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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.01.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-01-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000117024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900011702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900011702
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-01
- Tag 1900-01-17
-
Monat
1900-01
-
Jahr
1900
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Reklamen unter dem Redactionsstrich (4g«» spalten) LO-^, vor den Familiennachrichten (ü gespalten) 40^. Größere Schriften laut »ns««il Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer «nd Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. ikrtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Pvftbeförderung 60 —, mit Postbefördrrung 70.—. Iinuahmeschluß fSr Äuzeigea: Abend-AuSgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expeditis» zu richten. Druck und Verlag von 2. Polz in Leipzig. St. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. Januar. Wie der Telegraph bereits gemeldet hat, ist gestern endlich im Reichstage die längst erwartete Interpellation wegen der Beschlagnahme deutscher Schiffe eingebracht worden. Sie ist unterzeichnet von den Abgg. Möller (nationalliberal), v. Levetzow (konservativ), Ör. Lieber (Ceutrum), Lieber mann v. Sonnenberg (Antisemit), Frhrn. v. Hoden berg (Welfe), Rickert (Freisinnige Bereinigung), Richter > Freisinnige Bolkspartei), und Augst (Süddeutsche Volkspartei) und wird von sämmtlichen Mitgliedern der Fractionen unterschrieben, denen die genannten Herren angeboren. Wann die Interpellation zurBerathung kommt, scheint uoch nicht festzustehen; für die nächste Sitzung am Donnerstag ist sie noch nicht auf die Tagesordnung gesetzt; vielleicht wird sie an diesem Tage für den nächsten in Aussicht genommen. Woran die Verzögerung liegt, würde, wenn man es nicht schon wüßte, aus einer Bemerkung hervorgehen, mil der die „Nat.-Lib. Corr." das Drängen der „Deutsch. Tages zeitung" zu beschwichtigen sucht: „Wenn die „Deutsche Tagesztg." sich nur Halbwegs um die that- sächlichen Vorgänge gekümmert hätte, so würde sie wissen, daß nichts billiger ist als dieses Gepolter. Gleich nachdem der Reichstag wieder zusammengetreten war, hat der Abg. Möller von seiner Absicht, die Interpellation einzubringen, die Vertreter der verschiedenen Fractionen, deren Namen jetzt unter der Interpellation stehen, wie es dem guten Brauche des HauseS entspricht, von seiner Absicht, zu interpclliren, in Kenntniß gesetzt, und nachdem er sich ihrer Zustimmung vergewissert, hat er die weiteren Schritte gethan, die erforderlich und angebracht sind, wo es uns immer darauf ankommt, nach außen erkennbar zu machen, daß in der Wahrung deutscher RechtStitel die Vertretung deS deutschen Volkes und die Reichs regier ung sich gegenseitig an Pflichttreue nicht übertreffen lassen." Daß die ReichSregierunz zu einer Antwort sich nicht ge zwungen sehen möchte, bevor sie auf ein befriedigendes Re sultat ihrer diplomatischen Schritte Hinweisen kann, ist selbst verständlich. Läßt dieses Resultat aber gar zu lange auf sich warten, so muß e-'ihr äm Ende nur erwünscht sein, wenn ihre diplomatische Action Nachdruck durch den Reichstag erhält und dieser die englische Regierung nicht im Zweifel darüber läßt, daß er das Verlangen der Reichsregierung nach schleuniger befriedigender Regelung der Angelegenheit tbeilt. Und da nun allgemein und Wohl mit Recht angenommen wird, daß die gestern mikgetbeilte Auslassung der „Köln. Ztg." auf unser Auswärtiges Amt