Tie denkt wunder, wie lies sic sich herab gelassen hat, daß sie in dieses Land geheiratet hat. Ich weiß noch, daß sie einmal zu mir sagte, zwei oder drei Kausrnannsfamilien in Liverpool hätten mehr Silberzeug, als der ganze preußische Adel. — „Ja" — erwiderte ich — „das ist vielleicht ivaür. Königliche Hoheit, wir setzen unfern Wert aber auch in andere Tinge als in Silber."" (Busch, Tagcvuchvlätter, kl., 85. 25. 1. 71.) „Wir haben mit England nicht minder ivic mit Rußland die Tradition einer hundertjährigen guten Beziehung — die unter Umständen in dem öffentlichen Gefühle ihre Mo mente der Erkaltung gehabt hat — ich kann wohl sagen, mehr einseitig auf englischer Seite. Daß mitunter ein Prcßlamps unter beiden Völkern, gelegemlich, vorüber gehend, stattfindct, das bindert nicht, daß die durch eine lange Geschichte bewährte Gemeinsamkeit mannigfacher Interessen und Meinungen zwischen uns und England auch für die Zukunft der Bürge des Einverständnisses ist." (Reichstag 5. 12. 76.) „Wir sind mit England in der glücklichen Lage, keinen Streit der Interessen zwischen uns zu haben, cs seien denn Handclsrivalitäten nnd vorübergehende Verstimmungen, die ja Vorkommen, aber doch nichts, was ernsthaft zwei arbeitsame, friedliebende Nationen in Krieg bringen könnte." (Reichstag, 1!). 2. 78.) „Mit England leben wir in gutem Einvernehmen. Daß England in dem Bewußtsein: „Uritnrinia. rnlos tko rvavos" etwas verwunderlich aussicht, wenn die Landratte von Vetter — als die wir ihm erscheinen — plötzlich auch zur See fährt, ist nicht zu verwundern; die Verwunderung wird indes von den höchsten und leitenden Kreisen tu England in keiner Weise geteilt. Tie haben nun eine ge wisse Schwierigkeit, den Ausdruck des Befremdens bei allen ihren Untertanen rechtzeitig zu mäßigen." (Reichstag, 10 5. 85.) „Ich kann es doch nur für einen Irrtum in der Schätzung halten, wenn England uns unsere bescheidenen Kolvniaiversuche mißgönnt. Wenn man auch geneigt ist, aus die Stimmung jedes einzelnen Kolvnialrccdcrs nnd Kaufmanns englischer Nationalität Rücklicht zn nehmen, so kann ich doch nicht glauben, daß man die Art, unserer Kvlvnialpolitik cntgcgcnzuwirtcu, wie sie sich in Kamerun sowohl wie in Australien, in Neuguinea, in Fidji nnd an anderen Orten gezeigt hat, bcibelmltcn werde, ohne Rücksicht auf die Stimmung zu nehmen, in welche die deutsche Nation dadurch versetzt wird." < Reichstag, 2. 3. 85. » „Unsere Politik muß nicht notwendig antienglisch sein, aber wenn sie englisch sein soll, jo kann das sehr gegen unser Interesse laufen, das immer mehr mit den kontinen talen Mächten zn rechnen hat." »Busch, Tagcbuckibläticr III, 163. 31. 5. 85. > „Immer ging die englische Politik in dieser Periode iNcuzcitj darauf aus, unter den Mächten des Kontinents Zwietracht zu stiften oder zu erhalten, nach dem Satze ckuonus 1it>a;until)u>« tortius «.-auckk-t, und sich der einen gegen die andern zu bedienen, so daß sie zn Englands Vor teil geschwächt nnd geschädigt wurden. Erst richtete sich dieses Bestreben gegen Frankreich, dann gegen Rußland; erst war's der Kaiser in Wien, der für sic Krieg führen mnßte, dann sollten wir uns für ne schlagen. Erinnern Sic sich an den österreichischen Erbfolgekrieg und die Schlacht bei Dettingen. Gewiß war damals von der werdenden Universalmonarchie in Frankreich jeder andre St rat Europas bedroht in seiner Freiheit und seinem Be stände, keiner aber so sehr wie England. Dann denken Sic an den Siebenjährigen Krieg, wo die Engländer sich den Löwenanteil an der Licgcsbeute nahmen, obwohl sic nur wenig gewagt nnd geleistet hatten, verhältnismäßig, ivo wir ihnen die französischen Kolonien eroberten. In der letzten Zeit versuchtet, sic uns gegen die Russen auszu spielen, die ihnen am Bosporus und mehr noch an der Grenze Indiens gefährlich geworden sind. Wir sollten ihre schwachen