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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190005203
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19000520
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19000520
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-05
- Tag 1900-05-20
-
Monat
1900-05
-
Jahr
1900
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1900
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Ebensowenig wie die Ansicht, daß von Seiten der tox-Heinze-Parteien eine Herausforderung vorliegt, die ihnen die Verantwortung für die herrschende parlamentarische Desorganisation und für die unleugbar be- llagenSwerthe Thatsache zuschreibt, daß die Socialdemokratie im Reichstage die Führung au sich gerissen bat. Die Cvnservativen scheuen sich vielleicht noch rechtzeitig vor den Folgen ihrer dem UltramontaniSmu« geleisteten Gefolgschaft ; vom Centrum ist zunächst kein Zurücktreten zu erwarten. Diese Partei — die Rolle, die Herr Gröber in der Angelegenheit eines, schwerster sittlicher Verfehlung überführten Geistlichen spielte, bestätigt dies auf« Neue — da- Eentrum heuchelt und ist daher unverbesserlich. Ein CrntrumSorgan hat einen Triumph auSzuspielen ge glaubt, indem «S die Heinze-Obstructionisten fragte, warum sie denn von dem Verschleppungs-Apparate nicht dem Flo t ten- gesetze gegenüber Gebrauch machten. Die Frage, von dieser Seite gestellt, ist frivol, da ja auch das Centrum in den bis herigen Stadien für die Marinevorlage sich ausgesprochen hat und dies, mehr oder minder notbaedrungen, auch weiter thun wird. Außerdem decken sich Obstructiv» und Flotten opposition schon nach der Zusammensetzung nicht; die freisinnige Bereinigung, die den Schifssforderuugen zustimmt, betheiligt sich, noch dazu mit einer gewissen Freudigkeit, an der Anwen dung der schärfsten parlamentarischen Waffen gegen die lox; bei dem Stimmenverhältniß im Reichstag ist es sogar nicht ausgeschlossen, daß diese Gruppe trotz ihrer numerischen Uubedeutsamkeit schließlich den Ausschlag gegen das Kunst- InebelungSgesetz qiebt. Das Centrum muß sich schon nach anderen Analogien für seine Herrsch- und Terrorisirungs- gelüste umtbun. Vorläufig kann diese Partei recht zufrieden sein, daß die Verwirrung, die sie durch eine dilettantische und unconsequente Besteuerungspolitik in die Flottenangelegen beit getragen hat, zu keinem bösen Ende zu führen scheint. Das Centrum hat zuerst nicht nur eine im französischen Wortsinn „ganz unmögliche" variable Erbschaftssteuer al« unerläßliche Be dingung der Flottenvorlage bezeichnet und Herrn Müller-Fulda war ursprünglich die Erhöhung der Börsenumsatzst'euer von zwei Zehntel auf fünf Zehntel pro Mille nicht zu viel. Er ging dann »avaliöremeut, wie er hinaufgestiegen, auf vier Zehntel vom Tausend herunter und wenn er jetzt mit drei Zehnteln durch gedrungen ist, so hat er eS vielleicht nicht zum Wenigsten der nervösen und ungeschickten Agitation zu verdanken, die die Börsenwelt gegen diese und verwandte Steuern eingeleitet bat. Der letzte Coup, die von Frankfurtern auLgesprengte Meldung, Staatssekretär Freiherr v. Thielmann habe ein reichsfinanzielles Bedürsniß nach Vermehrung der Einnahmen anläßlich der Flottenverstärkung kürzlich für unnvthig erklärt, if de» Freunden der Erhöhung der Umsatzsteuer sehr zu Statten gekommen und bildet vielleicht auch Vorspann für den von der Commission einstweilen mit großer Mehrheit an genommenen Emission«- bezw. Emissionsagiostempel, eine Besteuerung«form