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Nr. 8 rmttwoch, den 19. Mai 1920 Wolfram von Efchenbach Von Dr. A. M. Kauften (Nachdruck verboten.) Vor 700 Jahren, im Jahre des Heiles 1220, da flatterte eine Trauerlunde durch deutsches Land, und an dem sangesreichen Hofe des Landgrafen Hermann von Thüringen Lang die Totenmesse: Wolfram von Eschenbach war gestorben. — — Herr Wolfram ein wise man von Eschenbach, sin herze ist ganz sinnes dach, leien munt nie baz gesprach. So pries der Zeitgenosse, der Verfasser des „Wigalois", den Dichter des hochberühmten Parzival. Und heute, nachdem sich Lereits seit über 700 Jahren die Erde über dem sangessrohen Herzen geschlossen, wirlt der Geist des ersten Parzival noch immer, klingt eine heimliche Süßigkeit aus dem Namen Wolframs von Efchenbach. der neben Gottfried von Straßburg und Walther von der Bogelweide der größte Dichter des deutschen Mittelalters wurde. Was von Wolfram auf uns gekommen ist, ist zahlenmäßig nicht Vieh aber es hat einen genialistischen Zug bei aller Naivität deS Tech nischen Wir besitzen sieben Lieder des EschenbacherS, sogen Tage weisen, dann das bedeutendste Kunstevos des Mittelalters: de» Par zival, weiter zwei Bruchstücke des Titurel und den Willehalm von Oranje, eine Dichtung, vor deren Vollendung der Spielmann Tod Wolfram zum letzten Reigen geigte. Der frohherzige Sänger Wolfram von Eschenbach war ein „toerscher Beier", wie er sich selbst nannte; ein Ritterbürtiger. „Schil. des Amt ist meine Art," sagt er von sich. Aber er war keiner von den reichen und besitzenden Grundherr««; er, der zwischen 770 und 77b dl Eschenbach, südöstlich von Ansbach, geboren wurde, mußte schließ lich vom Grafen von Wertheim den Hof Wildenberg zu Lehen nehmen; und über seiner Burg Wildenberg Armseligkeit wußte der Sänger gut- mütig zu spotten. Sein Reichtum war seine Sangeskunst, sein frohes Herz und die ritterlichen Künste, die er besser zu üben wußte, als das Schreiben und Lesen. Aus Andeutungen in seinen Gedichten geht hervor, daß er nicht der Erstgeborene seines Hauses gewesen und des halb in Dürftigkeit sein Leben fristete. Sein tapferes Künstlerherz litt ihn nicht in der Heimat; er zog auf unbekümmerten Ritterzügen davon und landete begreiflicherweise auch am thüringischen Hofe des Land grafen Hermann, der damals sein Schloß zum Mittelpunkte höfischer Ritterlichkeit und Poesie gemacht. Hier in diese höfische Zeit fällt die Dichtung eines Teiles des „Parzival" und die Bearbeitung des fran zösischen Gedichtes von Wilhelm von Oranje. Wolframs großes Werk ist der „Parzival". MS diese? Epos gedichtet wurde, machte die Kunst einen Sprung voran und hin auf in geistiges Neuland. „Parzival" bedeutet einen künstlerischen tzöhenpunkt, wie etwa Goethes „Faust" ihn bedeutet. Nm bei der Parallele zu bleiben: Im Rahmen seiner Zeitdichtung war „Faust" die Krönung dieser Dichtung als ein psychologisches Drama weitesten Ausblicks. Wolframs „Parzival" war seinerseits das eigent lich erste psychologische Epos seines Zeitalters, eine Dichtung, welche die naive AbschilderungSweise äußerer Geschehnisse der Zsit- dichtung verließ und zu den Triebkräften menschlichen Handelns und Empfindens, zu den notorischen Kräften des Seelenlebens vorstieß. Wenn es Wolfram zudem gelungen ist, die psychologische Linie feiner Dichtung bis zum Schluß fortzusühren und konsequent zu Ende und zur Auflösung zu bringen, indem er die Erkenntnisse christlicher Wüt betrachtung in