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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.07.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190007294
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19000729
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19000729
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-07
- Tag 1900-07-29
-
Monat
1900-07
-
Jahr
1900
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.07.1900
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein halbe Stunde fruher. Anzeigen sind stets an die Expedtti»« zu richten. Druck und Verlag von S. Polz in Leipzig. Sonntag den 29. Juli 1900. 94. Jahrgang. Aus der Woche. Unsere Scebataillone sind, wie ihr Name besagt, wie die Besatzung der Kriegsschiffe zum Dienste auch über See be stimmt und haben schon so manches Mal jenseits des MeereS gefochten. Daß deutscheLandtruppen auSfahren, um als Krieger Deutschlands einen überseeischen Kampfplatz auf zusuchen, geschieht zum ersten Male in der Geschickte. Als Krieger Deutschlands — gepreßte und verbandelte Kriegssclaven — sind dereinst Tausende von Söhnen deutscher Mütter über den Ocean geschleppt worden, und Deutsche, die sich selbst ver kauften, um für eine fremde Sache zu streiten, sind auch nicht selten gewesen. TaS Expeditionskorps, das in fernsten Landen eine am Vaterlande begangene Untbat sühnen und friedliche Deutsche gegen künftige Unbill zu schützen ent schlossen ist, vereinigt Krieger aus allen Theilen des Reiches, ist ein deutsches Heer auf dem Kriegsfüße, wie eS die Welt bisher nur ein einziges Mal gesehen. Es sind Soldaten, der Fabne Verpflichtete, die sich dem Meere anvertraueu, aber Keiner von ihnen folgt einem Be fehle des Kriegsherrn, sie alle bieten sich dem Vaterlande auS freiem Entschlüsse dar. Und weit mehr als auszusenden sind, haben sich überall zur Verfügung gestellt. Ueberall. Nach einer von nichts anderem als der Verächtlichkeit des Parti- cularismus zeugenden Erzählung sollte in Bayern auf einzelne Soldaten ein Druck, sich zur Tbeilnabme an der Expedition zu melden, von den Vorgesetzten ausgeübt worden sein. Die Lüge ist jetzt auch amtlich als solche gekennzeichnet. Frei willige sind es durchweg, denen wir gute Fahrt, Sieg und glückliche Heimkehr wünschen. Sie werden schweres, manches völlig neue Ungemach zu überwinden haben: die ersten deutschen Landtruppen, die meerwärts dulden und streiten gehen; möge der Erfolg ihre Hingebung und Tapferkeit krönen. Die Abschiedsworte des deutschen Kaisers, von einem tiefen Gefühl für Gerech tigkeit und der Sorge für die LandcSkinder erfüllt, werden der Truppe unvergeßlich und eine Mahnung auch in härtester Bedrängniß sein. Daß diese Worte aber nicht etwa Ver wirrung ui jugendlichen Köpfen anrichten, dafür werden die erfahrenen Führer und die traditionelle DiSciplin der deutschen Armee sorgen. „Haltet Manneszucht". Welchen Zustand das deutsche Expeditionscorps nach Wocken in China antrcffen wird, entzieht sich jeder Voraus sage. Sind wir doch über die gegenwärtige Lage so gut wie gar nicht oder sehr unvollkommen unterrichtet. Man weiß, daß die Chinesen von ihrer Meisterschaft im Lügen in diesen Tagen einen besonders ausgedehnten Gebrauch gemacht haben, aber die Wahrheit liegt im Dunkeln. Nur das scheint, nachdem auch der „Kaiser" von China eine Regierung nach der anderen mit cynischer Unwahrbaflig- keit bedient, ziemlich sicher, daß das officielle China für das Geschehene und