übrigens, die wenigstens theoretisch recht viel für sich hat. Dies hat selbst der Abg. Büsing an erkannt, der, wie wir nach dem CommissionSsitzungsbrrichte der „Freis. Zig." Nachträgen, erklärte, der Gedanke, die Aus gabe von Actien über Pari zu Abgaben heranzuziehen, habe „au sich etwas Sympathisches". Herr Büsing hält aber die Ausführung „für ganz unmöglich". Das wird noch zu unter suchen sein. So viel muß man dem Herrn Abgeordneten für Schwerin, falls er, wie wahrscheinlich, den Gedanken gehabt haben sollte, zugebe«: Schiller's Wort „hart im Raume stoßen sich die Sachen" genirt die Budgetcvmmission verhältnißmäßig wenig. Der vorgestrige Beschluß, die Kuxe zu besteuern, erweist sich wahrscheinlich auch noch revisions bedürftig, und wa« die gleichzeitig beschlossenen Stempel von 2 vom Tausend auf städtische Anleihen angcht, so verdient seine Zulässigkeit unter mehr als einem Gesichtspunkte nos einmal recht genau untersucht zu werden. DaS Argument daß städtische Anleihen nicht immer zu Culturzwecken, sondern auch vielfach zu minder nothwendigen Zwecken ausgenommen werden, verstehen wir vorläufig nicht recht. Wenn eine große Stadt ein ConrertbauS oder, wie z. B. Mainz, einen Fest saalbau errichtet, bewegt sich diese Ausgabe über, außer oder unter dem Culturzweck/ Kommt es wirklich vor, daß Städte leichtfertig Schulden machen wollen, dann ist noch die Auf sichtsbehörde da, e« ihnen zu verbieten. Der sich geplackt fühlenden Börse ist Balsam aufgelegt worden durch da« Versprechen de« Abge ordneten Müller-Fulda, da« Börsensteuergesetz baldigst :u revidiren. DaS ist platonisch, dagegen scheint da« Centrum dem Totalisator gegen Begünstigung der Kirchrnbauloose greifbare Zugeständnisse macken zu wollen. Dem widersetzen sich aber hoffentlich die Parteien, ohne die ein DrckungSgesetz nicht zu Stande kommen kann. Die Klage, die Rennen könnten bei einer Erhöhung des Stempel« auf den famosen Pfcrde-Wettapparat nicht bestehe», ist hinfällig. Die Zahl der Rennen hat fick nach Einführung und nach der Erhöhung de« Stempels in Deutschland außerordentlich vermehrt, desgleichen die Preise und die Ehrenpreise. Die Rücksicht auf die Interessen der Pferdezucht könnte also auch ausscheiden, wenn der Nutzen der Rennen für die Pferdezucht nicht an sich höchst fraglich wäre. E« ist bekannt, daß ein Major Henning seit Laugen» nicht nur den Totalisatvr bekämpft, sondern auch den Nennen, und zwar gerade wegen des Totalisator-, einen ernsten Werth abspricht. Diesem Herrn schrieb v»r sechs Jahre» der damalige württem- bergische Land-Oberstallmeister v. Hofacker: „Sie habe« »och »i« so klar »nd überzeugend nachgewiesen, daß die heutigen Rennen kein Maßstab sind für Gesundheit und Leistunq, worum di« Lollbloffa»atik«r de» Mund voll nehmen, daß vielmehr der Rennbetrieb Mißbräuche und Täuschungen unterhält. Ernste Prü fungen müßten dem guten Vollblut enorm nützen; denn sie gebe», in Verbindung mit dem Stammbaum, eine zuverlässige Basis für die Verwendung im edlen Halbblut und machten dadurch die Zucht de« Vollbluts um so lukrativer. Dazu ist aber nöthig, baß das ganze Gebäude von wirthschaftlichen, züchterischen, mora lischen und socialen Glaubenssätzen eingerissen wird, das der Turf ür sich aufgebaut hat. DaS Totalisatorverbot ist der erste Schlag; dann werden die Parlamente an ihre Subventionen ernst hafte Bedingungen knüpfen; der Staat wird eine Wettoperation nicht mehr dulden, au deren Stelle er besser die alten Spiel banken gelassen hätte, und die