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Dresdner Nachrichten : 01.08.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-08-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189908010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990801
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-08
- Tag 1899-08-01
-
Monat
1899-08
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 01.08.1899
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-! "Z Z!« L «7-8S-?rr Seite 358. Belletristische Beilage zu den „Dresdner Nachrichten". kein Landwirtschaftlicher Verein angesctzt, und wenn etwa doch ein solcher gewesen, dann gingen die Herren ja doch stets in's Kasino: denn bis früh mn Bier tagte keine Gesellschaft. Oder hatte er einen Freund besucht? Doch dann wäre er bei dem Wetter sicherlich dort geblieben. Oder hatte er etwa an einem Festessen oder Liebesmahl theil- genommen? Doch dann wäre er doch nicht rn seinem Jagdanzug mit der Büchse unter dem Arm fortgegangen. Und zu Fuß? Selbst ohne den Heltor? Und zu Fuh kehrte er zurück bei dem Sturm. Wäre er in Laupa gewesen, dann wäre er doch sicherlich dort über Nacht geblieben oder hätte einen Wagen genommen, der ihn bis an's Hosthor gefahren. Wo war er also gewesen? Sie sann und sann, ohne zu emem Resultat zu kommen; der wahre Grund siel ihrem reinen Gemüthe nicht ein. aber bald vergaß sie, noch länger darüber nachzudenken; eine neue Unrnhe bemächtigte sich ihrer: der kleine Ernst war eben aufgewacht und hatte nach Wasser verlangt und dabei mit weinerlicher Stimme über Schmerzen im Hals geklagt, die ihn beim Schlucken hinderten. Ein tödtliches Erichrecken durchfuhr sie; hatte Richard etwa, als ec von den Begleiterscheinungen gesprochen, die mehr zu fürchten seien, als das Scharlach selber, hatte Richard etwa jene schreckliche Krankheit, den Würgengel der Kinder, die Diphtheritis. genieint? Von Neuem erfüllte sie heftigste Angst und Furcht, selbst als das Kind wieder eingcschlasen. konnte sie sich nicht beruhigen, mit Sehnsucht wachte sie dem kommenden Morgen entgegen. 17. Kapitel. Richard hatte das Anerbieten, sich am nächsten Morgen wieder vom Bnrgdorfer Wagen holen zu lassen, abgelehnt. Er hatte noch einige andere Kranke in Laupa zu besuchen und war gerade fertig geworden, uni den Neun- llhr-A,g nach der Waldstation benutzen zu können. Er war allein im Coupä. Der Sturm hatte mit dem Morgengrauen nachgelassen und der Regen auf- aehört, und wenn schon die Sonne noch immer ihr Angesicht hinter dichten Wolkenschleiern versteckte, so war doch die Luft rein und erwischend. Durch das geöffnete Fenster zog das würzige Waldozon in vollen Zügen ein. Es that rhm wohl, die Strrn dem lühleiden Wind auszusetzen, aber cs währte nicht lange, die Station war bald erreicht und Richard sprang aus dem Wagen, um sich alsbald auf dem wohlbekannten Pfade nach Burgdors auf den Weg zu machen. Ihn kümmerte das Tropfen von den Bäumen ebenio wenig wie die Nässe des Bodens; rüstig griff er aus, cs lag ihm daran, seinen kleinen Pattenten bald wieder sehen zu können. „Na, Tu hast einen guten Schritt, Pastors-Doktor!" ertönte es plötzlich dicht hinter ihm, „da kommt ja selbst unsereiner kaum nach. Grüß Tick Gott! Bist schon früh auf für einen Stadtmensche» nach so einem Sturm, wie er gestern gewesen!" Richard hatte sich bei den ersten Worten umgedrcht mck den Förster Peterfen erkannt und ohne sich im geringsten an das vertrauliche „Du" zu kehren, drückte er ihm die Hand