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Dresdner Nachrichten : 01.08.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-08-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189908010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-08
- Tag 1899-08-01
-
Monat
1899-08
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 01.08.1899
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Seite 36V. Belletristische Beilage zu den »Dresdner Nachrichten". Allerlei frrv die ArnrrenrVett. Vterkspruch: Als das viele Lachen man dem Narren verdacht, Hat er gemeint. Es sei besser, tausendmal grundlos gelacht. Als einmal mit Grund geweint. Albert Roderich. Anspruchslosigkeit! Nicht nur in den Kreisen der obersten Zehn tausend. sondern auch in den besseren und ebenso in den mittleren Büracr- samilien ist der Sinn für dieses Wort wohl ganz verloren gm an gen. Die Handwerkersfrau muh doch wenigstens aller vier Wochen ihren len einen „Kaffee" geben, muh im Theater abonniien und jeden ei» paar Wochen io irgend welcher Gegend ihrer „Erholung" leben. Dazu bedarf cs neuer, moderner Kleidung, was Alles eben sein muh. gleich viel. ob es der Mann nun verdienen mag oder nicht. Der Mann hingegen acht AbendS stin Spielchen machen; diese Erholung braucht er. Dazu werden so und so viel Glas Bier getrunken und eine nette Anzahl Cigarren geraucht. In besseren Kreisen würde Derjenige, der nicht wöchentlich zu Hause empfängt und gleichermaßen Einladungen annimmt, der nicht mit der Familie halbe Weltreisen ausnchrt, — nicht die Subskriptionsbälle besucht, nicht ständiger Abonnent der Oper, der Künstlersoireen, der Sinfonie-Concerte, des Schau spielhauses ist. nicht Mitglied der ersten Gesellschaften sich nennen kann, ein fach unmöglich sein. Das Alles gehört eben dazu, will man gerechten An spruch auf dre gesellschaftliche Hochachtung haben. Ueppige Mahlzeiten am ' " ' und übler Nähmaschinen reinigt man dadurch, daß man mittelst eines Pinsels oder einer Feder Benzin in die Löcher träufelt, die zum Oelen der Maschine bestimmt sind, einige Minuten tritt, die Theile mit einem Lappen reinwischt und die Maschine wie gewöhnlich einöit. Hat das Rohrgesiecht von Stühlen durch längeren Gebrauch seine straffe Spannung verloren, frischt man es dadurch auf, daß man es auf der Rückseite vermittelst eines Schwammes mit möglichst heißem Wasser wiederholt gehörig durchfeuchtet. An einer luftigen Stelle ohne Wnrme- anwendung langsam getrocknet, erlangt das Geflecht vollständig seine frühere Straffheit wieder. schwarzes Leder erhält man, wenn man einen Theile sog. Judenpech pulverisirt und dieses ^prae Mahlzeiten Äboü> such an der Tagesordnung, bei denen natürlich schwere Weine Biere nicht fehlen dürfen. Spätes Zu-Bett-komnieii, schwerer Kopf. Magen, abgespannte Nerven sind die steten Folgen dieses modernen Lebens. Wer dasselbe nicht mit durchführt, sei es aus Vernunft?- oder Geldgründen, der kann nicht erwarten, daß man ihn mit unter die gebildeten Leute zählt. Man muß doch der Welt zeigen, daß man es hat. oder damit zndecken. was mau nicht hat. Wo großes Vermögen da ist, kann sich ja der Mensch Alles leisten, obgleich sein innerer Theil und keine Gesundheit schwer unter diesem ' iden haben. Aber dasselbe Ber eu znsteht, wo nur eine, , . , . . immt nun der Tod plötz lich den Ernährer hinweg, versiegt die gewohnte Einnahmeguelle, müssen Frau und Töchter von einer für ihre Ansprüche allerdings schmalen Pension leben, dann fühlen sich diese verwöhnten Menschen in den Tod unglücklich «nd verbittern womöglich, wo sie tausendfach Ursache hätten, Gott