Volltext Seite (XML)
Briands Arbeit mit dem Völkerbund. Vorlegung nur „geeigneter" Probleme im Sinne der interessierten Parteien. Der Senker für Sacco und DanzeM verschwunden. — Der Dauerslug Könneckes über Travemünde. Vriands Anlwvrk an de Jouvenel. Paris, 10. August. In Beantwortung des Demissions gesuches de JouvenelS hat der Außenminister Briand an den Senator ein längeres Schreiben gerichtet, das gestern vom Ministerrat gebilligt wurde. Darin gibt Briand seinem Er» staunen über die von de Jouvenel angeführten Gründe Ausdruck, wobei er darauf htnmeist, daß die Haltung de JouvenelS bisher nicht den geringsten Zweifel über seine völlige U e b e r e i n st i m m u n g mit der französischen Pölkerbuudspolitik zugelassen habe. Briand wirft dann die Frage auf, ob cs nützlich oder berechtigt sei, über den Rillen der interessierten Parteien hinweg den Völkerbund mit deren Angelegenheiten zu betrauen. Es habe gewisse Vorteile, lebe internationale Schwierigkeit, die auf normalem diplomatischen Wege geregelt werden könne, außerhalb des Völkerbundes zu behandeln, bevor sic eine wirkliche Gefahr für den Frieden darstelle. Journalisten gegenüber ergänzte Briand seine in dem Brief an de Jouvenel zum Ausdruck gebrachte Auffassung noch dahin, daß der Völkerbund die ernstesten und heikel sten Fragen gelöst habe. Frankreichs Nolle im Völkerbund bestehe in der Verteidignng des Rechtes der kleinen Nationen. Zum Schluß erklärte Briand, daß der Völkerbund in seiner heutigen Gestalt ohne Zweifel nicht ohne Fehler sei. Er bilde aber den einzigen gegenwärtig bestehenden Schutz gegen die Sriegsgefahren. lTU.) Die Pariser Presse zum Verzicht -e JouvenelS Paris, 10. August. Der Verzicht de JouvenelS. im September nach Genf zu gehen, und der anschließende Brief wechsel zwischen ihm und Außenminister Briand, findet in der heutigen Mvrgenprcssc ein lebhaftes Echo. Die Nechtsblätter konstruieren aus der Polemik einen Gegensatz zwischen Genf und Locarno. So erklärt im „Echo de Paris" Pcrtinax unter der Ueberschrtft: „Genf und Locarno zerfleischen sich." Briand wisse recht gut, daß in Zukunft die Entscheidung über wichtige Fragen nicht in den Ratstagungen oder Voll versammlungen fallen werde, sondern in den Besprechungen der sechs Mächte. Briand habe sich mit Leib und Seele dem Locarno-System verschrieben. De Jouvenel empfehle die Nückkehr zum Rat und zur Vollversammlung, weil cS Frank- reich dort leichter wäre, Unterstützung zu finden, als in dem beschränkten Kreis der sechs Mächte. „Figaro" schreibt, während de Jouvenel beschlossen habe, den Völkerbund auszn- geben. beeile sich Briand, zu ihm zurückzukebren. Der Völker» bund sei durch seine Schwäche zur Bescheidenheit verurteilt. Tie Besprechung wirklich wichtiger Fragen werde ihm vor- enthalten. Der nationalistische „Avenir" behauptet, der Völkerbund sei im Geiste seines Gründers nur eine Maschine gewesen, um den französischen Sieg auszulöschen. Diese Auf- gäbe habe er gut erfüllt. (TU.) Keule Besprechung des Aeichskabinells. «Trahtmeldung unsrer Berliner Lchrtftlettung.I Berlin, 1k>. August. Die schon vor längerer Zeit an gekündigte Beratung des Reichskabinetts über die Fragen der Außenpolitik wird nun heute nachmittag stattsindcn. Es wird sich dabei nicht um eine der üblichen formellen Kabinettsitzungen sondern nur um eine der Kabinett- besprechuugeu handeln. Zwei der Neichüminister sind, da sic krank danierderlicgen, an der Teilnahme von vornherein verhindert, nämlich der Rcichswirtschaftsminister Dr. Cur- tius, der in Gastein durch ein Gallenleiden zur Bettruhe verurteilt ist. und der Reichsarbcitsministcr Dr. Brauns, der an einer Blinddarmerkrankung leidet. Retchswchrminister Geßler kann der