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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.12.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-12-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190012020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19001202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19001202
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-12
- Tag 1900-12-02
-
Monat
1900-12
-
Jahr
1900
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.12.1900
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Sonntag den 2. December 1900. Anzeigen-Preis die Vgkspaltene Petitzeile SL H Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 vor den Familiennach- richten (t> gespalten) SO Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungeu und Offertenannahme 2Ü (exrl. Portal. Ertra-Beilagen (gesalzt), «ur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrförderung «0.—, mit Postbrförderung 70.—. Ännahmeschlllß sür Anzeigen: Abeud-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgeu-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Dir Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abends 7 Uhr- Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. 9L Jahrgang. Aus -er Woche. Da» Ereigniß der Woche ist für Deutschland da» Er scheinen der Briefe Bismarck'» an seine Braut und Gemahlin. Sie find ein neuer Schatz zu den vielen Schätzen, die der Große seinem Volke zu Füßen gelegt, aber man müßte seine Sprachgewalt besitzen, um die Pracht dieser Gabe, die einen herrlichen Menschen und Schriftsteller offenbart, würdigen zu dürfen. Der Politiker kommt zu kurz, da die eigentlich politischen Stellen, die die Briese jedenfalls enthalten haben, auSgemrrzt sind; aber dennoch, welche Fülle staatsmännischer Weisheit noch immer in diesen bingeworfenen Sätzen! DaS Buch ist ein Lehrbuch wie die „Gedanken und Erinnerungen" und eS zu lesen und wieder zu lesen, da» bat kein Geringerer empfohlen al» Kaiser Wilhelm, indem er in Tangermünde das Wort sprach, nur im Studium der Geschichte und in der Pflege der Traditionen stärke sich daS Bewußtsein einer Nation. Auch in dieser Briefsammlung wird Geschichte gelehrt und werden lleberlieferungen aufgewiesen, ist doch der ganze Bismarck Geschickte und preußisch-deutsche, beste preußisch-deutsche Tra dition. Ed ist nur zu wünschen, daß in den preußischen Schulen, insbesondere in den höheren, bei dem Unterrichte in der Geschickte der Reichsbegründung die Mahnung deS Kaisers beherzigt, und den Jünglingen nicht gesagt werde, was nicht gewesen. Und selbst der eine und der andere Professor der Geschichte an der einen und der anderen deutschen Hochschule hätte Ursache, sich an da» Wort von Tangermünde zu halten. Weit und immer weiter scheinen sich die civilisirten Staaten von einer Verständigung über China, daS soeben wieder ein besonders tbeureS deutsches Opfer in der Person des ritterlichen Grafen Jork gefordert, zu entfernen. Deutsch land und Amerika sind nicht im Einvernehmen und Rußland und England, mit dem Deutschland sich für China verbündet hat, sind eS auch nicht. Es wäre amüsant, wenn eS nicht empörend wäre, wie die deutschen Offiziösen daS „Rückwärts, Rückwärts" bemänteln, da» un- in Ostasien zugerufen wird. Doch da» ist rin ungesundes Thema. Neugierig sind wir nur, wie in den nächsten Auslagen französischer Wörterbücher daS Wort „irrovocadlo" übersetzt sein wird. Die Anstrengungen, den Präsidenten Krüger von einem Besuche Berlins abzuhalten, scheinen vergeblich zu sein. WaS in diesem Falle die Berliner Regierung zu thun, richtiger zu Unterlasten gedenkt, verrathen die ibr ergebenen Federn, deren einer man den Satz entströmen ließ, Krüger werde „vorsichtig und fast ängstlich von allen ossiciellen Per sönlichleiten abgewebrt". DaS stimmt, mit Verlaub, nun doch nicht ganz mit dem Empfange, den der Präsident in Paris ge funden, und es ist zu versieben, wenn deutsche Blätter mit unver hohlenem Neide von dem UnabbängigkeitSgefüble Frankreichs gegenüber Englands sprechen. Auch daß der Wortlaut deS Telegramms vom Januar 1896 in Erinnerung gebracht wird, ist nicht unbegreiflich. Die Osficiösen geben aber nach der anderen Seite noch viel weiter, sie legen es Krüger nabe, sehr nahe, in Berlin auch auf einen Empfang durch nichtosficielle Persönlichkeiten zu verzichten. Welcher Zustand diese, jeden falls unbegründete, Angst vor dem etwaigen EmpfangSredner eingiebt, mag dahingestellt bleiben. Bei alledem sind und bleiben unsere Regierenden Welt- machtSleute und werden auch mittels Druckerschwärze auf Papier al« solche anerkannt. Ganz so heiler, wie unmittel bar nach der Cbina-Debatte im Reichstag, ist der Himmel de- Grafen Bülow aber doch nickt mehr. Die Art, wie über den angeblichen Eindruck seiner Reden im Aus lande officiöS berichtet wurde, wird von sehr ruhi gen Blättern berb getadelt. Jede» ungünstige Urtbeil wurde unterdrückt, dagegen die fadesten Lobeshymnen, namentlick Wiener Blätter, ausführlich wiedergegeben. So muß sich denn die Regierung von einem Organ wie die „Hamb. Nachrichten" sagen lasten: „Da» deutsche Publicum wird demnach durch solche einseitige oder tendenziöse Citate zu einer falschen Austastung der internationalen Situation gebracht. DaS kann sich doch gelegentlich einmal in unan- geuebmer Weise rächen. Aber da» ist auch ein Ergebniß der Epoche der Schaumschlägerei, der Reklame, der Beweib- räucherung und deS äußeren Pompes, in der wir leider leben." Bester fährt die Regierung bei der weiteren Erörterung der 12000 Mark-Sacke. Ein dem Centralverbande deutscher Industrieller nahestehende» Blatt greift den Kanzler fortgesetzt an, weil er diesem Jntereffenverbande, der doch nur an einer an ihn von einem Beamten gestellten Zumuthung Folge gegeben, nickt vertheidigt habe. Da« Organ findet aber kein Ecko, wenigstens kein angenehm tönendes. Es ist in der Thai ein starke» Stück, eS so binstellen zu wollen, als ob der Central verband sich nicht vergangen hätte, als er da» Geld bergab. Wollte er eorrect verfahren, so gab e» für Herrn Bueck nur einen Weg: er mußte den Bettelbrief de» Herrn v. Woedtke in ein Couvert stecken und eingeschrieben an den Reichs kanzler senden. In Berlin raunt man, die Sacke fei für den Beamten und seinen Cbrf noch nicht ab- gethan. Dem widerspricht, WaS den Grafen PosadowSky angebt, u. A. der starke Antheil, den er an den Reichstags verhandlungen der vergangrnen Woche nehmen konnte und in denen er seine unzweifelhafte Begabung für die Behandlung socialpolitischer und verwandter Gegenstände wiederum offen barte. Ein scharfer Angriff der „Agrarcorrrspondenz" auf den Grafen Bülow war allerdings unter dem Ein drücke der Gerüchte über eine Erschütterung der Stellung de» Grafen Posadowrky erfolgt. Aber di« „Deutsche Tageszeitung" wachte die Campagne nicht mit. Sckoa am nächsten Mittwoch soll der „Tsleranz"- Antrag de» E«ntrum» im Reichstage zur Beratbung gelangen und die Centrum«prrffe leitet da« Gefecht durch Artikel eia, dir theil« an Heuchelei, theil» an Schmähungen, namentlich gegen Sachsen, nicht» zu wünschen übrig lasten Im ReickStag wird die „Toleranz" der Ultramontanen und werdru ihr« Hintergedanken von den nationalen Parteien entsprechend beleuchtet werden. E« ist aber auch dringend nöthia, daß der Reichskanzler an der Abwehr tbrilnuumk; dir Mchtdetheiligung dr» BundrSrath» an den Brrbandlungen von Initiativanträgen bildet zwar die Regel, aber eine solche, von der schon Ausnahmen gemacht worden sind. Das Zand muß wissen, wie es in Bezug auf den Ultramon- taniSmuS mit dem neuen Kanzler daran ist, für zögernde- Diplomatisiren bietet eine Frage, wie die von der religiösen Duldsamkeit der die „gesegneten Scheiterhaufen" besingenden Klerikalen angeregte ist, dem preußischen Minister präsidenten keinen Raum, und der deutsche Reichskanzler dars nicht laviren, wo es gilt, die Nechle der Bundesstaaten zu schützen. Hat Graf Bülow e- doch selbst als eine seiner Hauptaufgaben bezeichnet, daS gute Einvernehmen mit den Einzelregierungen ausrecht zu erhalten. Die Wirren in China. * Petersburg, l. December. Anläßlich des Ablebens deS Obersten Grafen Jork bemerkt die „Nvwoje Wrcmja" in ihrem heutigen Leitartikel: In unseren militärischen Kreisen, in welchen man den Grafen Derk, der die russische Sprache vortrefflich beherrschte, als einen hervorragenden Ossicier schätzte, wird sein frühzeitiges Hinscheiden aufrichtig bedauert. (Wiederholt.) * Rom, 1. December. Der „Agenzia Stesani" wird aus Taku vom 30. November gemeldet: Nachrichten, die dem Admiral Candianr zugegangen sink, besläiigen, daß die deutsch-italienische Truppenabtheilung, welche nach Kalgan abgesandt worden ist, am 2. oder 3. December wieder in Peking einlreffen dürfte. — Mille December wird die Eisenbabn von Sckanhaikwan nach Peking für den Verkehr eröffnet werden. * Paris, 1. December. Im heutigen Ministerrathe legte der Minister des Auswärtigen, Delcass6, mehrere Tele gramme vor, die sich auf die Lage in China beziehen. Daraus rrgiebt sich, daß durch französische Kanonen boote und chinesische Truppen bi: Ebneten in dem Be zirk Tschuntak, in der Provinz Canton, zurückgelcilet wurden. Ferner wurden in den Ortschaften amtliche An schläge gemacht, durch die Strafen angcdioht werden un < besonders den Behörden und Würdenträgern angekündigt wird, daß im Falle neuer Unruhen ihre Güter confiscirt werden. Eine Anzahl Chinesen, die des MorccS schuldig be funden waren, wurden angesichts der französtscken Kanonen boote, in Gegenwart von Abgesandten des Consuls, hin gerichtet. * Peking, 29. November. (Meldung der „Agence Havaö".) Der französische Gesandte Pichon ist ermächtigt worden, wenn alle Gesandten einig sind, die Vorschläge, welche von den Ges andten angenommen sind, zu unterzeichnen und den Chinesen zuzustellen. Neue chinesische Spiegelfechtereien. Aus London,29. November, wird uns geschrieben: „Der Kaiser kommt nach Peking", — so lautet die letzte officielle chinesische Meldung. Sie kommt uns aus englischer und amerikanischer Quelle und von sonst zuverlässigen Correspondenten, aber beide haben als alleinige Garantie „osfi- cielle chinesische Quellen". Was das heißt, wissen wir zur Genüge, und wüßten wir es nicht, so belehrt uns gerade heute Li-Hung-tschang selbst darüber in einem Interview, daß er dem Correspondenteck des Neapeler „Corriere Della Sera" erthcilt. Li sagt, nach diesem Gewährsmanne nicht nur, daß China gar nicht daran denken könne, die von den Mächten ge forderten Strafen an den Hauptschuldigen zu vollziehen, oder „gar" die ungeheure Entschädigungssumme zu zahlen, wie es ebenso entschlossen sei, keine Anleihe zu machen, welche den Groß mächten gemeinsam oder im Einzelnen die Controle von Chinas Finanzen oder auch nur von dessen Zolleinnahmen in die Hand spielen soll, und Li schließt damit, „der Kaiser wird nicht nach Peking zurückkehren, bis die Verhandlungen zum Abschluß ge langt sind". Etwas Anderes Hai auch kein wirklicher Kenner der chinesischen Verhältnisse je erwartet, denn, kehrte wirklich dieser Schattenkaiser nach der bisherigen chinesischen Hauptstadt zurück, so lange diese sich im Besitze der alliirten Truppen be findet, so würde er den eigenen Unterthanen als deren frei williger Gefangener erscheinen und jeder wirklichen Autorität bis auf den letzten Schein entkleidet sein. Die chinesischen Würden träger rechnen offenbar gerade auf diese Thaisache bei ihrem neuestem Doppelspiel, bei dem die Kaiserin-Wittwe lediglich das Werkzeug ihrer Imperatoren sein mag. — Beides kommt auf dasselbe heraus. Es gilt wiederum, die Mächte zu trennen oder, wenn man will, deren latente Meinungsver schiedenheiten zur offenen Differenz zu verschärfen, vielleicht gleichzeitig denjenigen Großmächten, welche eine Politik des Abwiegelns verfolgen, einen neuen Vorwand zum Hinschleppen jeder thatkräftigen Entscheidung zu liefern. Ein solcher würde thatsächlich gegeben sein, wäre ernstlich mit der Rückkehr des Kaiser» nach Peking zu rechnen. Die entscheidendste und weitest gehende hierauf bezügliche Meldung kommt denn auch wieder aus amerikanischer Quelle. Sie lautet dahin, die chinesischen Kom missare hätten es sich angelegen sein lassen, in letzter Zeit wieder holt Meldungen nach Singan-fu zu senden, deren Inhalt darauf berechnet sei, die Kaiserin in Schrecken zu setzen. (Die Kaiserin ist also salbst nach afficiellen chinesischen Quellen auch heute noch Diejenige, welche die Friedensverhand lungen verhindert.) Unter diesen Meldungen constatirt die eine, daß die Großmächte, ärgerlich über die andauernde Abwesenheit deS HofeS, die Frage der Einsetzung einer neuen Dynastie dlSeuttrten. Eine zweite Note benachrichtigt den Hof, der deutsche und der französische Admiral hätten den Vicekönig von Nanking besucht, denselben gefragt, weshalb er Tribut nach Singan-fu send«, und ihn notifictrt, daß er alle weiteren Lieferungen ein zustellen habe. Dir chinesischen Kommissare, heißt es weiter, in- struirten den Vicekönig, in gleichem Sinne nach Singan-fu zu telegraphieren, und schickten ihrersett» eine Note an Uung-lu, welcher sich gleichfalls in Singan-fu befindet, um ihn zu benach richtigen, daß er angeklagt werde, die schuldigen Beamten, be sonders Tung-fu-siang, zu beschützen, und ihn zu warnen, das die Mächte möglicher Weise seinen eigenen Kopf fordern könnten Duna-lu antwortete darauf mit einem entrüsteten Protest und der Erklärung, er biet« Alle» auf, um dir Großmächte zu be friedigen. Er fügte hinzu, der Thron (was immer das heißen mag) gehe jetzt mit dem Plane um, Tung-fu-siang mit einer Mission nach Kan-su zu betrauen, und wenn dieser Plan gc länge, würde der Hof aus der Gewalt Tung-fu-siang's, (in der er sich also wieder nach officieller chinesischer Quelle thatsächlich noch immer befindet), befreit sein, und die Schuldigen bestrafen können. Die Kaiserin sei jetzt bereit, Du-Hsien enthaupten zu lassen, vielleicht auch noch zwei andere und die übrigen Schul digen, deren Bestrafung die Mächte forderten, für ewige Zeiten zu verbannen." Soweit diese amerikanisch-officiell-chinesische Information, die wieder recht hübsch durch die gleichzeitige weitere Nachricht illustrirt wird, daß es „Du-Hsien" jetzt endlich glücklich gelungen sei, sich trotz seiner engen Kerkerhaft selbst zu entleiben. Der Korrespondent der „Morning Post" in Shanghai hat, offenbar durch Lügen- Scheng Aehnliches erfahren, meldet aber, — er ist bekanntlich durch Schaden klug geworden, — nur, es gehe' ein Gerücht, die Kaiserin-Wittwe habe ihre Zustimmung zur Rück kehr des Kaisers nach Peking gegeben, aber wohlweislich unter der Bedingung, daß sie selbst in Singan-fu bleibe. Das ist denn auch offenbar der ganzen Spiegelfechterei eigentlicher Kern: kommt cs zum Schlimmsten, und sind Li-Hung-tschang und Prinz Sching am Ende ihrer Diplomatie angekommen, so ver spricht man, natürlich gegen die nöthigen Zugeständnisse, die Rückkehr des Kaisers, ja, man setzt dieselbe äußersten Falles so gar in Scene, und genügt das Alles noch nicht, um die erwünschte weitere Gnadenfrist zu erlangen und die Mächte zu entzweien, so läßt man den Kaiser nach endlosem Hintanhalten langsam und feierlichst nach Peking zurückkehren und dortselbst den in zwischen eingeleiteten Friedensverhandlungen durch seine Gegen wart den nöthigen„Jmpuls" geben, und ist dann der Friede glücklich durch einen kläglichen Kompromiß zu Stande ge kommen, so hat ihn doch nur der machtlose Schattenkaiser ge schlossen, und wenn die Truppen der Großmächte einmal ab gezogen sind, oder wenigstens einigen der Großmächte der Vor wand zum Ausscheiden aus dem dann officiell als überflüssig geworden erwiesenen Concerte geliefert ist, dann wird die wirk liche Regierung Chinas, der „Thron", d. h. die Kaiserin-Mutter, in -Singan-fu mit ihren Trabanten immer noch thun können, was sie will, und jedenfalls von diesem Frieden nur das aner kennen, was ihr in ihren chinesischen Kram paßt. * Hnnnenbricfe 1870. Ein Leser der „Hilfe", Sohn des in Folgendem genannten Arztes, schreibt uns: Die jetzt durch die Presse gehenden deutschen Sol datenbriefe aus China, die sogenannten „Hunnen briefe", erinnern an eine kleine Begebenheit aus dem deutsch französischen Kriege von 1870/71. Ein Arzt, der damals in einer norddeutschen Stadt prakticirte, hatte Gelegenheit, in einer Familie von kleinen Leuten, Arbeitern oder Handwerkern, den Brief eines im Felde stehenden Sohnes zu lesen. Dieser junge Krieger, der erst mit einer Ersatztruppe ins Feld gezogen war, erzählte Schauerdinge, die er bei Eintreibung einer Kontribution in einem französischen Dorfe selbst erlebt haben wollte. Zuerst seien einige verwundete französische Soldaten niedergemacht worden, und „dann ging die Metzelei los, und als ich genug gemetzelt hatte, hörte ich damit auf." So hatte ungefähr, — wenn auch nicht wörtlich, so doch dem Sinne nach —, in jenem Briefe gestanden. — Einige Zeit später kam jener Arzt als freiwilliger Theilnehmer an einem Lazarethzuge auch nach Frankreich und passirte jenes Dorf, welches an der Haupt- etappcnstraße gelegen war. Hier erfuhr er an Ort und Stelle den wahren Sachverhalt. Einwohner jenes Dorfes sollten als Franktireurs auf deutsche Truppen geschossen haben; deshalb war dem Dorfe zur Strafe eine Kontribution auferlegt worden, mit deren Eintreiben jene Ersatztruppe beauftragt war. Dabei war Alles in Ordnung und Ruhe vor sich gegangen, ohne jede Gewaltthat oder gar Blutvergießen. Jener junge Mann hatte also lediglich mit der Erzählung erfundener Greuelthaten seinen Eltern daheim imponiren wollen. — Man ersieht daraus also, daß der Krieg zwar verrohend auf die Gemllther wirkt, daß aber nicht Alles wörtlich wahr zu sein braucht, was in solchen Feld briefen erzählt wird. Der Lrieg in Südafrika. * Paris, l. December. Präsident Krüger verließ in einem geschlossenen Wagen 1 Uhr Mittags daS Hotel Scribe, von 6ar<1es ropublicaiues begleitet. Eine zahlreiche Menschen menge batte sich nach dem Nordbahnhose begeben und bereitete ihm Huldigungen. * Capstadt, 30. November. (Reuter.) Oberst Meyrji'ch mit einem Bataillon Ueomanry hat am 25. November Lickt en bürg besetzt, ohne auf Widerstand zu stoßen. Er batte indessen zehn Meilen von der Stadt entfernt, em hart näckige» Gefecht mit 400 Boeren zu bestehen. * Durban, 1. December. (Reuter.) Die Boeren ent falten im Bezirke Stanverton eine große Tätigkeit. Gestern kam eS in der Nähe von Standerton zu einem Scharmützel. Tie englische Niederlage bet DewetStzsrp. Unser Lonvoner Correspondent schreibt uns unterm 30. No vember: 400 Mann der besten englischen Truppen, schottische Hochländer, irländische Füsiliere, sowie ein Theil des Gloucester-Regiments haben vor den unerschrockenen Reitern Dewet's die Waffen strecken müssen, sie konnten sich, obaleich sie Artillerie besaßen, nicht in Dewetsdorp halten, und Haven nach zweitägigem harten Kampfe, bei dem 75 Mann ge fechtsunfähig gemacht wurden, die weiße Flagge gehißt. Das ist die schwerste Niederlage, die die Engländer seit der sogenann ten Beendigung des Krieges, di« so stolz proclamirt wurd«, gehabt haben, und all« Anzeichen deuten darauf hin, daß dt«s« glänzende Action Dewet'» nur der Anfang rin«» n«u«n und kühn«nF«ldzugt»ist. Er hat sich keine Zeit zum Feiern seine» Siege» gelassen, sondern ist unverzüglich weiter vor- marschirt, nach Süden, direct auf die LapcolonI« zu. Wir wissen trotz aller Anstrengungen, die man englischrrseit» gemacht hat, um da« Factum zu verschleiern, daß die Colonie reif zum Aufstande ist, und di« tollkühne Expedition Dewet'I, der sich be reits dicht vor den Ufern de» Oranjeriver befindet, gewinnt durch Viesen Umstand doppelt« Bedeutung. Au» der Eolont» sind ihm in den letzten Wochen, wie selbst die Rhodesprcsse zugiebt, eine große Anzahl Capholländer, sowie auch Uitländer zugekommen, and sein Kommando, das nach den Meldungen des englischen Generalissimus jetzt schon mindestens ein Dutzend Mal „voll ständig aufgerieben", oder, wie Reuter triumphirend mittheilt, „zersprengt" worden ist, wird heute von Roberts selbst auf 3000 Mann beziffert. Das war schlimme Botschaft für England, uns thatsächlich nehmen nahezu alle Blätter die Sache sehr ernst. Man erinnert sich jetzt auf einmal, daß wir uns wieder in der selben Jahreszeit befinden, wie zur Zeit der ersten Boercnerfolge, man versteht plötzlich nicht, warum Roberts die 20 000 Mann, um die er erst vor Kurzem so dringend gebeten hat, nicht er hielt, und seit langer Zeit fragt man sich zum ersten Male wieoer, wie es denn eigentlich mit den Verlustlisten und der thatsächlichen Stärke der britischen Arme« in Südafrika bestellt ist. Dabei zeigt sich denn, daß Niemand etwas Genaues weiß. Ein Theil der Colonialtruppen, von denen übrigens durchaus nicht so viele vorhanden waren, wie man nach den bombastischen Berichten glauben mußte, ist unzufrieden mit der Kriegsfüh- rung nach Hause zurückgekehrt, die alberne Garde, die die stel lungslosen Cityclerks bildeten, ist von Roberts wieder nach Hause gesandt worden, und von den Kerntruppen sind viele Tausend krank, Tausende getödtet, und so wird es verständlich, daß Roberts erklärt, mit dem Rest die Boeren nicht bezwingen zu können. Seit Wochen sind die Gesammtoerluste nicht bekannt ge macht worden, nur hin und wieder erfährt man, daß wieder ein Transport von so und so viel Kranken fortgesandt wurde. Da gegen hieß es fortwährend, daß überhaupt keine Boeren mehr im Felde stehen, daß cs sich für die Armee jetzt nur noch um einen Polizeidienst gegen Marodeure handelt, und so fort. Die Meldung über die Katastrophe bei Dewetsdorp, die übrigens sehr der Gefangennahme der fünf Regimenter bei ReSdersburg, die ebenfalls durch Dewet geschah, ähnelt, wird auch diesmal in ein ganz harmloses Gewand gekleidet, und Lord Roberts erwähnt die Sache in wenigen Zeilen ganz nebenbei in einer seiner langen Depeschen, an die er uns in den letzten Wochen gewöhnt hat. Davon, daß die Vorhut Dewet's thatsächlich Donnerstag, den 28., bereits am Oranjerioer, und zwar bei Sanddrift, er schienen ist, das englische Lager attakirt hat und dann ebenso schnell verschwunden, wie sie gekommen war, erwähnt der General nichts, ebenso wenig von der Thatsachc, daß bei Kimberley und Pardeberg wieder große Boerencommandos stehen. Dagegen hat der „Daily Chroniclc" die Unverfrorenheit, heute voller Triumph zu verkünden, daß Dewet wieder einmal vollständig geschlagen sei; gemeint ist damit die Action von Vaalbank, wo General Knox vergeblich versuchte, Dewet aufzuhaltcn, selbst zurück gedrängt wurde, aber auf den Spuren der Dewet'schen Reiter zwei verlassene Ochsenwagen „erbeutete". Deutsches Reich. * Leipzig, 1. December. Die „Leipziger Volks zeitung" siebt sich genöthigt, folgenden, ibr von dem Vorstande der socialdemokratischen ReichStagS- fraction ertheilten Rüffel zu veröffentlichen: Erklärung. Die socialdemokratische Fraktion hat sich mit dem Conflicte beschäftigt, der zwischen der Buchdruckern der „Leipziger Bolks- zcitung" und ten Leipziger Parteigenossen einerseits, den aus ständigen Setzern und dem Verbände der Buchdrucker andererseits entstanden ist. Die socialdemokratische Fraction constatirt, daß es sich in diesem Eonflict nicht um Meinungsverschiedenheiten wegen der Arbeits bedingungen bandelt, die allen Ansprüchen der gewerkschaftlich organisirten Arbeiter entsprechen. Es handelt sich vielmehr nur darum, daß die Geschästslritung der Buchdruckerei der „Leipziger Volkszeitung" auf Beschluß der Leipziger Parteigenossen den Grund satz auistellte, daß bei Entlassung von Arbeitern die Frage maß gebend sein solle, ob die Betreffenden an der agitatorisch«» Lhätigkeit für die socialdemokratische Partei sich betheiligen oder nicht. Infolge der Einführung von Setzmaschinen war die GeschästS- leitung grnSthigt, Arbeiter zu entlassen; nachdem bereit» vor einiger Zeit zwei Mitglieder der Buchdruckergrwerkfchaft entlassen worden waren, wurde neuerdings auf Grund jeae» gefaßten Be schlüsse» zwei Mitgliedern de» Buchdruckerverband«» gekündigt, die in Gemeiuschast mit ihren Berbandscollegen diese Gründe für ihr« Kündigung nicht anerkannten, weshalb sämmtltche in der „Leipziger Volkszeitung" beschäftigten Mitglieder de» Buchdruckerverbandes kündigten und die Arbeit niederlegten. Die Fraction ist von jeher, und zwar uuter Zustimmung der ganzen Partei, dagegen ausgetreten, wenn die Leiter von Staats oder Privatbetrieben Arbeiter entließen, weil diese einer ihuni miß- lirbigen Partei angehörten. Bon diesem Gesichtspunkte au» kann die Fraktion eS auch nicht billigen, daß die Frage, ob eia Ar beiter »in» gewünscht» politische Thätigkeit auSüb« oder nicht, bet der Kündigung oder Entlassung in Parteigeschästen entscheidend sei. Die Fraktion spricht deshalb die Hoffnung auS, daß di« Leipziger Parteigenossen Alles ausbirtrn werdrn, um den gemacht»» Mißgriff auSzugleichen und dir daraus entsprungenen Differenzen zu beseitigen, sie erwartet aber auch, daß der Buchdruckerverband eia« Kampftags« eiustellt, welche di» herrschend« Berbitterung »nr verschärfen »aß. Di, Fraktion erklärt sich bereit, die vermittel,ag »wisch«, den Streitenden zu übernehme». Berlin, den SO. November 1900. Im Austrag» der Fraktion: »er Yract«,,»»»rß,ntz. Auer. Bebel. Mristnr. