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General-Anzeiger für Chemnitz und Umgegend : 11.08.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512384843-189808117
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512384843-18980811
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512384843-18980811
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
General-Anzeiger für Chemnitz und Umgegend
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-08
- Tag 1898-08-11
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Monat
1898-08
-
Jahr
1898
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-s Nr. 184.' — ISS». — Diese verbreitetste u»parteiische Letttmn erscheint Wochentags Abends (milDatutli des nächsten Tages) und kostet mit den sechs wöchentlichen Beiblättern: 1. Tächfischer Gr,«h»er, 2. Kleine Botschaft, 8. Gerichts-Zeitung, 4. Teichfisches Allerlei, K. JllustrirteS Unter- haltnng-hlatt, 6. LnstigeS Bildervnch sllr Chemnttz: Monatlich 40 Pfennige: bei den Postanstalten: Mvnatlich bO Pfennige. l89S. Postliste: Nr. 2608. Telegramm -Adresse! Seneralaiizelger. FernsprechNküe Nr. 186. General- Donnerstag, den 11. August. Anzeiger Anzeigenpreis: «gespalten« Corpnszeile (ca.9 Silben fassend) oder deren Raum IbPsg. (Preis« Verzeichnisse ä Zeile 20 Pfg.) —. Bevorzugte Stelle («gespaltene Petit-Zeile circa 11 Silbe» sassend) 30 Pfg. — Anzeige« können nnrbis Vormittag 10 llh» angenommen werden, da Druck Und Verbreitung der groß«» Auflage längere Zeit erfordern. für Chemnitz (Sächsischer Laudes-Auzeiger). nnd Umgegend. Gegründet 187» als „Anzeiger" re. Vermag nnd Notation»,nascht,«en-Dr,»« von Alexander Wiede in Chemnitz, Theaterstratze Nr. 8» Geschäftliche Anzeiger-Inserat» finde» für billigsten Preis zugleich Verbreitung durch dl« täglich erscheinende Chemnitzer Elsettbtilill-Zeitttng. Die Vereinigten Staate,t als Militär- nnd Kolonialmacht. Die Vereinigten Staaten haben einen Krieg gegen eine europäische Macht soeben siegreich zu Ende geführt. Es ist nicht das erste Mal, daß sie diesen Erfolg errungen haben, wohl aber das erste Mal, daß sie ihn ohne fremde Hilfe erlangt haben. Denn bei dem Un abhängigkeitskriege gegen England kam ihnen Frankreich in der nach drücklichste» Weise zur Hilfe und bei dem zweiten Kriege mit England (16l2—.1814) siegten sie dadurch, daß die Hauptstreitmacht Englands durch die napolcvnischcn Kriege auf dein europäischen Kontinente festgelegt war. Diesmal aber haben sie über eine europäische Macht gesiegt, die über eine nicht geringe Armee verfügte. Kein Wunder, daß der „Jingoismus", der schon in den letzten Jahren vor dem Kriege sehr stark gewachsen war, jetzt vollkommen über alle nüchternen Elemente triumphirtl Die Jingos verlangen zweierlei: erstens, daß die Vereinigten Staaten zu einer großen Kolonialmacht werden, zweitens, daß sie zu einer großen Militärmacht werden. Die erste Forderung hat die letzte zur Voraussetzung und deshalb sei diese zuerst erörtert. Die Vereinigten Staaten sollen eine Armee von mindestens 100000 Mann aufstellen, während sie jetzt noch nicht über den dritten Theil dieser Zahl verfügen. Diese enorme plötzliche Vermehrung ist aus mehr als einem Grunde schwierig und bedenklich. Einmal aus finanziellen Gründen: die Armee der Vereinigten Staate» kostet schon bei dem geringen Umfange von noch