und cnviderte lächelnd: „Einen Stadtmenschen darfst Tu mich nicht nennen. Petersen, ich bin gerade so ein Bauernkind wie Du und vom Lanaschlafen bin ich nie ein Freund geweien. Aber wie geht cs denn Dir. Hab Dich lange nicht gesehen! Was für eiu schmucker Bursch Dn geworden! Da reißen sich wohl die Burgdorfei Mädels um den statt lichen Waidmann! Heh ? Odp hat Dich etwa gar Eine schon ges schon verheirathct, Petersen?" Ein Schatten flog über des Försters Gesicht. „Ja. Pastors-Doktor, gefangen wie ein Fuchs in der Falle! „So. also doch, und mit wem denn? Wer ist denn die Glückliche gewesen ?" „Die Marie ist's! Weißt, die früher bei der gnädigen Frau gedient!" „Ei der Tausend, La ist ja em hübsches Paar zusammen gekommen! War immer ein schmuckes Ding, zdie Marie! Und seit wann bist Tu denn her Ehemann?" hon über zwei Jahr." hon über zwei Jahr? Da ist wohl auch schon Familie da?" i! Ein Bube und ein Mädel!" ^ schon! Ta kann man schon gratuliren. Ich wette, Tu hast in Laupa 'was eingekaust für die Kinder!" „Nein, ich komme nicht von Laupa. ich komme von der Residenz, der Baron schickte mich gestern dahin wegen Holzverkaufs, gestern Abend wieder herausgesahren, aber es als es mir lieb war." Petersen hatte die letzten Worte mit einem so eigenthümlichen Ton gesprochen, daß Richard ihn unwillkürlich anschaute. Doch dann sagte er in scherzhaftem Tone: „Ja, ich kann es mir denken, daß Du keinen Gefallen darin findest, in der großen Stadt allein über Nacht zu bleiben, während die Frau hier draußen auf Dich wartet. Na, was machst Du denn für ein finsteres Gesicht? Bist Du jo ärgerlich darüber? Es war wohl das erste Mal. daß Dir das paisirte?" „Rein, es war nicht das erste Mal, im Gegentheil, doch reden wir nicht davon. Wo willst Du denn hin. so früh am Tage? In s Pfarrhaus ?" „Nein, zunächst wenigstens auf's Gut. Ter kleine Baron ist krank, man hatte mich schon gestern Abend geholt." „Dich auf's Gut? Gestern Abend?" „Ja. gestern Abend, trotz des Sturmes!" „Der Baron schickte nach Dir?" „Ja. oder vielmehr die Frau Baronin selbst. Er war nicht da." „Er war nicht da?" wiederholte Jener zögernd und dann mit einem scheuen Seitenblick nach Richard fuhr er fort: „Wo war er denn? Etwa in Laupa in seiner Gesellschaft, wo er so oft hingeht?" „Nein, da war er auch nicht. Man hatte nach ihm dorthin geschickt, aber er war nicht dagewescn. Wo er gesteckt, ich weiß es nicht, war mir übrigens auch gleichgiltia." „Und wie Tu wieder gingst, war er da noch nicht zurück?" „Ich glaube nicht, gesehen habe ich ihn wenigstens nicht. Ich wunderte mich auch, daß er nicht da war. denn das Kind ist riemlich krank." beneid lzverkaufs. Ich wäre gen, noch nahm mich länger in Anspruch. „Tu, könntest Tu nicht auffinden, wo er gewesen ist, ich will aus Dich in der Schänke matten." „Wo denkst Tu hin. Petersen. Was habe ich mit dem Baron zu thun 1 Und was fragst Du so darnach. . Jnterejsirt es denn Dich zu wissen —" „Mich, o ganz und gar nicht," unterbrach ihn Petersen hastig, ich dachte nur an die Frau und an das Kind!" Sic gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, Petersen war mit einem Male still geworden, aber ans seinem Gesicht lag ein finsterer Zug. Nach einer Weile begann er wieder: „Du bist weit in der Welt herum gekommen, Pastors-Doktor; bist sogar in Amerika gewesen. Hab' ich gehört." „Ja, Tu hast Recht, in allen sunf Erdthcilen war ich schon, in Amerika, Asien, Attika und Ausstralien." „Nun. und wie ist es denn in Amerika? Giebt