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02-Abendausgabe Dresdner Nachrichten : 30.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-19030930026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-1903093002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-1903093002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-09
- Tag 1903-09-30
-
Monat
1903-09
-
Jahr
1903
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Dresdner Nachrichten. Mittwoch »1». September Ii»U3 ->lr. L7I findet. Ludwig Richter hat viel übrig für da» schaffende Volk, und unterscheidet sich dadurch Ivesentlich von Mar o. Schwind, der vornehmlich Rittergestalten darzustellen liebte. Die Menschen, welche Richter zeichnete, wohnen in kleinen Hütten, aber die Häuschen lind mit Weinlaub umrankt. sie zeigen, wie auch der Arme sein Heim ^urütlich gestalten kann. Auf dem MittagStisch 'S der Leute, die --- vsicht eine Schüssel Kartoffeln und ein irdener hier uns überlie resert hat. steht oft nur , . irr Krug mit Wasser.-atze» daß es trotzdem eine gesegnete Mahlzeit ist, davon zeugen die »rohen Mienen der um den Tisch Sitzenden. Wenn die Arbeiter^ sntgt, des französischen Malers Meunier den Eindruck von Sklaven machen, gibt Ludwig Richter den seinen -inen Ausdruck der Zu friedenheit bei bescheidenen Verhältnissen, Gerade in ihrer Un befangenheit und Wrchrheit üben Rrchters Bilder eine soziale Macht aus. sie sind von christlichem Geiste durchweht: das Wort uns" >u der dritten Bitte des Vaterunser: „Zu uns komme Tein Reich' umsaht König und Bettler, Hoch und Niedrig, Arm und Reich, lind wie der Meister das Menschenleben im Geiste Gottes auffaht, so saht er auch die Natur in diesem auf: Er er blickt in ihr den Abglanz des Göttlichen. Gott in der Natur — das ivar das Letztziel seiner Kunst. Naturbilder, so sagte Ludwig Richter selbst, und herrliche Ehoralmelodien, von denen wir den Text verloren haben, seil wir ans der großen Natur- barmonie herausgetreten sind. Richter stellt in seine» Bildern die biinmlischen Kräfte dar. wie sie aus die Natur einnurken, die Engel, die vor Anbruch des Morgens zur Erde herniedersteigen und die Fluren tränken mit erfrischendem Tau. Darin liegt das Geheimnis seiner Kraft und seines Wirkens. Mil besonderer Liebe und Innigkeit erfaßt Richter die heimatliche 'Natur. Eine Wanderfahrt nach der c-ächsischen Schweiz und nach Böhmen gab ihm die lleberzeugung, daß er nicht weiter zu gehen brauche, um Naturschonheiten zu suchen. Aus dieser Zeit stammt das herr liche Bild, die Uebersahrt am Schreckenstem, dem bald eine Un zahl von Zeichnungen und Radierungen folgte Die Zahl seiner 'Arbeiten wird aus 3336 Blätter angegeben. Ludwig Richter kam beul Sehnen des Volkes nach einer Heimatskunst entgegen. Genuß veredeln. Kummer überwinden Helsen und »ms irdische Leben mit dem jenseits in Verbindung bringen, nach dem sich die Menschen- >eele sehnt — das ist es. was die Kunst Ludwig Richters so herr lich. io unvergleichlich zum Ausdruck gebracht hat. — Der sehr oeifällig ausgenommene Vortrag wurde durch 35 von Herrn Boche gestellte Lichtbilder illustriert. An den Vortrag ichloß sich ein S.ngspicl „Hausmusik" nach einem Bilde von L. Richter an, in deni die Herren Scheidemantel und Rüdiger, sowie die Damen Frl. Nast und Schäfer in künstlerisch wertvoller Weise uiitnurkten. Das Ganze war eine Zusammenstellung von Liedern verschiedener Komponisten mit verbindendem Texi, die i» ihrer