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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.07.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000703022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900070302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900070302
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-07
- Tag 1900-07-03
-
Monat
1900-07
-
Jahr
1900
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrusatz »ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestelle« je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richte«. Druck «ud Verlag von E. Polz ia Leipzig 333. Dienstag den 3. Juli 1900. SL Jahrgang. Deutschland und China. Ein schwarzer Tag, der gestrige. Im Hafen von New Dort erschütternd großer Verlust an Menschenleben und ein harter Schlag wider die deutsche Volkswirthschaft, aus China die Bestätigung der Kunde von der Ermordung unseres Gesandten. Während nun von der amerikanischen Un- glücksstätte gemeldet werden durfte, daß wenigstens einer der vier vom Feuer berührten deutschen Dampfer und zwar der werthvollste unter ihnen, „Wilhelm der Große", so gut wie gänzlich unversehrt geblieben ist und beute bereits die Reise nach Europa antreten kann, liegt aus China nichts vor, waS die bedrohliche, durch die Ermordung des Freiherr» v. Ketteler auf das Schärfste gekennzeichnete Lage irgendwie gebessert erscheinen lassen könnte. Der Kaiser hat nach Berathung mit dem Grafen Bülow einem Geschwader befohlen, sich zur Fahrt nach China mit Beschleunigung bereit zu machen. „Immerhin ist diese ernste Maßregel noch keine Kriegserklärung". So bemerkt ein Berliner Blatt und, wenigstens der Form nach, gewiß mit Recht. Daß unsere Regierung über ihre völkerrechtliche Auffassung des in China herrschenden thatsächlichen Kriegszustandes von gestern bis beute nichts ver lautbaren ließ, verstand sich umso mehr' von selbst, als sie nicht isolirt vorgehen kann, sondern jede das Verhäliniß zu China kennzeichnende Kundgebung mit den covperirenden Mächten vereinbaren muß. Der Telegraph wird wohl gestern Schwer wiegendes wie seit Langem nicht zwischen den chri silichen Hauptstädten hin und her getragen haben. Vom Kaiser persönlich ist eine Kundgebung ausgegangen: ec hat an die Mannschaften der Seebalaillone eine Ansprache gehalten. Die Presse ist ihr gegenüber insofern in Verlegen heit gesetzt, als das halbamtliche Telegraphenbureau auf An frage erklärt, der Wortlaut der kaiserlichen Ansprache sei ihm nicht zugegangen, der „Berliner Localanzeiger" hingegen die Rede ohne jeden Vorbehalt hinsichtlich der correcturen Wieder gabe veröffentlicht. Die Zweifel der Presse, wie sie sich zu verhalten haben, werden aber gemindert durch die Thatsache, daß der Kaiser gestern einen Berichterstatter eben dieses Berliner Blattes einer Unterredung gewürdigt hat. Dieser Umstand scheint die Wiedergabe zu erlauben und wir lassen daher den Wortlaut folgen. Der Kaiser sagte: „Mitte« in den tiefsten Frieden hinein, für Mich leider nicht unerwartet, ist die Brandfackel des Krieges geschleudert worden. Ein Verbrechen, unerhört in seiner Frechheit, schauder erregend durch seine Grausamkeit, hat Meinen be- währten Vertreter getroffen und dahingerafft. Die Gesandten anderer Mächte schweben in Lebensgefahr, mit ihnen die Kameraden, die zu ihrem Schutze entsandt waren. Viel leicht haben sie schon heute