Volltext Seite (XML)
— Nk. S«6.— 169V.— Mreitag, dm 17. November» Rauhfrost! Novelle von I. Fichtner. lS. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) fragte Elli. In Schreck und Angst hat ß« das Wvrl hervorgestoßen und erstaunt blickte das Kind auf die Schwester.' „— Eine ganz schöne Dame," setzte es wie beruhigend hinzu, »noch größer wie Du und ganz schwarzes Haar!" Nun glaubt Lotte ihre Erzählung gut gemacht zu haben und blickt herausfordernd auf Elli. Vor deren Augen aber ist eS dunkel geworden, die Welt um sie herum hat Licht und Glanz verloren — ihr ist, als müsse sie plötzlich versinken, als löse sich eine unsichtbare Hand von ihr, die sie bisher in leichter, sonniger Höh' getragen, bleich und stumm lehnt sie sich an die Bank zurück und ihre zitternden Hände sinken kraftlos ii» den Schooß. Bei tiefer Bewegung entgleitet Lotte» der Ball und rollt den Gang entlang — sie eilt ihm nach und ' wieder mitten d'rin in Kiuderlnst und Fröhlichkeit. Jndeß ringt das junge Mädchen im heißen Kampf mit der ersten, stillen und doch so mächtigen, lief-verschwiegenen Liebe, die, wortlos erblüht, nun auch wortlos dahinsterben muß. Ans ist es mit der sonnigen Frühlings Pracht ihres Herzens; zerstört, verwüstet, vom eisigen Windhauch durchweht — in Schmerz und Qual zusammenzuckend, wie die blühende Erde, wenn jäh und unerivartet ei» Nachtfrost ertödtend das stille Leben und Weben vernichtet, so sieht es in der Brust des arme» Mädchen- ans, das nun auf sei» geduldiges, hoffnungsvolles Warten die Antwort gefunden hat. — Kein Zweifel steigt in ihr ans — sie weiß es, sie fühlt es, daß er für sie verloren ist. Schmerzhaft ringen sich die kleinen Hände ineinander, die bleichen Lippen schließe» sich zu fester, qualvoller Abwehr — sie muß ihn ja znrückdränge», den Schrei des Herzen-, Niemand, kein Mensch darf es ahne», wie thöricht sie gewesen — Niemand, selbst die Mutter nicht! Und während sie so regungslos vor sich hinstarrt, der Abend niedersinkt, hat sie keine andere Sehnsucht, als mit den fallenden Blättern niederzusinken, tief in die dunkle Erde. „Elli — gehen ivir jetzt? Ich habe Hunger!* — Die kräftigen Händchen Lotten's schütteln sie und rufen sie mit diesen Worten in das kalte, nüchterne Leben zurück. Sie erhebt sich und Lotte faßt, fragend zu ihr aufsehend, sie an der Hand. Sie geheil — doch ach Wie schwer ist der Fuß, wie wüst der Kopf und wie weh das arme, junge Herz — ihr ist, als sei die Jugend von ihr geflohen -- sie plötzlich alt -und kraftlos geworden. Noch immer sitzt Frau von Kronau emsig bei ihrer Stickerei — ihr Auftraggeber ist streng und sie muß pünktlich sein, um be rücksichtigt zu werden. Wie viele heimliche Seufzer und Thronen hat ihre Armuth sie schon gekostet. Nun mischte sich ein Strahl von Hoffnung auf bessere Tage i» ihr nnerniüdliches Schassen; wenn bis jetzt ihr Name sie nicht vor Armuth schützen konnte, vielleicht nützte tzr nun doch ihrer Tochter zur Erreichung einer baldigen, besseren 'Anstellung. So sann und grübelte die sorgende Mutter, ohne zu bemerke», welch' tiefe Niedergeschlagenheit Elli befallen. '' Diese begab sich zeitig zur Nutze, ohne doch dieselbe finden zu können — in stummer Resignation verträumte sie Stunde auf Stunde, und nur der Anblick ihrer Mutter, als sie, noch einmal schreckhaft emporfahrend, dieselbe immer »och rastlos arbeite» sah, rief ihr die nahezu vergessene »ivrgende Aufgabe mahneud in das Ge- dächtniß. Wie würde sie nun damit zurechtkomme», die nächsten Tage überwinde»? Eine schwere Angst legte sich beklemmend auf ihr Herz, sie glaubte ersticken zu müssen unter der Last des Lebens und cs mußte — mußte doch überwunden werde», um der lieben Mutter willen — sie durfte nicht enttäuscht werde», nicht ihrer Hoffnung verlustig gehen. Heiße