volkstümlichen Form ungemein ansprach. Einen besonders tiefen Eindruck erzielte Herr Kammersänger Scheidemantel mit dein Vortrage des Schubcrtschen Liedes „Der Lindenbaum", während Frl. Schäfer namentlich mit Kienzls ,,O schöne Juaendtage" und Brahms Wiegenlied: „Guten Abend, gute Nacht" lebhaften Applaus erntete. Gleich vollendet in Gesang und Vortrag war Frl. Nast mit dem reizenden Volksliede von Kücken: „Ach. wie isl'S möglich dann" und Herr Rüdiger mil dem schelmischen Lied chen: „Mädle. hast mirs Herz gestohlen" von Hamm. Das Auditorium dankte dem liebenswürdiqen Künsllerquartett durch ianganhalkenden Beifall für seine höchsten Lobes werte Leistling. 'Nach Schluß des Stückes wurde Herr Kammersänger Scheide- mantel von den beiden jungen Prinzen begrüßt, sowie von Herrn Minister v Seydewiy in ein längeres Gespräch gezogen. Ten hetzten Teil des Programms bildete die Vorführung „Lebender 'Bilder", frei nach Ludwig Richter, angeordnet von Herrn Oskar 'Rassau, dem Schöpfer der liebenswürdigen Ludwig Richter- Büste. Der Text dazu, welcher von der Königl. Hofichan- spielerin Frl. Serda mit großer Wärme voraetragen wurde, stammte von dem feinsinnigen Maler Georg Schwenk. Unter den Wirken der Engel, Großvaters Geburtstag und Brautzug, ver körpert am Auge vorüber. Den Schluß bildete eine von Herrn Aug. Leonhardi gestellte Apotheose, die Ludwig Richter, den Künst ler des deutschen Volkes und deutschen Hauses, malend unter einer aroßenEiche sitzend, zeigte. 'Neben dem Meister sah man zwei kleine Kinder mit Blumensträußen in der Hand, hinter ihm der Genius der Kunst, einen Lorbeerkranz über den Meister neigend. Tie Musik spielte dazu die alte schöne Volksweise: „Wie könnt' ich Dein vergessen " — Nach dem letzten Fallen des Vorhangs wollte der Beifall kein Ende nehmen. Se. Königl. Hoheit Prinz Johann Georg drückte den Herren vom Komitee und den Dar stellern wiederholt seine frenvige Anerkennung über das schöne Gelingen der Festfeier aus. die allen Teilnehmern noch lange in per Erinnerung haften bleiben wird. —* Eine Ludwig Richter-Feier, wenn auch nur in bescheidenstem Maßstabe, fand gestern auch i» Meißen statt. Früh begaben sich mehrere Mitglieder des Vorstandes des Ge- ichichtsvcrcins in den Teil des Burglehens, i» dem Richter als Lehrer der Meißner Zeichenschule satt ein Jahrzehnt gewähnt hat. und bekränzen die a» dem Hause angebrachte Gedenktafel mit Lorbeer und Blumen. Richters Beziehungen zu Meißen waren innig und lief: von dort ans hat er durch leine Illustrationen znm „Landprediger von Wakefield" und zu den „Deutschen Volksbüchern" seinen Ruhm begründet. —* Vor dem Schöffengericht zu Freib erg fand heule vor mittag Verhandlung in der Beleidigungsklage des Bürger meisters Blüh er in Freiberg gegen den Geschäftsführer des Bundes der Landwirte und ehemaligen Gutsbesitzer Oswin Schmidt in Freiberg statt. Den Vorsitz suhlte Amtsrichter Große, als Schössen fungierten Protessor Dr. Preuß, Rektor des Gymnasiums Albertinum und Haupk-Bergkassierer Großmann. Als Verteidiger des Beklagten ist Rechtsanwalt Dr. Haeckel- Schmidt den Bürgermeister Blühe» damit tzeleidlat habe, daß er gesagt.»o« einem Manne, der tetneKSntgstreu, >m Herzen trage, der soztaldemokrattsch gesinnt sei. wolle man keine Königsrede hören". Beklagter gibt an: Er sei am 85 Juli mit mehreren Bekannten im Restau rant „Oberbos" gewelen. Hier sei die Rede aus da» bevorstehende Dllrer zu Königs Geburtstag gekommen und dabei die Absicht