militärischen Kräfte ergänzen, die rnfsischcn in der Flanke bedrohen und sesihaltcn, wenn sie mar schieren wollen. Zuerst sollten wir während des Krim krieges, wo beiläufig die Franzosen wenig Grund hatten, sich mit an den Wagen zu spannen, da sollten wir unS ganz gegen unser Interesse mit den Weltmächten dem Kaiser Ni.olaus cntgegcnstellcn. Ich habe das damals verhindern helfen. Später, 1863, wollte England den Auf stand -er Polen zur Schwächung Rußlands begünstigt sehen, wobei wir uns einen alten Freund, der ein noch vessrer Freund für nufere Zukunft werden konnte, ver scherzt und keine zuverlässige Freundschaft im Westen dafür eingctauscht hätten, wohl aber in den Polen einen alten Feind gestärkt, einen natürlichen Bundesgenossen Frankreichs geschaffen. 1877, als der russisch-türkische Krieg sich ankündigte, sollten wir ihn durch Einspruch in Petersburg verhindern, im Interesse der Menschlichkeit, wie die „Times" demonstrierten und die Königin Viktoria uns ans Herz legte, in einem Briefe an den Kaiser, der von Augusta übermittelt und befürwortet wurde, nnd in zweien an mich. Menschlichkeit, Friede und Freiheit ist immer ihr Vorwand, wenn cs nicht Christentum und Aus breitung der Segnungen der Gesittung unter Wilden und Halbbarbarcn sein kann, zur Abwechslung. In Wahrheit aber schrieben die „Times" und die Königin im Interesse von England, das mit dem unfern nichts gemein hatte. Tas Interesse Englands ist, daß das Deutsche Reich mit Rußland schlecht steht, unser Interesse, daß wir mit ihm so gut stehen, als cs der Sachlage nach möglich ist." (Busch, Tagcbnchvlätlcr, III. 230. 7. 4. 88.) „In England will man kein korei^n intluerwo: Sic wissen, wie Palmerston und andre den Prinec Consort mit seiner Einwirkung auf die Königin, angeblicher und wirklicher, autlogten, hinderten und verfolgtes."*A'ir aber sollen das dulden und als selbstverständlich betrachten. Wir sind ihnen eine untergeordnete Rasse, bestimmt, ihnen zn dienen. So denkt auch die Königin, und ihre Tochter nicht minder; sie treiben das als Kvinpagnicgeschäft, nnd ich möchte Ihnen Vorschlägen, dieses Thema bei der jetzigen Gelegenheit einmal ausführlich zu behandeln, diplo matisch darznstcllen und geschichtlich, wie von England feit alter Zeit nnd immer von neuem versucht worden ist, uns für ihre Zwecke zu beeinflussen nnd, oft gegen nns>r Interesse, in ihrem Nutzen, zn ihrer Sicherung und für die Erweiterung ihrer Macht zu verwenden, zuletzt durch Töchter nnd Freundinnen der Königin Viktoria." Busch, Tagebncbblüttrr, II I. 22V, 7. 4. 88. > „Ich betrachte England als den alten und traditionellen Bundesgenossen, mit dem wir keine streitigen Interessen haben; — wenn ich sage „Bundesgenossen", so ist das nicht in diplomatischem Sinne zu fasten; wir haben keine Ver träge mit England; — aber ich wünsche die Fühlung, die wir seit rinn doch mindestens hnndcrtsünszig Jahren mit England gestabt haben, festzuhalten, auch in den kolonialen Fragen. Und wenn mir nachgewiesen würde, daß wir die verlieren, so würde ich vorsichtig werden und den Verlust zu verhüten suchen." ! Reichstag, 26. 1. 80.) Gegenüber dem englischen Chauvinismus bezeichnete er die Feindseligkeit gegen Deutschland als eine „eng herzige Seite insularen Denkens" nnd sand cs auffallend, daß England den freien Wettbewerb der Nationen nicht als eine Wohltat für die Weltentwickelung auffafsen kann. Deutschlands industrielle Forschritte hätten England raust, aber heilsam ans dem Schlafe gerüttelt. Deutschlands koloniale Bestrebungen hätten England dazu geführt, sich eine herrschende Stellung in Afrika zn sichern. Deutsch lands Fortschritte hätten ganz allgemein die Tatkraft der Engländer ausges achelt und sic dem Zustand einer gefähr lichen Erstarrung erweckt. Maler, Sstisting Scenes. > „Ich stabe, was das Ausland anbclangt, in meinem