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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.10.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021010014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902101001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902101001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-10
- Tag 1902-10-10
-
Monat
1902-10
-
Jahr
1902
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Sowohl von links, wie von rechts treten Propheten auf, die ganz genau voraus wissen, was bei der bevorstehenden Aussprache unserer Partei heraus kommen werde: die einen raten so, die anderen anders; jedenfalls aber bezeugen sie sämtlich direkt und indirekt, und je weniger sie es zugebcn möchten, um so mehr, daß dem bevorstehenden nationalliberalen Parteitag eine Bc- deutung beizumefsen sei, wie sie einem solchen lange nicht zugesprochen worden ist. Mit dieser Erwartung steht cs denn nicht in Widerspruch, sondern in erfreulichem Ein klang, wenn schon aus der Zahl -er Anmeldungen, die er gangen sind, eine Regsamkeit für die bevorstehenden Ver handlungen sich erkennen läßt, wie es auch Sanguiniker in -er Partei kaum erhofft haben. Nahezu sieben hundert Delegierte und Namen von bestem Klang, altbewährte und frische Kräfte -er Partei aus Nord und Süd werben sich in Eisenach zusammenfinden! Das bedeutet aber nicht nur die vollkommenste Recht fertigung -es Entschlusses, in diesem Herbst einen Tele- gicrtcntag -er Partei zusammentreten zu lassen, es zeigt auch, daß gerade in unserer Partei lebendigste Teilnahme für -ie Fragen der Reichs- und der einzelstaatlichen Politik in einem Maße vorhanden ist, wie kaum in einer anderen Parteigemeinschaft. Darin liegt auch eine weitgehende Bürgschaft dafür, daß -er positiv gerichtete und unter allen Umständen nationale Liberalismus in den deutschen Wählerkreisen, und namentlich auch im städtischen Bürger tum, weit entfernt ist, zurückzugehen oder gar -en Boden unter den Füßen verloren zu haben, sondern an Boden stetig gewinnt. Ohne in den Verdacht der Ruhmredigkeit zu kommen, darf die nationalliberale Partei und dürfen die nattonalliberalen Fraktionen im Reichstage und in den deutschen Etnzellan-tagen von sich behaupten, daß ihre Mitarbeit an der Gesetzgebung und ihre parlamen tarische und außerparlamentarische Haltung und Tätigkeit -tesen Erfolg verdient haben. Sie haben ihn namentlich verdient in einer Zeit, in der der Radikalismus der Sozialdemokratie auf -er einen und -er mit Mitteln der Agitation, die sich von denen der Sozialdemagogie viel fach wenig unterschieden, auf der anderen Seite zu Werke gehende agrarische Radikalismus über die besten Tradi tionen des Werdeganges der deutschen parlamentarischen Entwickelung mit Stiefeln und Sporen hinwcgzuschreitcn sich nicht versagten und -en Kampf der politischen Mei nungen und Überzeugungen einzuformcn versuchten in einen solchen der rein materiellen Jntcressen-Vertrctung. Das Entstehen-er nationallibcralen Partei ist seinerzeit notwendig geworden, als das partikulare Dondcrtntercsse in den deutschen Einzelstaaten und auch in Preußen die gedeihliche Wetterentwtckelung der frischen Ansätze zur Erfüllung des lange gehegten deutschen Sinheikstraumes zu hindern oder unmöglich zu machen drohte. Bon -em Überwuchern -eS einseitigen KlaffenmaterialtSmuS, wie eS in den letzten Fahren immer deutlicher hervorgctreten ist, muß Ähnliches besorgt und befürchtet werden. Und da ist es denn in hohem Grade erfreulich, wenn aus allen deutschen Landesteilen heraus eine so große Zahl von politischen Männern, wie sie zu dem Delegiertentag in Eisenach kommt, die praktische Entschlossenheit an den Tag legt, durch ihre offene Bckennung zur nationalliberalen Partei die Berechtigung der Ziele und des Strebens der- selben