cs da wirklich so viel Geld? Man hat mir 'mal erzählt, da gebe es nur reiche Leute, kein solches Bettelpack wie bei uns, da würde Jeder rasch reich." „Du hast wohl auch schon AuswandcrungSgclüste bekommen? Laß Dir rathcn, bleibe im Laude und nähre Dich redlich! Mit dem Rasch-reich-werden ist es nicht so weit wie Tu denkst! Es mag drüben Leute geben, die rasch reich geworden sind, aber Deutsche — sehr wenige! Ja. von den gerissenen Bankers. da können es Manche, unser deutsches Gemüth ist zu schwerfällig und zu ehrlich. Glaub' mir. auch unter de» Amerikanern giebt es viel Elend und von den deutschen Einwanderern haben es gar Manche bitter bereut, ehe sie nur ei» halbes Jahr in, Lande waren und haben sich sehnsüchtig wieder zurückgewünscht. Wir hatten auf unserer letzten Rückfahrt von New-Aork techs Familien an Bord, die alle enttäuscht wieder nach Deutschland zuriick- kehrten. erst verkaufen sie ihr Hab und Gut zu einem Schleuderpreis, dann gehen sie hinüber, halten sich vielleicht ein paar Jahre, schließlich geht das mitgebrachte Geld zur Neige, dann kommt's Elend und zuletzt können sie noch Gott danken, wenn sie wenigstens noch so viel haben, nm die Rückfahrt bezahlen zu können. Und wenn sie dann wieder nach Hause kommen, dann ist Haus und Hos in anderen Händen und sie müssen von vorn anfangen. Und die sind noch nicht einmal am schlimmsten daran. Viele, Viele gchcn drüben zu Grunde. Wer Dir gesagt, die gebratenen Tauben fliegen Einem nur so rn den Mund, der hat's entweder nicht gewußt oder —der hat gelogen. Arbeite», hart arbeiten muß Jeder drüben, ein Faullenzerleben ist dort un bekannt. Tu zum Beispiel müßtest nun schon gleich nach dem Westen, für Dich wären die großen Städte nichts, aber folge meinem Rath, Petersen, 's ist Dir besser." „Aber im Westen, sag' 'mal, das ist wohl weit vom Wasser?" „Nun. ein paar Tage und NäAte muß man schon fahren, che man dahin kommt." „Da ist man wohl ganz allein? Da kennt Einem wohl Niemand?" „Manchmal sichst Du auch Hunderte von Meilen keinen Nachbar. Nichts wie Felder und Prärie." „Und da giebt es wohl auch kein Forstwesen und Polizei und Gericht?" „Ja. Polizei und Gerichte giebt es, strenge sogar. Und ein Menschen leben gilt da drüben nicht viel, 's ist schon Manchem bei Kartenspiel das Leben ausgeblajen worden! Wie es mit dem Forstwesen steht, weiß ich nicht, aber solche Einrichtungen, wie wir ste haben, die giebt es nicht. Nein. Peterien, nochmals, wenn ich an Deiner Stelle wäre, rch aüb' alle Gedanken, auszuwaudern. aus und blieb in meinem grünen Wald. Doch halt, hier geht mein Weg ab nach dem Gut. wenn Du heimkommst grüß' mir die Frau Försterin!" Sie trennten sich händeschüttelnd und Petersen schlug in Gedanken ver sunken seinen Weg nach dem Jorsthaus ein. Richard folgte dem Pfade, der links adbiegend bald aus den Wald heraus und zwischen den Jeidem hindurch zum Gute führte. „Wie doch die Auswanderungsliist im deutschen Volke lebt!" so dachte er vor sich hin, hier Peteoen, in feiner Stellung mit Frau und Kindern! denkt daran, in die Welt zn ziehen. Und warum? Ich weiß es nicht, wenn ich den Leuten doch allen erzählen könnte, wie es Otto gegangen und wie es hundert Anderen ebenso gegangen ist! Ader wie ihm doch das Wegbleiben des Barons gestern Abend intereisirte. was mußte ihn nur dazu bewegen?" Und seine Gedanken wandten sich wieder den Bewohnern des Gutes zu. Als Richard wenige Minuten später das Herrenhaus bettat. wurde er wieder wie am gestrigen Abend