ihren letzten Kamps ge- kämpft. Die deutsche Fahne ist beleidigt und dem deutschen Reiche Hohn gesprochen worden. Das ver langt exemplarische Bestrafung und Rache. Die Verhält nisse haben sich mit einer furchtbaren Geschwindigkeit zu tiefem Ernste gestaltet und, seitdem Ich Euch unter die Waffen zur Mobil- machung berufen, noch ernster. Was Ich hoffen konnte, mit Hilfe der Marine - Infanterie wieder herzustellen, wird jetzt eine schwere Aufgabe, die nur durch geschloffene Truppen- körper aller civilisirten Staaten gelöst werden kann. Schon heute hat der Chef des Kreuzergeschwaders Mich gebeten, die Ent- sendung einer Division in Erwägung zu nehmen. Ihr werdet einem Feinde gegenüberstehen, der nicht minder todesmuthig ist, wie Ihr. Von europäischen Osficieren ausgebildet, haben die Chinesen die europäischen Waffen brauchen gelernt. Gott sei Dank haben Euere Kameraden von der Marine-Infanterie und Meiner Marine, wo sie mit ihnen zusammengekommen sind, den alten deutschen Waffenruf bekräftigt und bewährt und mit Ruhm und Sieg sich vertheidigt und ihre Ausgaben gelöst. So sende Ich Euch nun hinaus, um das Unrecht zu rächen, und Ich werde nicht eher ruhen, als bis die deutschen Fahnen vereint mit denen der anderen Mächte siegreich über den chinesischen wehen und, auf den Mauern Pekings aufgeplanzt, den Chinesen den Frieden dictiren. Ihr habt gute Kameradschaft zu halten mit allen Truppen, mit denen Ihr dort zusammen kommt. Russen, Engländer, Franzosen, wer es auch sei, sie fechten Alle für die eine Sache, für die Civilisation. Wir denken auch noch an etwas Höheres, an unsere Religion und die Vertheidigung und den Schutz unserer Brüder da draußen, welche zum Theil mit ihrem Leben für ihren Heiland ein getreten sind. Denkt auch an unsere Waffen eh re, denkt an Diejenigen, die vor Euch gefochten haben, und zieht hinaus mit dem alten Brandenburgischen Fahnenspruch: „Vertrau auf Gott, Dich tapfer wehr', daraus besteht Dein ganze Ehr'! Denn wer's auf Gott herzhaftig wagt, wird nimmer aus der Welt gejagt." Die Fahnen, die hier über Euch wehen, gehen zum ersten Mal ins Feuer, daß Ihr Mir dieselben rein und fleckenlos und ohne Makel zurückbringt I Mein Dank und Mein Interesse, Meine Gebete und Meine Fürsorge werden Euch nicht verlassen, mit ihnen werde Ich Euch begleiten." AuS dieser Ansprache spricht, tvie es im Angesicht der Nachricht von der Pekinger Schandtbat nicht anders sein konnte, tiefste Empörung und, was nicht minder selbstver ständlich, kräftigste Entschlossenheit. Den Staat China und die chinesische Regierung hat der Monarch nicht erwähnt, da gegen ist von den Chinesen die Rede, denen in Peking der Friede dictirt werden müsse. Der künftigen Stellungnahme Deutschlands und der Mächte zur chinesischen Regierung wird durch diese kaiserliche Kundgebung offenbar nicht präjudicirt. Freilich, wer und waS ist heute noch die chinesische Ne gierung? Die Kaiserin-Witlwe soll geflohen fein und der Prinz Tuan die Herrschaft an sich gerissen haben. Bestätigt sich diese Meldung, so ist die Kaiserin-Wittwc und mithin die bisherige legitime Negierung nicht nothwendig für die Ermordung deS Frhrn. v. Ketteler verantwortlich zu machen. Denn eS könnte dann als erwiesen angenommen werden, daß die Kaiserin-Wittwe ohnmächtig gegenüber den „Chinesen" in Peking und ihren Führern gewesen. Jedenfalls ist Deutschland mit dem gestrigen und dem