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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.06.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000609024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900060902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900060902
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-06
- Tag 1900-06-09
-
Monat
1900-06
-
Jahr
1900
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Die Morgeu-AuSgabe erscheint u« '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Filialen: Alfred Hahn norm. v. Klemm'» korttm. UniversitätSsttaße 3 (Paulimnn„ Loui» Lösche, , Mdchmcktachr. L», parr. und Königsplatz 4 Redactionun- Lrpe-Mo«: JohanniSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. VezugSPrelV der Hanptexpeditioa oder den im Stobt« Bezirk und de» Bororten errichteten Aus- ^bestellen abgeholt: vierteljährlich^4.50, -ei zweimaliger täglicher Zustellung in- hauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vicrtestährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung in- Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ansgabe. MpMer TagMa Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Ratyes und Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Sonnabend den 9. Juni 1900. Nnzeigen'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter demRedactionSstrich (»ge spalten) öO^j, vor den Familiennachrichten (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Sxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunz 60.—, mit Postbrförderung ^l 70.—. .^nnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Nusgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzi» S4. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Juni. Als am Ende voriger Woche das „Sächsische Kirchen» und Schulblatt" mittheilte, es sei ihm vom Präsidenten bcS evangelisch-lutherischen LandeSconsistoriums auf die von diesem gelegentlich der Meißener Eonserenz zu der sog. Kniebcuguttgsfragc abgegebene Erklärung die Mitthcilung zugegangen, Se. Majestät der König habe genehmigt: „daß die für das Fronleichnamsfest ertheilten Weisungen in gleicher Weise auch für die dienstliche Theilnahme evangelischer Pagen an den Oster-Processionen und überhaupt für alle Fälle ihrer dienstlichen Theilnahme an katholischen Gottesdiensten zu gelten haben", und das CadettencorpS werde demzufolge Weisung er- erhalten, 1) zu den in der katholischen Hofkirche stattsindenden Feierlich keiten, zu denen Pagen gebraucht werden, in erster Linie Pagen katholischer Confessio» heranzuziehen und, wenn solche nicht oder in nicht genügender Zahl vorhanden sein sollten, 2) die dazu verwendeten Pagen evangelischer Consession zu instruiren, daß sie während ihres Dienstes in der katholischen Hof kirche eine Kniebeugung nicht auszuführen haben", da mußte es ausfallen, daß weder das „Dreöd. Iourn." noch die „Leipz. Ztg." von dieser Mittheilung Notiz nahm. Ferner fiel es auf, daß in der Meldung von dem Prä- fentiren „in Höhe des Baldachins", das auf evange lischer Seite zu Beschwerden geführt hatte, nickt die Nede war. Es wurde daher die Vermuthung laut, daß eö sich in der Mittheilung deS Präsidenten des evange lisch-lutherischen LandeSconsistoriums gar nicht um eine neue königliche Anordnung, sondern nur um die Auffrischung jener früheren bandle, die zu dem vom „Dresd. Iourn." und der „Leipz. Ztg." angezogenen Commandanturbefehle geführt hatte, trotz dessen die Be schwerden fortdauerten. Wir bofflen auf Aufklärung von berufener Seite. Und diese Aufklärung erfolgt heute in der erfreulichsten Weis«. In