zu danken. Anspruchslosigkeit wird man nur noch bei wenig Meirichen finden. Es ist ja Jedem zu gönnen, wenn er sich einmal einen geistigen Genuß oder ein gesell schaftliches Vergnügen leisten kann, aber dies zu einer tollen Jagd zu gestalten, von einem Genuß zum anderen zu stürmen. Das ist eine Unsitte, bedingt nur ein großes Vermögen und vermehrt die moderne Nervosität. Man kann ohne Theater und Concerten, ohne Badereisen, ohne gesellschaftlichen Umgang, ohne verschwenderische Mahlzeiten, ohne hochmoderne Kleidung doch ein ganz anständiges Menschenkind sein, dem ein Blümchen Naturgenuß bietet, dem ein gutes Buch geistige Nahrung in der Feierstunde des Abends gewährt, dem «in treuer Freund hundertfach die Salon-Menschen ersetzt, dem sein be scheidenes Mahl köstlich dünkt und sein nur mit Bickter bestrichenes Brot besser schmeckt, als dem Gourmand die auserlesensten Bisten. Ich hatte erst kürzlich Gelegenheit, z» hören, wie fick ein hochgebildeter Herr, der icdoch zu den wenigen Anspruchslosen zu zählen ist, sagte: „Man kommt sich bei dem überall in's Maßlose gesteigerten LMs wahrhaftig wie ein Bettelmann vor". Und ich mußte ihm Recht geben. So manche Frau, die als Mädchen sich ihr Brot in dienender Stellung erringen mußte, macht Ansprüche an den Geldbeutel ihres Mannes, die oft in das Lächerliche streifen. Ihr einstiger anstregendcr Beruf ließ sie nicht nervös sein, aber nun. der Manu hat es ia, Köchin n>' ' Glanzlack für schwarzes Leder Theil schwarzes Pech und 2 Theile sog. Judenpech . . Pulver in 4 Sheileu Steinkohlenbenzol durch Schütteln und Stehenlassen in mäßiger Wärme löst. Lin Nbend. nun hält sie . . sich l , . . Erholung in den verschiedenen Badeorten, den Mann und die zarten Kinder den Dienstboten überlassend: denn die Kleinen mitzunehmen, verbietet ihr ihr nervöser Anstand, da sie nach dem anstrengenden Winter, mit seinen zahllosen Zerstreuungen und Genüssen, dringend der Ruhe bedarf. Blieb sic aber uu- vecheirathet. oder der Mann war nicht in der Loge, ihr ein solches Leben zu bieten, schenkte ihr Gott zehn gesunde Kinder, für welche sie sich kein Mädchen halten konnte, wo ihre Hand Alles allein versorgen sollte, wie gut wäre es sicher da gegangen. Wie tausend arme Mütter müssen hart nebenbei noch mit um das liebe Brot arbeiten, bei karger Nahrung und endlosen Sorgen, aber erholen einmal, einen Tag nur, gönnen sie sich nicht, und würden es auch nicht, weil sie in ihrer Aufopferung für die Ihren nie an sich denken. Eine solche Mutter fühlt keine „Nerven", sie weiß, daß sie den Ihren fehlen würde, und hungert und darbt aus Liebe für sie, ohne eine Minute auch nur von ihnen zu gehen, zu ihrer Erholung. Das sind anspruchslose Menschen. Da höre ich sagen: „Ja, solch' eine Frau und ich ist doch auch ein Unter schied !" Nur der: daß sich die bssserstehende Frau diesen Lurus erlauben kann, den sie sicher mcht mehr benöthigt als die ärmere. Mensch bleibt Mensch, nur daß unsere Zeit dem üppigsten, verschwenderischsten, ansprnchs vollsten Wesen gewogen ist und es fördert. Unsere Großmutter wußten von all' den tausendfachen Ansprüchen der jetzigen internen Frau nichts, und jede war stolz, ihr Heim selbst zu führen und in Ordnung zu halten. Badereisen kamen nur nach wirklich schweren Krankheiten in Frage und von sommerlicher Erholung für winterliche tägliche Vergnügungen wußte inan damals noch nichts! O. kehrtest Du zurück. Du schöne Zeit, wo noch Anspruchslosigkeit unter den Menschen zu finden war! Hidwtz Matthe? und Kindermädchen, ist fünf Monate des Jahres zur Die Sonne war zur Ruh' gegangen Und hüllte