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Dresdner Nachrichten : 28.10.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-10-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192310283
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19231028
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19231028
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-10
- Tag 1923-10-28
-
Monat
1923-10
-
Jahr
1923
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 28.10.1923
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<rnr Eine alte Geschichte. Um da» Lohr iSSO herrschte in de», Gebiet von Lecco am Lomerse«, da» damol» zu Mailand gehörte, Don Roüriäo. Cr hotte seine Burg hoch oben aus dein Berg« und war wohl bewacht durch ein« Anzahl von Braot. die zu jeder Schandtat fähig waren. Don Nobrigo Halle Gäste zu sich geladen, den Bogt, den Doktor und seinen Detter, den Grasen Atiilio. Sie konnten sich nicht genug tun in Lob sprüchen über den treulichen Aci», der ihnen vorgesetzt wurde. Der Vogt suchte den Grasen Atttlio darin zu überlressen und Attilio wieder den Vogt. Nur der Doktor blieb stumm. .Nun. was me,nt Ihr dazu. Doktor?" fragt« Don Nodrigo. Nachdem der Doktor seine Nase aus dem Glase geholt Halle — sie glänzte noch röter als der Wein —, antwortete er. jeoe Silbe mit Nachdruck betonend: .Ich sage und stelle seit, das) dieser der Olivarez unter den Weinen ist <Do» Gasparo Guzman, Gras von Olivarez. Kerzog von San Lucar, war der große Günstling Philipps, des Königs von Spanien, und Beherrscher von Mailand). Oonsul et in oam lvl rsntenilam. baß ein ähnlicher Saft in den 22 Neichen unseres Kecrn. des Königs, den Gott beschütten möge, nicht zu finden ist. Ich erkläre und stelle fest, daß die Frühstücke des erlauchten Don Rodrigo dle Nachtmähler Kellogcibalg überlressen und daß die Kungersnol ans ewig verdammt ist von diesem Palasle, wo die Pracht und Herrlich keit ihren Stk hat." .Gut gesagt, gut erklär!," schrien aus einem Munde die Tisch genolsen. Aber dieses Worl Hungersnot, das der Doktor zusällig ball« fallen lassen, wendete olbhßch die Gedanken alter auf diese» traurigen Gegenstand, und alle sprachen von der Teuerung. Kierin waren sie in der Kauptsache wenigstens alle einig. Aber der Lärm war vielleicht noch größer, als wenn sie uneinig gewesen wären. Alle sprachen sie zugleich. .Ls gibt gar keine Teuerung," sagte der eine, .es sind die Auskäuter . . ." .Und die Bäcker," meinte cm anderer, .die das Korn zurllckholten. Kängen sollte man sie." »Ganz rcchl, ohne Gnade hänge n." .Lin schönes Rechlsoerfahrcn," schrie der Bogt. .Recblsversahren?" schrie Allilio noch lauter. .Summarische Rechtsprechung. Man greift drei, vier, fünf oder sechs von denen, die nach öffentlicher Meinung als die reichsten und ärgsten Kunde bekannt sind, aus und hängt sie. Ein Beispiel, ein Beispiel, ohne warnendes Beispiel erreicht man nichts!" »Köngen soll man lie, hängen l Und das Korn wird auf einmal in Hülle und Fülle da sein." Wer einmal über den Jahrmarkt gegangen ist »nd sich am Wohl klang gefreut hat, den Musikanten Hervorbringen, wenn zwischen zwei Stücken jeder von Ihnen sein Instrument stimmt, indem er es. so viel er nur kann, kreischen läßt, der hat eine Vorstellung von dem Wohl laut dieser Gespräche, wen» man sie so nennen dars. Dabei wurde wieder von diesem Wein eingeschenkt und das Ihm erteilte Lob mischte sich in die Urleilssprllche, die Nechtsgelehrsamkeit, und so waren die Worte, die man am schallendsten und häufigsten vernahm: Ambrosia und hängt sie, Dieses von den Freunden