in das Empfangszimmer geführt und Wiedemm fiel ihm der Unterschied zwischen der früheren Einfachheit und den jetzigen Prachtstücken, die das Zimmer zierten, auf. Wohl io Mancher mochte dieses Raumes Ausstattung bewundern, er konnte sich für all' den Glanz und Schmuck nicht erwärmen. Ihm fehlte an diesen Möbeln, mochten sie auch noch so theucr und kostbar sein, der geheimnißvolle Zauber, der alte, von den Ahnen ererbte Familienstücke zu umgeben pflegt, die plumpen, schweren, aber doch so festgefügten Tische, die alten, derben Ledcrstühle, die einst hier ge standen, hatten seinem Gefühl eines alten Herrensitzes, eines Hauses, das nunmehr schon vor Jahrhunderten aufgeführt war, bester entsprochen, als alle die glänzenden, gebeizten, ein imitirtes Alter zeigenden Produkte moderner Zimmerarchitektnr und Holzschneidekunst. Aber es war das ja nur eine Illustration zn Allem, was in Burgdorf paffirt: unwillkürlich wandten sich seine Gedanken dem Vergleich zu. zwischen dem einstigen und dem jetzigen Besitzer, er dachte an das alte Geschlecht derer von Tillmann, die einst hier gehaust und deren Bilder droben in der Ahnengallette er so oft als Knabe bewundert, alles mächtige, breitschulterige Hühuengestalten in den verschiedensten Gewändern ihrer Zeit, die Einen die güldenen Amtsketten um den Hals,' die Folianten zur Seite, ihre juristische Stellungen im Staate andeutend, die Anderen ini Lederkoller oder der Stahlrüstung, die Faust auf den Schwert knauf gestutzt, wackere Reisige, Alle aber mit demselben Charakterzug im Ge sicht. Biederkeit mit Entschloffenheit und männlicher Gesinnung gepaart, Edel leute im besten Sinne des Wortes. Stützen des Vaterlandes, Diener des Staatswesens, Vertreter, echt adeliger Gesinnung und Gesittung. Und dann dachte er an ihn, dessen Bild wohl nicht mit da oben hing, an den letzten Herrn von Tillmann, der das Gut sein Eigen genannt, an ihn, aus dessen Belletristische Beilage zu den »Dresdner Nachrichten". Seite 35S. Knicen er so oft geschaukelt, zu dem er aufgeschaut wie zu einem zweiten Herzen eingearaben waren. Welch' ! dieser echte Edelmann doch überall . , Indenken noch jetzt die Bewohner von Burgdorf in Ehren, trotzdem daß er durch seine Nachgiebigkeit den Ruin von Burgdors herbeigerufen hatte. Und dann traten die Personen der Gegenwatt vor seine Augen, der Baron. Frau von Tillmann. Otto und Agnes, und je länger er darüber nachdachte, umso finsterer wurden seine Züge, daß Frau von Tillmann in irgend einem Winkel der Großstadt von der Gnade ihres Schwiegersohnes lebte, daß der Sohn drüben in New - Jork den Becher bittcistcn Elendes ausgekostet hatte, das war nur eine gerechte, verdiente Strafe, daß aber Agnes, der Liebling ihres Vaters, aus der keine Schuld lastete, an den, Niedergang des Tillmann'schen Hauses, daß Agnes an der Seite dieses Biamies durch's Leben zu gehen habe, das empörte ihn aus's Tiefste, ohne es zu beabsichtigen, ohne es nur zu merken, nahm er in seinem Inneren Partei iür sie, er fühlte ihr nach, was sie litt, er verkörperte sich mit ihrer traurigen Existenz und Mitleid erfüllte ihn für Die, die er »och gestern treulos genannt, deren Bild er für immer aus seinem Herzen gebannt zu haben meinte Auf ihn übertrug er seinen Haß, seinen Groll, auf ihn, der ihm sein Liebstes geraubt, der jetzt ihr Gatte war. Hätte er wenigstens Agnes „och glücklich gemacht! Aber nein, freudlos ging sie an seiner Seite durch's Leben: „Ich habe ja sonst Nichts auf der Welt!" Oh. er haßte