vor aller Welt darzutun. Bekennt -amit das deutsche Bürgertum, daß eS in seinen wahrlich nicht schlechtesten Teilen weit entfernt davon ist, demjenigen JndtfferentksmuS verfallen zu sein oder verfallen zu wollen, der nach manchen Zeichendeutern ein hervor stechender Zug -er Zeit ist, so verpflichtet dieser ebenso eklatante wie erfreuliche Protest weiter Kreise der natio- nalen und liberalen Gesinnungsgenossen gegen die poli tische Tetlnahmlosigkeit gleichzeitig die Partei als solche zu einer Rücksichtnahme auf die in diesem neuen Auf schwung -es gesamten deutschen Nationalliberalismus zum Ausdruck kommenden Strömungen, die sich weder in dle eine, noch in die andere der unserer Partei von den anderen Parteien empfohlenen Formeln fassen lasten. Am allerwenigsten aber wird bei dieser Rücksichtnahme diejenige Hoffnung zu ihrem Rechte kommen, die sich gründen möchte darauf, -aß in Eisenach auch Gegensätze zur Sprache kommen werden. Dies wir- gewiß der Fall sein. Sie werden zur Sprache kommen, sie werden aber auch in der befriedigendsten Weise zum Austrag gebracht werden. Dies wird aber nicht geschehen im Sinne einer un fruchtbaren Resignation oder in -em der Reaktion, sondern des wahrhaft deutschen Liberalis mus im be st verstandenen Sinne, und deshalb wird auch das Ergebnis der Beratungen des Delegierten tages kein anderes sein, als dies: die nationale und liberale Partei in Deutschland wird kraft des von ihr richtig ver standenen Liberalismus -en Kämpfen der kommenden Monate und Jahre um so unverzagter und zuversicht licher entgegengehcn können, weil sie einig und fest die Überlieferungen ihrer besten Zeit bewahrt und für deren Behauptung auch in -en veränderten Zeitläuften alle ihre Krästc einzusctzen bereit sein wird. Altz Parole sowohl für den Delegiertentag als für -ie Zukunft der Partei möge für jetzt und immerdar gelten: „Einig und fest". Deutsches Reich. 6. 8. Berlin, 9. Oktober. (RückgangderAlterS- rcnten; Abneigung gegen die soziale Gesetzgebung überhaupt. Bekanntlich gehen di« Altersrentenbewilltgungen von Jahr zu Jahr zurück, nach den amtlichen Mitteilungen des Reichsversicherungöamtes wurden im Jahre 1991 im ganzen Deutschen Reiche 14 711 Altersrenten festsetzungsbescheide gegen 19 494 im Vorjahre er lassen, was eine Abnahme von über 24 Prozent bedeutet. Bei der Versicherungsanstalt Berlin wurden 341 Altersrenten gegen 387 im Vorjahre bewilligt, es ist also ein Rückgang von 12 Prozent zu verzeichnen, der hinter dem Durchschnitt im Reiche um die Häiste zurück bleibt. Dagegen ist bei den Frauen die Abnahme der bewilligten Altersrenten stärker als im ganzen Reiche, sie beträgt 29 Prozent, während sie bei den Männern sich noch nicht auf 9 Prozent beläuft. Die Gründe für dicie Er scheinung sind in der Tätigkeitderalten Frauen zusuchen. Meist handelt es sich bei ihnen um Aushilfs arbeiten in Hauswirtschaften, wo sie als Näherinnen, Aus besserinnen und Aufwärtcrinnen beschäftigt werden: da aber diese Beschäftigung keine ständige ist. so ist es ihnen unmöglich, die Wartezeit füreine Altersrente zu erfüllen. Bei den Männern kommt eine regel mäßige Beschäftigung auch im höheren Alter öfter vor, aber wenn auch bei ihnen ein Rückgang der bewilligten Alters renten zu konstatieren ist, so ist das darauf zurückzuführen, daß die meisten sich schon vor Zurücklcgung des 70. Lebens jahres invalide schreiben lassen, zumal die Unterschiede in der Höhe -er beiden Renten — Jnvaliden-Altersrente — um so mehr zurückrreten, je mehr Marken bis zum Eintritt -es Bersicherungsfalles geklebt sind. Aus diesen Gründen werden von Jahr zu Jahr die Altersrenten immer mehr und mehr abnehmen und durch die Invalidenrenten ver drängt werden. Aber selbst die Versicherten, welche erst seit 1900 unter das Jnvalidenvcrsichcrungsgesetz fallen und