Besprechung nicht beiwohnen, da er sich zurzeit auf einer Inspektionsreise befindet. Da auch der Neichssinanzminister Dr. Köhler wegen einer Reise nach Baden, um an der dortigen Versassungsseier sich zu beteiligen, der Besprechung fernbleibt, werden an ihr nur teilnehmen Reichskanzler Dr. Marx, Außenminister Dr. Stresemann, Innenminister v. Keubell, Justizminister Hergt, Ernährungs- Minister Schiele, Verkehrsminister Koch und Postministcr Schätze!. Die Besprechungen dürsten keinerlei Beschlüsse über etwaige diplomatische Schritte bringen, denn Dr. Strese mann scheint der Ansicht zu sein, daß man zunächst erst ein mal abwarten soll, was er auf der Völkerbundratstaguug iu den bei dieser Gelegenheit erfolgenden Aussprachen mit den Außenministern der übrigen Locarno-Mächte wird erzielen können. Nach Ansicht des Rcichsaußenministers kann die deutsche Politik nur daraus gerichtet sein, eine Reitcrfiihrnng der Locarno-Politik zu ermöglichen und die Hinder nisse, die dieser sowohl von Paris wie auch von London in den Reg geworfen worden sind, wieder zu beseitigen. Dazu ge hört nach der Ansicht Dr. Strcsemanns vor allen Dingen auch, daß die Gegenseite endlich daran geht, ihre Ver pflichtungen in der Näumungüsragc zu erfüllen. Eine weitere Voraussetzung ist die, baß man in Paris und London die Pressekampagne gegen Deutschland, die noch immer im Gange ist, endlich ablehnt, da selbstverständlich eine Klärung des Verhältnisses zwischen den einzelnen Locarno- Mächten nicht möglich ist, wenn einer der wichtigsten Partner der Locarno-Verträge, nämlich Deutschland, das Opfer einer gewissenlosen Prcsschetze sein muß. Die Unstimmigkeiten Schweiz—Italien. lBon unserem ständigen Vertreter in Gens.) Genf, den 4. August 1927. Italien befolgt gegenüber der Schweiz, der Mussolini angeblich in herzlicher Freundschaft zugetan sein soll, eine Politik der Nadelstiche, die zu gewissen Zetten zu Ver- hältntssen führt, die denjenigen an der italienisch-französischen Riviera-Grenze durchaus ähnlich sind. Täglich wieder ist in den Zeitungen von Uebergriffen aller Art zu lesen, die der Faschismus oder seine Organe an den Grenzen begehen,' An maßungen ganz merkwürdiger Art stehen an der Tages ordnung: direkte Schädigungen des friedlichen nördlichen Nachbars werden von Italien unter diesen und jenen Vor wänden, offen oder auf Umwegen, immer versucht, und zwar mit einer Beharrlichkeit, die eines nützlicheren Zieles würdig wäre. Erstaunlich an allen diesen Dingen ist eigent lich nichts, denn sie kehren mit einer Gesetzmäßigkeit wieder, die man längst berechnet hat: immer in der Reisezeit der Schweiz setzen sie wie eine gutvorbereitete Maschinerie ein. Bezweckt ist offenbar, den Hunderttausenden ausländischer Reisenden in der Schweiz, sofern sich diese bis in die Nähe der Staatsgrenze« iu de» Alpe» »orwagen, zu Gemüte zn führen, daß Italien in der Nähe ist, wo die Freiheit der persönlichen Bewegung anfhört und wo Dinge wie Landkarten, Knipsapparate, Taschenmesser als die Einheit Italiens bedrohend angesehen werden. So besteht die italienische Taktik darin, in den allerunwtrt. lichsten Gebieten der Alpen, besonders an den Grenzen Grau« bündcns. so oft als möglich Verhaftungen vorzunehmen, und zwar nicht nur von einzelnen Personen, sondern von ganze» Gesellschaften: einzelne Personen werden von den Faschisten dort oben ruhig auf Schweizer Gebiet im Namen Italiens festgenommen und in die Militärlager und Städte hinunter- gcschleppt: Gesellschaften werden von den italienischen politi» schen Grenzwächtcrn durch List aus italienischen Boden gelockt oder gedrängt. Man hat innerhalb zweier Wochen eine ganze Reihe kleinerer und größerer Grenzverletzungen seitens Italiens