der Thal kann es fick in jener Mittheilung nur um eine frühere königlich: Beiordnung gehandelt haben, die ihren Zweck nicht erfüllte, denn von einer neuen giebt das „Dresdener Journal" folgendermaßen Kunde: Se. Majestät der König haben, sicherem Vernehmen nach, anzubcfchlen geruht, bas; für die Ktrchcnfcicru in Ser katholischen Hoskirchc nur Kadetten katholischer Konfession zu dem Pagcndicnst und nur Lfficicre, Untcroffieiere und Mannschaften katholischer Conscfsion z» allem übrigen Dienst befehligt werden sollen. Durch diesen königlichen Befehl, der weit über jenen früheren hinauSgeht, hat die „Kniebeugungsfrage in Sachsen" aufgehört, eine Frage zu sein; sie ist durch die Hochherzigkeit und Gerechtigkeit unseres Königs gründlich gelöst. Dadurch, daß vom Dienst bei den Kirchenfeiern in der katholischen Hofkirche alle evangelischen Officiere, Cadetten, Unterofficiere und Mannschaften ausgeschlossen werden, wird jedeSVorkommniß, das in evangelischcnKreisen verstimmen könnte, unmöglich gemacht. Diese Kreise werden dadurch Sr. Majestät zu um so tieferer Dankbarkeit verpflicktet, je tiefer die brutalen Ausfälle des „DreSdn. Iourn." und der »Leipz. Ztg." gegen die Verlautbarer der Beschwerden hatten verletzen müssen. Daß specicll das „Leipz. Tagebl.", daS wegen seiner Besprechung der Besckwerdepimcte von diesen beiden „königlichen" Blättern der Unwahrheit nickt nur, sondern der Absicht, „confessionelle Zwistigkeiten in die Armee zu tragen" und „in die Eommandozewalt Sr. Majestät des Königs einzugreifen", geziehen wurde, die Entscheidung Sr. Majestät mit besonderer Dankbarkeit und Gcnugthunug begrüßt, ist selbstverständlich. Es fühlt sich dadurch in dem Entschlüsse bestärkt, unbekümmert um hämische Angriffe von der einen und furchtsame Ermahnungen von der anderen Seite, seine Stimme zu erheben, wo immer das evangelische Bewußtsein wider den hochherzigen Willen unseres Königs verletzt wird. In peinlichem Gegensätze zu der Sorgfalt, mit der Sachsens König die Empfindung seiner evangelischen Unter- tbanen schont, steht der Inhalt einer Zuschrift, die der „Tagt. Nuudsch." ans Wien zngeht und die sich mit dem „hohen Adel t» Sachsen und der evangelischen Kirche" beschäftigt. Es finden sich darin folgende Stellen: „Niemand wird den Schrei der Entrüstung vergessen haben, der durch Las protestantische Deutschland bis in seine höchsten kirchlichen Behörden hinein ging, als Papst Leo XIII. es vor einigen Jahren in seiner Canisiusencyklika wagte, Luther einen „Empörer", seine Lehre aber „Gift" und die Ursache der tiefsten „Sittcn- verderbniß" zu nennen. Ihren lautesten Widerhall fanden jene päpstlichen Schmähungen des Protestantismus damals bei Len Klerikalen Oesterreichs. Eine Ler größten Ehrungen, welche damals von jenen fanatischsten Feinden Les Protestantismus dem „Ketzerhammer" Canisius Largebracht wurde, war der Beschluß zur Errichtung einer glänzenden „Canisius» kirche" in Wien. Die feierliche Grundsteinlegung zu dieser steinernen Kriegserklärung gegen den Protestantismus erfolgte im Lctober 1899. Heute aber (30. Mai 1900) wird uns aus Wien von hochangeseheuec protestantischer Seite geschrieben: „In gerechtem Zorne muß ich Ihnen Mitthcilung machen. Kürzlich veranstalteten die klerikalen Hofkrcise ein Fest im Augarten in Wien zum Van einer Canisius- kirche, also einer Jcsuitcnkirche, im 18. Bezirk. Dabei wirkte die Gattin des sächsischen Gesandte», Gräfin Nex, mit und zwar in hervorragender Weise. Sie war Verkäuferin, bez. Leiterin des Postpavillons. Es wurde nämlich ein großer Bazar abgehaltcn. Zwar haben die klerikalen Blätter