heutigen Tage in Ostasien noch mehr in den Vordergrund getreten, als das bisher vermöge der ausgezeichneten, nun auch durch den Engländer Bruce so hochgerühmten Tapferkeit seiner Ofsiciere und Mannschaften möglich gewesen. Die Ermordung Ketteler'S mag vielleicht ausschließlich der bekannten Uner schrockenheit dieses Mannes zuzuschreiben sein, aber er ist nun einmal der Vertreter Deutschlands, der Ver treter des deutschen Kaisers gewesen. Sodann tritt Deutschland weiter hervor, indem eS alle Missionen in seiner Besitzung Kiautschau aufnimmt. Bei läufig bemerkt, eine Thatsache, die den hämischen Kritikern an der Erwerbung dieses Gebiets zur Beschämung gereicht. DaS Land, das nach ihnen Deuschland nicht hätte nehmen dürfen, wird — vielleicht auf lange — das einzige Asyl friedlicher Menschen im weiten Distrikte Chinas. Hoffen wir, daß alle Bedrohten sich unversehrt nach Kiautschau finden. Ihre Lage muß furchtbar ernst sein, das auS Peking gedrungene „Eilt Euch" entringt sich nicht nur dort europäische Lippen und jener Hilfeschrei ist schon vor zehn Tagen ausgestoßen. Die Wirren in China. Vom kaiserlichen Gouverneur in Kiautschau wird mitgetheilt, daß schon vor acht Tagen der chinesische Gouverneur die Missionen aufgefordert habe, sich nach den Hafenplätzen zu begeben; auf das Verlangen, Schutz für Leben und Eigenthum zu gewähren, erklärte er, hierzu außer Stande zu sein. Daher zogen sich Alle nach Kiautschau zurück. Macze sei geräumt. Die dortigen Bahnbeamten seien unterwegs nach Kiautschau. Es geht auS dieser Nachricht hervor, daß die Gäbrung nun auch in der deutschen Interessensphäre bedenklich zunimmt. Ueber die Vorgänge in Wilhelmshaven liegen noch folgende Mittheilungen vor: * Wilhelmshaven, 2. Juli. Der Kaiser und die Kaiserin trafen heute Nachmittag hier ein und begaben sich mit dem Prinzen Rupprecht von Bayern und dem Großherzog von Oldenburg, sowie dem Gefolge nach dem Torpedo-Exercirplatz, wo das Expeditionscorps Paradeausstellung genommen hatte. Der Kaiser trug die Uniform deS Seebataillons, die Truppen trugen Khakianzllge. Der Kaiser schritt die Front ab und hielt an die Soldaten eine (oben mitgetheilte) An sprache. Generalmajor v. Höpfner dankte zunächst den Majestäten für ihr Erscheinen und die huldvollen Worte des Kaiser- und suhr fort: Begeistert in dem Bewußtsein ihrer hohen, verantwortungs vollen Aufgabe, beglückt darüber, ihren Allerhöchsten Kriegsherrn noch einmal gesehen zu haben, verließen die Truppen den theuren heimathlichen Boden, um für die Ehre des Vaterlandes und der deutschen Fahne einzutreten mit Leib und Lebe». Die Erwiderung schloß mit einem dreifachen Hurrah auf den Kaiser. Die Musik spielte sodann die Nationalhymne. Es folgte ein Parademarsch. Die Majestäten besichtigten darauf die Transportschiffe „Frankfurt" und „Wittekind". — Bei dem Kaiser und der Kaiserin sand Abends auf der „Hohenzollern" ein Diner statt, zu welchem die hier anwesenden Fürstlichkeiten, Minister, sowie die Admiralität, General major v. Höpfner, die Stabsofficiere deS Expeditionscorps u. A. Einladungen erhallen hatten. Die Transportschiffe sollen heute Nacht 3 Uhr seeklar sein. — Heute Abend nimmt der Kaiser an dem Bierabend zu Ehren der scheidenden Kameraden im Marine casino Theil. An der Parade des Expeditionscorps und dem Diner bei den Majestäten auf der „Hohenzollern" nahm auch der bayerische Bevollmächtigte