Gesellschaft wird sich sicher stellen wollen gegen die Kameradschaft der Rennbahn, durch deren Hinter- thüreu die Leut« vom Schlag« deS rhrlichen ollen Seemann ihr zu geführt werden". Hier sehen wir also von zwei Autoritäten den Stand punkt vertreten, daß der Totalisator um der Pferdezucht willen abgeschafft, statt steuerlich geschont werden müßte. Da« „Militär-Wochenblatt" schloß sich ihnen an, indem eS das Verbot deS Wettens am Totalisator als für den Officier „wichtig und segensreich" bezeichnete und hinzufügte: „Bon da zur Erkenutniß, daß dieses Institut ganz zu verbieten sei, ist nur ein Schritt". Der preußische Oberlandstallmeistcr Graf Lehnvorff will diesen Schritt nicht nur nicht gemacht haben, er hat sich auch in der Budgetcommission sehr entschieden gegen eine Erhöhung des Totalisator-Stempels erklärt. Sehr abweichend von den oben angeführten Urtheilen sieht Graf Lehndorff in den Rennwetten kein Spiel, sondern nur eine fachmännische Berechnung der Leistungsfähigkeit der Pferde, sozusagen ein Gutachten mit verbürgendem Einsatz. Nun wird in der „Vossischen Zeitung" erzählt, daß selbst dem Grafen Lrhndorff, einem der ersten Pferdekenner Europas, schon recht häufig nachweisbar schwere Zrrthümer in der Schätzung der Rennplatzchancen von Pferden untergclaufen sind. Aber noch mehr, dieser Sachverständige ersten Ranges hat selbst geschrieben, eS stehe zu befürchte», daß die eng lische Reniistallwette (daS Vorbild des deutschen Turftreibenö) über kurz oder laug als ein werthlose« (für die Pferdezucht werthloseS) Gebäude zusammenbrecheu werde. Und von einem früheren Leiter de« Gestüte« von Trakehnen, dieser berühmten Pferdezucht, kennt man da« Wort, daS Wettrennen sei „das größte Hazardspiel der Welt und hat nur als solches Iuteress«. Also! In der Flottendeckungsfrage hat die Regierung den Reichstag souverän walten lassen und gethan, als ob sie eigentlich gar nicht auf der Welt wäre. Bei anderen Dingen dieser Tagung ging es kaum anders, aber in einem Punkte wurde eine erstaunliche Initiative gezeigt. Man brachte, zur allgemeinen Ueberraschung, eine Münzgesetzuovelle ein. Warum, ist heute noch nicht begriffen. Aber die Novelle kam und erfuhr zunächst ein freundliches parlamentarisches Schicksal. Nun aber sind acht Tage ins Land gegangen, seit rin Berliner Blatt schrieb, die Vorlage sei „unter die Näder gerathen" und eS sei „zweifelhaft geworden, ob sie zum Abschluß gelangen kann", und von keiner Seite ist dieser trübseligen Prophezeiung entgegengetreten worden. Der NeichslagSpriisident hat vielmehr erklärt, er wolle einen „passenden Augenblick" abwarten, um daS Gesetz zur dritten Berathung auf die Tagesordnung zu setzen, und die Regierung regt sich nicht. Als das „Leipziger Tage blatt" die Einbringung dieser durchaus nicht dringliche» und selbst von den entschiedensten Gegnern der Bimetalisten nicht erwartete Novelle sonderbar fand, weil der Gegenstand unnölhigerweise einen Zankapfel unter die Flottenparleien werfen könnte, da erklärte man an gewisser Berliner Stelle diese Auffassung bei «mein monometallistischen Blatte für „unbegreiflich". Jetzt aber scheint die Regierung selbst durch ihre Gleichgiltigkeit bezeugen zu wollen, daß da« Gesetz einem unzeitgemäßen „Einfall" sein Entstehen verdankt hat. Marokkos Widerstandskraft und die Mächte. Aus F<z, 6. Mai, wird der „Welt-Corr," geschrieben: Heute hier auf dem Landwege eingetroffenen Nachrichten zufolge dringen die Franzosen weiter gegen Marokko von Süven aus vor. Sie marschirten