noch als letzten Gruß Tie Welt in Rosen, gleich den Wangen Des Mädchens bei des Liebsten Kuß, Es war ein Abend, dnstberanschend. Die Nachtigall schlug selinsuchtsbang, Und traumverloren auf sie lauschend. Ging ich den Waldespfad entlang. Der Thau begann das Gras zu feuchten, Geheimnißvoll rauscht' jeder Baum. — Da sah ich » durch die Zweige leuchten Wie Hellen Frnucnklerdes Saum; Und näher tretend, ich erblickte Ein Bild, wie es wohl schöner nie Zu schaffen einem Maler glückte Noch einer Dichter-Phantasie. Von blüh'ndem Jngendrei; umflösse», Der Waldfee ans dem Märchen gleich. Ansnwos'acm Baumstamm hingegossen Ein Mädchen hold und anmuthreich; Goldblonder Locken Fülle säumet Ihr süßes, kindlicher- Gesicht, Und auf den zarten Wangen träumet Der Liebe rosig Zanberlicht. Von ihren Armen fest umschlungen, Ein Jüngling ihr zu Füßen ruht. Er flüstert zärtlich, liebdmcbdmngen. Sein Antlitz strahlt von Kraft und Muth. Liebkosend strichen ihre Hände Ihm von der Stirn das wirre Haar, Es taucht sein Blick sich ohne Ende Tief in ihr blaues Augenpaor Die Glückliche»' — sie seh n und hören Nichts »m sich her. nur sich allein : Ten Woimemusch will ich nicht stören, Eil' heimwärts leise durch den Hain. Ach! wie so flüchtig ist die Stunde Entschwebt im Liebcsparadies, Wo jeder Kirß von thenrem Munde Ten Himmel selber Euch verhieß! Bald naht vielleicht auf dunkeln Bahnen Das Schicksal, welches Unheil bringt. Und läßt im Glücke Euch nicht ahnen. Wie grausam schon die Trennung winkt. So möge Gott Euch den» behüten. Daß nicht zu früh dec Traum zerrinnt, Daß Eure junge Liebesblüthen Nicht ichiieU verweht ein kalter Wind! Adelaide von Gorrberss^Herzog L b a r a d e. (Aus je zwei Silben zusammengesetztes Wort.) Wer die Wahrheit will ergründen, Dem wird mein Erstes sie verkünden. Und wer für Wahrheit tapfer sicht. Ziemt dem des Zwesten Name» nicht? Nicht der Wahrheit, nur dem Schein Will der Ganze dienstbar sein: Schein will er der Welt erregen, — Nur die Lüge schleicht ans seinen Wegen, Näthsel-Sonett. Wenn einmal hehrer Geist das Herz entflammt, Daß er sich frei fühlt von der Erde Schranken. Der singet mich i» Worten und Gedanken. Und preist den Himmel, dem auch ich entstammt. Ein Zeichen mehr, bin Göttin ich, verdammt Ott doch, noch viel mehr verehret von blanken Feinen Tarnen und auch .Herren^die den Schranken Ter Schönheit spotten oft trotz Seid' und Sammt Ein Zeichen mehr dem Ende zugctheilk, Bin nah verwandt ich mit der Mutter Erde, Und bin zu finden wohl in alten Mauern. Wenn auch der Frühling alle Wunden heilt. Und neues Leben anhebt auf der Erde. Nichts ans der Welt wird länger als ich dauern Ich kenn' ein Wort, 's ist ziemlich klein; Sein Gegentheil Nätbsel. Schließt's in sich ein: Markireud Sommer. Winter, Nun kommst Du wohl dahinter? «ein» «M JirsdEächriÄn,,««. SM Gegründet 1856 ^ M«. SO. Dienstag, den 1. August. . 18VV Richard Harrig. Original-Roman von vr. W. K. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) 16. Kapitel. Eine halbe Stunde später saß Richard wieder im Wagen, der ihn nach Laupa znmckführte. Er hatte Agnes die nöthigen Anweisungen gegeben, was sie zu lhun habe, hatte aus seiner kleinen Taschenapotheke mehrere Medi kamente zuriickgclasstn und batte ihr versprochen, am nächsten Morgen zeitig wicderzukommen, und nls er endlich die Krankenstube verlassen, da hatte sie ihm so herzlich dafür gedankt, daß er trotz Sturm und Wetter gekommen, hatte ihn dabei so eigenthümlich angeschant, doß es beinahe an ihm gewesen, verwirrt zu werden, daß es fast geschienen, als sei die alte Zeit wiedcrgekehrt, da er ihr