ihn, der mit all' seinem Geld, ieinen Prunkmöbeln den Schatz nicht verstand, den er besaß, der sich in sein Leben gedrängt, der ihm sein Lieb gestohlen, oh, er haßte ihn und er hoffte, die Zeit wurde einmal kommen. — Ein Geräusch riß ihn cuis seinen Sinnen zurück und ließ ihn sich der Thür zuwcnden und als er ausschaute, sab er sich dem Baron von Buchow gegenüber. Er hatte den Zerstörer seines Jugendglückes nur ein einziges Mal gesehen und da nur ganz flüchtig, aber seine Züge hatten sich scharf in sein Gedächniß eingeprägt und der Mann, den er da vor sich sah. war ihm wohl bekannt, genau so hatte er ihn in der leisten Nacht im Traum gesehen! Das Gesicht war zwar jetzt nicht von Leidenschaft und Wein geröthst, sondern blaß, die Augen, die ihn so höhnisch augeblickt, waren jetzt müde, verschleiert, aber um den Mund lag derselbe hochmüthige, geringschätzige Zug. das Gesicht hatte denselben blasirt-üornehmen Ausdruck, das Richard recht wohl verstand, warum die Burgdorfer ihren Gutsherrn nicht liebten. Er sah hier einen Vertreter einer leider noch immer zahlreich vertretenen Menscheiiklaffe vor sich, die das alte Mettcrinch'sche Wort vom Anfang des Menschengeschlechts auf ihr Punier geschrieben, die, dem Ausgang unseres aufgeklärten Jahrhunderts zum Trotz, noch iinmer in der Rangordnung der gesammlen civiiisirten Welt sich aus ein höheres Piedestal stellt, als die. denen das „Recht der Geburt" abgeht, denen irgend welche Gemeinschaft mit nicht „lflaublütig" Geborenen eine erzwungene Selbsterniedrigung ist, gb '" viel, ob dieselben in geistiger Beziehung aus weit höherer Stufe stehen mö, ein typischer Junker und Richard war sich klar, selbst wenn seine persönlichen Gefühle für Herrn von Buchow anderer Natur gewesen wären, für den Herr» hätte er sich unmöglich begeistern könne», er war zu sehr Anhänger liberaler, fortschreitender Ideen, 'eine sozialen und politischen Ansichten waren denen des Barons zu schroff entgegengesetzt. Ader mehr noch drängte sich ihm wieder die Frage auf: wie konnte Agnes Tillmann einem wichen Menschen ihre Hand reichen? Und wieder sielen ihm Otto's zweifelnde Worte ein: wenn da nur flucht ,'was Faules passitt ist!" Doch es blieb ihm nicht lange Zeit, darüber nachzudenken. Günther hatte sich, nachdem er mit flüchtigem Blick Richard gemustert, ihm vorgestellt und höflich, wenn auch zurückhaltend, kam es über seine Lippen : „Wir sind Ihnen zu Tank verpflichtet. Herr Doktor, daß Sie sich gestern Abend noch nach Burgdors bemüht haben. Es wäre uns natürlich lieber gewesen, unser Haus arzt wäre selbst gekommen, indessen der Herr Medizinalrath hat Sie wann empfohlen, und Frau von Buchow berichtet mir, Sie hätten sich unseres Sohnes sehr eingehend angenommen, und so sehen wir keinen Grund ein, uns a» einen rinderen Arzt zn wenden. Sie wissen wohl nicht, wenn der Herr Medizinalrath zurnckkehtt?" Richard hatte ruhig zngehört. Die gönnerhafte Art des Barons empörte ihn. am liebsten hätte ec ihm den Rücken zngedreht und das Gut verlasse», aber er dachte an Agnes, und sich bezwingend anlwottele er kühl: „Bedauere, der Herr Medizinalrath hat mich in feine Reise-Pläne nicht eingeweiht!" „Gleichviel. Sie haben den Fall übernommen," fuhr Jener fort, „Frau von Buchow hat Vertrauen zu Ihnen, Sie werden ja wohl ihr Bestes thun, nm unserem Kleinen zu Helsen. Wir fürchten, er ist schlimmer heute früh. Ich bin leider selbst erst spät in der Nacht heimgekehrt imd habe eben erst von dem Kranksein gehört, auch