zurückzufübren sei, so wird man sich wohl auch in der An nahme nicht täuschen, daß die deutsche Negierung, wenn nicht in den allernächsten Tagen eine befriedigende Antwort a»S London eintrifft, selbst auf die Besprechung der Inter pellation und damit auf eine energische Aussprache des Reichstags dringt. Wir hoffen das um so mehr, je nüber durch die Einbringung der Flottenvorlage im BunLesrathe die parlamentarischen Beratbungen über diese Vorlage gerückt sind und je weniger es einem Zweifel unter liegen kann, daß die Aussichten der Annahme deS Entwurfs in demselben Maße steigen, in dem die Haltung der deutschen Rcicksregierung in der Angelegenheit der Beschlagnahme deutscher Schiffe den berechtigten Wünschen deS deutschen Volkes und seiner Vertreter entspricht. Das preußische Abgeordnetenhaus ist gestern in die erste Lesung des Etats einzetrelen und in dieser ersten, dem Gegenstand gewidmeten Sitzung insofern ein gut Stück vorwärts gekommen, als Vertreter aller Parteien und sogar ein solcher der freisinnigen Gruppe zu Worte gelangten. Die Sache könnte eigentlich zu Ende sein, denn hat sich gestern kein Rälhsel gelöst, so hat sich auch keines geknüpft. Nach dem die Interpellation Uber die Maßregelung der Landrätbe keinerlei politische Ausbeute gebracht, hätte man glauben können, diese Etatsdebatte werde wenigstens Schlaglichter auf die innerpolitische Lage werfen. Davon kann jedoch nicht eigent lich die Rete sein. Fürst Hohenlohe war nicht anwesend und der Vice-Präsident des SlaatSminislcriumö v. Miquel befliß sich großer Zurückhaltung. Er wieS die auö dem Hause an ihn gelangte Anregung, auf die Flottenfrage cin- zugeben, zurück uud bat ausdrücklich, sich nicht in.die Einzel heiten der — noch nicht vorliegenden — „Cana lvo ringe" zu vertiefen. Mit letzterem Ersuchen bat sich Herr v. Miquel thatsäcklich „einen anderen DiScurS auS", denn die Einzelheiten deö künftigen Canalgesetzentwurfs, d. h. die Garnirung deS Mittellandcanals mit appetitreizenden Beilagen, sind nach Lage der Dinge die Hauptsache für die Beurtbeilung der Aussichten des Canals. In dieser Beziehung verrietst der erste und inhaltlich bedeutendste Redner deS gestrigen Tages, der nationalliberale Abgeordnete Or. Sattler, ziemlich viel Pessimismus. Er siebt durch die Einfügung deS masurischen Canals, der Verbindung zwischen Elbe und Oder, deS Groß schifffahrtsweges nach Stettin und der Compeusation für Schlesien — lauter Forderungen, denen die nationalliberale Fraktion an sich freudig zustimmt — die Gefahr heraufbeschworen, daß das Canalgesetz in diesem Jahre überhaupt nicht mehr kommt. Herr I)r. Sattler ist, und das ist die politisch wichtigste Erscheinung des TageS, auch jetzt noch nicht über die Canalenergie der Regierung beruhigt. Nachdem er auf die Dortmunder Kaiserrede (wie auch auf die Hamburger Flottenansprache) bingewiefen, sprach der nationalliberale Redner Namens seiner Fraktion das entschiedene Verlangen aus, die Regierung solle Sorge tragen, „daß nickt wieder der Vorwurf erhoben werden kann, man müsse den Beamten, die gegen den Canal gestimmt, mildernde Umstände zuerkennen, weil sie nickt hätten übersehen können, daß die Regierung ein so große« Gewicht auf den Canal lege." DaS war eia kräftig Wort — an die Adresse des Herrn v. Miquel, das die von dem Abgeordneten dem Finanzminister reichlich gespendeten technischen Complimente zu compensircn schien. Der Vice präsident deS Slaatsministeriums ist natürlich mit Herrn vr. Sattler „in der Sache", d. h. in der Canalsache, „ganz ein verstanden", er widerlegte auch nochmals die gegen den Mittel landkanal geltend gemachten