nicht 30000 Mann an dauernden und einmaligen Ausgaben jährlich ungefähr 200 Millionen Mark, wozu noch die ungeheure Summe von 600 Millionen Mark für Jnvalidenpensionen kommt. Die letztere Snmine wird sich »ach den, gegenwärtigen Kriege Wohl noch erhöhen, denn wer eine leichte Wunde davon getragen oder einen Fiebcranfall gehabt hat, wird Wohl verlangen, ans der Staatskrippe essen zu dürfen. Und anch die Erhaltung des stehenden Heeres wird sich enorm theucr stellen, da jede geworbene Armee dem Lande, das sie erhält, viel theuerer zu stehen kommt, als ein aus der allgemeinen Wehrpflicht hervor- gegangcnes Heer. Davon aber, daß etwa die Bereinigten Staaten daran dächten, zur allgemeinen Wehrpflicht überzugehen, hört man Nichts. Und damit kommen wir zur zweiten Schwierigkeit: zu der Rekrutirung der geplanten großen Armee. Man weiß, daß schon England große Schwierigkeiten mit seiner Rekrutirung hat; in den Vereinigten Staaten aber, deren Bevölkerung aus de» verschieden artigsten Votksstämmen und z» einem erheblichen Theile ans Einge wanderten besteht, dürfte es noch viel schwieriger werden, eine so große Zahl tauglicher und vor allen Dingen halbwegs erträglicher Mannschaften zu finden. Schon jetzt besteht das stehende Heer zum Theil aus bedenkliche» Mannschaften, und es ist ein Theil deS Heeres ans Farbigen zusammengesetzt. Die Amerikaner würden sich aller Voraussicht nach genöthigt sehen, einen noch erheblicheren Bruchtheil des Heeres den Reihen der von ihnen so mißachteten volonroä ßsntlomun zu entnehmen. Damit würde bei der Zivil bevölkerung daS stehende Heer »och mehr mißachtet werden als bisher, und ein Heer, das von der Bevölkerung, die von ihm beschützt werden soll, verachtet wird, kann nie einen bedeutenden inneren Werth haben. Schließlich würde es den Vereinigten Staaten nicht ganz leicht fallen, die nöthige Zahl brauchbarer Offiziere zu finden, denn die Herren, die jetzt mit soviel Glanz die patriotischen Heldenrollen geben, würden sich in Friedenszeilen dafür bedanken, Offiziere zu sein. Und nun zum zweiten Punkte: zu der Kolonialmacht. Die Er werbung von Hawaii und von Pvrtorico können sich die europäischen Mächte allenfalls noch mit ansehen. Anders wäre es schon gewesen, wenn die Vereinigten Staaten den Besitz der Philippinen für sich in Anspruch genommen hätte»; und ganz anders würde es sein, wenn sie dem Jnipcrialismus einen zu weiten Spielraum über ihre Ent schließungen gewähren unv noch weiter gehenden kolonialen Plänen nachhängen wollten. Die europäischen Staaten haben die Monroe- Doktrin niemals ausdrücklich anerkannt, aber es ist den Vereinigte» Staaten doch schon wiederholt gelungen, diese Doktrin faktisch durch- zusetzeu, wie z. B- in den zwanziger Jahren gegenüber der heiligen Allianz bei den Unabhängigkeitskämpfen der südamerikanische» Staaten gegen Spanien und in den sechziger Jahren gegenüber dem Kaiser Napoleon III., bei dessen Einmischung in die mexikanischen Ange legenheiten. Der Grundsatz „Amerika den Amerikanern" würde aber, wie man in den Vereinigten Staaten selbst wird zngeben müssen, alle Berechtigung verlieren, wenn die Amerikaner ihre Politik nicht einen engeren Zusammenschluß dieser Mächte herbeisühren, der ihnen nicht nur wirthschaftlich erheblichen Abbruch thun könnte, sondern sie auch darüber belehren würde, daß man noch lange keine