ich mnß gestehen, kranke Kinder sind mir un ausstehlich. Sie werden sich wohl an Iran von Buchow's Bericht halten müssen. „Haben Sie den Patienten schon heute früh gesehen?" „Den jungen Herrn meinen Sie? Flüchtig. Was kann man denn in einem halbdnnklen Zimmer sehen, Frau von Buchow sagte, er habe das Scharkachfieber, wohl möglich, ich habe Nichts davon gesehen!" Richard schwieg still, er hatte keinen Grund mehr, den Mann mit seinen dünkelhaften Manieren ausznfragen. Offenbar hatte Agnes ihn nicht eher von es ihm an! Aber der Baron hatte Recht, Agnes würbe ihm mehr sagen können, nur die eine Frage noch: „Sie hatten den Knaben" — er konnte es mcht über die Lippen bringen, das Kind „den jungen Herren" zu tituliren — für kränker heut', warum?" „Er klagt über Schmerzen im Halle!" Richard ichrack zusammen, er wußte, was das zu bedeuten hatte. „Erwartet mich die gnädige Frau?" fing er hastig. „Gewiß, bltte». mir zu folgen?" Schweigend nickte Richard vor sich hin, schweigend folgte er auch Jenem die Stufen hinan, die zum Krankenzimmer führten, in das sic jetzt einlratcn „Oh, Herr Doktor! Gott sei Dank, daß Sie da . endliche Angst um meinen Ernst. Nicht wahr. Sie haben nicht die jemeint, als Sie gestern von Begleiterscheinungen sprachen? Emst klagt über Schmerzen beim Schlucken, Herr Doktor, nicht wahr, daS hat nicht viel auf sich?" „Beruhigen Sie sich, gnädige Frau. Sie Helsen damit Ihrem Kinde ni, - ^ ^ " schn ^ ° " Zeit, Emst «hob, wie da- fast yes Geschrei, aber Richard hatte eit. auf beiden Mandeln zeigten und sich selbst machen Sie cs nur schwerer. Es kommt allerdings leider häufig genug vor, daß sich diese Krankheit der anderen zugesellt, aber —" „Oh. mein Gott, dann stirbt er mir gewiß! „Sie dürfen nicht gleich das Schlimmste befürchte», lasse» Sie mich nur erst einmal nachschen." Die ruhige Art. wie Richard sprach, verfehlte nicht, auf Agnes' erregtes Gemüth eine besänftigende Wirkung auszuüben, aber noch immer bebend stug ie ängstlich: „Wünschen Sie etwas, kann ich Ihnen mit irgend etwas Helsen?" „Darf ich um einen Thcelöffel bitten? So. nun lassen Sie auch einmal diesen Stuhl an's Fenster setzen und ziehen Sie. bitte, den Vorhang zurück, daß wir mehr Licht haben, so, nun geben Sie mir einmal den kleinen Patienten!" Und sich selbst am Fenster niederlasscnd nahm er dos in einer Decke eingewickelte Kind auf seinen Schooß. umfaßte es mit dem linken Arm. drehte das Gesicht dem Fenster zu und mit der Rechten rasch da- Gttsfende des Lössels zwischen den Gaumen schiebend, bettachtete er sorgfältig den vom Tageslicht beleuchteten Rachen des Knaben. Diese Prozedur dauerte nur ganz kurze >' alle Kinder zu thun pflegen, ein mörderisc genug gesehen, seine Befürchtung war Wahr, ich die charakteristischen diphtheritischen Beläge. Aus seinem Gesicht mußte sich wohl die Wahrheit deutlich ausgeprägt haben, denn Agnes wurde plötzlich todtenbleich, alles Blut wich aus ihnm Gesicht zurück und angstcntstcllt starrte sie Richard an; aber noch che derselbe in schonender Weise etwas zu sagen vermochte, tönte es von der Thur her. wo Günther stand, „Herr Doktor, ich werde Sie unten im Empfangszimmer erwarten. Ich kann so etwas nicht mit ansehen." Und ohne eine Anwott abzuwartc». öffnete er die Thür und tr»t hastig hinaus. Richard hatte schweigend den Kops gesenkt, es war ihm nichts Neues, daß robuste Männer im Vollbesitz ihrer Kraft. Leute, die kaltblütig irgend einer Gefahr in's Auge zu sehen vermögen, nicht im Stande sind, einen