finanziellen Bedenken, aberden von dem natioualliberalen Wortführer in der Etatsrede deS Ministers vermißten. Elan blieb er auch gestern schuldig. Wir wissen nicht, ob der Redner der Conscrvativen dies vorauSgesehen hatte. Jedenfalls verhielt er sich im All gemeinen wenig oppositionell und im Canalbesonderen defensiv. Und der Redner war doch Graf Limburg - Stirum. DaS Centrum ließ seinen Vertreter über die preußische TazeSfrage sich auSschweigen und im klebrigen bei dieser Gelegenheit die Drohung Lieber'S, das Cen trum werde die schmutzige Wäsche deS „Ministers ohne Vertrauen" waschen, durchaus nicht wahrmachen. Sein Redner war Herr v. Strom steck, ein altes Mitglied de» Hauses, gefürchtet als Producent und Vcrtheidiger unan nehmbarer Anträge, aber nicht gefürchtet als Ministerstürzer und bisher auch nicht als Specialist in Elatssachen bekannt. Die Klerikalen müssen ihre besondere Gründe gehabt haben, diesen maßvollen und persönlich sehr geschätzten Herrn vor zuschicken. Herr v. Miquel bekam durch ihn gar keine Arbeit und mußte die Ueberlezenheit und Schroffheit, die in dem bekannten ReichstagSduell Herrn Lieber vom Wasch trog wegscheuchte, diesmal den Abgeordneten Richter kosten lassen, der nach einem halben Dutzend Witze, die er ge macht hatte, die Lacher auf der Seite seines ministeriellen Gegners sah. Herr v. Strombeck entledigte sich der her kömmlichen klerikalen ParitätSklaqen und Beschwerden über Culturkampfreliquien wie einer lästigen Pflicht, freilich nicht ohne auf die Debatte über den CultuSetat zu verweisen, wo Andere bessere Lieder singen würden. DaS Ceutrum wartet vorläufig ab; ungeachtet der Ankündigung des baldigen Ein bringens der Floltenvorlage erscheint ihm das Aufsübren von Kampfspielen in der preußischen Arena nicht verlockend. DaS politische Jntercssc an dieser Debatte ist erschöpft, lieber den Etat und mit ihm technisch im Zusammenhang stehende Fragen wurde manches gediegene Wort gesprochen namentlich von dem Abgeordneten vr. Sattler, un-' streitig dem besten Kenner des Staatshaushaltes im Abgeordnetenhause. Der vorliegende Etat ist, wie sckon hervorzeboben, glänzend und spiegelt einen blühenden volkS- wirtbschaftlickcn Zustand wider. Der nationalliberale Redner ließ es sich aber angelegen sein, mit Nachdruck hervorzuheben, daß nicht ÄlleS Gotd, was glänzs, und er lbat dies an der fortdauernd bedrängten Lage der Landwirtbsckast dar, der die wachsende Lentenoth die in mancher Hinsicht bemerkbarer ge wordene Besserung wieder aufhöbe. vr. Sattler bezeichnete unter dem Beifall seiner Freunde, die für die Hebung der Land- wirthsckaft im Etat ausgeworfenen Mittel als zu gering. Deni Abg. Grafen Limburg-Stirum blieb nichts übrig, als sich deni Urtbeil der Nationalliberalen über die Bedürfnisse der Landwirtbsckaft anzuschließen; wahrscheinlich wird dem conscrvativen Redner deswegen ein Mißtrauensvotum der Herren Vr. Hahn, v. Wangenheim u. s. w. zu Tbeil werden. Von besonders nationaler Bedeutung sind die Ausführungen des Abg. Sattler über die innere Colonisation. Herrn v. Miquel wollte es durchaus nicht gelingen, die an dem geringen Umfange der Besiedelung deS Ostens von Herrn Vr. Sattler geübte Kritik zu widerlegen. Der Minister sprach al» Cameralist, der Abgeordnete hatte als Staatsmann gesprochen, „der den wirthschaftlichen und kulturellen Stand des preußischen Staates nicht länger durch die Linie der Elbe getrennt" sehen möchte und deSbalb eine richtigere Vertheilung des Grund und Bodens im Osten verlangt. Die Möglichkeit, die bessernde Hande im großen Maßstabe anzulegen, ist für den Staat unzweifelhaft vorhanden. Denn