zum Bundesrath Graf zu Lerchrnfeld-Köfering Theil. * Wilhelmshaven, 3. Juli. Heutefrüh4Uhrsind die Trans- portdampser „Wittekind" und „Frankfurt" mit den nach China be stimmten Truppen inSee gegangen. Die Mannschaften befanden sich sämmtlich an Deck. Auf beiden Schiffen, sowie der „Hohenzollern", auf der der Kaiser und die Kaiserin, sowie di« übrigen Fürstlich, keiten mit Gefolge sichtbar waren, spielten die Capellen. Am Ufer hatte sich eine große Menschenmenge eingefunden, die den Scheidenden Abschiedsgrüße zuwinkten. Während patriotische Lieder erklangen und Hurrahrufe die Luft durchbrausten, verließen die Schiffe den Hafen. Die Stimmung der ganzen civilisirten Welt ist infolge des Gesanvtenmordes in Peking eine erregte. Sie spiegelt sich auch in der Presse wider. So erklärt der „TempS", an gesichts der tragischen Nachrichten aus Peking sei kein Zaudern mehr gestattet. Die civilisirte Welt sei eS sich selbst schuldig, einen entscheidenden Streich zu führen, um bas verbrecherische Attentat zu bestrafen. Es sei keine Zeit mehr zu Verhand lungen, jetzt müsse das Pulver sprechen. — DaS „Journal des DöbülS" sagt, die einzige Aussicht, weitere tragische Vor kommnisse zu verhindern, liege in einem vollständigen Ein- vernehmen der Mächte. Wir schließen hieran folgende Telegramme. * London, 2. Juli. (Unterhaus.) Der UuterstaatSsekretär deS Aeußern Brodrick theilt mit, Admiral Bruce habe auS Taku am 30. Juni 4 Uhr Nachmittag telegraphirt, er habe vom deutschen Admiral gehört, daß ein chinesischer Läufer, der 3 Tage von Peking unterwegs gewesen, am 29. Juni in Tientsin angekommen sei und Depeschen überbracht habe, denen zufolge alle Europäer ia großer Noth sich befänden und der deutsche Gesandte von regulären chinesischen Truppe» ermordet wordea sei. Die gesammte jetzt verfügbare Streitmacht der Ver bündeten belaufe sich aus ungefähr 13000 Mau«. Da die Truppen schnell aufeinander angekommen seien, wisse er noch nicht, welche Arrangements am Orte für den Befehl einer Expedition haben getroffen werden können, aber eS sei noch nicht für möglich gehalten worden, einen weiteren Vormarsch zu versuchen. Herbert Roberts fragt an, ob hinsichtlich der Vangtse-Proviuzen die Konsuln eine Erklärung unterzeichnet haben, in der sie sich verpflichten, sich nicht einzumischen, so lange die Ordnung dort von den Vice königen aufrecht erhalten werde, und ob diese Erklärung von den Vertretern der Mächte ia Peking ratificirt worden sei. Ferner fragt Herbert Roberts an, welche Schritte für den Schutz von Leben und Eigenthum der in jenen Provinzen sich aufhalteadeu Engländer beabsichtigt seien. Brodrick erwidert, er wisse von einer solchen Erklärung nichts. Die Lonsuln seien mit den Bicrköaigen in Ver bindung gewesen, denen vollständig bekannt gewesen sei, daß ihnen von der britischen Regierung zur Wahrung der Ord nung Unterstützung gewährt werden würde. ES sei offenbar unmöglich, daß die Vertreter der Mächte in Peking z« Rathe gezogen seien, da kein Meinungsaustausch mit ihnen statt finde. Der erste Marineofficier in Wusung habe voll« Ermächtigung, nach Erfordern der Umstände zu handel«. * Petersburg, 2. Juli. Wie jetzt bekannt wird, erhielt bei der Beschießung der Forts von Taku da- Kanonenboot „Giljak" zwei Schüsse, von denen einer da- Pulvermagazin zur Explosion brachte. * Paris, 2. Juli. Deputirtenkammrr. (Fortsetzung.) In Beantwortung