etwa noch Bevorstehende verantwortlich ge macht werden kann. Die chinesischen Zuschriften an die Mäckte haben überall in der Welt die gebührende Be- urtheilung gefunden, mit zwei Ausnahmen, die amerikanische Regierung stellte sich gläubig und die in Deutschland erscheinende, von den sooaldemokratischen Führern geleitete Mandarinenpresse behandelt die verschieden formulirten, aber über einen Leisten, den der handgreiflichen Lüge, geschlagenen chinesischen „Noten" als ernst zu nehmende Aktenstücke. Ob die Uebereinstimmung über den Charakter dieser chinesischen Erzeugnisse, die sonst herrscht, die dauernde Uebereinstimmung und Eintracht der europäischen Mächte und Japans nach sich ziehen wird, ist allerdings eine andere Frage. Die Wirren in China lassen die heiße Jahreszeit, obwohl sie mit selten empfundener Macht auf die lechzende Mensch heit drückt, nicht zu ihrem Reckte kommen. In der inneren Politik freilich herrscht volle Ruhe. Der Versuch der klerikalen Presse, die Verleihung des Prädicats „Excellenz" an den Grafen von Ballestrem als die officielle Anerkennung des CentrumS als regierende Partei zu feiern, waren keineswegs geeignet, die Gemüther auf zurütteln. Die Reclame war ein wenig zu plump. Die der Auszeichnung vorausgegangene letzte nennenswerthe politische Handlung des Neichslagspräsideuten war die Be seitigung der lex Heinze in ihrer von den Herren Roeren und Gröber ibr verliehenen Gestalt. Graf Ballestrem zwang feine Partei zum Verzicht auf ibr Elaborat und dem Centrum blieb nichts übrig, als eine außerordentlich schwere Nieder lage in seinen Annalen zu verzeichnen. Wenn man also schon einmal der Erzeugung des jüngsten „Wirklichen Geheimen Raths" einen politischen Zweck unterlegen will, so liegt als einfachste und natürlichste Erklärung die Annahme zur Hand, Gras Ballestrem habe dafür belohnt werden sollen, daß er dem Ccntrum die Grenzen seiner Macht gezeigt. Und da- wäre das gerade Gegentheil von dem, waS die klerikale Presse al- „Sinn und Bedeutung" der Auszeichnung hinstellt. Herr Richter bat „leihweise", wie er sagt, ein Exemplar deS dem Buchhandel vorenthaltenen „Entwurf- einer neuen Anordnung des deutschen Zolltarifs" er« halten und ist über dies (2l2 Seiten füllende) Schema sehr ungehalten. Was ihn da erzürnt, ist aber nur seine eigene Unfähigkeit, Neuem eine Berechtigung zuzu erkennen. Der Meister der Schablone giebt zu: „Die neue Lintheilung (deS Zolltarifs) mag wissenschaftlich den Anforderungen der Nationalökonomie und Statistik mehr entsprechen". Aber: „das neue Schema wirft die bisherige Eintheilung, an die sich alle Welt seit Anfang deS Jahr hundert» gewöhnt batte, über den Haufen". Ein Mann deS „Fortschritt-", der Vernunft und Wissenschaft verachtet sehen möchte, nurum sich nicht an etwaSNeurS gewöhnen zu müssen,welche Acquisition für eine politische Raritätenkammer! Der von Herrn Richter verurtheilte Anspruch an eine gewisse geistige Beweglichkeit besteht in einer Specialisirung der Maaren, einer weitgehenden Zerlegung der Waarengruppen. So wird z. B. zwischen Kartoffeln, die vom Spätwinter bis zum Frühsommer, und solchen, die zu anderer Heil eingeben, unterschieden, auch zwischen feinem und gewöhnlichem Gemüse, zwischen verschiedenen Obstgaltungen u. dgl. Wir finden die Diffe renz sehr verständig, denn sic scheint Zöllen den Weg bahnen zu wollen, die nicht ander» Venn al» LuxuSstruern aufzufassen wären. Zwischen der in zierlichen Körbchen eingeführten, in Algerien