Don Nodrigos empfohlene Verfahren wurde aber auch in Mailand damals nicht dürchgesütjrl. Die Teuerung ging weiter, und es entstand, wie das bis jetzt (das heißt bis zun, Jahre 1630) immer so gewesen ist, wenn man den Schrillen so vieler vortrefflicher Männer glauben darf, in den meisten Köpfen die Meinung, daß die Ursache der Teuerung nicht der Mangel sei. Man vergißt, daß man sie gefürchtet, vorhcrgcsagt hat: man nimmt aus einmal an. es sei Korn zur Genüge vorhanden, das Unglück komme nur daher, weil man für den Verbraucher nicht genügend ver kaufe. Line Annahme, die zwar ganz sinnlos ist, aber zugleich dem Zorn und der Kossnung schmeichelt. Den wirklichen oder eingebildelen Aufkäufern des Getreides, den Grundbesitzern, die nicht alles an einem Tage verkauften, den Bäckern, dle es kauften, kurz alle», die wenig oder viel davon hatten, oder im Aufe standen, es zu haben, allen diesen gab man die Schuld an dem Mangel und an der Teuerung, alle diese waren das Ziel der attgcmeinen Klage, der Abscheu der gut und schlecht gekleideten großen Menge. Man konnte genau sagen, wo die übervoll strotzenden Kornspeicher und Lagerhäuser waren. Man gab die Zahl der Säcke unverhültiiismäßig hoch an: man sprach mit Bestimmtheit von der ungeheuren Kornmenge, die heimlich »i andere Länder geschickt wird, wo man wahrscheinlich mit der gleichen Be stimmtheit und ebenso lobend schrie, daß das Korn von dort nach Mailand ausgesührt sei. Man ries die Obrigkeit an. damit sie Maß- nahmen treffe, die der Menge selbst sehr billig, einfach und geeignet erschienen, um das. wie sie sagten versteckte, vermauerte und vergrabene Korn herauszuhvlen und den Ueberfluß wieder herbeiznsühien. Die Obrigkeit bemühte sich auch, etwas zu tun. Eie setzte für einige Lebensmittel den Köchstprcis fest, tzllndtgle denen Strafe an. die sich weigerten, zu verkaufen und erließ noch ander« Verordnungen dieser Art. Da aber alle Maßnahmen dieser Art. so streng sie auch sein mögen, weder die Fähigkeit haben, das Bedürfnis nach Spciien zu verringern, noch außer der Jahreszeit Nahrungsmittel hervorzubringcn, da ferner insbesondere diese Maßnahmen gewiß nicht Lie Macht be saßen. Lebensmittel aus andere» Gegenden hccziischasfen, wo sie im Ueberfluß vorhanden sein mochten, so dauerte denn auch das Uebel weiter und nahm noch zu. Die Menge schrieb dies« Wirkung der Unzulänglichkeit und Schwäche der Kilssmniel zu und fordert« mit tauiem Geschrei starke und entschiedenere. Und zu ihrem Unglück fand sie den Mann nach ihrem Kerzen. ... . ., Wie di« Geschichte wenergegangen ist? Nun. selbstverständlich wurden neue Höchstpreise festgesetzt. Selbstverständlich bekamen auch in dem Mailand des t7. Jahrhundert» die Bäcker den Befehl, zu diese» Kvchstpreisen ihre Waren zu verkaufen. Die Menge hat über den Vollzug dieser Verordnung gewacht, ja schließlich selber ringe- grissen. Die Bäckerläden wurden gestürmt, die Waren ausgeraubt, die Einrichtung bis aus den Backofen zerlrümmert und öfsentlich verbrannt. Also geschehen zu Mailand am St.-Martins-Tage des Jahres l628 Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Antonio Fcrrer erließ im Namen des Cont« Duca Veschlagnahmeoerordnungen . und Aus fuhrverbote. Jede Uebcrirelung seiner Befehle war mil strengen Strafen, oo» der ösfenlsichen Wippe bis zur Galeere, bedroht. Der alte Schrisisteller, der das alles getreulich berichte!, bemerkt dazu: „Der Pöbel Halle den Ueberfluß durch Plünderung und Brandstiftung her- beisühren wollen, die Regierung wollte ihn mit Galeere und Folter erhallen." Uns Kcutigcn — so schreibt