Leben nur für England und feine Bewohner Sympathie gehabt und bin stundenweis noch nicht frei davon; aber die Leute wollen sich ja von uns nicht lieben lasten." (Gedanken nnd Erinnerungen, I., 171.) „Hoffentlich wird unser Kaiser durch die Ent täuschungen, welche ihm seine Freundschaft für England cinbringcn wird, von der unseligen Gewohnheit der deutschen Fürsten abkommcn, dem Wolf John Bull gegen über die undankbare Rolle des gutmütigen Kranichs zu spielen und für das englische Interesse Krieg auf dem Festlande zu führen. Als wir im Gedränge waren, hat England sich aus die Seite unserer Feinde gestellt und daS Geschäft auf zwei Leiten zu machen gesucht. Wenn also England zwischen das welsche Roß und den russischen Elefanten kommt, wollen wir Deutsche nicht mit der großen Dsengabcl drcinfahrcn, sondern ruhig zuschaucn, wie der steifleinene Lord gegnetscht wird, daß er nach Gott schreit!" (Poschingcr, Tischgespräche II., 361. 16. 8. 90.) Der Haß zwischen Rußland und Deutschland dient den englischen Interessen. England braucht nicht mit Ruß land zu tämpscn, wenn ihm Deutschland die Mühe ab nimmt. So versuchte England auch stets während des Krimkriegcs, den Kriegsschauplatz von der Krim nach der Weichsel zu verlegen. England hat recht. Wenn ich einen großen und starken dummen Kerl finden könnte, der für mich mit meinem Feinde kämpft, so würde ick) ihn absolut »licht daran zu hindern suchen, und wenn ich ein englischer Staatsmann ivärc, würde ich cs ebenso machen wie sie. Ich wäre ein Esel, wenn ich es nicht täte." Poschingcr, Tischgeso: äcste II., 375, L. 92.» „Blut ist dicker als Wasser. Das mag sein. Jedenfalls ist Blut eine zähe Flüssigkeit; ich kann mich aber nicht er innern, daß Blutsverwandtschaft jemals einer Fehde da» Tätliche genommen habe. Die Geschichte erzählt uns, daß keine Kriege so grausam waren, als jene zwischen Völkern derselben Rasse: Zeuge dessen die Gehässigkeit, die in den Bürgerkriegen zn Tage tritt." >Iu Sidney Wildman, 24. 6. 96.) Der einzelne Engländer sei anständig, achtbar und zu verlässig, der Vo n i ri der Lüge sei der schwerste, den man ihm machen tön» r sie englische Politik hingegen sei von allem das Gegeilte »hre hervorstechendste Eigenschaft sei die Heuchelei, sie wende alle Mittel an, die der einzelne Engländer verabscheue. In Frankreich sei ja die PvliUk zu Zeiten auch nicht sehr wühlerisch in ihren Mitteln gewesen, namentlich schwächeren Vvlksstämmen im Auslände gegen über sei sic ebenso grausam und brutal verfahren wie die cngliscnc; Gewalttaten nnd Ucbcrlistnng seien ebenso vor gekommen wie im englischen Regime, aber das Maß von Heuchelei und Perfidie, wie cs der englischen Politik häufig eigen sei, sei doch an ihr nicht nachzuweisen. «Poschingcr, Tychgesprächc II., 307, Mitte 97.) Deutsches Reich. Z Berlin, 14. November. (Die Angriffe gegen De le ass« nnd die deutsche Presse.) Es ist bemerkenswert, daß man von Paris aus die Aufmerk samkeit deutscher Blätter ans solche Artikel und Aufsätze Feuilleton. Die Duchoborzeu. Bon G. I. Hormanski. Nachdruck verbalen Zeitig setzt -er Winter in Manitoba ein. Schaurig und finster ist cs dann in den Wäldern, und über die einsamen Straßen, die das jungbesiedelte Land durchziehen, heult der Sturm. Aber durch seine Stimme klingen die zerrissenen Töne vielstimmig gesungener Choräle, ein langer Zug pilgert auf dem Wege, der südwärts zur Stadt Winnipeg führt, ein jammervoller Zug armseliger, hohlwangiger, bleicher Menschen. Manche können sich kaum weiter schleppen, hier und dort bleiben erschöpfte Frauen oder Kinder am Wege liegen, und viele schüttelt der Hunger. Und dennoch setzen sie ihren Leidensweg fort, nnd aus aller Augen leuchtet das düstere Licht des Fanatismus. Das sind die Tuchoborzen, die ihren Führern folgen, nm den Heiland zu suchen, die der Welt ein neues Christentum