gebauten Kartoffel, die im Februar auf dem Tische der Reichen prangt, und der Kartoffel, die im Spätherbst vielleicht zur Ernährung einer armen G'enzbevölkerung in Massen ins Land kommt, ist in der That ein himmcl- weiler Unterschied, desgleichen zwischen den billigen amerikanischen Aepfel« und der exotischen Ananas. Herr Richter wird sich wohl beruhigen müssen und die verständigen Schutzzöllner werden sich nickt zu beunruhigen baden ob der von dem Bund der Landwinde auSgeheckren Lehre, daß eine Erhöhung des GetreidezolleS von 3^ auf 5 keine Er höhung sei, sintemalen der 5-^-Zoll nach dem Ablauf der bestehenden Handelsverträge ohnehin wieder in Kraft träte, wenn keine neuen Verträge zu Stande kommen. Deshalb kann das Versprechen, an einer Erhöhung des GetreidezolleS mit zuwirken, nur erfüllt werden, wenn man von 5 als der „Basis" ausgehe. Man hat für diese Rechnerei spöttisch die Gleichung aufgesetzt: 1,50 ----- 0. Eine Gefahr ist in der neuesten Erfindung der Befehlgicr des Bundes nicht zu er warten. Sie haben sie Wohl nur als gute agitatorische Hausväter gemacht, die, falls ein nicht über 5 hinauS- gehender Zoll vereinbart werden sollte, sich die Hetzsormel sichern wollen: „Negierung, Nationalliberale und Centrum haben ihr Versprechen wieder einmal nicht gehalten, denn der Getreidezoll ist gar nicht erhöht." Die Wirren in China. —Noch immer, trotz aller beschwichtigender Telegramme chinesischer Provenienz bleibt das Schicksal der Gesandten und Fremden in Peking ungewiß; denn wenn man auch als Grund der letzten Nachrichten annehmen kann, daß am 9. Juli noch viele von ibnen am Leben waren, so ist doch angesichts der verzweifelten Hilferufe sehr zu befürchten, daß sie bald darauf ihrem Schicksal verfallen sein können. Es ist daher (so wird der „Frankfurter Zeitung" auS Berlin geschrieben) nicht richtig, was anscheinend ofsiciös die „Agence HavaS" gemeldet hat, daß die Grundlage für die Verhandlungen mit den Mächten an der Voraus setzung festgehalten werde, daß die Gesandten in Peking noch am Leben seien. Eine solche übereinstimmende Annahme ist, wie Berliner Blättern auS amtlichen Kreisen versichert wird, nicht vorhanden und sie ist für das, was jetzt zwischen einzelnen Cabinetenverhandeltwird.auchnichtnölhig. Verhandelnbochz.B. die Mächte auch nicht über den Zeitpunkt des gemeinsamen Vorrückens nach Peking. Darüber zu beschließen ist Sache der militärischen Befehlshaber, die an Ort und Stelle die Lage besser überfehen können. Es ist allerdings wahr scheinlich, daß sie sich für ein baldiges Vorrücken ent- fcheiden. Aehnlich wird der „Mgdb. Ztg." aus Berlin, 27. Juli, geschrieben: Ein leichter Hoffnungsschimmer, aber auch nur ein leichter, ist wieder aufgetaucht, daß wenigstens ein Theil der in Peking eingefcklossenen Gesandt schaften noch am Leben ist und gerettet werden kann. Wir haben telegraphisch den Bericht deS Pferdeknechts des gemordeten Gesandten v. Ketteler wiedergegeben. Aber selbst wenn er den Thatsachen entspricht, und wenn, waS noch bestätigt werden müßte, die Gesandten am 9. Juli noch gelebt hätten, wie kann man allzu große Hoffnungen hegen? In dem sicher beglaubigten Brief des britischen Gesandten Macdonald ist zu lesen, daß er im günstigsten Falle, wenn kein weiterer Angriff der Chinesen er folgt, den Eingeschlossenen noch die Kraft zufchreibt, 14 Tage auShalten zu können, im Falle eines Angriffes aber nur noch höchstens vier Tage. Seit jenem Briefe, der am 6. geschrieben