große Militärmacht ist, wenn man einen Staat wie Spanien besiegt. Politische Rundschau. Lhtmnitz, de» 10. August 18SS. Deutsches Reich. — In der lippeschen Affaire wird zwar die vielfach ge wünschte Veröffentlichung des von, Regenten an den Kaiser gerichtete» Schreibens vorläufig nicht erfolgen, dagegen sieht sich das lippesch« Staatsministerium veranlaßt, „gegenüber den vielfach von der Presse gebrachten irrigen Mittheilungen über Inhalt und Umfang der dem Kontingentsherrn im Fürstenthum Lippe zustehenden Rechte" die ein schlägigen Bestimmungen zu veröffentlichen. Die betr. Bestimmungen lauten: Z 5. „Seine Durchlaucht der Fürst zur Lippe steht zu de» sämmtlichen in Höchstseincn Landen dislocirenden Bundestruppen im Verhältnis eines kommandirenden Generals und übt als solcher neben den bezüglichen Ehrenrechten eine entsprechende Disziplinargewalt ans; ebenso steht Höchstihm die freie Verfügung über di« im Fürsten thum dislocirten Bundestruppen zu Zwecken des inneren Dienstes zu." — § 7 des vereinbarten Protokolls lautet: „Die Seiner Durch laucht dem Fürsten zur Lippe eingeräumte Befugniß, über di« im Fürsteiithu», dislocirten Truppe» zuni Zwecke des inneren DiensteS zn verfügen, enthält auch das Recht, über die anfzustellenden Ehren posten und die den Mitgliedern der Fürstlichen Familie einzuräumen den Ehrenrechte Bestimmung zu treffen." — Zu diesen ihrem Inhalt nach bereits bekannten Bestimmungen bemerkt das fürstliche StaatS- ministerium: „Deckt sich schon diese Vereinbarung dem Sinne nach und auch säst wörtlich mit de» Abmachungen zwischen Preußen und Bismarck,mv Gladstone. Von Heinrich E. Berger. (Nachdruck Vorboten.) Bismarck und Gladstonc — diese beiden Namen sind in diesen Tagen schier unzählige Male zusammen genannt worden. Berufene und Unberufene habe» sich bemüht, ihre politischen Leistungen mit- einander zu vergleichen. Inwieweit nun ein Vergleich der politischen Thätigkeil zweier Männer, die unter so ganz verschiedenen Ver hältnissen lebten und wirkten, überhaupt angängig und fruchtbar ist, das darf i» de», 'Reiche „unter dem Striche", in dem (mit Kleist zu spreche») die „lieblichen Gefühle" des rci» Menschlichen die Herrschast sichre», füglich dahingestellt bleiben. Aber eben vom rein mcnschliche» Stands,,,nite hat cs einen ganz besonderen Reiz, das Geistes- und Seelenleben dieser beiden Großen nebeneinander zu be trachten, — eine Methode die ja schon seit Plnlarh ihre Vorzüge und ihr allgemeines Interesse bewährt hat. Dazu kommt, daß i» Bismarck und Gladstonc sich viele Eigenschaften des deutschen und des englischen Volkes thpisch ansprägen, und darum eine Vergleichung der beiden Männer anch völkcrpsychvlogisch manchen interessanten Blick eröffnen dürfte. Es ist ein wohlthucndcs Zeug,,iß für die nicuschliche Natur, daß der Punkt, in dem die beide» Staatsmänner am ausfallendsten Zu sammentreffen, die makellose Reinheit ihres Charakters ist. Keiner von ihnen hat je seine Macht, seine weitreichenden Informationen in unredlicher Weise benutzt, keiner ist je, wie Gambetla, in bedenk liche Liebcshändel verwickelt gewesen. Ihr häusliches Leben war musterhaft, rei», glücklich. Beide haben zu ihren Frauen im zärt lichsten Verhältnisse gestanden, haben in ihnen wahrhafte Gefährtinnen auf de», Lebenswege gesunden, ohne die sie (Bismarck hat das wiederholt mit