laut a ' ----- - darauf geworden, ein zweite» Königsessen zu arrangieren. Er sei >is zu Herrn Smdtrat v. Andnan gegangen und Nabe ihn ge» t. was an» dem Königsessrn werde und wer die Rede halte, trat ». Andrian Hab« idm darauf envidert: eimefller Blutzer!" wird'"' Stadtmt tz. Andnan bab« idm darauf envidert: „Nun, der Herr Bürgermeister Blutzer!" Darauf habe er. Beklagter, erwidert: „Wer lvtrd den» zuzEnrem sozialdemokratischen Bürgermeister kommen." Er habe dleft Aenßerung nur gegen einen guten Be kannten zu tu» geglaubt, zu einem idm Fernstehenden würde er " ,ir kannten zu tun geglaubt, zu einem idm Fernstehenden wurde er icbenfalls anders gesprochen haben. Allerdings bade er sich nach her über seine Aenßerung geärgert, aber auf die Bitte v Aiwrlan», leine Worte zurückzunehme». zeänßert, er nehme nichts besonders lauter Slnmne lei hmr nichts zurück. >e Nnterhaltnng nicht ge Mik rt worden' sie sei erst durch Herrn v. Andrian ihr Inhalt i» die breite Ocfsentlichkeit gekommen. Z uge Bannieister Göpsert gibt an: ES ker die Veranstaltung einer zweiten KöirigSaeburtstnasseicr beabsichtigt gewesen, wobei Herr Reichslagsabgevrdneter Derlei die Festrede halte» sollte. Zeuge hat inr übrigen nichts weiter gehört, als dag v. Andrian zn Schmidt sagte: „Wenn Du dnS nicht uirnckuiniimr, maß ich als'Sladtrat Herr» Bürgermeister Blüher Mitteilung machen." Beklagte» Schmidt habe ihm darauf erwidert, er nehme nichts zurück. Zeuge Stadlrat v. Andrian stellt die Sache Io dar. daß Beklagier Schmidt die Wendeltreppe des Restaurant» herabgekommei' und an seinem Stuhle stehen geblieben sei. die Hände üve» de» Brust verschränkt, und ihn gefragt habe, wer die König-Bede halten solle. Auf die Antwort v. Andrinns: „Nun. wer anders, als der Herr Bürgermeister k" habe Schmidt die in der Anklage emhalienen Aeußernngen getan, v Andrian will da»» ausgespumgeil lein und Schmidt nufgeforderl habe», bis 9 tldr abends zu rcvoNne». samt müsse er dem Bürger meister Mitteilung mache'- Zeuge bestreitet, daß Schmidt isiese Aenßerung z> .'-lls langjähriger Freund getan habe. nk hat unmittelbar neben Stadtrat gesehen und gehört, wie Beklagter kam, Stadtrat v. Andrian auf die ug, wer die Festrede halte. Auf die ev Bürgermeister, glaube Zeuge chmidt die Worte g ört zu haben, eine sozialdemokratische lindestens stark nach links neigende Rede höre er sich nicht an. Zeuge nimmt an, diese Antwort Schmidts sei nur für v. Andrian bestimmt gewesen, und meint, diese Aeußernng könne Zeuge Bankdirekl v. Andnan gesess Schmidt von oben he Schulter klopfte und ll Antwort Andrians. dc von oder mindestens stark na besseren Ständen anaehörig. Das Vorspiel zu der heutigen Ver handlung ist in dem Wahlkampfe zu der letzten RcichstagSwahl zu suchen Ter Vorsitzende verliest zunächst die Anklage, nach welcher nicht nach weithin gehört worden sein. Daß der Beklagte gesagt habe: „Ich habe Beweise in den Händen, daß der Bürgermeister Blüher ein Sozialdemokrat ist," kann Zeuge nicht mit Bestimmt- heit behaupten. Zeuge Friedensrichter Äsichelt hat nur die Aufforderung v. Andrians an den Beklagten Schmidt gehört, zu rcvoziercn. Dasselbe sagt Zeuge Kaufmann Gotthardt aus. Er fügt noch hinzu, daß verichiedcue Herren vom Lande sich dem Königs-Essen gegenüber ablehnend verhalten wollten, wenn Herr Bürgermeister Blüher die Festrede halte. Es lag eine allgemeine Mißstimmung gegen Herrn Bürgermeister Blüher vor. Vom Rechtsbe.stand des Bürgermeisters