von Jnsalah aus in nordwestlicher Richtung unter Umgehung des eigentlichen Tuat nach der marokkanischen Provinz Tafilat zu und sollen sich bereits drei Tagemärsche von Tafilat entfernt befinden. Die Stämme des Tafilat haben sich vereint, um den Franzosen bei weiterem Vordringen Widerstand zu leisten. Die dadurch geschaffene, für die Existenz Marokkos kritische Situation rechtfertigt es wohl, «das Verhältnist der gegenwärtigen marokkanischen Re gierung zu den Mächten zu betrachten. Der gegenwärtige Sultan Mulai Abdelazis folgte, circa 17 Jahre alt, 1894 seinem Vater Mulai Hassan in der Re gierung. Die Zügel der Regierung ergriff der Premierminister Achmed den M usa, Bachmed genannt, der auch heute noch die Regierungsgowalt in Händen hat und den Sultan Mulai Abdelazis vollständig beherrscht. Bachmed ist rücksichtslos und geldgierig. In den letzten Jahren hat er verschiedene Provinzen, in denen die Bewohner sich gegen den Sultan erhoben hatten, vollständig zu Grunde gerichtet. Tausende von den unterjochten Revolutionären hat er in die Gefangenschaft geschickt, wo die meisten wegen Nahrungsmangel nach wenigen Monaten zu Grunde gingen. Die Kinder hat «r als Sclaven verkaufen lassen, und zwar auch weiße Araber-inder, die früher nie zu Sclaven gemacht wurden. Der Minister Bachmed bringt seine Rücksichtslosigkeit oft auch in den Beziehungen zu den beim Sultan "beglaubigten diplomatischen Vertretern zum Ausdruck. Die Regierung des früheren Sultans Mulai Hassan war nach der allgemein heute herrschenden Ansicht in jeder Beziehung sympathischer. Bachmed hat sonach erreicht, daß er von den meisten Unter- thanen gehaßt wird und wohl schwerlich die Sympathie eines Mitgliedes des diplomatischen Corps genießt. So lähmt die innere Unzufriedenheit die Widerstandskraf de» Lande». Dazu kommt, daß die Sultan » armee sich nach deutschen Begriffen in einem bejammernswerthen Zustande be findet. Ein stehendes Heer, das auf die verschiedenen Pro vinzen veriheilt wäre, giebt es nicht. Im Gefolge des Sultans sind beständig 10- bis 20 000 Soldaten, denen sich auf Kriegs zügen bis 20 000 Mann bewaffneten Volkes anzuschließen pflegen. Die Truppen sind wenig disciplinirt und meist schlecht bewaffnet (Henri Martini- und Comblain-Gewehre alten Systems). Eine einheitliche Uniform existirt nicht. Sechzig jährige Männer marschiren neben fünfzehnjährigen Neulingen der Miliz, der eine ist groß, der andere klein, der eine weiß, der andere kaffeebraun oder schwarz. Das Bajonett pflegen sie oben am Halse zwischen Nacken und Jacke hineinzustecken, weil sie kein Koppelzeug haben, um das Bajonett umzuschnallen. Die Artillerie besteht aus dreißig bis vierzig theils veralteten, auf Maulthieren transportablen Gebirgskanonen. Einige Kanonen größeren Calibers find nur in den Hafenbatterien von Tanger und Nabet. Die Flotte des Sultans besteht aus einem kleinen, ungeschützten Kreuzer. Trotz der inneren Unzufriedenheit, der Unbotmäßigkeit vieler Stämme und des elenden Zustandes des Heeres ist Marokko doch nicht im Handumdrehen zu überwältigen. In einem Kriegs fälle mit einer europäischen Macht würde natürlich der reli giöse Fanatismus entfacht, und man nimmt an, daß dann die meisten Eingeborenen die Waffen ergreifen würden. Die bewaffnete Macht könnte in dieser Weise leicht auf über 100000 Mann gebracht werden, und die Nation, welche die Er oberung Marokkos bezweckt, hätte schwere Opfer an Menschen leben und Geld zu bringen, ähnlich wie es den Franzosen bei der Eroberung Algeriens