großem Nachdrucke betont) ihr Werk nie hätten vollenden können. Sicherlich darf man de» Umstand, daß Bismarck und Gladstonc als Staatsmänner ihrem sittlichen Bewußtsein folgten, mit de», Charakter ihres Familienlebens in Beziehung bringen. Ein Staatsmann, dem sein Haus nichts gilt, der mit Maitrcsscn »»igelst, wird eher geneigt sein, ° auch in seiner Politik kleinen menschlichen Motiven zu folge», Kabinetskriege zu vertreten u. s. w.. als einer, der das verkleinerte Abbild des Staates, das Familienleben, würdig n c auffaßt. Merkwürdig ist es, wie gerade im häuslichen l-ebcn zahlreiche Aehnlichkeite» zwischen de» beiden Männern hervor- trctcii. Beide, stmst „uht eben Mnsikschwärmcr, wurde» im häus liche» Kre,sc von der Macht der Töne tief ergriffe». Beide liebten Baum aus ihren Besitzungen. Bismarck war einmal ans s tiefste empört, als er glaubte, daß ein schöner Baum im Interesse e,ncS Lamibanes »„„öthigerweise gefällt worden sei; Gladstone zog, wenn in Hanardkn Castle die Nieverlcgung eines Baumes erwogen lvnrdc, erst Künstler zu Nathc. Darin zeigt sich freilich auch der vcrphlede"- Charakter dieser Liebe drr Beiden zu de» Kindern des Waldes. Be, Gladstonc entsprang si- ästhetischem Empfinden, bei Bismarck der natürliche», hingcbnvgsvollcn Liebe zur Natur, z»m Walde insbesondere, der von je so recht seine Hcimath »ad seine Zuflucht bildete. Dies führt uns bereits ans die cigcnlhümkichcil Verschieden heile» des Geistes und der Geistesbildung der beiden Männer. den übrigen Bundesstaaten, jo stimmt die Erneuerung der MWLr- auf Amerika beschränken, sondern eine umfassende Weltmachtspolitik I Konvention unter dem 14. November 1873 in ZI mit den übrige» betreibe» wollten. Konventionen, insbesondere wörtlich mit dem zwischen Preußen und Die Vereinigten Staate» haben in den letzte» Jahren schon durch Schanmbnrg-Lippe abgeschlossenen Vertrage vom 2b. September 1873 ihr wirtschaftliches Vorwärtsdrängen, durch ihren Grundsatz, sich selbst! überein. In beiden Konventionen heißt es gleichlautend: „Seine nach Möglichkeit abzuschließen, aber in allen Ländern der Welt nach Durchlaucht der Fürst steht zu den innerhalb des Fürstentums dis» Möglichkeit den Markt für sich zu gewinne», die europäischen Mächte mit Besorgnissen erfüllt, denen vor Jahresfrist der österreichische Mi nister des Auswärtigen offenen Ausdruck gegeben hat. Wenn sie obendrein »och auch durch ehrgeizige politische Aktionen die europäische» Mächte beunruhigen wollten, so könnte» sie sehr gegen ihren Willen locirten Truppen im Verhältnisse eines kommandirenden General» nnd übt neben den bezüglichen Ehrenrechten die evtsMchMdtzMA-. zi'pli'nargewalt aus.« — Die „Hamb. Nachr." schreiben: „ Herr Geh. Rath Schiveninger hatte in Uebcrciiistininiiing mit ihm früher zugegangcnen Weisungen Gladst.'ne's Nährmutter war die Theologie. Als theologischer Schriftsteller hat er sich einen hohen Rang erworben, als Politiker de» kirchlichen Frage» stets ein besonderes Interesse entgcgcngebracht, noch dis in seine letzten Lebensjahre hat er mit theologischeil Problemen eindringeiid sich beschäftigt. Stammt von diesem Momentes der großartige Ernst und die sittliche Auffassung, die er dem Lebe» des Staates und der Völker entgegenbrachte, so erklärt cs doch auch die eigenthümliche Starrheit und Unduldsamkeit seiner Ansichten. Sticht leicht