Blüher befragt, woher diese Mißstimmung komme, gibt Zeuge Gotthardt an. man sei unzu frieden. daß der Bürgermeister seit den letzten Rcichstagswahlen durch sein 'Verhalten für die Sozialdemokratie gearbeitet habe. Aus den Aussagen des Zeugen Fabrikteilhaber Sch ipoan geht hervor, daß Beklagter Schmidt die Aeußerung getan hat: „Ich reoosiere nicht, ich habe Beweise, daß Euer Bürgermeister ein Sozialdemokrat ist!" Zeuge hat den Eindruck, als ob die Aeußerung Schmidts so laut gesprochen wurde, daß sie als provozierend gelten konnte. Es seien auch Stimmen laut geworden, die der Ansicht waren, daß man sich in Hinsicht aus die Stadt- vertretuna und das Stadtoberhaupt so etwas nicht bieten lassen dürfe. Ans die Abhörung weiterer Zeugen wird laut Gerichts beschluß verzichtet. Der Amtsanwalt gibt das Resumo der 'Verhandlung und betont, daß sich an der Tatsache der Aeuhe- rung Schmidts gegen den Bürgermeister Blüher nichts ändern lasse, auch die Glaubwürdigkeit der Zeugen sei nicht anzirzweifeln, da verschiedene Herren sich sofort die gefallene» Worte nieder- geschrieben haben. Die Beleidigung sei deshalb als geschoben an- ziiseben: ob sie nun eine öffentliche gewesen sei, müsse dem Urteil des Gerichts überlassen bleiben. Ex beantrage Bestrafung des Angeklagten auf Grund der 88 185. 186. 273 und 75,4 des Strafgesetzbuchs. Der Nechtsbeistand des Nebenklägers bezeichnet die Beleidigung als öffentliche, schon weil sie in einem öffentlichen Lokale ausgesprochen worden sei, und der Angeklagte damit rech nen mußte, daß sie von weiteren Kreisen gehört wurde. Hin- sichtlich des Strafmaßes möchte er die doppelte Schwere der Be leidigung betonen. Einen Bürgermeister, der seinem Könige den Treueid geleistet. Sozialdemokrat zu nennen, sei der denkbar stärkste 'Vorwurf, der einem Stadtoberhnupte und seiner Gesinnung ge macht werden könne. Ter Angeklagte sei der Geschäftsführer des Bundes der Landwirte, welch letzterer bekanntlich über einen großen Geldsack verfüge. Wenn nur aus Geldstrafe erkannt würde, so würde diese schlank und höchstens mit einem kalten Lächeln be- zablt werden. Er beantrage Gefängnisstrafe. Der Nechtsbeistand des Beklagten Schmidt. Rechtsanwalt Dr. H a e ck e l - Dresden, führt in glänzender Dialektik aus. derselbe habe mit seiner Aeuße rung bloß sagen wollen, es würde von Herrn Bürgermeister Blüher nur klug gewesen sein, nach den Vorgängen der letzten Wochen vor der Reicbstagswabl. aut die Rede beim Königs essen zu verzichten. Für die Oeffentlichkeit seien die Worte des Angeklagten nicht bestimmt gewesen. Die Beurteilung der Frage, ob die Bemerkung der „Angehörigkeit zur sozialdemo kratischen Partei" bei der heute nun einmal nicht mehr weqzu- leugnenden Machtstellung derselben eine Beleidigung sei, überlasse er dem Gericht. Vielleicht habe der Angeklagte durchblicken lassen wollen, daß Herr Bürgermeister Blüher doch an dem Kartell- bruch mitgebolfen habe. Ter Beweis für diese Tatsache habe leider durch das Abbrecben des Zeugenverhörs nicht erbracht wer- den können, sonst wäre er in der Lage gewesen, darzuiun, wie Herr Bürgermeister Blüher an diesen Machenschaften teilgenom- m«a. Er -alte diese Behauptung aufrecht: denn mit Kenntnis dcS Bürgermeister» habe die nationalliberale Partei trotz de» be kannten Ansturm» ^r Sozialdemokratie da» Kartell gebrochen, somit habe er die Quertreibereien der Nationallibeealen unter stützt und dadurch die Sozialdemokratie gefördert, ebenso wie die