angekündigt, daß ein Theil des Reinertrages einer wohlthätigen Stiftung für Angehörige aller Confessionen, ein Theil aber der neu zu bauenden Jejuitenkirche zu Gute kommen soll. Aber es war stadtbekannt und stand in allen nichtklerikalcn Zeitungen, daß der erst angegebene Zweck nur zum Scheine genannt war."" Die „Krcuzztg." möchte diesen Behauptungen so lange keinen Glauben schenken, bis sie von anderer Seile bestätigt werden. Wir schließen uns diesem Vorbehalte an, obgleich uns die Erfahrungen, die wir während der letzten Wochen gemacht haben. Manches glaubhaft erscheinen lassen, was wir früher für unmöglich gehalten hatten. Im Reichstage bat gestern, wie vorauSzusehen war, das Cenlrum sein neues Börsengesetz als Appendix zur Flotten verstärkung in der Hauptsache durchgesetzt, auch bezüglich der Kuxe, die der preußische HandelSminister noch im letzten Momente den Steuerexperimenten der Herren zu entziehen versuchte. Herr Bre seid zog die Hand wieder zurück, als Herr Müller-Fulda drohte, andernfalls die Flottenvor lage scheitern zu lassen. Die Mehrheit des Hauses handelte nach dem gestern wieder von Herrn v. Kardorff an empfohlenen Necepte: nur Herrn Müller vorläufig bewilligen, was er verlangt; später mag die Regierung zuseben, wie sie die Sache wieder gut macht. Die ganze Art des Zustande kommens dieses Gesetzes giebt der Regierung nicht nur ein Recht, sondern legt ihr die Pflicht ans, an diese von dem größten Theile der Mehrheit mit ausgesprochenen Zweifeln an ihrer Zweckmäßigkeit gefaßten Beschlüsse die bessernde Hand so bald als möglich anzulegcn. Dies gilt auch von der Erhöhung des Umsatzstempels auf Aktien, dessen Bemessung durch die Eommission zwar Herr v. Thielmann als wohlerwogen bezeichnete, der aber in dieser Höhe nicht nur in der nationalliberalen Partei, sondern auch bei einem Theile der Freicvnservaliven Bedenken erregte und nur mit dem Vorbehalte späterer Revision acceplirt wurde. Immerhin bewies die starke Minderheit, welche ein extrem-agrarischer Vorstoß zu noch weiterer Er höhung des Umsatzstempcls für fick hatte, daß die bedenkliche Stimmung für eine höhere Besteuerung des Börsenverkehrs in der Zunahme begriffen ist. Die Bcrathung wird heute voraussichtlich zu Ende geführt. Bei der Boxererhebung in China, welche an Bedrohlich keit für das Leben der dortigen Europäer im Besonderen, aber auch im Allgemeinen für die gesammtcn Interessen der in China engagirtcn Mächte eher wächst als abuimmt, kommt cs vor Allem darauf an, ob eö den letzteren gelingt, die Ruhe durch gemeinsames Eingreisen wieder herzustellen, oder ob eine Macht sich absondert, um für sich zu handeln, was voraussichtlich zur Folge haben würde, daß das Einschreiten gegen die Boxer sich in einen Kampf der Mächte unterein ander verwandelt. In Betracht kommen in aller erster Linie England und Rußland, die beide sich nicht über den Weg trauen und sich eifersüchtig beobachten. lieber die Slimmung, welche in Londoner, der Negierung nicht fern stehenden Kreisen herrscht, giebt ein Artikel der „Morning Post" Aufschluß, in welchem es heißt: „Die Mächte werden aus der Einnahme von Pretoria zwei Lehren zu ziehen haben: erstens, daß die Hände Groß britannien» bald wieder frei find und in zwei bis drei Monaten die ganze Armee, die jetzt in Südafrika steht, in irgend einem anderen Theil der Welt verwendet werden kann, und zweitens, daß England eine Landmacht hat, die bisher bedeutend unterschätzt worden ist, und wenn sie sich auch nicht mit europäischen Heeren messen kann, bedeutend genug ist, um in allen außereuropäischen Ländern ein entscheidendes