Kindesliebe dnrchzitterte das Gemüth des jungen Mäd chens, das sich immer so innig mit ihrer Mutter eins gewußt, deren Kümmernisse und Sorgen sie kannte, so lange sie denken und ur- theilen konnte. Für einen Augenblick drängte dieses Gefühl alle anderen Regungen in den Hintergrund, cs litt sie nicht länger, in drängender Hast stand sie auf, warf ein Gewand über und eilte lautlos zu ihr, sie mit den weichen Armen umschlingend und die klopfenden Schläfe an ihrer Brust bergend. „Ich kann nicht schlafen, wenn Tu Dich so quäle» mußt, ach Mutter, Mutter, wie unglücklich sind wir doch!" Die erstickte Stimme brach in leidenschaftlichem Schluchzen und fassungslos sank das junge Mädchen an der Seile der Mutter nieder. Tieferschreckt ließ Frau von Kronau die Arbeit sinken und strich mit zitternder Hand über da- blonde Haupt ihres Kindes. „Aber Kind — ich denke, Du schläfst längst — und nun regst )u Dich so auf, fasse Dich — bald ist Alles überwunden!" tröstete ie mit liebevoller Zärtlichkeit, ohne den Grund dieser hoffnungslosen Verzweiflung zu kennen. „Laß mich — laß mich weinen!" flüsterte Elli und unaufhalt- äm rannen ihre Thränen — ihr Körper bebte in der tiefen, seelischen Erschütterung. „Das ist die Reaktion der überangestrengteu Geisteskräfte, aber es ist am Ende gut, daß sie sich answeintI" dachte Frau von Kronau, und drängte die bittere Frage an das Schicksal zurück, warum es gerade mit ihr und ihren unschuldigen Kindern so herb verfahre. — Sie zog das in Schmerz und Thränen ausgelöste Mädchen fester au jre Brust und zärtliche, schmeichelnde Liebeswvrte, wie eine Mntter e ihrem kranken Liebling zuflüstert, drangen ans ihrem Herzen und änftigten endlich die Wogen der Erregung. Sie zwang sich, stark c bleiben, und machte sich Vorwürfe. Elli nicht sorgsam genug ge legt zu haben, und um das Versäumte nachznholen, warf sie die rbeit bei Seite, bettele das erschöpfte Mädchen sorgsam in das verlassene Bett und suchte die aufgeregten Nerven mit kühlenden Umschlägen zu bernhigen. Die bebenden Hände in den ihren haltend, ganze hingehende Hilflosigkeit ihres Kindes in ihr Herz auf nehmend, so verharrte die treue Mutter bis an den grauenden ' borgen. Längst war Elli eingeschlafen unter der sorgenden Lbhut, als Frau von Kronau an ihrem Lager niedersank und ein heißes et um Kraft und Ausdauer für das Kind ihres Herzens zum Himmel emporsandte. — In den altherrschaftlichen Räumen der Grüning'schen Besitzung der Parkstraße glng eS lebhaft zu. Die vornehme Ruhe war durch das Ans- und Eingehe» einer Menge Handwerker verscheucht^ welche eine gründliche Renovation des linke» Eckflügels vorzunehmen hatten. Sic Ihaten es mit Lust und Eifer, denn eS sollte nicht ge« spart werden und die Leute arbeiteten gern bei dem humane» und freigebigen Herrn, der dem Grundsatz „Leben und leben lassen" h ildi'gie. Er selbst auch .war mit ganzem Interesse bei der Sache, galt es doch, für das junge Paar ein recht lauschiges Nestchen zu bereiten. Seit er sich Ludwig als Schwiegersohn eroberte, war der Wunsch, eine» Sohn und Erben zu haben, nahezu erledigt, den» schon längst hatte er de» jungen, vielversprechende» Man» mit fast stolzer, väterlicher Fkenndschast in das Herz geschlossen; in ihm hoffte er das Glück seiner Tochter fest zu begründe». Für die Wciter- führung des blühenden Geschäftes war nun auch gesorgt; sei» alter Freund, der Amtsgerichtsrath, hatte unter den obwaltenden Um ständen Nichts dagegen, daß sein zweiter Sohu umsattelte und von der strengen Justitia sich dem weitaus heiteren Merkur zulvandte. DaS war eine Errungenschaft, auf welche Grüning sich nicht wenig zu Gute that. Nun sollte ihm nur irgend welcher Qncrkvpf mit Prozessen kommcn, dem würde er schön heimleuchten. Der junge, lebensfrohe Studio, der