nationalliberale Partei jetzt in Dresden gelegentlich der Land- togswablen den Kartellbruch fortsetze. Er beantrage Freisprechung leine» Klienten. Der Beklagte Schmidt wendet sich gegen die Auffassung de» Beistand«» des Nebenkläger», al» ob er ein Recht Labe, über die Kasse de» Bunde» der Landwirte «u verfügen. Der Herr Justizrat bezeichnet die Andeutung de» Vertreter» de» Angeklagten, als habe Bürgermeister Blüher an den politischen Verhandlungen irgendwie teligenommen. als unrichtig. Nach 1>/> stündiger BeweiSaufnabme wird daS Urteil verkündet: Der Beklagte Schmidt Nord wegen öffentlicher Beleidigung des Bürger- Meisters Blüher zu 2 SV Mark Geldstrafe oder 2 Monaten Gefängnis und Tragung der Kosten verurteilt. Dem Nebenkläger Bürgermeister Blüher wird die Publikationsbefugnis erteilt. —* Der Dresdner Rennverein hält am nächsten Sonntag seinen letzten diesjährigen Renntag ab. Obwohl noch für den 31. Oktober Rennen ausgeschrieben waren, so muhte, wie bereits berichtet, dieser Tag in Fortfall kommen, da die Steuerbehörde den hier bestehenden Vereinstotalisator als solchen nicht anerkennt, sondern als öffentlichen Totalisator betrachtet. Infolgedessen hatte der Dresdner Rennverein die bet dem öffent lichen Totalisator in Betracht kommende Mprozentige Reichs- steurpelabgabe zu entrichten, obwohl er bei dem ruckt steuer- pflichtigen Vereinstotalisator nur 12HH Prozent in Abzug ge bracht hatte. Da nun jeder Rennverein auf die Ertragnis^ des Totalisators hauptsächlich angewiesen ist, der Dresdner Renn- verein aber zur Deckung der verlangten 20 Prozent Reichssteuer noch 7fh Prozent aus seinen Mitteln zulegen mutz, so ist es wohl erklärlich, wenn er die weitere Veranstaltung von Rennen einstellt. Somit ist den vielen Anhängern des Rennsportes nur noch nächsten Sonntag Gelegenheit geboten, auf unserer herrlich ge legenen Rennbahn bei hochinteressantem Sport einige anregende Stunden zu verbringen. Der Vereinstotalisator wird hierbei wieder in Tätigkeit se>n. —* Vor einigen Tagen wurde hier in Dresden Zenora Pastraina beerdigt, eine Dame, die zu ihren Lebzeiten aus eine ebenso bewegte wie interessante Earriöre zurückblicken konnte. Von Geburt an eine der bemerkenswertesten Repräsentantinnen der sogen. Haarmenschen, bildete sie namentlich in den 60«r und 70er Jahren »eben Julia Pastraina. als deren Schwester sie auS- gegcben wurde, eine der bewnndertsten Sehenswürdigkeiten. Sie zeigte vollständig männliche Gesichtsznge und einen übermäßigen Haar- und Bartwuchs, wie über einen solchen beute nur noch die bekannte Miß Krao verfügen dürste, zeichnete sich aber durch viel seitige Bildung u. Jahrelang bereiste Sie war indes durchaus keine Mext aeblicke Schwester der Julia Pastraina aus Geschäftsrücksichten verhalten mußte, sondern — und das ist das Interessanteste an der Sache — eine echte Vogtländerin aus guter Familie. Ihre Ueder- behaarung aber wurde ihr zum Verhängnis, das sie mit rauher Hand unter das fahrende Volk verwies. Im 17. Lebensjahre heiratete sie einen amerikanischen Impresario, der 1684 in Peters burg verstarb. Ei» dieser Ehe entsprossenes Kind, ein hübscher blonder Knabe, starb siebe»>ährig und wies merkwürdigerweise keine Spur von Hypertrichie, d. i. Ueberbehaarung, ans. Gegen Ende der 80er Jahre entsagte Zenora Pastraina den Anstrengungen und Aufregungen ihrer Artlstcncarriöre. Sie zog sich in die Stille des Privatlebens zurück, heiratete noch einmal und ließ sich mit ihrem