Wort zu sprechen, vorausgesetzt natürlich, daß die britische Flotte die See beherrscht, denn die Landmacht kann nur frei gehandhabt werden, wenn das Vereinigte Königreich durch die Flotte gesichert ist. Die Augen Ler europäischen Großmächte sind jetzt auf Asien gerichtet, wo die Nationen, mit Ausnahme von Japan, nicht in der Lage sind, sich selbst zu regieren. Die europäischen Mächte halten es daher für ihre Pflicht, die Ordnung daselbst aufrecht zu erhalten. Großbritannien hat diese Aufgabe für Indien übernommen und Rußland für ganz Nord-Asien. Der Handel Englands ist seit einer ganzen Generation in China leitend, in den letzten Jahren hat aber Rußland entdeckt, daß es auch eine Mission in China habe, und zwar die, erst zu protcgiren, dann zu annectiren und endlich die Engländer zu vertreiben. Die britische Regierung hat sich das bisher zum Schaden des britischen Namens gefallen lassen. Rußland irrt sich aber, wenn es glaubt, England habe seine Hände nicht frei. England kann auf Japan rechnen, und die britische Flotte ist in der Lage, die russische zu vernichten und dabei noch die französische im Schach zu halten. Großbritannien hat jetzt zwei Wege offen, entweder fest zu stehen oder davon zu laufen, bisher hat man zu dem letzteren geneigt, jetzt ist aber der Moment gekommen, zu überlegen, ob es nicht besser sei, fest zu stehen." Weniger zuversichtlich ist der „Daily Telegraph", der von einem vereinzelten Vorgehen Englands nichts wissen will. Er schreibt: „Es wäre unvernünftig, jetzt von der britischen Regie» rung ein energisches Eingreifen zu verlangen, wo die Schmierigkeiten in Südafrika noch nicht überwunden sind; das ostasiatische Geschwader ist weder Rußland noch Japan gewachsen. Englands Interessen liegen jetzt viel südlicher als Hongkong, und darum wird jetzt in gewissen Kreisen gerathen, Rußland in Peking ruhig gewähren zu lassen; dann war es aber zwecklos, Wei-hai-wei zu besetzen. Die Vereinigten Staaten und Japan beobachten natürlich Rußland nicht gerade mit Wohl- wollen, dagegen ist Frankreich auf Seiten der Russen. Deutsch lands Absichten sind zweifelhaft, da eS für Kiautfchau wünschen muß, Laß das Gleichgewicht in Ostasien nicht gestört wird. DaS beste, was England thun kann, ist, sich dem europäischen Conccrt anzuschließen." Aufmerksamkeit verdient außerdem die Haltung der Ver einigten Staaten. In Washington, sagt der ameri kanische Berichterstatter der „Times", mache man einen Unter schied zwischen gemeinsamer (zoint) und vereinbarter (coucertecl) Action, sodaß amerikanische Schiffe und Truppen mit denen anderer Mächte, aber nicht unter dem Befehle fremder Officiere verwendet würden. Hiernach dürfte auch die folgende Meldung zu commentiren sein: * Washington, 8. Juni. (Reuter's Bur.) Der Staatssekretär des Auswärtigen Hay verlas im Cabinetsrath ein Telegramm von dem amerikanischen Gesandten in Peking Congrr, in dem mitgetheilt wird, daß sich die Lage noch nicht gebessert hat und in de» der Gesandte um Instructionen bittet. Dem Gesandten wird geantwortet werden, er möge thun, was nöthig sei, um de» amerikanischen Staatsangehörigen ihr Eigenthum zu schützen und die Würde seiner Regierung zu wahren, jedoch mit keiner anderen Regierung ein Bündniß eiuzugehen. Großes Zutrauen in die Einigkeit der Mächte erwecken die Aeußerungen der „Morning Post" ebensowenig wie die Instruction des amerikanischen Gesandten in Peking. — Was die Haltung Deutschlands betrifft, so wird uns auS Berlin von wohlunterrichteter Seite geschrieben: „Ein eng- lisckes Blatt verbreitet die Meldung, daß Deutschland in China „weit