für welche die Wartezeit infolge der Übergangsbestim mungen sehr abgekürzt ist, haben nur in ganz vereinzelten Fällen Altersrenten bewilligt erhalten. Man hätte meinen sollen, daß es in einer Stadt wie Berlin eine ganze Reihe von Privatlchrern und Privatlehrerinnen und sonstigen Angestellten gibt, welche alle gesetzlichen Be dingungen zur Erlangung einer Altersrente hätten leicht erfüllen können, aber die Erfahrung zeigt, daß trotz der früheren Agitationen aus diesen Kreisen, in die Invaliden versicherung hineingezogen zu werden, die Betätigung der Pflichten und der Rechte ihrerseits zu wünschen übrig läßt, ja daß sich bei vielen Lehrern und Lehrerinnen eine Abneigung gegen dasMarkenklebcn be merkbarmacht, weil diese Versicherung sich angeblich nicht mit ihrem Stande verträgt und den Charakter einer Armengesetzgcbung an sich tragen soll. So unberechtigt diese Ansichten sind, so weit verbreitet sind sie, aber cs läßt sich hoffen, daß im Lause der Jahre, wie bei anderen Berussarten, auch bet den seit 1900 neu hinzuge- nommcnen Versicherten die Vorurteile gegen die Jnva- lidenvcrsicherung schwinden werden. * Berlin, 9. Oktober. Zu der Nachricht, daß das neue MilttärpenstonSgesetz nur für diejenigen Milttärpersvnen Gültigkeit haben soll, -ie nach dem 1. April 1903 aus dem Heere ausscheiden, wird in einem Artikel der im Berlage von R. Eisenschnridt zu Berlin er scheinenden „Militär-Zeitung" auf die Ungleichmäßigkeiten und die Härten der Gesetzgebung hingewiesen, die einen Ausgleich dringend notwendig erscheinen lassen, und dann folgendes geschrieben: „Die Gesetzgebung unterscheidet nämlich gewissermaßen drei Kategorien von pensionierten Offizieren: s. solche, die bis einschließlich 31. März 1897 pensioniert wurden, b. solche, deren Pensionierung nach diesem Zeitpunkte, aber vor dem 1. April 1902, und c. solche, deren Pensionierung am 1. April 1902 oder später erfolgte. Nach den gesetzlichen Bestim mungen erhält z. B. ein Oberleutnant, der vor dem 1. April 1897 pensioniert wurde, bei 17jähriger Dienstzeit 780 Pension, ein Oberleutnant, der nach dem 31. März 1897 pen sioniert wurde, bei derselben Dienstzeit 934 Pension, also 154 -kt mehr als sein älterer Kamerad. Bei einem Hauptmann zweiter Klasse gestalten sich diese Zahlen bei 17jähriger Dienst zeit wie 1317 : 1515, d. h. der nach dem 31. März 1897 ver abschiedete Hauptmann zweiter Klaffe erhält 198 .tk Pension mehr als sein älterer, vor dem 1. April 1897 verabschiedeter Kamerad. Ein Stabsoffizier erhält als Bataillonskomman deur nach 25jähriger Dienstzeit, wenn er vor dem 1. April 1897 verabschiedet wurde, 3265 wurde er später ver abschiedet, 3490 ; der Jüngere erhält also 225 -.6 mehr als der Aeltere. Die Pensionsunterschiede zwischen den Kate gorien b und c sind nur unbedeutend und werden daher von uns nicht berührt. Tas sind, wie jeder zugeben muß, keine ge sunden Zustände, sondern, wie der Kriegsminister seiner Zeit in der Budgetkommission des Reichstages sehr richtig erklärte, Un gleichheiten und Härten, die dringend der Abhülfe bedürfen, und da sollte nun nach jahrelanger Vorbereitung ein neues Pensionsgesetz erlassen werden, welches eine vierte Kategorie von Pensionären schaffen, also neue Ungleichheiten und Härten den alten hinzufügen würde! Wir können einfach an die Mög lichkeit eines solchen Verfahrens, das einen Sturm der Ent rüstung bei allen pensionierten Offizieren Hervorrufen müßte, nicht glauben. Man darf die alten Offiziere, die mit schwerem Herzen und oft tränenden Auges ihren Beruf aufgeben mußten und zum Teil in den dürftigsten Verhältnissen dahinlcben, nicht zurücksetzen und muß das neue Gesetz so gestalten, daß ein jeder AuS den Erinnerungen -es Loeren-Obersten Schiel. ii. Gesäuge» an Bord der „Manila". Einer -er interessantesten Abschnitte des