Gatten dauernd in Dresden nieder, wo sie nunmehr nach mehr jähriger zufriedener und glücklicher Ehe im Alter von 55 Jahren nach schwerem Leiden ihr erinnerungsreiches Leben beschloß. —* Aus ihrer Wohnung, Semperstraße 11, Pt , hat sich am Donnerstag gegen Abend die Oberin, Elrse M'einhold entfernt und ist seitdem verschwunden. Sie stand dem vor etwa 10 Jahren gegründeten „Luisenheim" vor, das sich bis vor einem halben Jahre Strehlener Straße 70 befand. In den ersten Jahren sollen viele Kranke in dieser Anstalt verpflegt wor den sein, doch nahm der Besuch in der letzten Zeit dermaßen ab, daß die Meinhold das Grundstück verkaufen mußte, in dem sich jetzt ein Prioathcilanstalt befindet. Tie Meinhold zog nach der Semperstraße 11, mußte sich aber von vornherein verpflichten, keine Kranken in ihre Wohnung auszunehmen. Sie beherbergte nunmehr nur Pflegerinnen, denen sie Krankenpflegen zu vermitteln suchte. Das Geschäft ging aber nicht nach Wunsch und brachte nicht einmal die jährlich 1700 Mark betragende Miete ein. Die Meinhold machte nun, wo es nur angängig war. Schulden: Fleischer, Bäcker, Kaufleute, Milchhändler usw. büßten zum Teil bedeutende Beträge ein, denn sie gewährten der immer nobel auftrcteiidcn Oberin weitgehenden Kredit. Der Wirt hat noch einen größeren Mietbetray zu fordern. Auch Kautionen bis zu 200 Mark der von ihr beherbergten Pflegevinnen soll sie mst- genommen haben. Sie hat sich am Donnerstag Abend in ihrer Oberinncntracht nach dem Hanptbcchnhof begeben, sich dort an geblich umgezogen und hat seitdem nichts mehr von sich hören lassen. —* Am Eingänge der F r i cd r i ch st ra ße kam beute mittag kurz nach 11 Ubr auf der etwas abichillsigen Stelle eines der vor einen vollbeladenen Koblenwagen gewannten Pferde so schwer zum Sturz, daß dadurch eine längere Zeit andauernde Verkehrs störung entstand. Ta es sich nicht allein zu erbeben vermochte, mußte die Feuerwehr regniriert werden, deren Bemühungen es endlich gelang, das Tier, das sich beim Sturz verschiedene Ver letzungen zugezogcn batte, wieder auf die Beine zu bringen. —* Aus der Burgbergstraße verunglückte heute früh in der sechsten Stunde ein Radfahrer dadurch, daß er in eine Vertiefung fuhr. Er brach die Kniescheibe und mußte dem Friedrichstädter Krcmkenhause übergeben tverden. —* In der Loschwitzer Gegend treiben Einbrecher ihr Welen. So wurde in der letzten Zeit in Rochwltz, Nlederpovritz und Loschwitz je ein Einbruch verübt. Die Diebe — eS sollen zwei junge Burschen sein — haben es mehr auf Restaurants ab- mächtigen epischen Dichtung „Carlo Zeno". In diesem Jahre! kehrte Gottschall auch, nachdem er sich vorübergehend in Ham-! bürg und wieder in Königsberg aufaehaltcn, nach Breslau zurück, wo er stch.mit einer Freiin vermählte, und nun eine staunens- werte ,christstellerische Tätigkeit entwickelte. So erschien 1853 tein epochemachendes, von ebenso großer Belesenheit wie scharfem Urteil zeugendes, namentlich auch der jüngeren Dichtergeneration gerecht werdendes Werk „Tie Nationallileratur m der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts", seitdem zur „Deutschen National literatur des 19. Jahrhunderts" erweitert, wieder und wieder aufgelegt. Das in diesem Werke verfochtene Prinzip ist dann 1858 von Gottschall in seiner gleichfalls wieder und wieder auf gelegten „Poetik" weiter ausgcsührt und begründet worden. Noch 1854 aber vollendete Gottschall sein Meisterlustspiel „Pitt und Fox", das heute noch