ist, sind wiederum 22 Tage verstrichen. Man muß also leider mit der Möglichkeit rechnen, daß, wenn das Expeditionscorps wirklich in Peking eingedrungen ist, sich die schlimmsten Meldungen bestätigt finden. Die Zeit für den Vormarsch auf Peking zu bestimmen, haben die Mächte den Höckstcommandirenden in Taku und Tientsin überlassen. Und sie können in der Thal Alles übersehen, waS erforderlich ist, um einen erfolgreichen Vorstoß zu machen. Es geht nicht an, die Operationen in China durch einen in Berlin, London, Petersburg oder Paris sitzenden internationalen KriegSrath leiten zu wollen. Vielleicht erwartet man von den Befehlshabern der CorpS auch Vorschläge für die Be stellung veS Oberstcommandirenden. Es ist selbstverständlich, daß auch für diesen Posten nur eine Persönlichkeit gewählt werden kann, die das Vertrauen aller an den Operationen betheiligten Mächte besitzt. Wie windig eS mit den Betheuerungen chinesischer Würden träger, die wohlfeil wie Brombeeren sind, bestellt ist, zeigt folgende Meldung: * Hongkong, 28. Juli. (Telegramm.) Der hiesige italienische Consul ersuchte, um die Zuverlässigkeit der Versicherungen der Chinesen bezüglich der Sicherheit der Gesandtschaften zu erproben, den stellvertretenden Vice könig von Lanton, sich mit dem italienischen Gesandten in Peking tu Verbindung zu setzen, um von demselben Antwort auf eine Anfrage in einer Angelegenheit zu erlangen, die nur dem Gesandten und dem Consul bekannt ist. Der BIcekSnig erwiderte, er könne dem Ersuchen nicht Folge leisten, da eS über sein Vermögen gehe; denn alle Botschaften au- Peking würden auf geheimen Wegen erlangt, und der Gouverneur von Schantung sei der Vermittler. Ueter de« Ankans vo« Pferden für das ostasiatische Reiterregiment wird auS Sydney ge meldet, daß die ersten 200 Pferde am nächsten Mittwoch, t. August, nach Tsingtau abgrhen und dort am 1. Sep tember ankommen würden, die nächsten 200 Pferde fallen am 4. August und die letzten 900 Pferde am 30. August von Australien abgesandt werden. Bisher nahm man an, daß sämmtlicke Pferde, deren Beschaffung für da- Expevition-corpS erforderlich ist, in Australien an gekauft werden sollten. Jetzt wird aber mitgetheiit, daß auch in den Vereinigten Staaten von Amerika ein Ankauf von Pferden erfolgen solle. Zum Ankauf und zur Ueberführung dieser Pferde nach Ostasien habe sich der Oberleutnant v. Borcke vom Husaren-Regiment Nr. 3 nach San Francisco legeben. Vielleicht handelt es sich hierbei um die Zugpferde der Artillerie und deS TrainS, deren Beschaffung in Australien nicht möglich sein mag. * Berlin, 28. Juli. (Telegramm.) Der Dampfer „Frank furt" mit dem zweiten Seebataillon an Bord ist am 27. d. M. in Colombo eingetroffen und geht heute nach Singa- pore weiter. * Konstantinopel, 28. Juli. (Telegramm.) Ein Jrade ordnet die Herabsetzung der Gebühren auf die Hälfte für solche amtliche und private Telegramme an, die von Len fremdländischen Soldaten in China über die Türkei nach Europa abgesandt werden. Gleichzeitig ist der Befehl ertheilt worden, jede Verzöge- rung bei der Beförderung solcher Telegramme zu vermeiden. Deutsches Reich ¬ ri Berlin, 28. Juli. Wie der „Nat.