auch daS — wie vr. Sattler sich auSdrückte — ungesunde Vorwiegen des großen Grund besitzes in jenen ReichStheilen ist erst durch staatliche, durch falsche staatliche Maßnahmen herbeigeführt worden. Zu dem kulturellen Bedürsniß tritt daS nationale im engeren Sinne. Abg. vr. Sattler wics darauf hin, daß in der Provinz Posen im letzten Jahre mehr Grundbesitz in polnische als in deutsche Hände übergeganzen ist. Also die AnsiedelnngScommission allein bilde leinen genügend starken Damm gegen das Vordringen deS PolentbumS. Zu den Punkten, in denen der national liberale Redner die Zustimmung der Berliner Leitung de» Bundes der Landwirthe nicht finden dürfte, gehört auch seine Bemerkung über die in der Thronrede angekündigte Maaren - haussteuer. Er sagte gründliche Prüfung zu, erklärte aber im Vorhinein, daß seine Partei keine Ausnahme zu Gunsten der Waarenhäuser der Ofsiciere und Beamten gutheißen würde. DaS ist bekanntlich nicht die Meinung der geaichten MittelstandShelfer von der Bundesleitung. E» erübrigt noch eine kurze „innerpolitische" Betrachtung. Die „Kreuzzeitung" hat gestern die Behauptung aufgestellt, in der nationalliberalen Partei Preußens hätten nicht die parlamentarischen Leiter die Führung, di» Führung werde von der Parteipresse besorgt. Wie schief die- Urtbcil ist, mag die „Kreuzztg." au- dem Umstande ersehen, daß vr. Sattler ebenfalls gestern Namen seiner Fraction die Ankündigung einer Sekundärbahnvorlage begrüßt und ausgesprochen hat: „Es wäre un- durch au- ungerecht erschienen, wenn man Gegenden, deren Vertreter vielleicht für den Canal gestimmt haben, für die Abstimmung der Vertreter anderer Gegenden strafen wollte durch Zurück haltung ihrer Entwickelung." Von nationalliberalen Preß organen, die die „Kreuzztg." als die „Führenden" ansieht, war bekanntlich die Befolgung der Maxim: „Kein Wasser, keine Schienen" als der Ausfluß höchster politischer Weisheit gepriesen worden. lieber die ossiciöse Mission Tarnassi nach der russischen Hauptstadt liegen der „Pol. Corr." gleichzeitig au- Rom wie Petersburg Mütbeilungen vor, welche bi« in dieser Frage sich kreuzenden Strömungen klar erkennen lassen. Die römische Zuschrift führt Folgende- auS: Im Februar vorigen Jahre» wurde dem Zar eine im Batica» auSgearbeitet« Denkschrift überreicht, in welcher die Nützlichkeit einer Art diplomatischer Vertretung der Curie in Peters burg dargelegt war. Ter Zar beauftragte den Grafen Murawjew mit der Prüfung der Denkschrift und war nicht abgeneigt, auf die Anregung einzugehen. Meinungsverschiedenheiten, betreffend die Ueberwachung der katholischen Seminare, ver ursachten jedoch eine Unterbrechung in den Verhandlungen. Während des Aufenthaltes de» Kaiserpaare» in Darmstadt wurde demselben von einer hochstehenden Persönlichkeit nahegrlegt, »ine scharfe Spannung mit dem Vatican, welche den Interessen Rußlands Nachtheile bringen würde, zu vermeiden, uud da» Kaiserpaar, dessen besondere Werthschätzung für die Person Leo » XIII. bekannt ist, habe sich diesen Erwägungen nicht verschlossen, worauf im November 1899 Murawjew neuerdings den Auftrag erhielt, di» Frage der Entsendung einer päpstlichen Mission nach Petersburg zu studiren. Im Vatican hegt man die Hoffnung, daß die neuen Verhandlungen erfolgreich sein werden. Diese Hoffnung erfährt jedoch in einem Petersburger Berichte keine Kräftigung. In demselben wird erklärt, man balle in Petersburg an der Anschauung fest, der Gang der Verhandlungen über die schwebenden Fragen werde vielmehr gefördert und beschleunigt, wenn ihre Regelung dem Verkehre de» russischen Vertreter» mit dem Papste und dem Cardinal- Staatssekretär überlassen bleibe, ohne daß die Fäden durch die Hände eines in Petersburg weilenden päpstlichen Diplomatea lausen würden. Die Mission Tarnassi'S würde sonach, wie wir von vornherein angenommen haben, selbst im günstigsten Falle nur mil einem sehr bescheidenen Erfolge abschließen. Der Krieg in Südafrika. Wenn man jetzt etwas über die Lage auf dem Kriegs theater, wenn auch nnr Negative-, erfahren will, muß man auf die Nachrichten aus boerijcher Quelle achten. So wird Fottilletsir. 