Schielschen Buches ist die Schilderung seines Schicksales in der eng lischen Gefangenschaft, die ans das Verhalten der Eng länder ihren Kriegsgefangenen gegenüber recht merk würdige Streiflichter wirft. Die Darstellung der Gefangen schaft auf der „Manila" ist besonders anziehend durch die Erzählung der von den Gefangenen unternommenen Fluchtversuchen. Schiel erzählt von der „Manila": Das Schiff war ein zwischen England nnd Ostindien fahrender Frachtdampfcr, der Truppen von Indien ge bracht hatte. Uns Offizieren wurde ein Raum angewiesen, gegen den das Zwischendeck des schlechtesten Auöwanoererdampfcrs der reine Salon genannt werden konnte. Ich ging zum Kapitän und sagte ihm rund heraus, daß ich einen solch elenden Raum unter keinen Umständen bezöge. Wenn er gefangene Offiziere nicht nach Gebühr behandeln wolle, solle er mir eine Hängematte geben; ich würde dann wohl ein Plätzchen bet meinen Mannschaften finden. Der Kapitän des Schiffes, Haddock, wie auch der Jn- fantcriehauptmann sahen den Grund meiner Beschwerde wohl ein und gaben mir eine Pastagierkabine, die ich mit Kapitän De Witt Hamer teilte. Man gestattete unS außer dem, unser Essen aus der Salonküche gegen Bezahlung von fünf Schilling sechs Pence täglich zu beziehen. Obgleich die Kabine klein war, war sie doch rein. Wir richteten uns so gut cs ging in ihr ein. Der Chtefsteward des Schiffes war Geschäftsmann und zugänglich, und so konnten wir zum ersten Male wieder ein Glas Bier und Wein trinken, was um so bester schmeckte, als die schneidigen Oberaufsichtsräte in Kapstadt den Genuß von Wein und Bier auch für die Offiziere streng verboten hatten. Was diese kleinliche Chikaniereret bezweckte, habe ich nicht recht einschcn können, jedenfalls auch der Schilfs- steward nicht, denn er kümmerte sich ebenso wenig um den Befehl wie wir. Einer der ersten der alten Kameraden, -ie mich auf der „Manila" begrüßten, war der Artillerieunteroffizier Schmidt, den ich bet Elandslaagte als Toten beklagt hatte. Er hatte in meiner unmittelbaren Nähe einen Schuß durch die Brust erhalten und durch den BliJverlust die Besinnung verloren. Nach der Erzählung eines in der Nähe liegenden Verwundeten war ein englischer Arzt zu Schmidt gekom men. Er mag jedoch wohl wenig Hoffnung auf seine Wiedcrgenesung gehabt haben, denn er sagte zu seinem Ge- hülfen: „Es hat keinen Zweck, ihn wegzutragen; er wird die Sonne nicht mehr Wiedersehen!" Aus Mitleid gab er ihm eine starke Morphiumein spritzung, und da noch viele Verwundete ärztlicher Pflege bedurften, überließ er ihn seinem Schicksale. Das Fließen des Blutes hörte bald auf; Schmidt schlief ein, und ailj dem Rücken liegend, fing er an, furchtbar zu schnarchen. Dieses Schnarchen hatte ich für das Todesröcheln gehalten. Es hörte gegen Morgen auf, denn Schmidt, dem es mittlerweile in den offenen Mnnd regnete, hatte sich auf die Seite gelegt und ruhig weitergeschlafen. Am andern Morgen sah ich ihn mit dem Rücken nach mir gewandt und hielt ihn für tot. Erst als die Bccrdigungsabteilung der Engländer kam, wachte er auf und entging so dem Schicksal, lebendig begraben zu werden. Neujahr kam, und unsere Freunde, die Afrikanercomitös in der Kapkolonie, hatten Vorbereitungen getroffen, uns alles zu schicken, was zu einem guten Fcsttagscssen gehörte. Sie schickten eine große Menge gebratener Enten, Hühner, Truthähne, Ferkel, Hammelkeulen u. s. w., Töpfe mit Salat, große Kisten mit Kuchen und Früchten, Limonade und wex weiß was noch alles für schön« Sachen. Dank den Kvp- städter Militärbehörden kamen die meisten der schönen Sachen jedoch alle erst einige Tage zu spät an und die Fleischspeisen und Früchte waren hierdurch wieder einmal verdorben. Mir hatte eine befreundete Dame einige schöne Pud dings mit vier Flaschen Araksauce geschickt, von denen wir einen