bringen wollen. Noch sind es kaum zwei Jahre, daß sic im fernen Kanada neue Heimstätten gefunden haben. Sie waren fleißig nnd verständig, die jungen Siedelnngeu ge diehen, die Kolonie war der ncnen Mitbürger froh und ein deutscher Landsmann, der die Farmen der Duchv- borzen in diesem Sommer besucht hat, sand sic blühend, die Leute ruhig, verständig und zufrieden. Und nun mit einem Male ist alle Arbeit preisgcgebcn, alle Hoffnung zerstört und anf den Straßen von Manitoba pilgern die Dnchoborzcn dem Untergang entgegen. Zwei Jahrhunderte muß man znrückgehcn, will man die Anfänge dieser merkwürdigen Sekte kennen lerne». Damals lebte in einem Dorfe des Charkowcr Gouverne ments ein ehemaliger preußischer Unteroffizier, der sich durch seine Lebensweise Achtung zn verschossen, für seine religösen Lehren aber Anhänger zu gewinnen wußte. Wie viele Dogmen der russischen häretischen Sekten, so scheinen «Uch diese letzten Sinnes ans Luthers und Calvins Lehren zurückzngchcn; ihr Hauptgedanke mar der, daß in der Seele jedes Menschen Gott selbst seinen Wohnsitz anf- geschlagcn habe. Sie wurden durch einen gewißen Poborichin fvrtgebildet, der behauptete, daß sich feit Christus die göttliche Kraft von einem Erwählten aus dcu andern fvrtpflanze und zuletzt auf ihn übcrgegaugen sei. Als neuer Christus, ein Mystiker nnd Fanatiker zugleich, regierte er als ein strenger Despot über seine Gemeinde. Sein Werk setzte sodann ein früherer Gardekorporal mit Namen Kapustin sort, dem die Lette ihre eigentliche Lrga- nisation und auch ihren Namen Tuchoborzen, d. h. Geistes kämpfer, verdankt. Er verkündete seinen Anhängern: „Ich bin in Wahrheit Euer Christus, Euer Gott, fallet vor mir nieder und betet mich an!" lind «wie C. Hahn cr- zähltj wirklich beugten alle die Knie vor ihm und beteten ihn an, ja, sic aeecptierten auch ohne Sträuben Kapustins Lehre, daß die Göttlichkeit in seiner Familie erblich fei. Das mar der Anfang der Gottesdimastie der Tuchoborzen, und nur so lange diese in der oder jener Weise noch waltete, war die Sekte stark nnd eitrig. Machen wir hier einen Augenblick Halt, nm naä> dem eigentlichen Inhalte der Duchvborzen-Rcligion zn fragen. Aber diese Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Sie sagen, ihre Lehre gehe bis auf die drei Märtyrer unter Ncbukadnezar zurück, sie erkennen den heiligen Büchern nur geringe Autorität» zu, sie bauen allein auf der Ucbcr- liefcrnng, der Mensch ist ihnen das „lebendige Buch". To ist es leicht zn verstehen, daß ihre Lehren schwanken und wechseln. Sicher ist, daß sie Feinde des orthodvrcn Ritua- lismus sind. Aber nicht im Sinne jener Gruppen der russischen Ketzerei, de» „Raskol", denen die Drthodvrie »licht streng genug ist, die sich von ihr getrennt haben und Leiden aller Art erdulden wegen der Frage, ob der Name des Heilandes in den Rttualbüchcru Isus oder Iissus, ob das Kreuz mit zwei oder mit drei Fingern zu schlagen, ob an einer gewißen Stelle das Hallelnjah zwei oder drei Mal zu singen sei. Nein, von alledem »«alten die Duchv- borzen nichts. „Wir suchen Gott bester zu erkennen", sagen sie. „Golt ist der Mensch, die göttliche Dreieinigkeit heißt Gedächtnis, Vernunst, Wille". Im Leben jedes Gläubigen vollziehe sich die Menschwerdung Christi. Das Kruzifix verehren sic nicht: „wir glauben nicht an einen Christus aus Kupfer, Gold oder Silber, sondern an einen lebendigen Christus, den Sohn Gottes, den Erlöser der Welt". Im ganzen also eine spiritualistische Sekte, die aber durch ihre Schicksale besonders merlwürdig geworden ist. Am Anfang des l9. Jahrhunderts nämlich wurde ihnen erlaubt, am Flusse Mvlotschna im Gouvernement Tauris eigene Niederlassungen zn gründen. Dvrtbin wandte sich auch Kapustin; Dörfer entstanden, nnd da die Tuchoborzen fleißig waren und einander stets halsen, so brachten cs die Kolonien bald zu