einer Anfrage erklärt der Minister deS Auswärtige« Delcassö, er habe von dem Generalconsul in Shanghai ein Telegramm erhalten, in welchem eS heißt, dem Director der chinesischen Eisenbahnen sei die Nachricht zugegangen, daß der Gesandte einer Großmacht ermordet sei, und daß die übrigen Gesandten in Gefahr schwebten. Delcaffü spricht die Hoffnung aus, daß die letztere Nachricht unbegründet sei und fügt hinzu, wenn Frankreich schwächere Truppenkontingente ia Taku habe als gewisse andere Mächte, so sei der Grund davon FerriHetsn. Diana. Roman von Marian Comyn. Nachdruck verboten. „Eine eigentliche Entdeckung habe ich noch nicht gemacht", sagt« Mr. Bipont jetzt, „aber ich bin sicher, daß es sich hier nur um eine einzige Person in Ihrem Haushalt handelt, die in die Sache verwickelt ist. Es sind nicht, wie wir zuerst vermutheten, mehrer« dabei betheiligt. Und Mrs. Sandmann, auf die zu achten sie mich aufmerksam machten, Herr Baron, ist so unschul dig wie ein neugeborenes Kind." „Und wer ist es, aus den Sie Verdacht haben?" „Hm, Herr Baron, das ist eine kritische Frage, ich weiß wirk lich nicht, ob ich jetzt schon so weit gehen soll, um Namen zu er wähnen. Ich habe mich nämlich über die Vergangenheit der Weiblichen Dienerschaft zu orientiren gesucht." ,MH — und —!" „Die eine Erkundigung, die ich eingezogen habe, ist nicht ganz zur Zufriedenheit ausgefallen." „Und auf wen bezog sich diese?" « „Auf eines der Hausmädchen — Keziah Turnrr." > „Wie, dieses nette, schmucke Mädchen?" „Ja", sagte Mr. Vipont mit einem spöttischen Lächeln. „Ich hörte, daß sie seit circa einem Jahre hier im Hause sei, und er suchte MrS. Sandmann, mir ihre Empfehlungen zu zeigen, wenn sie deren hätte. MrS. Sandmann zeigte mir einen Brief von einer Dame auS London, welch« in GroSvenor Square lebt, und das Mädchen sehr warm empfohl«» hat. Sie stellt ihr das beste Zeugniß über ihre Leistungen aus. Obwohl der Brief ganz ge wandt geschrieben war, fiel mir doch Manches in demselben auf, es waren Wendungen darin, die eine Dame aus der vornehmen Welt, und ein« solche mußte die Schreiberin dem Namen nach sein, nicht zu gebrauchen pflegt. Ich ließ mich auch durch daS mit einem reichen Monogramm verzierte Briefpapier von der feinsten Art nicht beirren, sondern nahm mir die Freiheit, einige Zeilen an die Dame zu schreiben, um sie zu fragen, ob jemals eine Person Namens Keziah Turner in ihren Diensten gestanden habe. Heute Morgen erhielt ich di« Antwort ans diesen Brief. Die Dame thülte mir mit, daß sie niemals den Namen Keziah Turner gehört habe und sicher sei, daß ein Hausmädchen dieses Namens nie in ihren Diensten gestanden habe." Erich war ganz bestürzt. Keziah's anziehende Erscheinung hatte ihn für sie eingenommen. „Dann ist es wohl das Beste, daß wir das Mädchen so bald wie irgend möglich entlasten", bemerkte er, als er seine Fassung wieder gewonnen hatte. „Wir werden nichts Derartiges thun!" fiel ihm Mr. Vipont schnell ins Wort. „Auf diese Werse würden wir niemals Aus sicht haben, diese geheimnißvollen Vorgänge in Ihrem Hause aufzukläron. NÄn — unser Plan muß der sein: Wir thun, als ob wir durchaus nichts wissen, was gegen das junge Mädchen spräche, wir müssen sehen, daß sie uns bei irgend einer Gelegen heit selbst den Schlüssel zu dem Geheimniß in die. Hände liefert. Nicht etwa, daß ihr das ähnlich sähe", fügt Mr. Vipont, nach denklich den Kopf