nun als Geschäftsvolontär gar ernsthaft sich in die Geheimnisse des Hauptbuches vertiefte, hatte sich dem alten Herrn schon so in- Herz gestohlen, daß dieser schon im Stillen ernhaft bedauerte, nicht noch eine zweite Tochter zu haben, denn der neue „Stern" war jedenfalls ein Glücksstern für die Firma. Heute erwartete man noch Ludwig's älteste Schwester, die bei ihm, der sich bedingungslos in alle Acndernngen fügte, indes) in d,n von ihm bewohnten unteren Räumen die Stelle der »och fehlenden Hausfrau vertreten sollte. Somit herrschte eine recht rege Verbindung der beiden Familien und Papa Grüning fühlte sich ungemiftlftich bei dem Gedanken, nun bald ei en recht ansehnlichen Familienkreis um sich zu haben. Eben wanderte er wieder geschäftig durch - Ue hallenden Säle nnd Gemächer, in welchen eine grauenhafte Verwüstung und ei» Chaos von herabgerissenen Tapeten, zcrbröckeltem Stuck, Kleister« und Farbentöpfeu herrschte, daß man froh war, davon fern bleibe» zu können. Er aber vertiefte sich mit großem Interesse in die Geheimnisse der Farbentöne und kam eben dazu, als der Tapezierer i» den für die junge Frau bestimmten eigensten Räumen die kost barsten Muster an die Wand hielt, um die Lichtwirknng daraus zu stndiren. „Warten Sie 'm<" rief Herr Grüning, „dazu muß meine Tochter selbst heran, sie hat einen guten Geschmack, hier mag sie selbst entscheiden." — Er lief wie ein Jüngling wieder hinaus in den anderen Flügel und traf gerade mit Melitta zusammen, die eben aus dem Frühstückszimmer trat. „Komm' einmal, Mäuschen, mit hinüber — es sicht zwar gräulich aus — aber Du mnßt einmal selbst sagen und zuschen, wi: Dn Dein Boudoir habe» willst, grün» gelb, bla» oder rvlh — die Auswahl ist da!" Er wollte ihren Arm in den seinen ziehen, aber Melitta wehrte, obwohl mit einem halben Lächeln über den allen Eifer des alten Herrn, energisch ab. (Fortietzung folgt.) Sumortfttscho« Altertet. , Verwandlungen. Sie: So gut und so wonnig/ So lieblich und schön, So herrlich, so sonnig, So nett anzuseh'n! So liebend, so rosig, So schmelzend, so traut» So schwellend, so kosig, So war sie als Brauti So schnippisch, so schmollend, So frostig, so kalt. Die Augen so rollend. So bissig, so — alt! So schimpfend, nie heiter, So sauer, so lau, So grob und so weiter, So ist sie als Frau! Er: So gütig, großmüthig. So liebevoll zart, So huldig, geduldig, Voll Locken und Bart, So schmiegsam, so biegsam, So glühend voll Feuer, So glühlich, erquicklich, So war er als Freier! So dämlich, griesgrämlich, So launisch und hart, So zornig, so dornig, In Allem apart — So rücksichtslos kühl lind so kahl wie 'ne Ratte, Sv garstig, kaum erträglich, So ist er als Gatte! (G. Falsch aufgefaßt. Ei» Ungar kommt ganz aufgeregt vom Arzte nach Hans, zieht sich splitternackt ans vnv läuft so im Zimmer herum. „Mein Gott, was ist Dir denn?" fragt Ho sei» eben auf Besuch kommender Freund. „Nichts ist mir," antwortet der Ungar .»t-ec Hab' ich mich ausgezvgen, weil Doktor, bei mir ist Fieber im Anzug." Das liöfe Weib. Daß das Weib das größte Naubthier ish Kann ich beweise», ich wette, Man kennt'- zwar nicht au den Zähnen wie sonst, Man kennt'S an der — Toilette! Ein Tiger, ein Panther tödtet und raubt Ja auch bis zur Ermattung, Doch benügt sich ein solcher bescheidentlich Mit Opfern blvs einer Gattung. Den Tiger treibt ein menschlich Motivs Der Hunger läßt ihn entbrennen, Der Weiber Beweggrund, der Luxus, ist Fast unmenschlich zu nennen. Sie rupft dem Strauß die Federn au-, Elep hauten zieht sie die Zähne, Von Hirschen und Kälbern schindet sie Die Haut herunter, die Schöne. Die Schildkröte würgt sie für den Kamm, Für ein Täschchen den Seehund wieder, Den Walfisch mordet sie, dieweil Sie Fischbein braucht für s Mieder. Der Zobel, dcrMarder, derBlausuchs