registrieren können, die alle auf das Gebiet der Dreisprachcn spitze entfallen. Italien hat seine Alpen grenzen, selbst an den unbegangenstcn und unwahrscheinlich sten Uebergängcn, mit vielen Hunderten von militarisierten Faschisten belegt, während die Schweiz bis jetzt keine Not wendigkeiten sah, auch ihrerseits ganze Kompanien von Grenzsoldaten in die abgelegensten Teile der Alpen zu stecken. Infolge der grandiosen Wildheit und Unberührtheit der be troffenen Gebiete, die in der Nähe des schweizerische» Nationalparkes liegen, ziehen beständig wachsende Scharen von Alpinisten, unter ihnen besonders auch schweizerische und ausländische Studentengruppen, dahin, wobei der gewöhnliche Vorgang dann der ist: Die Touristen werden von Faschisten umringt, eS wird ihnen meistens der Wahrheit nicht entsprechend erklärt, daß sie sich ans italienischem Boden befänden, woraus die Pässe abvcrlangt werden. Wer keine Papiere besitzt, wird abgcsührt, während die übrigen aus irgendwelchen anderen Gründen ebenfalls mitgehen dürfen. Wen die Italiener von Schwetzerboden aus den Ortler photo graphieren sehen, der von hier aus besonders bestechen- wirkt, der darf unter schwerbewaffneter Bedeckung sicher nach Tirana und Sondrio hinuutermarschieren, die vielen Kasernen auf dem Wege dahin passierend. Man verlangt in der Schweizer Presse die Einleitung diplomatischer Aktionen gegen die ständige» Hoheits» Verletzungen, während zugleich der Ruf nach Repressalien auS dem derartig angegriffenen Kanton ertönt. Es ist ganz sicher, daß die unhaltbaren, die Atmosphäre vergiftenden Zu- stände ein schnelles Ende finden müssen, sollen sie nicht noch verschärft werben. Schon jetzt wird den „Gefangenen transporten" von ihrer Begleitmannschaft erklärt, eS gäbe laufend derartige Transporte. Denn eS ist klar, daß die Ucbergrtffe bis jetzt nur deshalb verhältnismäßig harmlos verlaufen, weil die Schweiz davon absah, den italienischen Provokateuren Grenztruppen in ähnlicher Stärke entgegen- zustellen. Italien hat übrigens diese Gebiete zur militärischen Zone erklärt und hält hier hinter seinen Grenzpfählen be ständig Manöver ab, deren eigentliche Bedeutung sich kein Mensch recht erklären kann. Ganz anders als in diesen ganz der Willkür preis, gegebenen Grenzgebieten hat Italien an den Hauptübergangs- punkten vorzugchen versucht, wobei der Zweck, den in der Schweiz zirkulierenden Fremdenstrom zu stören, vielleicht etwas weniger zutage trat, dafür aber die Anmaßungen eher politischen Charakter trugen. Wie man weiß, hatte Italien den Hauptgrenzübergang Chiasso-Como zu einem bemerken», werten System von Schikanen ausgebaut, so daß die Schweiz endlich dazu überging, die italienischen Kontrollen im Zuge auf Schwetzerboden zu gestatten. Das wirkte sich indessen etwas anderes aus, als man denken konnte. Die italienisch«» Zollfaschiste«, in großer Anzuhl «ub be merkenswert bewaffnet, kamen ViS nach Bellinzona, s« daß jeder Fremde den Eindruck erhalte« wußte, hier beginne Italien. ES wurde von Reisenden nach Lugano Pässe verlangt. Dies« unhaltbaren Zustände konnten selbftredeuh Nicht I««« Könneckes Dauerflug über der Sftsee. Landung nach 19 Stunden Dis jehl 18 Stunden in -er Luft. Travemünde, 10. August. Der Flieger Könnecke, der, wie gemeldet, gestern um 18.30 Uhr mit dem Ozeanslugzeug zu einem Tauerslug ausgesticgcn war. erschien gestern 20 Uhr bis heute früh 6 Uhr säst stündlich über Travemünde. Die Nacht war sehr dunkel. Die Wolken lagen tief und cs regnete. Könnecke gab verschiedene Lichtsignale und warf wiederholt Meldungen ab, daß sich an Bord alles wohl befindet. Das Kasper-Flugzeug I) I- 43 mit den Fliegern Könnecke und Graf v. Sorge an Bord befindet sich seit Dienstag