kräftigere Schritte zu begünstigen scheine", als die übrigen Mächte ergreifen wollen. Diese Nachricht ist vollkommen unzutreffend. Deutschland bat keine» Anlaß, in China irgend welche besondere Initiative zu ergreifen. Seine dortigen Interessen treffen mit denen der übrigen Mächte in dem Bedürsniß überein, daß der weißen Rasse in China der ihr gebührende Schutz für Leben und Eigenthum gesichert werde. Ein solcher Schutz wird sich um so leichter erzielen lassen, je einmüthiger die Mächte vorgehen. Es ist daher ausgeschlossen, daß Deutschland Vorschläge macht, die geeignet sein könnten, eine Feuilleton. Aus -em Leben einer Russin. H Von CH. v. Fabrice. Nachdruck vkrivteu. Trotz aller von ihr aufgebotener Energie und Thätigkeit waren volle drei Tage vergangen, ehe Anna Feodorowna die Reise antreten konnte. Sie hatte einen ihr gehörigen, leichten, halboffenen Reffewagen, eine sogenannte Briczka, gewählt, und führte nur wenig Gepäck mit, um so schnell als möglich reisen und an ihr Ziel gelangen zu können. Nur ein Kammermädchen befand sich in ihrer Begleitung, während sie auf die Mitnahme eines Dieners verzichtet hatte. Zwei allein reisenden Frauen würden die Insurgenten, wenn man mit ihnen Zusammentreffen sollte, geringere Beachtung schenken, und sie leichter ihre Reise unangefochten fortsetzen lassen. Für den Fall «iner solchen Be gegnung hatte sie sich außerdem mit Ausweispapieren versehen, welche sie als die Frau eines russischen Kaufmanns bezeichneten, die sich zu ihrem schwer erkrankten Gatten nach Kiew begeben wollte. Kaum auf der offenen Heerstraße, gab es keine Rast mehr für Anna Feodorowna, da sie in fortwährender Angst schwebte, KraSzinski könnte ihr auf demselben Wege voraus sein und seinerseits beabsichtigen, ihren Gemahl sofort aufzusuchen. Auf den ersten Poststationen nach der Hauptstadt waren überall kleinere Abteilungen russischer Truppen postirt, welche die Reffenden aufmerksam musterten, um alle irgendwie verdächtig Erscheinenden einer strengen Untersuchung zu unterziehen. Jeder mußte genau Auskunft geben über das Woher und Wohin und die Ursachen der Reise. Auf Grund ihres Reisepasses und ihrer mächtigen Empfehlungsschreiben, entging Anna Feodorowna allen polizeilichen Scheerereien, und Officiere und Beamte «vetteiferten mit einander, ihr die höflichste Aufnahme zu bereiten. So konnte sie anfangs ihre Reise mit größter Schnelligkeit aus führen. Auf jeder Station wurden die Pferde gewechselt. Die noch im Dienste befindlichen Jemschick (Postillone) waren durchweg Muffen, da di« polnischen sich alle den Aufständischen anye- schkoffen hatten. Anna Feodorowna versäumte es nicht, ihnen durch ihre Dienerin glänzende Trinkgelder auszahlen zu lassen — na wodku —, so daß die Jemschick auf jeder Station den an ihrer Stelle ncueintretrnden Kameraden mit lauter Stimme die Freigebigkeit der Dame priesen und ihnen die erhaltenen hohen Trinkgelder zuricfen. Angefeuert durch diese erfreulichen Aussichten, beeilten sich die Leute, ein neues „Dreigespann" vor den Wagen zu schirren, und mit lautem, lustigen Peitschenknall davonzujagen. Wohl mochte den Postmeistern die Reise dieser einzelnen, augenscheinlich vornehmen Dame in dieser kriegerisch-unruhigen Zeit einigermaßen befremdlich erscheinen. Ihre Papiere waren indessen in bester Ordnung und gaben ihr das Recht, zu passiren. So erhielt sie auf jedem Relais ohne Schwierig keiten frische Pferde zu den vorgeschriebencn Bedingungen. Sobald der Wagen wieder auf der Landstraße war, hielt das Mittelpferd des Dreigespanns, das stets etwas größer als die beiden Seitenthiere ist, und