-lib. Corresp." auS Süddeutschland geschrieben wird, bereitet die Social demokratie daselbst eine umfangreiche Agitation vor, um die Bevölkerung gegen „die Weltmachtspolitik und deren Folgen" aufzuwiegeln. Sie rechnet dabei besonders auch auf die particnlaristischen Unterströmungen im klerikalen wie im Lager des Bauernbundes und verspricht sich in diesen Schichten manchen Zuwachs durch die Hetze gegen Kaiser und Reich, — denn um nichts weiter handelt es sich im vorliegenden Fall. Die Agitation, deren Anfänge bereits in Stadt und Land beobachtet werden, richtet sich nicht nur an die männliche Bevölkerung, sondern sucht namentlich auch die Frauen und Mädchen gegen eine Politik aufzubringen, die dem Lande Bayern die besten Söhne raube, um sie wider ihren Willen den Chinesen ans Messer zu liefern. So wird nämlich die Aufstellung eines bayerischen Freiwilligen-Bataillons geschildert. Selbst das Schlagwort von der Leutenoth, die jetzt inmitten der Erntearbeit durch den Wegzug der „Ge preßten" verstärkt erscheine, wird nickt verschmäht. Die Hetzerei hat leider schon Verwirrung gestiftet, und man erwartet dringlich, daß amtlich mit allein Nachdruck dem lügnerischen Gerede von der „Pressung" der Freiwilligen entgegengetreten werde. (Ist inzwischen geschehen, s. u. München. — Red.) Beiläufig bemerkt, sind es namentlich die Klerikalen, die hiernach verlangen. Begreiflich genug. Eine Bevölkerung, die man ein Jahrzehnt nnd länger in dem Glauben gehalten hat, König Ludwig II. sei weder geisteskrank noch sei er tobt, sondern er werde nur vom „liberalen" Regiment in München vergewaltigt, — wird auch dem Gerede zugänglich sein, daß der Kaiser die Soldaten zwangsweise nach China verschickt, damit sie dort Gott weiß waS für kaiserlichen Abenteurerplänen dienen. Wie unS bemerkt wird, ist schon für die nöthigen „Bilder bogen" gesorgt, die denjenigen Volksschichten, auf die eS hierbei lediglich abgesehen ist, den „weltpolitischen Unfug" drastisch vor Augen führen sollen. Herr v. Vellmar hält sich übrigens bei alledem sehr bemerkenswerther Weise zurück, vielleicht auS Gründen, die in seiner eigenen „dienstlichen" Vergangenheit liegen; er läßt die Geister niederer Ordnung daS Wühlgeschäft besorgen. — Die norddeutschen Genossen organisiren inzwischen den allgemeinen Streik in den Hafenstädten. Jeder nach seiner Art. Wir lassen dahin gestellt, wo die gefährlichere Betriebsamkeit entfaltet wird. Doch dürfte hier wie dort mit wachsamen Augen die Be wegung zu verfolgen sein, damit dem Gemeinwesen kein Schaden daraus erwächst. * Berlin, 28. Juli. (Das deutsche Hilsscomitö für Ostasien.) Gestern fand eine Sitzung des engeren Aus schusses statt, die in Abwesenheit des Herzogs von Ratibor von dem Grafen von Lerchenfeld-Köfering geleitet wurde. Der Vorsitzende tbeilte zunächst mit, daß die Vor sitzende des Vaterländischen Frauen-Vereins, Gräfin von Jtzenplitz, in das Comitä eingetreten und Polizei- Präsident von Windheim in den engeren Ausschuß zugewäblt worden sei. Nachdem Geheimer Commerzienrath von Mendelssohn.Bartholdy zum Hauptsckatznieister ernannt worden war, tbeilte General-Sekretär Emil Selberg mit, daß die Landes-Vereine in Bayern und Sachsen sich dem Comitü angeschlossen hätten, daß fast sämmtliche Oberpräsi denten ihre Unterstützung zugesagt und erfolgreich bemüht wären, die Verbindung zwischen dem ComitS und den Provinzial-Organisationen zu vermitteln. Der Deutsche Flotlen-Verein und der Alldeutsche Verband seien mit dem Comitö in engste Fühlung getreten und der Kölner Zweig-Verein deS Vaterländischen Frauen-VereinS unter dem Vorsitze der Frau Oberbürgermeister Becker habe als erste Rate 4000 überwiesen. Während die Sammel liste de- Hamburger HilsScomitäS am ersten Tage einen Betrag von 27 000 -4k aufgewiesen