die „München-Augsb -Abendzeitung", der mlr diese Erzählung entnehmen, — ist das alles. Doll sei es ge klagt. nicht neu. Täglich wird Aehnliches ans vielen deutschen Slädje,, berichtet. Woraus wieder einmal der Schluß zu ziehen ist. daß die Menschheit seit 300 Jahren an Weisheit nicht zugenommen Hai Deshalb können wir wohl auch daraus verzichten, den Schluß der Geschichte hierher z» setzen und zu erzählen, wie in dem Mailand des l?. Jahrhunderts alles ausgegangen ist. Die einen würden meinen, sie seien eben doch viel schlauer als die alte» Mailänder und deshalb die dortigen Erfahrungen von vornherein beiseite schieben, aus die wenigen andern aber würde niemand hören. Eine allgcmeine Bemerkung unfcres Gewährsmannes aber wollen wir »»fern Lesern nicht vorcnthatien. Sie laulel: „Es sei uns erlaubt, hier flüchtig et» seltsames Zusammenlressen zu beachten. Vor »ich! allzu ferner Zeit und in dem geräuschvollsten und denkwürdigsten Zeit abschnitt der neueren Geschichte »ahm man in einem benachbarten Lande unter ähnlichen Umständen zu ähnlichen Kilssmilteln Zuflucht — im wesentlichen zu denselben, könnte man fast sagen, und ungefähr In der gleichen Reihenfolge, mit dem einzigen Unterschiede in den Verhältnissen — man griff zu Ihnen ungeachtet der veränderten Zeilen und unge achtet der ln Europa und in diesem Lands vielleicht mehr als anderswo wachsenden Erkenntnis, und das hauptsächltch, weil die breiten Massen, zu denen diese Eikennlnis nicht gedrungen war, ihre Meinung aus lange Zeit zur Geltung bringen und auf die Gesetzgeber einen Zwang ausüben konnten." Damit keiner daran zweifle, daß das nicht erst nachträglich zurecht gemacht, sondern in der Tat die aus der Kungersnot in Mailand tm Jahre >628 gewonnene Eikennlnis ist, sei der Name unseres Gewährs mannes ausdrücklich dekanntgegeden. Er heißt Älessandro M a »zc> n i*) und isi geboren am 7. März 1785 zu Mailand. Eben, dort ist er in der Nacht vom 22. zum 23. Mai t873 auch gcstorben- In seinem Roman „Dis Verlobten", der )825 —28 erschienen isi, kann man alles das und »och einiges mehr Nachlesen. ") M l Neundiicher Kenekmizun» des Tkeaimer Verlags in München, der «ine neue, schöne Ausgabe der Werbe Man^vnts vorlegi. tind diese SieUen dem von Iudamia Schuchier ins Deuische überiragsnen verützmien Voman Manzvni» .Di« Verlaine» «niirvmnren. Claudius. Skizze von Wilhelm Herbert. Wir hatten btS zu ziemlich später Stunde von Getstcr- erschclnungen, vierter Dimension, Ahnungen, Seherinnen, Horoskopen „nd allerhand anderen außergewöhnlichen Dingen geredet. Die Meinungen waren ziemlich auseinandergeplaht. Die Nüchternen konnten sich des KrtttelnS und Spöttelnd nicht enthalten und waren dafür von den Gläubigen und Wissenden scharf abgekanzelt worden. Kurz, mein ganzes Inneres schwang in Gefühlen, dle über der Erde schwebten, und meine Gedanken hatten sich von den alltäglichen Jdcengänge» völlig losgelöst. Die Nacht war klar, dtc Straße einsam. Vor mir ging jemand. Je näher ich kam. desto deutlicher erkannte ich. daß es Llanoinv war. Ich blieb stehen und lachte laut auf. Er schien es nicht gehört zu haben, sonst hätte er sich sicher uingesehen. Denn er mußte mich am Lachen können. Torheit... Wie sollte er? Ich dachte an meine Frau, die mir in letzter Zeit wieder holt auf den Kopf zugcsagt hatte, ich sei so sehr nervös über reizt, daß ich in kurzem in ctnc Heilanstalt kommen würde. Wenn sie jetzt bei mir wäre! Ich schaute wieder die Straße vor mir ab, rteb mir die Augen, tlopste mit dem Finger gegen mein Htrrr. Es hals alles nichts. Es war Claudius. ^ Seine