treuer Kamerad gewesen, und sie ihm stets leuchtende» Auges cnt- gegcngejchant, wenn er in'S .Herrenhaus gekommen. Und nun, als er so durch Nacht und Ziegen heimwärls fuhr, da zog noch einmal Alles, was er gesehen, waS er gehört, an ihm vorüber, er durchlebte noch einmal den ganzen Abend, von dem ersten Augenblick an, da ihn der Diener abgernfen. bis züm letzten, da sie ihm die Hand gereicht, die kleine, weiße Hand, die einem Anderen gehörte. Einem Anderen! Wie sonderbar ihn doch jetzt dieses Wort berührte! Aber wo war denn dieser Andere, warinzr war er nicht da, wo ein Gatte zu sein hatte in schweren Stunden, a» der Seite seiner Frau? Wo weilte er, während sein Kind im Fieber lag? Nicht ein einziges Mal hatte sie seinen Namen genannt, seiner gedacht, mit leinein Wort seine Abwesenheit zu erklären versucht. Es war nicht Schamgefühl ihm gegenüber, es wssr der Mangel an Neigung, an Liebe, sie hatte sich vcrratben, als ihre Angst ihr die Worte herausgepreßt, „ich habe ,a sonst Nichts auf der Welt!" Ja man hatte Recht, nur rhrem Kinde lebte sie, der Mann, dessen Namen sie trug, stand ihrem Herzen fern! Da fielen ihm mit einem Male die Worte ein, die Otto vor einigen Monaten ausgesprochen: Wenn nur da nicht etwas Faules stattgesniiden hat! Und je länger er darüber nachdachte, umso selttamer wurde es ihm zu Mnthe, »msomehr veränderte sich seine Stimmung. Es war ja wahr, sie hatte ihm die schmerzlichste Ueberraschnng seines Lebens bereitet, aber — war sie wirklich >v schuldig? Traf ihn nicht vielleicht selbst, znm Theil wenigstens, die Verankwortmig. daß Alles so gekommen? War es recht gewesen, daß er in vorschnellem Egoismus sie einst vernrthcill. ohne nach Gründen gefragt, daß er sie treulos genannt, ohne je nach der Ursache ihrer Handlung geforscht zu haben? Wußte er denn, ivelche Mittel man angewendct, vielleicht gar welchen Zwang auf ihr kindlich unerfahrenes Gemisch ansgeübt? Hatte er etwas gclhan. um den Schatz, den er sein eigen gewähnt, zu vertheidigen. hatte er es mir versucht, sie zu finden, sie zu sprechen, ehe sie sich am Altar gebunden ? Nein, auch nicht eine Hand hatte er gerührt, in veiletzem Stolz ivar ec in die weite Welt gelaufen, und was war das Resultat ? Er halte übenviuideu, aber Agnes? Sie mit dem bleichen, verhärmten Gesicht? Mitternacht ivar längst vorüber, als Richard in seiner Wohnung onkam und sich zur Ruhe begad. Aber lange versuchte er vergebens einzuschlafen. Die Ereignisse des heutigen Abends- standen ihm zu lebendig vor der Seele und als sich endlich der Schlaf über seine ermüdeten Lider senkte, da war es keine erfrischende Ruhe, die er fand, die verschiedenartigsten Traumbilder um- gautelten ih». alte Erinnerungen und bunte Phantasien kreuzten sich in seinem erregten Hirn, bald sah er sich als Knabe wieder mit Agnes dnrch's Gebüsch tummeln, frohe, unschuldige Kinder noch, durch kein Lebcnsleid bedrückt, dann sah er sic wieder, wie sie damals, als er sie aus der Laupa gerettet, mit triefenden Kleidern an seinem Halse hing, als wollte sie ihn nimmer los-lassen, dann plötzlich stieg seines Vaters ernstes Antlitz vor ihm auf, daS ihn warnend anblickte, dann wieder drängte sich Otto's blutbeflecktes Gesicht, wie er ilm damals in New-Aork gesunden, in seinen Traum, dann sah er wieder die fiebergervtlrcten Wangen des kleinen Ernst und die großen Augen seiner Mutter stehend auf sich gerichtet, und plötzlich war er im Kasino, ii» Spielzimmer und eine bunte Gesellschaft bewegte sich hin und her, und an einem der Tische saß der Baron, mit demselben blasirten, nachlässigen Ausdruck im Gesicht, den