beschäftigt sich Jemand mit der Geschichte der Dogmen und ihrer Formen, ohne selbst mehr oder weniger zum Dogmatiker zu werden. Gladstone war ein Dogmatiker, seine jeweilige Ansicht war ihm ein Dogma, neben dem er nichts Anderes als berechtigt anerkannte, nnd mit dogmatischem Fanatismus vertrat er sie. — Bismarck kann überhaupt lein Mann der gelehrten Bildung genannt Werde». Seine Schule war das Leben. Von früh auf gewöhnt, die Menschen sorgfältig zu beobachten, lernte er i», Lause einer ver hältnismäßig kurzen Zeit eine große Reihe von Lebenskreisen praktisch kenncn. Er war Offizier, Landwirth, Gerichts- und Ver- waltungsbeamler, Diplomat. Die unendliche Ausdehnung, die Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit des Lebens erfuhr er im reichsten Maße, und auf diese Erfahrung baute sich auch sein Geistesleben auf. Er kannte nur die Praxis, das Bedürfnis), das Relative; Gladstone kannte nur die Theorie, die abstrakte Erkenntnis), das Absolute. Bismarck war in seinen Ansichten wandelbar, wie das Lebe» selbst, dessen Kenntniß sie entstammte», und er hat sich dieser Wniidliiugsfähigkcit gerühmt; sei» Geistesleben als Gaiizes betrachtet stellt sich als eine unausgesetzte organische Entwickelung dar. Gladstone, ler ja gleichfalls eine außerordentliche Entwickelung — von, romantischen Alttorh bis zum rationalistischen Radikalen — ourch- gemacht hat, ging durch eine Reihe von schroffen Revolutionen, deren Ergebnisse eines Tages unerwartet nnd unvermittelt hervor- tratcn (man denke an seinen jähen Ansichtswechsel in der Hvmcrule- Frage!), deren jede ihn verständnißlos und unduldsam gegen seine eigenen Ansichten von früher machte. National betrachtet, hat die starre Einseitigkeit der Gladstone'schcn Ideen etwas vom englischen Spleen, die großartige, forlschreitende Entwickelung des pommer'schcn Junkers etwas von Goclhe's tiefer Lebensweisheit nnd Lebenskcnntniß. Ungemein deutlich spiegelt sich die verschiedene Art der beiden Männcr in ihren Eigenschaften als Redner. Gladstonc redete wie ein Buch, i» großartige», vollen, abgerundeten Perioden, er schwelgte in seinen Worten, er hatte schon von seiner klassische» Bildung her Freude an der Form. Bismarck hingegen war drr typische Gelegenheitsrcdncr, seine Reden waren stets improvisirt, dir Worte, die. Gedanken stolperten darin nur so übereinander, die Fori» wurde mit souveräner Mißachtung behandelt. Man findet da Vordersätze ohne Nachsätze, ellenlange Perioden, Einschachtelungen üdcr Einschachtelungen. Gladstonc selbst dcfinirte einmal das Verhältnis; des Redners z» de» Hörern dahin, er gebe ihnen in der Form des SiromeS wieder, was er von ihnen als Dampf empfing. Mit anderen Worten: was er von seiner Zeit lonzcnlrirt empfing, gab Gladstone, drcit verwässert wieder, er hüllte die Gedanken in einen großen Wortschwall, er verließ keine Idee eher, ehe er sic nicht ^ zwei-, dreimal in etwas variirlcr Weise ansgcdrnckt Halle. Umgckchrl gab der Redner Bismarck das, was verschmonunen wässerig in den ''.eilgeiwssen lebte, die unklare, wogende Flut!; ibrer Gedanken, kvn- zcntrirt und so auf's Schärfste pointirt wieder, daß es ihnen wie etwas ganz Neues erschien und daß in die Nebel der Unklarheit und der Zweifel ei» scharfes grelles Licht fiel. Daher die Fülle ! „geflügelter" Worte, die schnell klassisch geworden, in den