Gestalt, seine Kopfhaltung, seine Art, zu gehen, seine Kleidung. . ..... „Aber." — sagte tch laut «n mlr selbst — „Claudius ist ja vvr einem Jahre gestorben." AlS tch mir gleichzetttg, um mich dessen durchaus zu vergewissern, setiicn Todestag ins Gedächtnis rief, mußte ich scststellcn. daß es heute genau ein Jahr war seitdem. Da gruselte mir körperlich, und ich sah ein, baß ich sehr an einem Scheidewege angelangt mar, an dem cs mich un bedingt tn die Verrücktheit htneinsührcn mußte, wenn ich nicht so schnell als möglich energisch eine andere Richtung einschlug. Ich beschleunigte meine Schritte, bis tch neben dem Mann« stand, und zog höflich den Hut. Ich wollte mich überzeugen, daß er es nicht war, well er es ja nicht sein konnte. Denn er war tot. Leit emem Jahre tor „Entschuldigen Sic, mein Herr." — sagte ich — „hast ich Sie mitten tn der Nacht hier auf offener Straße anspreche!" Da sah er mich an. Mir siel der Hut aus der Hand. Ich hörte mich lallen. Aber ich verstand selbst nicht, was ich wollte. Es war Claudius. Sein sprechendes Auge, seine scharfe Nase, sein weiblich kleiner spöttischer Mund, der sich auch jetzt lächelnd auswarf. „Sic?" fragte er. „Seit wann sind wir denn auf dem „Sie".Fuße?" ,Lch mag nicht mehr!" schrie ich und wvllte mcgrcnneu. Ich konnte nicht. „Rege Dich nicht ausl" fuhr er ernster fort. „ES ist gar kein Anlaß dazu. Ich habe heute eine Stunde Urlaub und wollte wieder einmal zu Hause Nachsehen. Gute Nachtl" Im nächsten Augenblick war er hinter der Tür ver schwunden, vvr der wir standen. Ich sah im Mondlicht, das die Bogenlampe über der Straße verstärkte, deutlich die Nummer 17. Seine Nummer. Mein Gruseln war vorüber. Meine Erregung hatte sich vollkommen gelegt. Ich war ganz ruhig und Verstandes. mäßig eingestellt. Ich wartete. Ich wartete eine Stunde von seinem Verschwinden ab. Er kam nicht mehr zurück. Vielleicht war er andere Wege gegangen, die nnS nicht gangbar sind. Denn daß er cS gewesen war, daran bestand für mich kein Zweifel mehr. Wie hätte das auch sein können? . . . Am anderen Morgen begegnete ich seiner Schwester. „Haben Sie vielleicht daran gedacht" — sagte sie mlt freund licher Wehmut —, „daß cs gestern ein Jahr seit dem Tode von Claudius gewesen ist?" „Doch!" murmelte ich. „Doch!" Sie lächelte. „Was doch das Drandenkcn ausmacht! Ich Hab', weil tch den ganzen Tag an ihn dachte, nachts so lebhaft von ihm geträumt, daß ich ihn, als ob ich wachte und alles wirklich wäre, zur Türe hercinkominen und durch mein Zimmer in das seine gehen sah. Er nickte mir freundlich zu und lächelte. Ist das nicht merkwürdig?" „Allerdings!" sagte ich. „Sehr merkwürdig!" Sie schaute nm, alS ob sic Lauscher fürchtete. „Aber denken Sie" — flüsterte sie dann —. „Eins dars tch ja gar niemand sagen außer Ihnen, da Sic sein Freund waren und mich deshalb nicht auSlachen oder für geisteskrank halten wer den — „iS ich frühmorgens in sein Zimmer hinübcrkam, ging seine alte Licblingsuhr, das Erbstück vom Großvater, die er täglich selbst aufgezogen hatte bis zu seinem Tode. Sie hat seit einem Jahre gestanden. Er hat nie vergessen, wenn er nachtö hetmkam, die Uhr noch ausznztehen . . . Und sie ging heute morgen . . ." Wenn er nachts hcimkam . . . Die Worte wollten mir lange nicht aus dem Kops. Wir vermieten an Ausländer. GroteSke von Ego« H. Straßburger. Meine Frau beriet mit mir: „So geht cS nicht weiter . . Der Dollar steigt »nd die geistige» Arbeiter falle» im Werl von Tag zu Tag." „Und was ist da zu machen?" fragte ich. „Wir vermieten an Ausländer gegen Valuta." „Nein", schrie ich auf, „es