ausgezeichneten Punsch machten. So hatten wir denn dieses Mal unfern Neujahrschwips von Puddingsauce. Unsere Mannschaften hatten es auf der „Manila" hart, wie auch später auf all den anderen Marlerkasten, Trans portschiffe genannt. Wie Sardinen waren die armen Kerle in dem engen Schifsraume zusannnengepfercht. Platz zur Bewegung war absolut nicht vorhanden, und außerdem kamen fast täglich neue Gefangene hinzu. Gleich in den ersten Tagen wurden verschiedene Leute krank. Da jedoch der Schtffsarzt der „Manila" sich weigerte, die kranken Gefangenen zu behandeln, weil er dafür von der Militärbehörde keine Bezahlung erhielt, so blieben die Kranken ohne ärztliche Behandlung und Pflege. Die Luft unten im Schiffsraum war entsetzlich, und ich be fürchtete nicht allein, daß unter den Leuten Krankheiten allgemein werden, sondern daß diese Art der Gefangenschaft auf die an Freiheit und Bewegung gewöhnten Leute einen so ungünstigen Etnffluß haben würde, daß eines Tages Widersetzlichkeiten ausbrechen, wenn nicht gar ein noch größeres Unglück stattfinden könne. Ich sprach hierüber mit Kapitän O'Meaghre, der auch den Grund zu meiner Beschwerde etnsah und mich bat, sie schriftlich etnzureichen; er wolle sie dann sofort nach Kap- stadt senden. Einige Tage darauf kam auch ein Herr vom Stabe in Kapstadt, ein aktiver Offizier, Kapitän JarviS. Auch er war davon überzeugt, daß dieser elende Zustand unmöglich von langer Dauer bleiben könne, und versprach einen größeren Transportdampfer zu senden, auf dem mehr Raum zu freier Bewegung sei. Kapitän JarviS, der sich von nun an öfters nach unS umsah und jede Klage und Beschwerde sofort untersuchte, gab sich alle Mühe, Mängeln, die er entdeckte, abzuhelfen. Er sorgte sofort für bessere und reichlichere Rationen, gab Befehl, daß noch ein Teil des Oberdecks den Gefangenen zur Verfügung gestellt werden müsse, und traf auch sofort Arrangements mit dem Schiffsarzt betreffs ärztlicher Hülfe für die Kranken. In dem Raum, in dem die Mannschaften schliefen, lag eine Anzahl Rettungsgürtcl. Da niemand glaubte, daß einer der Gefangenen die große Strecke, die das Schiff vom Ufer entfernt lag (ungefähr 2000 Meter), durch schwimmen könnte und da die Bai von Haifischen wimmelte hatte man cs nicht für der Mühe wert gehalten, die Gürtel wegzunehmen. Eines Morgens war ein Däne, Höltin, verschwunden. Er war an Land geschwommen und, wie wir später hörten, glücklich nach den Bocrcnfarmen bei Sommerset West gekommen, von wo man ihm wciterhalf. Da er als Europäer und weil er nur mangelhaft holländisch sprach, viel mehr Schwierigkeiten zu überwinden hatte, als dies bei einem Afrikaner der Fall gewesen wäre, war die Aus sicht für ihn, nach unseren Linien zu entkommen, nur sehr gering. Trotzdem gelang cs. Er erreichte glücklich unsere Vorposten bei Colcsberg und ging von dort weiter nach Bloemfontein und Pretoria. Auf der „Manila" fand die Musterung der Mann schaften nicht auf Deck statt wie auf der „Penelope", sondern unten im Schiffsraum. Die Leute mußten sich so, wie sic in Messen eingeteilt waren, an die Tische setzen und wurden dann gezählt. Am ersten Tage gelang es, an die Stelle des Fehlenden einen der Ofsiziersburschen zu schmuggeln, der, sobald der Jnspektionsoffizicr die Leute des betreffenden Tisches ge zählt hatte, schnell wieder an seinen Platz sprang. Dadurch bekam Höltin einen guten Vorsprung. Das glückliche Gelingen der Flucht hatte auch anderen Lust nnd Mut gemacht, und am nächsten Abend beschlossen noch einige Beherzte, Höltins Beispiel zu folgen. Um die Aufmerksamkeit, der Wachen abzulenken, veran staltete eine Anzahl Gefangener, die in den Plan eilige- weiht mar, mit einbrcchcnder Dunkelheit ans Deck eine Boxcrei mit Boxhandschuhen. Eine ganze Anzahl Leute hatte sich zur Flucht bereit gemacht. Allerdings