schüttelnd, hinzu, „ich halte sie für schlauer, als ein halbes Dutzend Füchse zusammen, sie versteht es, ihre Zunge zu zügeln, was, wie Sie wissen werden, Herr Baron, eine seltene Gabe bei einer Frau ist. Sie würden mich verpflichten, wenn Sie zu Niemandem etwas von der Sache erwähnen, auch bitte nicht zu Miß Diana oder Mr. Beauchamp. Wenn das Ge ringste davon laut wird, so ist nichts mehr zu machen." „'Gut, gut", lachte Erich, „seien Sie ohne Sorge, ich werde vorsichtig sein." Er verließ den Detektiv und schritt weiter in den Park hinein, der schöne Abend lockte ihn. Der Thau lag schwer auf dem Gras« und die zahllosen Gänseblümchen in dem dunklen Grün glänzten im Mondschein. Ab und zu wurde die tiefe Stille durch den klagenden Schrei eines Fasans unterbrochen, und ein Flug Rebhühner, der einmal vor dem jungen Mann« aUfflog, erinnerte ihn daran, wie nahe man dem 1. Sep tember sei. Als «r von seinem Spaziergange zurückkehrte, war er ganz erstaunt, zu finden, daß er über ein« Stunde fortgewesen sei. Di« Läden vor den Fenstern deS Speisezimmers waren ge schloffen, nur diejenigen vor dem Wohnzimmer standen noch offen, obgleich eS, nach dem Schweigen zu urtheilen, das in demselben herrscht«, schien, daß Niemand darin sei. Doch Erich trat dennoch ein, da:tzt annahm, daß Antonius ihn dort noch erwarte. Die Mädchen mochten sich wohl schon zurückgezogen haben. Das hell« Licht blendete Erich, dessen Auge an die Dunkelheit gewöhnt war, im ersten Augenblick. Doch bald vermochte er di« Gegenstände im Zimmer deutlich zu unterscheiden. Auf dem Sopha sah er eine zusammengelauerte Gestalt in heliotropfarbe nem Seidenkleide mit schwarzen Spitzen, und tiefe schwere Seuf zer, von heftigem Schluchzen unterbrochen, drangen von dorther zu ihm hinüber. Es war kein hysterisches Weinen, sondern eS klang, als ob verhaltene Wuth auf diese Weise zum Ausdruck kam. „Nancy" rief Erich, aüf's Aeußerste bestürzt, und wenige Schritt« brachten ihn an ihr« Seite. Sie richtete ihr Antlitz empor, es war bleich, thränenüber- strömt, und ein Ausdruck so furchtbaren Schreckens lag auf dem selben, daß Erich betroffen zurückwich. Doch ehe er nach der Be deutung dieses heftigen ^Schmerzes fragen konnte, hatte die junge Dame sich erhoben und war aus dem Zimmer geeilt. XVH. Bald nachdem Erich das Zimmer verlassen hatte, zog sich auch Nancy zurück, da sie sich beleidigt fühlte, weil man ihrer Meinung nach nicht aufmerksam genug gegen sie gewesen war. So kam es denn, daß Diana allein mit Antonius zurückblieb. Wenn Nancy unten in den Wohnräumen die Unterhaltung nicht fand, die sie beanspruchte, so war sie durchaus nicht abgeneigt, sich oben in ihrem Zimmer in eine solche mit Johanna, dem Kammermädchen der beiden Damen, einzulassen. Dort war sie sicher, ein aufmerk sames Ohr zu finden, und brauchte niemals zu befürchten, daß man ihr widerspreche oder sich erlaube, eine eigene Meinung zu äußern. Diana war für gewöhnlich vollkommen unbefangen in ihrer Unterhaltung mit Antonius, doch heute Abend vermochte sie sich eines gewissen unbehaglichen Gefühles nicht zu erwehren, was viel leicht daher kommen mochte, daß die Warnung Philipp Heath- cothe's noch so lebhaft in ihrem Gedächtnisse war. „Wollen wir eine Partie Schach spielen?" fragte sie, als Antonius das Clavier verließ und seinen früheren Platz in ihrer unmittelbaren Nähe wieder eingenommen hatte. Er hob abwehrend