habe, gehe man auch in anderen Städten, wie z. B. Bremen, Lübeck, Colmar, Magde burg, Neustrelitz rc., in äußerst aufopfernder Weise vor. Im Laufe der weiteren Discussion, an welcher die Herren Genera! der Infanterie von Spitz, Polizeipräsident von Windheim, Präsident Bödiker rc. sich betheiligten, wurde betont, daß an Liebesgaben hauptsächlich Rothwein, Mineralwässer, Cigarren und Cacao erwünscht feien. Diese, sowie namentlich Geldspenden treffen in reichem Maße täglich ein. Dir erste große Liste wird in den nächsten Tagen zur Veröffentlichung gelangen. * Berlin, 28. Juli. (Die„frei«n" Genossen.) Für den M a u r e r a u s st a n d i n E s s e n ist von dem Ausstands ausschuß eine AuSstandsordnung ausgegeben worden, worin es heißt: I) Für Streikende: Streikende, die am Streikort und in der nächsten Umgegend wohnen, haben sich täglich zweimal, und zwar einmal Vormittags zwischen 9 und II Uhr, und Nachmittag» zwischen 2 und 5 Uhr, zur Controle zu melden. Wert entfernt Wohnende haben sich einmal täglich zu melden. Die Controlmeldung wivd durch einen Stempel auf der Streikkarte vermerkt. Für Tage oder halbe Tage, an welchen di« Controlmeldung nicht erfolgte, wird Streikunterstützung nicht gezahlt. Laut Streikreglement ist es Pflicht der ledigen College», gleich bei Ausbruch des Streiks abzureisen; ebenfalls sind die Ver- heiratheten zur Abreise verpflichtet, wenn ihnen in anderen Orten Arbeit nachgewiesen wird. Wer abzureisen gedenkt, hat dieses der Streikcommission persönlich mitzutheilen. Die Commission bescheinigt die Abreise, ertheilt die ge nügenden Informationen und händigt jedem Abreisen den ein Verhaltungsregle ment ein. Die Abmeldung darf unter keinen Umständen versäumt werden. Die Streikenden müssen ollen Streikversammlungen beiwohnen und haben sich der Streikcommission zum Postenstehen und sonstigen Arbeiten zur Verfügung zu stellen. Im Weige rungsfall« kann dem Betreffenden für einen Tag dieStreik- unterstützung entzogen werden. Die Streikcom mission giebt durch Anschlag im Streiklocal und durch Namens verlesung in jeder Versammlung bekannt, welche Unternehmer die Forderungen bewilligten und welche nicht. Wer den Streik nicht schädigen will, der darf bei letzteren gar nicht und bei ersteren nurmitGenehmigungderStreik- commissionum Arbeit nachfragen. Hat ein College Ar beit zu den neuen Bedingungen erhalten, dann hat er dies vor Aufnahme derselben der Streikcommission mitzutheilen. 2) Für Arbeitende: Streikende, welche zu den neuen Be dingungen in Arbeit treten können, werden in ein besonderes Verzeichniß eingetragen und erhalten eine Arbeitskarte ausgestellt. Dasselbe gilt für College», denen die Forderung ohne Streik bewilligt wurde. Die Arbeitskarte berechtigt nur zur Arbeit bei demjenigen Unternehmer, auf dessen Namen sie ausgestellt ist. Wenn das Arb«itsverhältniß gelöst wird, gleichviel ob freiwillig oder unfreiwillig, dann ist die Karte an die Streik-Commission zurückzuliefern. Jeder College, der zu den neuen Bedingungen arbeitet, hat pro Arbeitstag einen noch näher festzusetzenden Beitrag an die Streikkasse zu zahlen. Zur Eincassirung des Beitrages wird eine Sammelliste benutzt, auf welcher jeder College selbst die Zahl der Arbeitstage und den Betrag, den er zahlen muß, zu ver zeichnen hat. Ferner ist cs Pflicht der in Arbeit stehenden College»: 1) der Streikcommission in Erfüllung ihrer Auf gabe behilflich zu sein durch Agitation unter den In differenten und auch, wenn die Umstände