erging. Wie steht es nun mit den Verhältnissen der Mächte zu Marokko? Nachdem England vor etwa 6 Jahren seinen Gesandten Sir Ewan Smith, der bei seiner Anwesenheit am Sultanshofe in Fez in ernste Differenzen mit der marokkanischen Regierung gekommen war, fallen gelassen und zurückberufen hatte, ist der englische Einfluß in Marokko unstreitig zurückgegangen. Eng land hat seitdem in Marokko keine energischen Schritte unter nommen. Der marokkanischen Negierung gegenüber ist eine entgegenkommende, versöhnliche Politik nicht angebracht. Nur di« Gewalt flößt ihr Respekt ein, Milde wird als Schwäche ausgelegt. Die französische Diplomatie hat in den letzten Jahren vielleicht den meisten Einfluß am Sultanshofe genossen, weil sie verstanden hat, die marokkanische Regierung wegen fortlaufen der, meist übertriebener Streitigkeiten der Kabylen längs der algerischen Grenze in beständiger Unruhe zu halten. Durch die kürzliche Ausdehnung des algerischen Grenzgebietes nach Süd westen ist diese Gefahr für Marokko noch erhöht worden. Beide Mächte haben neben ihren officiellen Agenten Persönlichkeiten am Sultanshofe placirt, die ihren Interessen dienen. Der Jn- kructeur der Sultanstruppen Kaid Maclean dient englischen Interessen, ein Franzose, der gleichzeitig diplomatischer Agent seiner Regierung ist, ist Leibarzt beim Sultan. Welche Absichten Frankreich in Marokko hak, läßt sich viel leicht auch daraus erkennen, daA es den seitherigen stellvertreten den General-Residenten von Tunis, also einen Colonialbeamten, Herrn R6voil, zum Gesandten in Tanger ernannt hat. Herr Ravoil ist bereits Mitte April an Bord eines französischen Kriegsschiffes in Tanger eingetroffen. Auch der erste Sekretär der französischen Gesandtschaft, Herr de la Martiniöre, der be kannte Marokko-Forscher^ war früher Colonialbeamter in Algier. Der Krieg in Südafrika. Ueber die Operationen im Rücken der NobertS- schen Armee wird beute gemclvet: * Maser«, 18. Mai. (Telegramm.) „Reuter's Bureau": Die Division des Generals Rundle und die Colonialtruppen lager» bei Clocolan. Es verlautet, daß große Boerenabtheilungen, die in der Richtung auf Betblebcm marschirten, wieder umgekehrt seien, um den Truppen Nundle's Widerstand zu leisten. Die Boercn sollen zunächst beabsichtigen, sich nach dem schwer zugänglichen Ge- lände zwischen Ficksburg und Bethlehem zurückzuziehen, das sich besonders für Hinterhalte eignet. Zu einem ernsthaften Zusammenstöße ist eS dort also noch nicht wieder gekommen. Ein anderes Telegramm weiß von einer Verzögerung der strategischen Eisenbahn bauten der Engländer Folgendes zu berichten: * Kroonstatz, 18. Mai. (Telegramm.) „Reuter's Bureau": Infolge der Entgleisung zweier Essenbahnzüge am Vet-Fluß kann der Eisenbahnbau erst in einigen Tagen fortgesetzt werden. Weitere Nachrichten über Kriegsereignisse liegen heute nicht vor. Die Lituatio« im April schildert Winston Spencer Churchill, der fähige Kriegscorrefprn- dent der „Morning Post" in einem aus Bloemfontein vom 16. vorigen Monaks datirten Briefe. Der Bericht ist natürlich durch die Ereignisse inzwischen überholt, erweckt aber trotzdem Interesse. Es heißt darin: „Das Erste, was nach der Occupation der Stadt (Bloemfon tein) zu thun war, war, die Eisenbahn wieder in Stand zu setzen. Die Anwesenheit einer großen Armee und der schnelle Vormarsch der Generäle Gatacre und Clements hatte die Boeren gezwungen, sich aus der Capcolonie zurückzuziehen, und Nar wals Pont und die Brücken bei Bethulie waren wieder einmal