ist bei schwerer Freiheitsstrafe verboten, tm Inland mit fremdem Geld zu arbeiten." „Memme!" sagte sie kurz und Memme nenüate. Ich er klärte mich damit einverstanden, die Vorbrecherlausbahn sofort zu betreten. Äarumerungssehnsucht. Der Sonnurrtag, nu»S tch oft gedenken, Geib' träumend der Erinnerung ich Raum — — —- 3ch siol)' am IMeer«, sei)' der BZogen Senke« Tlnd St-andronrteiflnten wle in einem Traum. Dort drüben sei)' am Steg ich Boote liege«, Dle oftmal« mich so weit jhlnansgefShrt . . . Och s»k>' der zartbrschmtngtsn ILIöw» TDiegeu, Eh leicht und sanft dl« BZell« sie berührt. Der weiche Seesand schmiegt sich meinen Nahen, Et« kühler Windhauch streicht mir um mein Haar, Än» jeder Weil« tönt's wie heimlich Glühen Und lockend Nliistrrn einer Rixenschar. Dir, Traumroschönheit, geb' ich mich zu eigen! E» löst di» Wirklichkeit sich nm mich her — 2m Herz«, fühl' ich unbesiegbar steigen Dt» Sehnsucht, mein« Sehnsucht nach dem OOleerl Kete Willecke (Wehlen). Die Totenmaske. Skizze vonJ. ViilpcS. Der Schlaf ist im deutschen Volke rarer geworden. Die großen und kleinen Sorge», Feinde der Ruhe, lassen nnS den Schlummer nicht mehr so bald sindeir. Auf dem Rücken liegt so mancher in seinem Bett und starrt durch das Fenster. Da zieht draußen der Mond herauf, der melancholische Begleiter der Nacht, der Freund derer, die dem Bruder des Todes traumumsangen in die sanften Arme sinken. Und siehe da. der Mond selbst trägt eine Totenmaske. Bleich und farblos, kreideweiß mit harten, bitterernsten Zügen steht er über den Bäumen und schaut ernst und unheimlich auf den hofsnungösrcmdcn, zermürbten Menschen, der ohne Schlaf in den Kissen liegt. Er wirst sich hin und her. Er denkt und allmählich legt sich ein harter, schmerzender Reif nm den Hinterkopf. Angst gefühle steigen in ihm auf. Die Verzweiflung sucht über ihn Herr zu werden. Er fürchtet, die Sinne zu verlieren und tn der nächsten Minute aus dem Bett zu springen, sich ans dem Fenster zu stürzen, den Gnshnhn zu öffnen, irgendetwas Fürchterliches zu nnternchmen gegen sich und die Setnigen. Um sich und ihnen die ersehnte Ruhe zu verschaffen, die nnS niemand mehr gönnen will, uns, den Weltgehetzten, denen, die sich das bequeme Nachegefühl ganzer Völker alS die Aller- weltSsündenböcke zugczogen haben. Aber siehe da, langsam — je tiefer sich di« Schatten der Nacht heruntcrsenken, je bleicher der Himmel wirb — erstarkt der Glanz des Mondes. Sein bleiches, ausdrucksloses Totcn- r,.sicht nimmt Farbe und Leben au. Es beginnt allmählich in sanftem Gold zu leuchten. Milde prägt sich tn seinen Zügen aus. Immer mehr belebt er Busch und Hai», bis endlich die ganze Erde in zauberisches Licht gebreitet ist. alle Schatten weichen, Sitbernebel Uber Len Wiese» weben, die Fenster i» sanftem Schimmer glühen und die Menschen dahinter sich wohlig strecken »nd ruhig und ruhiger atmen in befreiendem, die Glieder und die Sorgen lösendem Schlummer. Nein, nein, der allgültige Wille, der hoch über den Wolken maltet, duldet nicht, daß ein großes, ein gutes, ein emsiges Volk, wie eS die Deutschen sind, jahrzehntelang zum bequemen Weltverbrechcr gestempelt wird. Auch uns leuchtet nach den finsteren Stunden der Nacht die reisende Sonne eines neuen Tages — auch uns blüht wieder frisches Leben anö den ruhm bedeckten Schlachtfeldern des Todes. Wesen und Kultur Ser Amerikanerin. Dr. Alice Salomon. die Pädagogin und Sozial» Politikerin, hat die Bildungs- und ErzichungSprobleme Amerikas geprüft und nach ihrer Studtciircisc vor kurzem tn Berlin in einem Bortrage darüber berichtet. „Die