13, Die ganze Hand. Roman von Hans Hopfen. vl.ichtrnr v.'ld«! >!. Ich fand Vie Kämmerchen, die auf eine Galerie über dem Saale mündeten, wie Thcaterlogen sich darstellten, eher kleiner als größer, nur einen Divan und ein Tischchen enthielten, alle leer, bis auf das letzte, entfernteste. Darin lagerte halb aus gestreckt auf dem viel mißbrauchten Divan der Gesuchte, vor sich die Reste von Hummer, Geflügel und Confect, neben sich einen Eiskübel mit einer silberhalsigen Sectslasche und in den Fingern oer über die Lehne gestreckten Hand eine gut gewickelte Eigarre, die ganz anders roch, als der greuliche Qualm, der dort unteu aus der demnächst zu beglückenden Menge schwelte. Er duselte, gewissermaßen mechanisch niederwärts rauchend, so hin, in einem woh'igen Verdauungsfieber, ein sardanapalischeS Earicatiirchen in goldbraun leuchtender Seidenweste, und merkte nicht, daß Einer staunend vor ihm stand und sich Gedanken machte. Ich aber sagte mir: drunten schreien sich armselige Menschen die Kehle wund, dürftige Kerle, di« sich von ihrem Tagelohn die Groschen abzwacken, um sich einen Agitator zu halten, um dem Schächer da einen Gehalt auszusetzen, damit er für sie wirken möge, und er, der nie einen Meißel, nie einen Hammer und über haupt kein andere» Hartdtverkzeug hat führen lernen, al» eine Stahlfeder, deren Orthographie nicht einmal über jede Correctur erhaben ist, er, dem sie die mit saurem Schweiß verdienten Groschen zuwenden, der Führer, der Macher, der VolkSmann, reckelt sich seitab vom gemeinen Schwann, mästet sich mit Deli katessen, schlürft Champagner und schmaucht Havanna. Wa» sie reden, ist ihm Wurst und wa» sie sind, Pöbel, und wa» sie zahlen, nur der Tribut, mit dem die Fürstin ihren Pagen auihaltcn läßt. Und von solch' einem Fouklrnzrr und Maulhelden soll die Be glückung de« arbeitenden Volke» kommen? Solch' »in Lebens- Icigner und Gsheinffchlemmer will die neue Zeit der aus- gleichenden Gerechtigkeit über da« darbende Volk der Lohnsclavrn heraufführen? Solch' ein innerlich fauler Socialcommödiant den Prediger, den hohen Priester, den Apostel der Freiheit ab geben? Nein! Don der Lüge kommt nur Lüge, und Der und Alle, die ihm gleichen, sind schlimmere Feinde des arbeitenden Volke«, al« die alten, die wir bekämpfen und zu allerhand Zu ¬ geständnissen zwingen oder vernichten wollen, schlimmere Feinde, denn sie betrügen uns und achten das Volk für nichts Anderes, als daß es gut genug sei, ihnen zu steuern und ein behaglich Dasein zu gewähren mit dem Schweiß ihres Mühens. Der Mann schlug die Augen auf, sah mich wie durch einen Schleier fragend an, nahm stumm die für die Fürstin bestimmten Briefschaften in Empfang und winkte mir ohne Dank und Gruß, abzutreten. Ich ging, aber jener Anblick in bewegter Nacht, dies behagliche Bildchen eines auf einem Lotterbett verdauenden Gecken auf dem düsteren, qualmigen Hintergrund einer revo lutionsgierigen Volksversammlung hat mich für alle Zeiten vom Glauben geheilt, daß von Solchen, welche die Unzufriedenheit des arbeitenden Volkes ernährt, der Noth wahre Abhilfe zu erhoffen sei. Denn ihr Geschäft und Gehalt