in englischem Besitz; beide waren indessen ganz oder fast voll ständig zerstört. Außer diesen war eine ganze Anzahl kleinerer Brücken und Biaducte in die Luft gesprengt. Sie alle wurden von den Pionieren sofort reparirt, und bald war eine durchgehende Eisenbahn-Verbindung zwischen der Feldarmee im Freistaat und den Stützpuncten an der See in East-London, Port Elizabeth und Cape Town hergestellt. In der Zwischenzeit lebte die Armee in Bloemfontein von den rest lichen Rationen, di« sie vom Modder-River heraufgebracht hatte. Als die Eisenbahn-Verbindungen wieder geöffnet waren, wurde die Linie nach Modder-River aufgegeLen. Eine breitspurige Eisenbahn kann gewöhnlich, auch wenn sie nur einen Schienenweg hat, eine Armee von 50 000 Mann be quem mit allen Vorräthen versehen, und es ist erinnerlich, daß die Eisenbahn in Natal im Januar und Februar 30 000 Mann mit Allem versorgte, außerdem Verstärkungen und Kranke transportirte und dabei noch den gewöhnlichen Verkehr aufrecht erhielt. Aber die reparirten oder provisorischen Brücken auf dec Linie nach Bloemfontein verursachten so viel Verzug, daß die Leistungsfähigkeit der Eisenbahn erheblich vermindert wurde. Wenn eine permanente Brücke in die Luft gesprengt ist, steht der Ingenieur vor der Alternative, dieselbe durch eine Brücke von hohem, oder durch eine solche von niedrigem Niveau zu ersetzen. Die hohe Brücke, wie sie nach dem Entsätze von Ladysmith über den Tugela gebaut wurde, dauert erheblich länger zu bauen, aber wenn sie fertig ist, können die Züge glatt darüber hinweg fahren, ohne ihre Geschwindigkeit besonders einzuschränken. Außerdem ist sie indifferent gegen Hochwasser. Die Brücken, die niedrig sind, müssen an beiden Seiten Zickzackranken haben- sind nur sicher, so lange das Wasser niedrig steht, und verur fachen durch das fortwährende Rangiren großen Zeitverlust. Dagegen haben sie aber für militärische Operationen einen un schätzbaren Vortheil, daß sie sehr schnell construirt werden können. Die Armee muß ihren Proviant u. s. w. sofort er halten uiid kann nicht warten. Deshalb wurden die niedrigen Brücken gewählt, mit dem Erfolge, daß sofort, aber nicht so viele Vorräthe geschickt werden konnten. Als die Eisenbahn noch durch Verstärkungen in Anspruch genmnmen wurde, konnte kaum genügend Proviant geschickt werden, und man mußte sich darauf beschränken, die Armee von Tag zu Tag zu verproviantireif. Aus diesem Grunde konnte mehrere Wochen lang keine O f f e n si v b e w e g u n g nordwärts ge macht werden. Man sieht daraus, wie der Magen die Welt regiert: Di« Freistaatboeren waren durch die verschiedenen Niederlagen ents muthigt, und, wenn wir im Stande gewesen wären, sofort nach» zuvücken, hätten wir das ganze Land bis zum Vaalfluß occro piren können. Eine ganze Anzahl Boeren kehrte, entmuthigt durch die Proclamation des Lord Roberts' und in der Meinung, daß aller Widerstand in der südlichen Republik zu Ende sei, auf ihre Farmen zurück, leistete den Eid der Treue, und war bereit, das Unvermeidliche zu ertragen. Aber während die Armee wartete, Wei, sie warten mußte, um Vorräthe, Pferde, Tausende von Pferden, zu erhalten, um der Infanterie neue Stiefeln zu geben und allen Waffengattungen eine kleine Ruhepause zu gewähren, erholten sich die Boeren von ihrer Panik, rafften sich auf und ergriffen für den Augenblick kühn die Offensive. Groß, wenn auch vielleicht nur zeitweilig, waren die Vortheile, die sie erlangten. Der Glaube, daß der Krieg im Freistaat vorüber setz hex so viele