nachmittag 6,80 Uhr in der Luft. Der Start auf dem Trave- münder Flugplatz verlief bei windstillem Wetter mit Sporn wagen normal. Das Flugzeug hat für etwa 20 Stunden Be triebsstoff, Oel und Kühlwasser, außerdem eine Sende- und Empfangsstation, sowie Werkzeug und Proviant an Bord. Zweck des Fluges ist die Erprobung des Flugzeuges in einem längeren Flug, besonders bei Nacht, und Prüfung der Ge schwindigkeiten und des Bctriebsstoffverbrauchs. Honte morgen um S Uhr hatte Könnecke rund 2000 Kilometer be wältigt. Er hat also ein Durchschnittötempo von 140 Kilo meter erreicht, eine sehr ansehnliche Leistung, wenn man berechnet, daß der Pilot während der ganzen Zeit den Brenn stoff gestreckt hat, um zu erproben, mit welcher Mindest- menge Benzin das Flugzeug den Atlantikflug absolvieren könne. Auf die Reise nach Neuyork wirb Könneckes Eindecker 2300 Kilogramm Betriebsstoff mitnehmcn, von denen etwa 180 Kilogramm auf Oelrcservcu abgchen. Könnecke dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach erst Ende dieser Woche den Atlantikflug antreten. Morgen will er noch einige Bc- laftungSslttgc machen, um die Startgeschwindigkeit genau berechnen zu können. Am Freitag dürfte er dann nach Berlin kommen, wo er noch auf der amerikanischen Botschaft geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen hat. Von Berlin aus geht die Reise nach Köln, und dort soll dann der end- gültige Start stattsindcn. Aus den Rat der Wetterwarte will Könnecke ebenso wie die JunkerS-Flngzcuge die nördliche Dampfer route aus dem Atlantik als Kurs benntzen, zu mal nach Ansicht der Meteorologen in dieser Brette noch ge raume Zeit östliche Luftströmungen vorherrschend sein werden, die bas Unternehmen fördern würden. Travemünde, 10. August. Um 1,15 Uhr ist Könnecke mit seinem Ozeanflugzeug nach fast lOstündigem Flug glatt gelandet. Der Motor und die weitere« Einrichtungen haben sich ausgezeichnet bewährt. iWTB.j Saeeo und DanzeM hark vor dem Tod. Gouverneur Füller hat die letzte Entscheidung. Neuyork, 10. Aug. Für die beiden zum Tode ver urteilten Anarchisten Sacco und Vanzetti, deren Hinrichtung bereits für heute nacht angckündtgt ist, erscheint doch wieder eine leise Hoffnung, dem Tod zu entgehen. Ihre Verteidiger hatten gestern abend eine längere Unterredung mit dem Gou verneur Füller, um einen Ausschnb der Vollstreckung des Urteils zu verlangen, damit bei höheren Gerichten gegen die Entscheidung des Richters Thaycr appelliert werden könne. Gouverneur Füller wird die Entscheidung über den Antrag der Verteidiger auf weiteren Aufschub der Hinrichtung hcute nachmittag treffen. Die gestrigen Proteststreiks in Nord- und Südamerika sind fast durchweg ruhig, allerdings auch ohne die vorher gesagte Nicsewbeteillgung verlaufen. Die Polizei mußte in Neuyork nur zweimal eingrcifcn, um DcmonstrattonSzttgc, die zur Cityhall wollten, zu zerstreuen, doch brauchte von deu Schußwaffen keinerlei Gebrauch gemacht zu werden. Die Bvstoner Polizei verhaftete zwei Italiener, die angeblich ein Attentat ans Kuller geplant hatten. Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. In Chtkago wurde im Postamo ein« Höllenmaschine gesunde», dt? bei Nichtentdcckung sicherlich großes Unheil angerichtet hätte, da das Postamt in einem stark bevölkerten Distrikt liegt. Der Dosloner Senker verschwunden. ParlS, 10. Aua. Nach einer Meldung der „Paris Times" aus Neuyork ist der für die Hinrichtung SaccoS und Ban- zettiS bestimmte Henker plötzlich auS Boston verschwunden. Man nimmt an, daß er sich versteckt hält, um die Hinrichtung nicht vollziehen zu müssen, auS Furcht vor Racheakten. Trotzdem werde die Hinrichtung ftattsinben. da man sich einen kreiwilltgen Henker besorgen könne.