Wohlstand, und die Sekte vergrößerte sich zusehends. Kapustin aber führte ein strammes Re giment, schuf eine Organisation von Aposteln, Erzengeln und Tvdcscngcln, und »nachte ein Waisen- und Liechen haus „Zion" in» Torfe Terpenje zum Mittelpunkte der Sekte. Er verkündete die freie Liebe und nahm in sein Haus sechs auscrivähltc Jungfrauen anf, die die Psalmen in ttnentstelltcr Form auswendig zu lernen und zn über liefern hatten — wenigstens »vor das ihr offizieller Beruf; außerdem aber hatten sic zu Kapustin nnd seinen Aposteln und Erzengeln noch Beziehungen recht nngeistlichcr Natur. Kapustins Nachkommen hießen nach der Mutter Kalmy- kosf. Seilt Sohn war ein Trunkenbold, der ein wüstes Leben führte nnd bald starb. Seinen Enkel Ilarion, der das „christnsfähigc" Alter von R) Jahren noch nicht er reicht hatte, umgaben die Apostel mit Mädchen, und nnu führten sie mit ihm zusammen ein wüstes Regiment der Habgier, Gewalttat nnd Sinnlichkeit. Als darüber Un zufriedenheit unter den Tuchoborzen entstand, wurde ein geheimes Gericht, genannt ,D'ölle und Paradies", orga nisiert, dessen Mitglieder, die Todcscugel, eine wahre Schreckensherrschaft führten und jeden auch nur Verdäch tigen bei Seite schafften. Hunderte von Morden ersvlgtkn jo, und als schließlich die Wasser der Molvtfchua^ ver stümmelte Leichen ans User spülten, der Wind im Sande zahlreiche Gräber anfdccktc, da schritt die Regierung ein. Nach langer Untersuchung wurde die Sette in den Jahren 18ll 47 noch Transkaukasien übcrgefiedclt, wo sie in den Kreisen Achalkalaki und Elifabcthpol große Dörfer an legte, die wieder ba>d zu Blüte und Wohlstand gelangten. In den Wer Jahren zählte mau im Ganzen 18 ducho- borzisckie Dörfer mit 11000 Seelen. Kalinykosf hatte den Zug mitgemacht und im Dorfe Gvrclvje eine»» neuen Mittelpunkt geschaffen. Eine neue verständigere und maßvolle Drganisatton führte zu leid liche» Ziistäudeu; die Duchobvrzeu wurde»» friedliche Bauern. Nach feinen» Tode folgten ihn» seine beiden Söhne, doch starben beide bald und ohne Nachkommen schaft. Peter, der jüngere Sohn, war mit Lukeria Guba nowa verheiratet, und nach seinem Ableben wußte sie sich die Stellung einer Göttin der Dnchoborzcn zu sichern. Sic spielt iil der Geschichte der Sette die Rolle Katha rinas II. Sie ivar klug und listig, eine majestätische Fran mit strengem Blicke, die sich aber trotz ihres Alters recht gern jung machte und eine Vorliebe für das männliche Ge schlecht hatte. So lange sic lebte, stand sic bei den Tucho- bvrzcn in ungetrübtem Ansehen nnd alle folgten ihr. Als sic aber bei ihrem Tode die göttliche Kraft und Nachfolge ihren» Liebling Peter Werigin übergab, da währte es nicht lange, bis eine Krise aiksbrach. Eine unzufriedene Partei leugnete den Uebergang der göttlichen Kraft an Werigin, bald war die Spaltung eine vollkommene, -ic Parteien haßten und bekämpfte»» sich aufs heftigste, nnd schließlich wurde sowohl Werigin, wie zahlreiche andere Tucho- borzcn von der Regierung „verschickt". Ueberhaupt »nachte die Sekte damals ernste Schwierigkeiten. Viele Dnchoborzcn wollten den Zar und die Lbrigkeit nicht an erkennen, weigerten sich der Steuerzahlung und der Militärpflicht und machten so ein energisches Eingreifen nötig. Unter diesen Umständen gab die russische Regie rung nicht uiigcru ihre Zustimmung zur Auswanderung einer erheblichen Anzahl von Tuchoborzen nach Kanada. Dort hoffte man, sie würden im neuen Boden ihrem reli giösen Fanatismus entsagen und ihre guten Eigenschaften, ihren Fleiß und ihre Sparsamkeit, zur Geltung bringen. Und diese Hoffnungen schienen sich wirklich anss erfreu lichste zu bestätigen bis die jüngste Krise eiutrat. Nun wandern die „Goliesstreiier" beiinlos nnd friedlos über die lanadischen Ebenen nnd Hunger und Krankheit lichten ihre Reiben.
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