zum ehernen Bestände jeder guten deutschen Bühne mit Recht gehört. Diesem Lustspiel reihten sich in den nächsten Jahren „Die Diplomaten" (1856), „Tie Welt des Schwin- dcls" (1857si. „Ter Spion von Rhemsberg" (1882) und andere an, welche Lustspiele gleichfalls beifällige Aufnahme fanden. Da neben war Gottschall auch aus dem Gebiete der Tragödie nicht müßig. So schrieb er 1855 sein ergreifendes Trauerspiel „Mazevva": hieran reihten sich die Dramen „Ter Nabob", „Katharina Howard".,sein erwlqreichstes Trauerspiel und reich au Zügen Shakespeareschcn Geistes, „König Karl XII.", „Herzog Bernhard von Weimar", „Arabella Stuart", „Amy RobsarG l1876>, „Auf roter Erde" l1880>, „Maria de Padilla" ll889>, „Äiver Cromwell" s1890s, „Gutenoerg" s1897s, „Rahab", eine besonders wirksame, auf den größten Bühnen mit oläiizendcm Erfolge ausgeführte Tragödie s1893> usw., sowie die Tragikomödie „Der Götze von Venedig" s1901s. Im Jahre 1856 bereits war auch Gottschalls epische Dichtung „Scbastopol" erschienen, denen 1358 seine „Neuen Gedichte" folgten, besonders bemerkenswert wegen des glücklichen Versuches, die antiken Odenstrophen zu reimen. 1862 übernahm Gottschall die Redaktion der liberalen „Ostdeutschen Zeitung . trat aber bald von seinem Posten wieder zurück, da er. denseloen als verloren betrachten nin»tc, indem er mit seinem Versuche, eine Versöhnung der Polen mit dem Deutschtum ebenso wenig durchzudringen vermochte, wie bis zum heutigen Tage die preußische Regierung. Daher siedelte Gott- ichalsi nachdem er noch zuvor 1863 eine Reise nach Italien unternommen und die daselbst empfangenen Eindrücke in seinem „Rkisebuch nach Italien" i1S64> niedergelegt hatte, 1364 nach Leipzig über, um hier die Redaktion der „Blätter für literarische Unterhaltung" und der Monatsschrift „Unsere Zeit" zu über nehmen, in demselben Jahre noch von dem kunstsinnigen Groß- berzog Karl Alexander zum sachien-tvcimarischen Hofrat, später l>875> zum Geheimen Hosrat ernannt, und gab ebenfalls noch 1864 seine älteren epischen Gedichte „Carlo Zeno" und „sDie Göttin" mit dem farbenprächtigen Lotosblumcnkranz „Maia", gesammelt als erzählende Dichtungen, heraus. Die Redaktion der erwähnten Zeitschriften, die er beide bis zu seinem Rück tritt sEnde des Jahres 1887> auf der Höhe ihrer Zeit zu erhalten gewußt und allein Parteigetriebe, wie literarischen Zänkereien abhold. in vornehmem Stile geleitet hat. gab umerem Dichter auch zur Abfassung zahlreicher kritischer Essa»s willkommenen Anlaß Eine ganze Reihe dieser meisterhaften Essays, in denen sich französischer Esprit mit deut scher Gründlichkeit und tiefem Wissen harmonisch vereinigt, erschie nen dann wieder in Buchform unter den Titeln: „Porträls und Studien", „Bilder und Büsten", „Literariirbe Charakterköpfe", „Literarische TotenNäiige und Lebensfragen". „Studie» zur neueren deutschen Literatur". „Zur Kritik des modernen Dramas" ic. Daneben übernabm GoMchall 1874 auch die Redaktion deS „Neuen Pliitarch", einer Sammlung von Biographien hervorragender Männer der Geschichte, Literatur und Kunst, auch diele Redaktion legte er erst gegen Ende der Mer Jahre des vorigen Jabrhunderls nieder. 