Arzt rin krankes Kind anfasten und behandeln zu sehen, aber es erfüllte itz» mit Be dauern. daß selbst hier der Baron es seiner Gattin versagte, ein Helfer, eine Stütze zu sein, daß er selbst sie letzt allein ließ; indessen Agnes fühlte beinahe etwas wie Tank ihrem Gatten gegenüber, daß er sie mit Richard allein ließ, rasch flüsterte sie ihm zu: „Lassen Sie ihn gehen, Herr Doktor. Sie brauch«» ihn ja doch nicht. Er taugt nicht für ein Krankenzimmer, da giebt's zu wenig Abwechselung für ihn." und leiier, zögernd setzte sie noch hinzu: „W ist mir lieber, wir sind allein! Aber sagen Sie mir, ist es wirklich Diphtheritis?" „Ja. gnädige Frau, es ist kein Zweifel mehr, es sieht sogar bösartig aus!" „O, mein Gott, mein einziges Kind! Was soll ich thun. wenn ich Dich verliere?" „Fassen Sie sich, gnädige Frau! Die Hoffnung gebe ich noch lange nicht ans, nur muß Alles gcthan werden, was nöthig ist!" Und was ist nöthig. was kann ich thnn?" Das Erste, was unbedingt nothwcndig ist. ist eine geschulte Pflegerin. Wenn cS Scharlach geblieben wäre, dann würde ich Ihre Bitte von gestern Abend noch weiter berücksichtigen und Ihnm die Pflege allein überlassen, für diese Krankheit ist aber eine Wärterin anerläßlich." „Trauen Sie mir weniger zu als einer solchen? Glaube» Sie nicht, daß eine Mutter bester weiß, was ihrem Kind gebricht, al» eine brzahttc Person?" „Nein, gnädige Fra», es ist ein falsche- Gefühl, da- sich gegen eine der artige Krankenpflegern, sträubt, eine gute Schule geht ost über den betten Wille» und durch rasches, selbstständiges Eingreifen m der Abwesenheit de» Arztes hat schon manches Mal so eine „bezahlte Person" ein Menschenleben gerettet, ich thue es doch nur im Interesse ihres Kindes, wenn Ich daraus besiehe!" „Gewiß. Herr Doktor, ich sehe das auch ein, ich füge mich ja auch, ent- schuldigen Sic, wenn ich zögerte, aber Sie können cs mir nicht nachfuhlen: darf ich dann gar nichts mehr für mein Kind thun?" „O. doch gnädige Fra». Sic theilen sich in die Pflege, cS wird für Jede» nach immer genug zu thnn übrig bleiben. Sie können ja z. B- ganz gut de» Tag über die Pflege übernehmen und des NachtS die Wärterin." „Ach, dann ist es gut! So wollen wir cS thnn. Tann bin ich ja auch immer allein hier, wenn Sie kommen!" Die Worte waren ihr über die Lippen geschlüpft, ohne daß sic sich ihres Inhalts bewußt, ohne daß sic sie beabsichtigt, und kaum waren sie mivroche». als sie schon hastig hinzusagtc: „Ich setze so großes Vertrauen in Sir, Herr Doktor!" Und Richard, sie ruhig und ernst anblickend. erwiderte leise: »Ihr Ver trauen ehrt mich, gnädige Frau! Ich werde Alles thun, um mich desselben werth zu zeigen!" Und wieder wie gestern, sobald seine Stimme einen wärmeren, an die alte Zeit erinnernden Ton anschlug, stieg eine heiße Blnttvrlle in ihr aus und ihr eben noch so bleiches Gesicht färbte sich ties rotb. Da»», mit einem tiefen Athcmzng. die Augen langsam zn Richard erhebend und ihn voll in die ieinen scheiiv, sagte sic eben io leise: „Ich bin Ihnen vom Grund meine» Herzens dankbar, Herr Doktor, dankbar für Ihre Gute und Ihre Freundlich keit — ich habe sie ,a nicht verdient!" „Frau von Buchow!" anwortetc Richard rasch, „dars ich bitten, in mir nur den Arzt zu sehen! Lassen Sie die Vergantzmhrit ruhen, setzt wenigsten», vielleicht, daß ich später rin paar Fragen an Si, richten möchte, lassen Sie uns jetzt nur an Ihren Ernst denken!" tFol>ir»„ng Dommrta,.,
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