waren einige darunter, denen man ansah, daß sie das Ganze als eine Spielerei betrachteten. Einer der jungen Boeren kam im vollständigen Anzug zu mir und bat um ein paar Schillinge für die Reise. Er hatte Reitstiefel an und sogar zwei Röcke übereinander gezogen und hier über wieder den Regenmantel, über diesen den Schwimm gürtel. Ich sah an dem sonderbaren Aufzuge sofort, daß aus seiner Flucht nichts werden würde, und fragte ihn: „Kannst du denn überhaupt schwimmen?" „Ich habe eS noch nie versucht, aber Lazu habe ich ja Len Schwimmgürtel!" Ein junger Afrikaner, namens Bothmar, war der erste, der über Bord gelassen wurde. Er kam glücklich weg. Auch der zweite, ein Amerikaner, schwamm außer Sicht, ebenso der dritte. Als jedoch ein junger Boer htnuntergelassen wurde, war diesem wohl das Master zu kalt. Der Jammerlappen schrie um Hülfe, und sein Geschrei lockte einen der indischen Matrosen herbei, der an der Stelle, wo sich die Leute über die Brüstung lehnten, Nachsehen wollte, was es gäbe. Einer der Leute, ein starker Tabakkauer, faßte ihn jedoch bei den Ohren nnd spuckte ihm blitzschnell einen Strahl Tabak sauce in beide Angen, so daß der arme Teufel für einen Augenblick gänzlich blind war. Nun brüllte dieser um Hülse, und das ganze Schiff kam in Aufruhr. Die Mann schaften und englischen Soldaten scharten sich natürlich alle um den heulenden Inder, und so gelang cs, den hasen herzigen Schwimmer wieder hinauf zu ziehen, der eben noch Zeit sand, unbemerkt im Schiffsraum zu verschwinden. Inzwischen war das Alarmsignal gegeben worden. Alle Gefangenen wurden unter Deck geschickt, und von den Kriegsschiffen spielten die Scheinwerfer. Boote wurden in die See gelassen, und die beiden Amerikaner wurden im Wasser schwimmend bemerkt. Der erste war beinahe an Land, der letzte etwa 500 Aards vom Schiffe entfernt, als sie aufgefangen wurden. Bothmar mar ans Land gekommen und dort von einem Posten, der in der Nähe einer verdeckten Batterie am Ufer stand, aufgehalten worden. Er sagte dem Soldaten, er wolle nach Kalkbay gehen, habe aber den Weg verloren, worauf der Posten ihn auf den richtigen Weg brachte und ihn unbehelligt wcitergehen ließ. Kaum war er einige Schritte entfernt, da ertönten die Alarmschüssc und die Scheinwerfer beleuchteten das ganze Ufer. Bothmar änderte nun seine Richtung und verkroch sich in ein Gestrüpp. Dann ging er weiter und marschiert: die ganze Nacht hindurch. Während des folgenden TagcS verbarg er sich wieder. In der zweiten Nacht kam er zu einem ihm bekannten Afrikaner, der ihm weiter half und ihn zu einem Farmer brachte. Dieser, der viel in der Kolonie nmhcrgercist war, um Pferde cinzukausen, ver sorgte ihn mit Geld, nnd gab ihm auch ein altes Notizbuch mit Aufzeichnungen über Pfcrdchandcl. Boihmar, der die Kapkolonie genau aknntc, ging weiter nach den nördlichen Distrikten, sich überall als Pferdehändler ausgcbcnd, der für die englische Regierung Pferde aufkaufen wollte. Einmal übernachtete er auf einer Polizeistation. Der Sergeant hatte an demselben Tage den Steckbrief mit der Personalbeschreibung Bothmars erhalten, die jedoch, da sie nach Informationen von Bothmars Kameraden gegeben war, mit ihm gerade so viel Ähnlichkeit, wie ein Ei mit einem Apfel hatte. Der Pseudo-Pferdehändler kam auch glücklich nach unseren Linien und von dort nach Pretoria, wo er seine abenteuerliche Reise in der „Volksstcm" veröffentlichte. Daß nach diesen Vorfällen strengere Maßregeln ge. troffen wurden, ist selbstverständlich, namentlich daß die Bewachung eine schärfere wurde. Daß aber diese Maß regeln den Charakter einer Strafe für die anderen Ge fangenen annahmcn, von denen nur ein ganz geringer Teil nm die Flucht gewußt hatte, mar doch wohl nicht ganz gerechtfertigt.
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