eiserne» l Fvnd der Sprache übcrgegangen sind. Von Gladsione wird man derartiger Worte (etwa das vom „uiisxwatcadls BuiR" aus genommen) sich kann, erinnern. Beide wirkten vornehmlich durch die lcwnndcrnswerthe Energie, die in ihren Reden lebte; doch wirkte Gladstone, der stets nur wenige Gedanken in »nermiidlichen Wieder holungen dis zur restlosen Klarheit behandelte, hauptsächlich auf die Massen, während Bi-marck's Reden in der Fülle ihrer Idee», in dem ungeheueren Rcichthume schnell hingeworfencr Andeutungen gerade sür die Gebildeten, für die feineren Geister eine nnversieg. Uche Anziehungskraft besitzen. Gladstone's Reden stehen und fallen trotz der reichlichen Anwendung allgemein philosophischer Gesichts punkte mit den besonderen Angelegenheiten, denen sie eben galten, und veralten mit ihnen; Bismarchs ganz ans dem Leben fußende und aus dem Leben ihre» Gehalt ziehende Reden machen uns noch heute, nach Jahrzehnten, begrabene und verschollene Fragen von 'Neuem lebendig »nd interessant. So erklärt sich der ans de» ersten Blick sehr wunderliche Umstand, daß Gladstone's, des großen Formen künstlers, Reden sich nach dem Eingeständnisse vo» Georg Brandes gelesen selten gnt ansnehmcn, während Bismarck's Reoen gel.sen geradezu fasziniren und selbst den, der den darin vertretene» An sichten nicht beipflichtct, mit sich sortreißc». In Gladstone steckte ein gutes Stück von dem alten Puritaner« lhniii seines Volkes. Der Puritaner großartiger sittlicher Ernst, ihre leidenschaftliche Thntkraft, die unduldsame Starrheit ihrer An sichten, ihre fast asketische Weltanschauung — das Alles spiegelt sich in Gladstonc wieder. Und wenn die Puritaner, die ide.lististhsten Vorkämpfer der Ncligio» der Nächstenliebe, im Leben finster, feind lich und hart auslratcn, so finden wie AehnlichcS anch in Gla.slonc'S Leben. Gladstone hat sehr viel Verehrung, aber eigentlich wenig persönliche Liebe genossen. Er hat als Premier oft seine Kollegen durch seine Unfrenndlichleit, Rücksichtslosigkeit und Ungefälligkeit er bittert, hat seine Partei durch seinen Mangel an Liebenswürdigkeit, menschlichem Antheil und Wohlwollen wiederholt der Dcroute nahe gebracht, ist in inchre.cn Wahlkreisen durch wachsende Unpopnlarität unmöglich geworden. Es ist, als ob er ,'cin Auge so fest und starr auf seine großen idealen Ziele gerichtet hätte, daß er für das Leben nnd siir seine Mitmenschen an Theilnahme und Liebe nichts übrig Halle. Sein Gemnthslcbcn war gewiß tief, aber cS hatte etwas Weltfremdes, Unpersönliches, in gewissem Sinne darf man sagen: Unmenschliches, wie das jener alten Puritaner. Er gefiel ans der Entfernung weit besser, als im nahen Umgänge. Es muß als ein Treppenwitz der neuesten Geschichte bezeichnet werden, daß man gerade in Rücksicht ans das GcmüthSledcn de» „humanen" Gladstonc öfters über den „Mann von Blut nnd Eisen" pellen Hort. Bismarck hat viel Haß erfahren, das wisst» wir Alle, aber auch unendlich viel Liebe, cm'c, rei» menschliche Liebe genossen. Es ist mchr als einmal vvrgckommcn, das; Personen, welche ihm abgeneigt waren, zu ganz anderen Ansichten und Empfindungen über ihn kamen, wenn sie ign versönllch kennen lcrntcii; er gewann stets in der Nähe. Er verfügte über eine geradezu fasziuirende Liebenswürdigkeit und trotz der Nauhheit und
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