genialem Aufflug erfaßt, dann steigt diese großartige Form des dichterischen Abschlusses und ethischen WollenS noch hinauf über die Abwicklung der Faust-Idee eines Goethe. Und so gilt sei» Wort von ihm selber: Es unternahm dies Lied ein Mann, Der Sangeswert wohl prüfen kann, Der Hohes weiß von Niederm zu scheiden Und es in liebliche Reime zu Neiden. Die Gralsage war von allen Vorgängern Wolframs nur rein äußerlich ongefaßt worden als eine Kette bunter und farbenfroher Bilder von Abenteuerfahrten und minniglichem Frauendienst. Wolf ram gab in tiefsinnigen, von edlem Ernste getragenen und dann wieder von liebenswürdigem Humor umwitterten Schilderungen diek mehr; gab eine Entwicklung der Seele, den uralten Befreiungskampf des Menschen mit den Schwerkräften seiner Seele Der religiöse Gott sucher seiner Zeit nimmt Gestalt und Form an, um schließlich sein Suchen und Ringen in klarem Erkennen erfüllt zu sehen und sich zu erlösen an der Größe der Gottheit. Parzival — — das ist der rin gende Mensch, dessen Lebenspfade zwischen den beiden heftig heran reißenden Lebenspolea führt- zwischen Gott und We-tlust, zwischen Gral und ArtuShof. Von allem äußerlich Zufälligen und zeitlich Be dingten abgeschält, liegt dieser köstliche K-rn der gewaltigen Dichtung vor uns. Es soll hier keine Inhaltsangabe des Wolframichen „Par zival" gegeben werden, nur eine kurze Würdigung in ganz losen, kri tischen Strichen. Und diese kritische Würdigung sühn uns zu der Schlußfolgerung, daß das Menschenherz zu allen Zeiten oon den glei chen Freuden, Schmerzen, Lüsten und Leidenschaften erfüllt war, daß nur der Aufschrei je nach Zeit und Weltanschauung abgestuft ist. Aus zwei Quellen will Wolfram dir Parnsalsage geschöpft haben: aus dem uns erhaltenen Gedicht des Chretin de LroyeS „Leconte de! Graal" und dann noch angeblich aus der Dichtung eines Provenzialeu namens Kyot. Doch begegnet man vielfach der Ansicht, daß dieser Kyot eine erdichtete Figur Wolframs sei, auf die er sich beruft, wenn seine Dichtung mit dem Fabelgang Kyots nicht gleichläuft. Tie Par- zivaldichung bringt in den ersten beiden Büchern die Vorgeschichte des Helden, die Geschichte von Parzivals Vater Gahmurret, eines Spröß- lingS deS Hauses Anjou, der die heidnische Königin Delakane zmn Weibe nahm und mit ihr einen Sohn Feirefiz zeugte Darauf ver läßt Gahmurret die schöne Belakane, kehrt nach dem heimischen Fran kenlande zurück und nimmt Herzeleide zur zweiten Gattin, die ihm den Sohn Parzival schenkt. Gahmurret, der Mann mit dem schäu menden Abenteurerblute, verläßt auch seine zweite Gattin und stirbt auf einem neuen Zuge gegen die Heiden. Parzival, von seiner Mut ter in aller Einsamkett erzogen, geht später unter dem Zwange deS abenteuerlichen Blutes seines Vaters in die Welt und gelangt als be rühmter Held an die Artustafelrunde. Hier findet er seine schöne Ge mahlin Kondwiramnr, die er ober bald verläßt, um seine Mutter auf- znsuchen. Auf der Heerfahrt nach der Heimat kommt er in die Grals burg und unterläßt die Frage, die den wunden Gralskönig AmphortaS erlösen konnte. Wieder in die Artustafelrunde ausgenommen, trifft ihn der Fluch der Gralsbotin, von dem er fick zu lösen sucht indem er aufs neue nach dem Gral anfbricht. Von wilden Zweifeln an Gott heilt ihn der Einsiedler Trevrizent; nach zahllosen Abenteuern und Kämpfen, zuletzt mit seinem Freunde Gawan und seinem Halbbruder Feirefiz, wird er endlich würdig befunden, das Gralskönigtum zu übernehmen.