1886 übernahm er ferner die Feuilletonredaktlon der „Gaitciilaube" und waltet seit Jahrzehnten bereits unermüdlich und unvcrdrossen des zestranbende», undankbaren Amtes als Theaterkritiler Daß er auch als volkstümlicher Geschichtsschreiber keinen Vergleich zu scheue» braucht, bat er schon 1859 in seiner Biographie Napoleons III. glänzend dargeta». Außerdem ver- össcntlichte er 1868 auch eine AnSgabe von Theodor Körners Werken, sowie 1870 die erste Ausgabe von Grabbes Werken und in jüngster Zelt u. a auch von Nblands Werke» (in Max Heises wohlfeilen „Neuen Leipziger Klaisikerausgaben"), neben welchen Arbeiten hier gleich noch sein interessantes, tbcatergejchichlliches Buch „Theater und Drama der Chinesen" hcrvorgehobe» werden möge 1870 eröfsnete der damals Sieben»,,dvierzigjährtge mit ieinsni Kriegslicd in der „Kölnische» Zeitung" den lhriichen Feldzug gegen Frankreich und ließ eine kleine Sammlung zündender „Kriegslieder", 1873 eine» weiteren Band „Fliedens- u»v Kricgs- lteder" unter dem Titel „JanuS", sowie ein komisches Gedicht In 4 Ge'ängen: „König Pharao" erscheinen. 1874 folgte eine „Gedankenharmvnie aus Goethe und Schiller", um dieselbe Zeit auch ein dann wieder und wieder aufgelegter „Blütenkranz der neuen deutschen Dichtung" und diesem wieder später ein ähnliches illustriertes Prachtwelk, das „Deutsche Frauenleben". Seit 1875 endlich hat Gottichnll auch, wenngleich schweren Herzens, da ihm Form und Inhalt eigentlich nntreniibar sind bei >eder Dichtung, und der deshalb auf die Zauberwirkuiig des Veries nur ungern verzichtet, dennoch auch dem Zeitgeschmack, dem seine vornehme Poetennatur nur widerwillig sich anpaßl, seinen Tribut gezollt und auch auf dem Gebiete des Romans — vorwiegend deS histo rischen — mit große», Erfolge nach dem Lorbeer gerungen. Schon sein erster historischer dreibändiger Roman „Im Banne deS Schwarzen Adlers", teilweise vom Dichter in dem Luistpiel .Der Spion von RheinSbcrg" benutzt, fand allgemein verdientermaßen die größte Anerkennung, ebenso auch die ganze Reihe der folgenden Romane und Erzählungen. 1877 die „Welten Blätter". 1879 „Das goldene Kalb", 1880 „Das Fräulein von Saint-Ainaranthe", 1881 „Die Erbschaft des Blutes". 1883 „Die Papierprinzcssin" (als Lustspiel „Die Welt deS Schwindels"). „Schulröschcn" (auch als Lustspiel unter demselben Titel verarbeitet), „Die Tochter Rübe zahls" (1889). „Der steinerne Gast" (1890 : 2. Auflage 1897). „Ver schollene Größen" (1891), „Verkümmerte Existenzen" und .Däm merungen" (1892), „Romeo und Jutta am Pregel" (1893), „Eine Dichterische" (189t), „Moderne Streber" und -Aretin und sein Haus" (letzterer Roman unter dem erwähnten Titel „Der Götze von Venedlig" auch dramatisiert) ic. Neben dielen Romanen muß noch als bestaelungene lyrisch-epische Dichtung neuerer Zeit das formschöne und gedankenreiche Werk „Merlins Wanderungen" l1888>. sowie das lesenswerte autobiog>aphiiche Werk „Aus meiner Jugend" <1899) mit Ehren hervorgehoven werden. Vergegenwärtigt man sich angesichts dieser umfassenden und vielseitigen voetiichen und literarischen Tätiakeit Gotticballs. wie der um seiner Verdienste willen von Kaiser Wilhelm 1. 1877 in den erblichen Adelstand er hobene Poet auch seit Jahrzehnten mit großer Gewissenhaftigkeit »och verschiedene Ehrenämter verwaltet, io muß man sagen: rin Leben voll Arbeit, aber auch voll Ruhm ist eS. daS unserem Rudolf v. Gotlschnll beichieden ward, und die heute noch staunens werte Spannkraft seines Geistes zwingt jedem, der Gottschalls Tätigkeit aufmerksam verfolgt hat, Achtung vor dem Wirken dmeS Dichters und Gelehrten ab. Möge dem verdienten Manne noch rin langer sonniger Lebensabend beschicken sein. Professor Dr. Karl Sienen.
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