stirbt, Um ihr den Pelz zu vermache», Sie erdrosselt gar ein Krokodil Für einige Lnxussachcn. Sie raubt dem Seidenspinner Coco« Zu Kleidern für ihre Feste, Sic spießt Singvögel auf ihren Hut, Den sie dem Hasen erpreßte. Ja, auch den Mann verschont sie nicht Bon der Wiege bis zur Truhe. Dem Man», er sei noch so ein'große-Thier, Raubt irgend ein Weib die — Ruhe. Sie raubt ihm Schlaf und Appetit, Sic raubt ihm den Seelenfrieden: Das darf sie thun, sie ist ja immun Al- — Freigewählte hinieden! Die Jungfrau. Dis reinen Frauen steh'n im Leben wie Rosen in dem dunkeln Laub; Auf ihren Wünschen, ihrem Streben Liegt noch der feinste Blüthenstaub. In ihrer Welt ist keine Fehls, Ist Alles ruhig, voll und weich: Der Blick in eine Frauenseele Ist wie ein Blick ins Himmelreich. Suren und Engländer. Es kämpfen auf Kapland» Fluren Die Beiden glücklich schier, Im Felde, da siegen die Buren, Die Engländer auf dem — Papierl Ein populär-wissenschaftlicher Vortrag. Der Herr Professor Länglich hält im Bürgerverein zu P. einen Bortrag über da- häusliche Lebe» im Alterthum. Er spricht eine volle Stunde über die Frage: „Wo wohnten unsere Vorfahren?" AIS er sich aber aus Höhlen, Erdlöchern und Pfahl bauten gar nicht wieder herausfinden kann, wird seinen Zuhörern, die anfänglich sehr aufmerksam waren, di« Sache langweilig. Erst gähnt Einer in der ersten Reihe, sein Nachbar sieht nach 1>er Uhr, nnd zum Schluß gähnen Alle und Jeder will wissen, welche Zeit es ist — denn so was steckt an. Auch der Herr Professor zieht schließlich seine» Chronometer ans der Westentasche und wirft einen Blick daranf. „Meine Herren! Leider ist die Zeit schon ziemlich weit vorgeschritten. Ich will Ihre Geduld nicht mehr lange in Anspruch nehmen und nur »och in Kürze die zweite Frage beantworten: „Was aß man im Alterthnm?" Hochgeehrte Anwesende! Al» Adam und Eva —" „Ei herrsch! Jetzt sängt der bei Adam und Eva an! Das wird mir zu weitläufig!" denkt der dicke Bäcker Weißbrot», erhebt sich von seinem Stuhle, schleicht auf den Fuß spitzen zur Thüre, läßt sich vom Vercinsdiencr Purzel Hut nnd Stock reichen und geht seiner Redaktion, Druck und Verlag: Alexander Wiede in Ehemnttz. Wie der Herr Professor b.i Vater Noah angenommen ist, entfernt sich der Fleischer Hackemesser, der Tischler Fuge nnd der Glascr- meister Scheibe in derselben Weise nnd während er von der schwarzen Suppe der Sparta er erzählt, entsteht im Saale eine wahre Völker wanderung. Schließlich sind sämmtliche Bürger au-gerissen, nur Purzel st.ht noch unbeweg lich am Eingang und hört andächtig zu, wie der Redner von der Königin Scmiramis spricht, die sogar Perlen gegessen hat. Aber nachge rade wird er gleichfalls unruhig, reibt sich verlegen die Hände, kratzt sich unentschlossen hinter den Ohren, dann faßt er einen schnellen Entschluß und geht durch die leere» Stuhl« reihen geraden Wegs aus's Rednerpult zu; dort bleibt er dem Herrn Professor gegenüber stehen. „Der Römer Lukullus bcwirthete seine Gäste mit Psaucnzunge» und Hahnenkämme» —" „Entschuldigen Sie gitigst, mei gutester Herr Brofessor!" unterbricht ihn Purzel und legt einen Schlüssel aus's Rednerpult. „ES iS nämlich schon ä bissel sehr« späte geworden und meine Frau wird sehnsichlig auf mich warte», weil's hefte Abend bei uns nie! Leib gericht giebt: Kartoffeln mit Hering. Aber lassen Sie sich meinetwegen »ich in Ihren wunderschönen Vortrag stören! Seien Sie nur so freindlich nnd schließen Sie die Saal« thüre zu» wen» Sie fertig sin und vergessen Sie »ich die beeden Lichter dann au-zublase»; den Gas wäre ich gleich selber abdrehe», ehe ich gehe. Gute Nacht, schlafen Sie schöne wohl!" Damit ging Purzel fort. Ob der Herr Professor Länglich in dem stockfinsteren Saalt seine Rede zu Ende gehalten, hat Ntemanb erfahren. -