beide Hände empor. „Schachspielen an einem so wundervollen Abend wie der heutige ist? Es würde viel richtiger sein, wenn wir draußen im Garten wären und den herrlichen Mondschein bewunderten! Ich würde es geradezu für eine Entweihung halten, wenn wir heute Schach spielen würden, das ist überhaupt ein Spiel für alte, ge setzte Leute, und nicht für —" Er stockte, und anstatt seinen Satz in der beabsichtigten Weise zu vollenden, sagte er in über redendem Tone: „Wollen Sie nicht mit mir auf die Terrasse hinausgehen, ich will ein warmes Tuch holen und Sie darin einhüllen, so daß Sie nicht die geringste Gefahr laufen, sich zu erkälten." Diana war auf ihrer Hut, und obgleich es ein wenig un freundlich erscheinen mochte, Antonius seinen Wunsch abzu schlagen, that sie es dennoch, indem sie zum Vorwand nahm, daß ihre Schuhe für die Feuchtigkeit draußen zu dünn seien. Einen Augenblick schien Antonius sichtlich enttäuscht zu sein, aber er fand seine gute Laune unverzüglich wieder. „Sic betrügen sich selbst um Ihre Jugend", sagte er scherzend, „und wenn Sie Ihren Jrrthum einsehen werden, wird es zu spät sein, den begangenen Fehler wieder gut zu machen. Sie fassen das Leben zu ernst auf", fügte er hinzu, „es ist wie ein Schild mit zwei Seiten, mit einer ernsten und mit einer lustigen, aber Sie sehen nur die ernste Seite davon." „Weshalb glauben Sie das?" fragte sie ein wenig betroffen. „Weil ich die Menschen beobachte und ganz besonders Sie, Diana, ich muß Ihnen gestehen, daß mir der Ausdruck von Ernst, wenn nicht gar Traurigkeit, den ich so häufig in Ihren Augen sehe, ausgefallen ist. Habe ich nicht Recht?" „Vielleicht ja. Aber ich denke, es giebt manche Entschädigung dafür!" „Daran zweifle ich nicht, ich bin mehr als bereit, dies zuzu gestehen. Aber nun sagen Sie mir auch, was Sie zu Ihrer Ent schuldigung anzuführen haben." „Ich wollte sagen, daß sich mir das Leben erst kürzlich von einer sonnigeren Seite gezeigt hat", sagte sie mit einem leisen Zögern, „und selbst jetzt vermag ich noch kaum daran zu glauben, daß jene sorgenvolle Zeit für immer hinter mir liege." „Sie fürchten, daß die Zukunft noch Unheil bringen könne?" Er hatte sich bei diesen Worten etwas vorgebeugt, und seine schönen blauen Augen blickten sie ernst an. Der Blick verwirrte sie, und die Befangenheit, welche sie heute in seiner Nähe empfand, vergrößerte sich. Diana's Hände ruhten in ihrem Schooße, und Antonius, der jetzt seinen Stuhl ein wenig näher heranzog, legte seine rechte Hand auf die ihrigen. Sie versuchte, ihm ihre Hände zu ent ziehen, aber er widerstand ihr und hielt die weichen Finger mit sanftem Druck zurück. Es lag nichts UnehrerbietigeS in dieser Handlung — sie schien nur der Ausdruck eines ganz ungewöhn lichen Ernstes zu sein. „Es bedarf keiner Worte, Diana, um mir zu sagen, daß Sie sich in der letzten Zeit nicht ganz glücklich gefühlt haben, und vielleicht errathe ich die Ursache davon. Ich glaube, die Zeit ist gekommen, wo es meine Pflicht ist, offen mit Ihnen zu sprechen, Diana, denn es ist mir unaussprechlich schmerzlich, Sie nicht so glücklich zu sehen, wie Sie sein sollten, wie Ihre Jugend und Schönheit Sie zu sein berechtigt. Theuerste", fuhr er fort — und jetzt war sein Antlitz dem ihrigen so nahe, daß sie seinen Athem fühlte — „ohne Liebe ist das Leben jeder Frau nur ein unvoll-
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