Fraueu- srngc," so führte sic u. a. aus. „ist schon beinahe keine mehr, so selbstverständlich ist drüben die Frau Mittelpunkt des öffentlichen Lebens. Die ungeheuren inneren und äußeren Kümpfe, dtc den Entwicklungsgang der deutschen Frauen- bcwcguiig kcnnzetchnen, blteben den amerikanischen Frauen erspart. Wtlliä nahm die neue Welt von Anfang an die Mitarbeit der Frau an der Formung des politischen und des kulturellen Lebens entgegen und überließ namentlich die Gestaltung der Kultur ihren Händen. Das hat naturgemäß dtc seelische Struktur der Amerikanerin wesentlich mit- bestimmt, und so ist sic in vielen Beziehungen von der Europäerin, namentlich brr deutschen Frau, verschieden und die Brücke des Verständnisses schwer zu begehen. Das anlcrtkanischc Mädchen entwickelt sich zu dem kvllek- tivistischen Typ. wie er hauptsächlich in den sogenannten Colleges gezüchtet wird, einer Schulsorm, bet der rS weniger auf die Erlangung einer bestimmten Summe von Kennt nisse» ankommt, als darauf, den bestimmten Btldungssteinpel der einzelnen Colleges als gcsellschastltche Legitimation »u erlangen. Dieses System des Internats, in dem daß amerika nische Mädchen Jahre hindurch lebt, »nd das aar nichts ge mein hat mit dem Pensionsjabr, das früher bei uns als unerläßlich erachtet wurde, schafft eine» Frauentyp von innerer Unabhängigkeit, ein weibliches Junggesellentum, das sich auch bet späterer Familiengründung nie ganz verliert und das die amerikanische Häuslichkeit von der unsere» so grundverschieden macht. AuS dieser Gemeinschaftserziehung, dieser kollektivistischen statt individualistischen Erziehung nun erwächst, verbunden mit der TcmpcramentSstärke junger Völker, die starke Nei gung zu sozialen Reformen, die die Amerikanerinnen aller Schichten ailSzeichnct. Sic will immer ändern, bessern, und mit wahrer Besessenheit verfolgt sic ihre Ziele. Ob eS sich nm Frauenstimmrecht, hygienische Di aßnahmen, BildungS- ztele, bevölkerungspolitische Neuerungen, religiöse Reformen handelt, — überall gehen diese um- und Neugestaltungen von Frauen aus, werden von Frauen durckgesochten und er kämpft. Der letzte große Sieg in dieser Richtung war die „Trockenlegung", das Alkohvlverbvt. Amerikanische Kultur — es ist noch nicht einmal klar, was man darunter zu verstehen hat, nnd ob es überhaupt schon eine eigene Kultur Amerikas gibt. Aber waö immer man gelten lassen will, Kultur oder Zivilisation: — cS trägt im wesentlichen die geistigen Züge der amerikanischen Frästen. Gerade auch die vielen religiösen Sekten, die paziststischev Organisationen und die sozialhngicnischen Reformen, die Dn Amerika einen breiten Platz cinnchmen. sind nicht vom Manne aus bestimmt, sondern gehen auf die Frauen zurück und empfangen ihr Gepräge von der geistigen Wesensart der Amerikanerin, die, von nns aus gesehen, eine eigenartige Mischung rationaler Kühle deS Denken» und Uberbewußter, überbetonter weiblicher GestthlSemschläge ist. .. „.Wie und wo immer aber man Amerika als Faktor ein- stellt, — es kann nur einigermaßen begrlsscu werben, wenn uwn den Anteil der Frauenwelt an seinem sozialen Bau richtig cinschatzt. WaS unS aber gerade von diesem Gesichts punkte aus unverständlich bleibt: die Interesselosigkeit A" europäischen Schicksal, das doch gerade graue» qestih Smnhig ergreifen müßte, findet eine Erklärung darin, daß die Amerikanerin hier keine Mochtsphäre für ihre Reform- und sich in die kühle Atmosphäre d«S „Desinteressements" zurückzteht." Nr. -98 Dresdner Nachrichten. 28. Okl. 1923 Seite 11
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