er vor drei Jahren im Bahnhof in Laupa gezeigt, er sah wieder die wohl gepflegte, lveiße Hand den Schnurbart streiche» und ihn geringschätzig um sich blicken, und richtig, jetzt richteten sich seine Äugen ans ihn, sohcranssordernd, so höhnisch, als wallte er sagen: „Sieh da. mein verstosscner Herr Rivale, sind Sie auch da ? Und er konnte sich nicht Helsen, er trat an den Tisch, an dem der Baron saß. er drängte die anderen Herren bei Seite, bis er dicht neben Jenem stand, dann beugte er sich zu ihm nieder und raunte ihm in's Ohr: „Du Lump! Du hast mir mein Glück gestohlen. Du bist ein Dieb!" und dann sprang Jener aus von seinem Stuhl, die Hand ballte sich zum Schlag, er holte aus und dröhnend siel sie nieder, ein Krach — und schweiß bedeckt wachte Richardauf, der Wind hatte irgendwo einen Fensterladen aus gehoben und auf die Straße geschleudert, noch imnier beulte der Sturm und der Regen strömte nieder. Es währte eine geraume Weile, bis Richard den beängstigenden Eindruck des- letzten, wüste» Traumes los werden konnte, dann schlief er endlich ein, die Natur verlangte ihr Neckst, aber kaum graute der Morgen, als er sich auch schon wieder erhob, das Kind in Burgdorf war sein einziger Gedanke. Agnes verbrachte die Nacht am Bette ihres Kindes. Als sich die Thür hinter Richard geschlossen und sie sich allein gewußt, da war es ihr, als musst alle Kraft sie verlassen, die ihr bisher geholfen, so brav den auf sie eiu- stürmenden Gefühlen Widerstand zn leisten, und die bisher im Zaume gehaltene Gemüthscrregung machte sich in einem Thränenftrom Lnft. dann aber, nach dem sie so ihren, geauälten Herzen Erleichterung gebracht und nachdem sie gesehen, daß die Tropfen, die Richard dem Kleinen eingeflößt, eine beruhigende Wirkung aus-geübt und der Schlaf ein gleichmäßiger geworden war. überließ sic dem Heer ihrer Gedanken freien Lauf. Sie befand sich in einem un beschreiblichen Zustand, die widersprechendsten Gefühle waren in ihr wach geworden, bald war cs ihr. als müßte sie aufinbeln, daß der Jugendgespielc wieder in ihr Haus eingekehrt, daß sic ihn, hatte in's Auge blicken, chm die .Hand drücken dürfen, bald war es ihr, als ob ihr das Herz brechen sollte, wenn sie daran dac^e. daß sie für immer an einen Anderen gebunden, an einen Anderen, den sie nicht liebte, der ihrem Herzen fremd war. Und die Gewißheit, daß sie selbst an diesen Fesseln Schuld, drückte sie fast zu Boden, inimer und immer wieder wiederholte sie sich: „Was muß er von Dir gedacht haben, was- »mß er noch von Dir denken!" Sie hatte cs seiner Stimme migehort. daß er ihr tief grollte, seine Züge hatten einen so kalten Ansdruck gehabt, seine Angen sie io strafend angeschant und wenn er schließlich in freundlicherer, wohlwollenderer Weist ihr versprochen, ibr beiznstehen. ihrem Kind zu helfen, vergeben, vergessen hatte er ihre Treulosigkeit nicht. Ja, treulos, verrächtlich-treulos mußte sie ihm erscheinen, und doch so schuldig, wie er sie hält, war sie nicht, hatte sie denn nicht vertrauensvoll ihre Zukunft in seine Hände gelegt, war es ihre Schuld, daß er den Brief nicht erhalten. Und warum hatte er ihn denn nicht erhalten, wen traf die Verantwortung? Sie hottenden Brief an Lisette zur Besorgung übergeben und diese hatte ih» besorgt. Sollte ihn die Post verloren haben? Oder sollte Lisette sie belogen haben; sollte Lisette den Brief verloren haben? Oder hatte ihn remand Anderes an sich genommen zur Besorgung und ihn vergessen? Oder hatte ihn Jemand mrterichlagen? Absichtlich unterschlagen? Und wer konnte dies gethan haben ? Es war sonderbar, wie sie in all' ihrem