beruht auf der Unzufrieden heit und diese auf der Noth oder Verhetzung der arbeitenden Elasten, und so würden sie gegen ihr eigenes Interesse handeln, handelten sie im vollen Ernst für unser Wohl. So hatte ich in meiner Erinnerung ein Gegengift gegen alle Versuchungen. Ich blieb für mich, schadete Niemand und hielt mir Schaden, so er vermeidlich war, sorgsam fern. Ich wurde kein wohlhabender Mann, aber ich nährte mich redlich und konnte meine Kinder zu redlichen Menschen erziehen. Ich that meine Pflicht als Arbeiter, wie als Familienvater, ohne mich um Politik und SocialiSmuS zu kümmern, und eS ging auch so. Es ging — heut zu Tage geht's nicht mehr!" Mit der knöcherichten Faust auf sein Actenbündel schlagend, war der Mann aufgesprungen und sprach nun weiter in steigender Erregung. „Jehi heißt es: Dein Glück, Dein Behagen, Deine Gewohnheit und Deine Ueberzeugung sind gleichgiltig, Du mußt, wie wir wollen, weil und wann wir wollen; auch wenn Du das Gegentheil willst, Du mußt! Hast Du Dein täglich Brod und Sicherheit, es gleichmäßig weiterzuverdicnen, hast Du weder An laß noch Lust zur Verschwörung und gewaltsamen Auflehnung, widerstreben sie Deiner Wohlthat ebenso wie Deiner Ueber zeugung — es ist einerlei: Du mußt, wie wir es befehlen, Du mußt die Arbeit, die Dich seit Jahren ernährt, niederlegen, Du mußt hungern. Du sammt Deiner Familie, Du mußt den Brod- gebern, die Dir allezeit gute Herren gewesen sind, empfindlichen Schaden bereiten, ihnen Krieg erklären und in diesem heillosen Kriege, der mit Hunger und Elend, mit Ausschreitungen und Gcwaltihaien aller Art geführt wird, auSharren, so lange wir's befehlen. Und ihust Du's nicht, willst Du nach Deinen ver alteten Begriffen ein anständiger Mensch, rin seinem Vertrage treuer Arbeiter und rin ruhiger Bürger bleiben, so ächten wir Dich und schädigen Dich und Alle, die zu Dir gehören, daß Ihr auch bei Denen, welchen Ihr die Vertragstreue halten wollt, keine Nahrung, kein Obdach und keinen Schutz finden, sondern verkommen und verrecken sollt gnadenlos, denn also beliebt es uns zu befehlen und Ihr habt widerspruchslos zu gehorchen. Und das ist die Freiheit, die wir meinen." Winkler hielt es hier doch für geboten, die eigene Gesinnung zu wahren, und sagte: „Soll für den ganzen Stand Ersprieß liches geschaffen werden, so muß Eintracht alle Kräfte zum heiligen Zweck zusammenschließen. Muß Krieg geführt werden, so kann die Leitung keine vielköpfige sein. Ohne Gehorsam kein Sieg, auch keiner für die gemeine Wohlfahrt." Ein verächtliches Lächeln verzog bei den Worten „gemeine Wohlfahrt" das faltige Gesicht des kleinen Mannes, der mit der Ueberlezenheit des Schwergeprüften dem Theoretiker zurief: „Hören Sie erst meine Geschichte!" „Im Laufe der Jahre und der Entwickelung unsere Arbeiter verhältnisse hab' ich natürlich auch mit den Wölfen geheult. Ich trat des lieben Friedens halber sogar als Mitglied in eine Ge werkschaft für Maschinenarbeiter ein, obwohl ich nach wie vor überzeugt war, daß gerade für Maschinenarbeit» in Deutschland eine Gewerkschaft keinen vernünftigen Zweck hat. Aber ich wollte Ruhe haben, zahlte mit Ach und Krach meine Beiträge, konnte sonach „reine Wäsche aufweisen", wenn's verlangt wurde. Auch hab' ich bei jeder Gelegenheit meinen Wahlzeiiel nach em pfangener Vorschrift für den socialdemokratischen Candidaien ab gegeben, wie da» so Diele thun, in der Meinung, etwa« zum Besten deS arbeitenden Volkes sei von ihrem Gehabe so oder so immerhin zu erwarten. Ich zahlte die wachsenden Beiträge zu allerhand Tasten, nicht ohne Murren, aber ich zahlte sie. Hätt' ich die gleiche Summe einer