es erfordern, bei Fernhaltung des Zuzuges nach Feierabend und des Sonntags; 2) an jeder Versammlung, die des Abends oder des Sonntags stattfindet, theilzunehmen. Nach dieser Ausstandsordnung mag man ermessen, welche Ordnung den Arbeitern im Zukunftsstaat« erblühen würde. (D Berlin, 28. Juli. (Telegramm.) Der „Berliner Correspondenz" zufolge bat der evangelische Ober- kirchenratb mit allerhöchster Ermächtigung angeordnet, daß in daS allgemeine Kirchengebet die Fürbitte kür die Hinterbliebenen der in China »ms Leben bekommenen, für die dort verfolgten Christen und Missionare, sowie für die nach China entsandten Truppen ein geschaltet werde. 8. Berlin, 28. Juli. (Privattelegramm.) Der nächste TrnppentranSport nach China wird am 30. v. M. an Bord der Dampfer „Sardinia" (25 Officiere, 494 Unter- officiere und Mannschaften) und „Aachen" (l8 Officiere und 495 Unterofsiciere und Mannschaften) abgeben. Ihnen folgt am 3l. Juli die „Straßburg" mit 27 Officieren und 825 Unterofsicieren und Mannschaften; am 2. August laufen „Adria" (lk Officiere, 589 Unterofsiciere und Mann schaften) nnd „8t Ke in" (133 Officiere, 1976 Unterofsiciere und Mannschaften) nach Ostasien aus. Den Schluß machen am 6. August „H. H. Meier" (65 Officiere, 1129 Unter- ossiciere und Mannschaften) und „Phönizia" (58 Officiere, 1740 Unterofsiciere und Mannschaften). (-) Berlin, 28. Juli. (Telegramm.) Der „Reichs anzeiger" veröffentlicht die Verleihung deS Kronenordens zweiter Classe an den Kammerherrn Grafen Eckbrecht von Türkheim-Montmartin in Hannover und die Universi tätsprofessoren Wagner in Berlin und Schmoller in Charlottenburg. — DaS Verbot deS Streikpostenstehens in Lübeck wird, wie nicht nur Blätter der Linken, sondern auch des CentrumS ankündigen, den Reichstag abermals beschäftigen und „ohne Zweifel zu weiteren Beschlüssen führen". Die „Nat.-Ztg." meint dazu: Wir würden es lieber sehen, wenn der Reichskanzler rechtzeitig ringriff und eine Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes herbeifübrte, der nur zur Verbitterung Anlaß giebt und dessen Duldung grundsätzlich höchst bedenklich erscheinen muß. Einige freiconservative Blätter glauben freilich, die Verordnung, deren Loyalität auch der Staatssekretär deS Reichsjustizamts in nicht mißverständlicher An deutung „dahingestellt" sein ließ, nicht nur rechtfertigen, sondern auch als Muster empfehlen zu können unv suchen zur Bekräftigung ihrer Anschauung die Tbatsache zu verwischen, daß die überwiegende Mehrheit deS Reichstages Uber ihre Verurtheilung jenes rechtswidrigen Vorgehens keinen Zweifel gelassen bat. Auf der ganzen Linken und in der Mitte deS HauseS hat man sich deutlich darüber geäußert, und wir erinnerten schon daran, daß auch auS konservativen Kreisen da» gleiche Urtbeil gefällt worden ist. Da« Streikpostenstehen an sich ist ein Recht der Arbeiter und jede dabei vorkommende Ausschreitung kann auf Grund der bestehenden Gesetze mit gebührender Schärfe bestraft werden. Die Verordnung ist für die Lüdische Polizei zwar sehr bequem, rechtlich aber unhaltbar und politisch eben wegen dieser Rechts widrigkeit gefährlich. UebrigenS ist außer der abermaligen Behandlung im Reichstage angekündigt worden, daß die nächste auf Grund der Verordnung eintretende Bestrafung vor da» Reichsgericht gebracht werden soll. — Ter „Reichsanzeiger" weist bezüglich der Verbreitung der Tuberkulose und die Schutzmaßrrgeln gegen dir«
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