Jammer logisch und klar denken konnte, es gab nur zwei Personen, die daran ein Interesse haben konnten, entweder der Baron oder — ihre Mutter. Und der Baron war damals nicht in Berlin anwesend gewesen, er hatte am ersten Feiertag Berlin verlassen und war erst zum Sulvester dahin zurückgekehrt, nein, er hatte feine Hand dabei nicht iin Spiele, aber — die Mutter? Sie wußte wahrscheinlich um der Tochter Neigung zu Richard, so vieles, was die Mutter damals gesagt und angedeutet, fiel ihr jetzt wieder ein. sie hatte oft ihre Abneigung gegen Richard ausgesprochen, sie hatte stets den Baron bevorzugt, sollte sie Uch so weit vergangen haben, des Kindes Glück ihren selbstsüchtigen Plänen zu opfern! Großer Gott, die eigene Mutter! Ja. wenn Jemand etwas dabei zu thun gehabt, dann war es sie. dennoch, die Anklage war so fürchterlich. Gewißheit mußte sie sich verschaffen! Aber wie? Sollte sie an die Blatter schreiben? Was würde da? Resultat sein? Mit chnischer Offenheit hatte die Mutter nach ihrer Verlobung gestanden, in welch' diplomatischer Weist sie den Baron für sie „geangelt", wir sic ihm ihre Adresse hatte »»kommen lassen, wie sie die Annäherung der Beiden in jeder Weise befördert, sie batte sich dessen sogar gerühmt, aber auf die Anklage der Unterschlagung, des Diebstahls ihres Briefes hin, was würde sie anworien? Auslachcu würde sie sie oder entrüstet es verneinen. Ihren Gatten aber konnte sie doch nicht fragen, sie würde ihm ja dann all' ihre Vergangenheit zu enthüllen haben, wurde ihm gestehen müssen, waS Richard ihr einst gewesen. Aber dann würde dieser natürlich sofort sich Richard'? weitere Besuche verbitte», er würde ibr nehmen, worüber sie sich so gefreut! Und dann wird sie auch die Gelegenheit wieder verpassen, die sie jetzt suchte, ihm zu sagen, wie cs gekommen, daß sie Günther's Fra» geworden. Alles. Alles wollte sie ihm sagen, vielleicht wurde er einig, daß sic seine Verachtung nicht in dem Maße verdient, wie er geglaubt, vielleicht, daß er ihr verzeihe, vielleicht, daß sie seine Freundschaft wiedergemiimcu könnte. Aus diesem Brüten riß sie plötzlich das Anschlägen der Hofhunde. Sie lauschte still und ans der Stimme, die die Hunde zur Ruhe wies, erkannte sie, daß ihr Gatte heimkelute. Sic cnvartete. daß er alsbald bei ihr cinttetcn würde, nicht daß der schwache Lichtschein, der aus den Fenstern ihres Schlafgemachs nach dem Hofe hinaus drang, seine Auf merksamkeit aus sich ziehen wurde, sie glaubte aber, er habe im Kasino Friedrich'S Botschaft gesunden und würde sich nun persönlich vom Zustande seines Kindes überzeugen wollen. Doch sie täuschte sich, sein Tritt hallte an ihrer Thur vorbei, er ging nach seinem eigenen, im anderen Flügel des Haust? befindlichen Zimmer und als eine weitere geraume Zeit verstrichen, da wußte siL daß er sich zur Ruhe begeben. Sie mußte sich gestehe», sie fühlte sich ordentlich erleichtert, daß Günther nicht bei ihr eingrtreten, sie war nicht in der Stimmung, ibm von Richard's Herkommen zu erzählen, trotzdem war eS nickt sonderbar, daß er sich sogar nicht um die Leinigeu kümmerte? Galt ihm die Bitte seiner Frau so wenig, daß er stundenlang im Kreist seiner all täglichen Bekannten sitzeiidlciden und sich vergnügen konnte, ohne sie zn erfülle». War er wirklich so herzlos, daß er, endlich beimgckehrt, dennoch an dem Zimmer, rn dem sein einziges Kind krank darnicderlag, achtlos vori'ibcr- scknitt' Oder war er nicht im Kasino gewesen? Hatte er den Abend an anderer Zlelle verbracht? Aber wo? <rie wußte, es war für heute keine
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