Sparkasse anvertraut, ich hätte einen Nothgroschen für schlechte Zeiten gehabt. So gingen sie zu ge meinnützigen Zwecken — schon gut, aber immer an Leute hin, die mir den Stutzer der Fürstin in seinem Oadinet st-parS in« Gedächtniß riefen. Darum hofft' ich von diesen sauer gebrachten Opfern nicht mehr, als daß ich mir die Ruhe damit erkaufen würde, mein Brod weiter zu verdienen wie bisher." „Trotzdem bin ich mir bei meiner nachgiebigen, friedliebenden Natur nicht gewiß, ob ich nicht auch, so sehr ich ihn nach redlicher Ueberzeugung, als ebenso ungerechtfertigt wie zwecklos verdammte, den großen Streik der Metallarbeiter im Oktober vorigen Jahres als gutwilliges Heerdenihier mitgemacht hätte, wäre mir nicht in häuslicher Noth eine Mahnung erstanden, dem Versprechen treu zu bleiben, daS ich meinem Brodherrn al« ehr licher Mann gegeben hatte." „Meine Fanny, die ich erst manches Jahr nach der vorhin ge schilderten Zeit zu meiner Frau habe machen können, hat mir im Lauf unserer Ehe vier Kinder geboren. Die älteste Tochter und der jüngste Sohn waren von kleinauf kräftig. Don den andern Beiden tonnte man das nicht behaupten. Ich wählte da her für meinen ältesten Jungen ein weniger anstrengende« Ge werbe. Ich gab ihm einen Schneider in die Lehre. Wer weiß, vielleicht hätte Hammerschwingen ihn besser entwickelt. Er ging mir ein, wie eine verkümmerte Pflanze, just, da er in die Jahre kam, für sich und die Seinen etwas zu verdienen. Meine älteste Tochter heirathete einen Schlosser aus unserer Fabrik; der derzog später ins Ausland, doch haben Beide auch dort keine Reich- thllmer gesammelt, schlagen sich mit ihrem Halbdutzend Kindern mühsam durch und lassen nichts von sich Horen. Ein zartes achtzehnjähriges Mädel und einen derberen kleinen Jungen halt ich noch zu Hause. Das Mädel, obwohl ziemlich dürftig an Ge statt und mehr zäh al» kräftig, voll guten Willens und jeder Aufopferung fähig, verdiente sich ihren Unterhalt in unserer Fabrik. Der Junge ist ein Spätling und noch schulpflichtig." „Da erkrankte meine Frau, der da« Leben eben nicht leicht gemacht worden war. Die bequemen Tage im Dienst einer reichen Dame waren lange vorbei. Sic hatte die Stellung mir zu Liebe aufgegeben, der seiner Arbeit wegen in die Provinz gegangen war und lange genug hatte warten müssen, sich »inen eigenen Herd zu gründen, so bescheiden er auch war. Nun packte sic ein schleichendes Leiden, dafür die Herren Arrzte keinen Rath, aber »m so mehr fruchtlose Mittel wußten. Sie schleppte sich in Schmerzen herum, kam von Kräften und lag bald Tage lang wie halb todt auf ihrem Bette." „Mein gute« Kind — Gott segne Dir'« — war wie »in Engel am Lager der Mutter. Tagillber in der Fabrik, wachte sie Nachts auf einem Stuhle neben der ungeduldigen Kranken, nur in stundenlangem Schlaf die allernothwendigsten Kräfte sammelnd." „Allmählich besserte sich der kostspielige Zustand meiner Frau so weit, daß sie zeitweilig daS Bett verlassen konnte und Drrtka wieder ihre Nachtruhe hatte. Aber Fanny blieb doch noch kräft ig« und krank. Und an der Tochter rächte sich die arge An strengung. Sie sah blaß und kümmerlich au«, und dabei ward sie so traurig, ach, so traurig — wir wußten nicht, warum. Wir kriegten'» nie ganz heraus und schoben'« auf Ermattung und Bleichsucht, weil sie der Mutier zu Liebe mehr an Kräften aul gegeben, als sie zuzusehen gehabt hatte." „Der Arzt meinte, sie sollte sich etwas zerstreuen, Mit Ihres gleichen verkehren, nicht blo« im stillen Elternhause hocken, sondern sich aufheitern in Ehren, wie'» jungem Blut gesund wäre. Der
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