Freistaatler veranlaßt hatte, auf ihre Farmen zurückzu kehren, wurde in gewisser Weise von dem englischen Feldherr^ theilt und von seinen colonialen Rakhgebern laut proclamMt. Es wurde angenommen, daß südlich von Thabanchu-BoshH Bloemfontein bis Fourteen Streams das Land vollständig « obert und pacificirt sei. Inzwischen machten Olivier und die südlichen Com- mandos einen Eilmarsch, um sich mit der Hauptstreitmacht der Boeren zu vereinigen. Sie fürchteten, von derselben Armee angegriffen zu werden, die Tronje vernichtet hatte, und e»st bei Ladvbrand erfuhren sie, daß nur Pilcher mit einigen Hun dert Mann ihnen auf den Fersen sei, und daß die große Masse des englischen Heeres für den Moment in Bloemfontein unbe weglich war. Darauf machten sie Kehrt. Pilcher floh hastig vor ihnen und fiel auf Broadwood's Brigade bei Tha- banchu zurück. Mit erneutem Muthe und starken Hilfstruppen aus dem Norden griffen die Boeren wieder an und Broadwood wurde gezwungen, auf die neunte Division, die westlich der WaSerwerke lagerte, zurückzugehen. Er machte einen Nacht marsch von 36 Kilometern und schlug kurz vor Tagesanbruch sein Lager auf, in der Ileberzeugung (die übrigens auch Andere haben würden), daß die Verfolger abgeschüttelt seien. Der Morgen brach an und mit ihm eine Boerenkanonade. Ich will jetzt die Vorgänge nicht ausführlich schildern. Sie verdienen aus manchen Gründen eine besondere und detaillirte Schilderung, wesentlich, weil die Operationen den Boeren von seiner allerbesten Seite zeigten: klug und kühn im Kriege und vor allen Dingen von einer rödtlichen Kaltblütigkeit. . . Bald war die ganze südöstliche Ecke des Freistaates wieder von Boeren überschwemmt, und sie gingen sogar noch südwärts. Brabant fühlte den Ansturm zunächst. . . . Die Hoffnung ist jetzt, diese kühnen Gesellen, die den Kopf in den Rachen des Löwen gesteckt haben, zu fangen. Werden sie entschlüpfen?" (Nun, entschlüpft sind sie, aber es ist ihnen auch nicht gelungen, den Vormarsch Roberts auf Kroönstad durch Unterbrechung seiner südlichen Etappenstraße aufzuhalten, oder gar zu vereiteln. D. Red.) Den englische« Fiiuge« entivischt. Wir entnehmen den folgenden Brief der „Dtschn. Wchnztg. i. d. Niederlanden": . . . Die Berichte wurden immer ungünstiger, und doch blieben wir bei Gruisrand am Oranjeriver, lugten von den Kopjes aus über die Fläche und fingen hie und da ein paar Zugochsen, die uns allzu nahe kamen. Es war offenbare: Unsinn, die Grenzen zu bewachen, während die Engländer längst hinter uns herumwimmelten. Endlich kam ein dringendes Tele gramm, sofort 50 Mann nach den Stellungen bei Bloemfontein zu senden. Wir Holländer boten uns sofort an, froh, daß wir aus der Umgebung kamen, die aus lauter Dörflingen von Luck- Hof, Fauresmith und Jagersfontein bestand, verenglischte Boeren, in deren Wohnzimmern das Bild der Queen an bester Stelle hängt. Wie dumm von den Engländern, daß sie nicht noch einige zehn Jahre gewartet haben! Das Land wäre ihnen dann von selbst wie ein reifer Apfel in den Schoost ge fallen. Unterm Aufsatteln und Ausladen kam ein neuer Rapport, demzufolge Bloemfontein gefallen war. Wir mustten uns nach dem Norden durchschlagen. Gleichmüthig nahmen die Boeren die Nachricht auf. Vom sofortigen Aufbruch war gar keine Rede; sie blieben noch die ganze Nacht hindurch im selben Lager und setzten nicht einmal Wachen aus. Als am folgenden Morgen das Zaudern anhielt, wurde un» Holländern der Kram zu bunt;
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