zwischen einer Gabeldeichsel steht, ungestört und unermüdlich einen gestreckten Trab von tadelloser Regelmäßigkeit ein. Nach russischer Art war über das vordere Ende der Deichsel die Duga, ein mit Schellen und Glöckchen behängter Bogen angebracht, dessen melodisches Klingen die Dhiere anzufeuern schien. Die böiden kleinen Seitengäule wurden nur mittels Seilen an das Fußgestell des Wagens gekoppelt und sprangen im klebrigen frei und ganz nach Laune nebenher. Eine andere Gangart als Galopp schienen diese Seitenthiere dabei nicht zu kennen. Die leichte, dem Jem schick als Zügel dienende Schnur, wäre den lebhaften Thieren gegenüber wohl ganz nutzlos gewesen. Er lenkte das Gespann also fast nur durch seine lauten Zurufe, ohne je die Peitsche zu gebrauchen, und „na prowo", rechts, oder „na lewo", links, thaten hier mehr Wirkung als Zügel und Zaum. Fortgesetzt redete der Kutscher mit seinen Thieren sie zur Eile und Artig keit ermahnend, da sie ein so gutes, freigebiges Mütterchen fahren dürften, das des armen Jemschick nicht vergäße. Ließen sie aber trotzdem im Laufe «dwas nach, so traten sofort an die Stelle der Schmeichelnamen ebenso mannigfaltige kräftige Verwünschungen, an denen die russische Sprache fast so reich wie die arabisch« ist. Die Pferde schienen die mit rauher Kehlstimme gerufenen Worte ihres Lenkers auch wohl zu ver stehen, denn jedes Mal setzten sie bei seinem Schelten mit frischen Kräften an, und im schnellsten Laufe flog der Wagen dahin. * Anna Feodorowna, an diese Art des Reisens gewöhnt, schenkte der Umgebung wenig Beachtung. Stumm und sorgen bedrückt saß sie neben ihrer Dienerin, und nur der Gedanke ver folgte sie unausgesetzt: vorwärts, vorwärts um jeden Preis, um rechtzeitig ihren Gemahl aufzufinden, «he Kraszinski den Ahnungslosen zu verderben vermochte! — Je mehr sie sich den russischen Vorposten näherte, desto deut licher wurden die Spuren des Krieges und desto einsamer die Straße. Nur zeitweilig begegnete man Kosackenpatrouillen, sah man die Ueberreste verbrannter Höfe und Dörfer, oder passirte man von russischen Truppen besetzte Flecken und Wälder. Auf den letzten Stationen hatte sich der Wechsel der Gespanne immer schwieriger gestaltet, da die Pferde in Folge des Aufstandes selten waren. Zuletzt hatte sie nur gegen Hinterlegung einer bedeutenden Geldsumme ein neues Dreigespann und einen Postillon erhalten können, mit dem sie so weit fahren sollte, bis sich Gelegenheit zu einem neuen Pferdewechsel bieten würde. Ueberall hatte man sie dabei vor den in der Nähe herum schweifenden, oft sehr zügellosen Freischaaren der Insurgenten gewarnt, und wußte man ihr nicht lebhaft genug die von ihnen gegen russische Reisende begangenen entsetzlichen Grausamkeiten zu schildern. Es mochte gegen 6 Uhr Abends sein. Immer einsamer war die an den vorhergehenden Tagen durch mancherlei Fuhrwerke belebte Straße geworden. Bereits seit Stunden war kein Mensch den Reisenden mehr begegnet. Mühsam zogen die ermüdeten Thiere die Briczka eine kleine Anhöhe hinauf. Von der langsamen und gleichmäßigen Bewegung des Wagens leise gewiegt, schaute Anna Feodorowna nachdenklichen und kummervollen Blickes auf die fern vor ihr sich aus breitende ebene Landschaft. In Dunst und grauer Dämmerung halb verschwommen, lag die weite Ebene vor ihr, während die untergehende Sonne, von purpurnen und violettfarbenen Wolken umwallt, den westlichen Horizont mit einem farbenprächtigen Flammenmeer erfüllte. Ausgedehnte Waldungen, deren dunkle Umrisse, trotz der schnell zunehmenden Abenddämmerung sich von dem helleren Himmel scharf abhobcn, schlossen ringsum den fernen Horizont ab. Diese Wälder, durch welche die Straße sich nun stundenlang hinzog, mußte Anna Feodorowna zur Fort setzung ihrer Reise passiren. Tiefe Niedergeschlagenheit und ein Gefühl von hilfloser Verlassenheit wollte sich bei diesem Aus blicke der einsamen Frau bemächtigen. Sie wußte, daß in diesen Waldungen die wilden Schaaren der Aufständischen versteckt liegen sollten. Würde es ihr gelingen, die drohenden Gefahren zu überwinden und rechtzeitig ihr Ziel zu erreichen? — Plötzlich stieg ein« Lerche dicht vor ihr auf, und schmetternd und frohlockend schallte ihr Gesang durch die abendstill« Luft, während sie sich immer höher und höher in den blaßgrauen Himmel erhob, und endlich den Blicken der ihr nachschauenden Reisenden ganz entschwand. Wie ein glückliches Vorzeichen er schien ihr fröhlicher Gesang der sorgenbedriickten Frau, und wunderbar wurde ihr MM durch diesen Gedanken ge hoben. Wie diese Feldlerche ihrem Schöpfer ein Jubcllied zu singen schien, so wollte auch sie dem Schutze und der Hilfe des Allmächtigen vertrauen. Die Sorgen und Leiden der Vergangenheit zerstoben, und an ihre Stelle trat eine ruhige, seelische Heiterkeit, welche der Gedanke an die ihr möglicher Weise bereits in den nächsten Stunden bevorstehenden Fährlichteiten nicht mehr zu er schüttern vermochte. Sie fühlte sich so gewiß, daß es ihrer treuen Liebe gelingen werde, Alles zum Guten zu wenden, daß jode Befürchtung, die sie eben noch beängstigt hatte, verschwand, und sie hoffnungsfreudig und muthig in den Hellen Frühjahrs abend dahinfuhr. Ein schwacher Abendwind strich seufzend über die weite Ebene hin und immer dichter stieg feiner, weißlicher Nebel aus den hinter niedrigen Weidenbäumen verborgenen kleinen Bächen empor und hüllte das Land allmählich in seine wallenden Schleier. Anna Feodorowna war so in das Meer ihrer erregten Ge danken versunken, daß sie die Außenwelt ganz vergessen hatte. Plötzlich wurde sie durch ein verworrenes Geräusch, das sich hinter dem Wagen erhob, und wie entferntes Pferdegetrappel klang, aus ihren Träumereien aufgeschreckt und rauh an die unerfreuliche Lage erinnert, in der sie sich zur Zeit befand. Schnell kam es näher, und bald konnte man die regelmäßigen Hufschläge von auf drr harten Landstraße galoppirenden Pfer den deutlich erkennen. „Die Polen kommen über unS, Mütterchen!" rief der er schreckte Jemschick aus und hieb wie rasend mit der Peitsche auf seine bereits ganz erschöpften Thiere «in, um sie noch ein mal in schnellste Gangart zu bringen. Doch das Geräusch wurde immer vernehmlicher. ES war bald zweifellos, daß eine größere Reiterabtheilung ihnen auf der Straße folgte und schnell herankam. Vor Ablauf von wenigen Minuten mußten sie den Wagen erblicken und alsbald eiwholen. Da Anna Feo dorowna, wenn es Polen wären, für eine einfache KaufmannS- frau gelten wollte, befahl sie dem nur ungern gehorchenden Kutscher, langsam zu fahren, um keinen Verdacht über den harmlosen Zweck ihrer Reise aufkommen zu lassen. Jetzt hatten auch die herankommenden Reiter die Briczka bemerkt und setzten ihre Pferde alsbald in scharfen Galopp. Ein vorzüglich be rittener Officier jagte der Abtherlung weit voran und mußte in wenigen Augenblicken den Wagen erreichen. Schon von Weitem rief er mit donnernder Stimme auf russisch: „Halt! Kutscher, halt' an, wenn Dir Dein Leben li«<b ist!" „Gott und alle Heiligen seien gelobt, es sind Russen!" froblockte der Jemschick und brachte sein abgehetztes Gespann sofort zum Stehen. Gleichzeitig sprengte eine Sotnie Kosacken
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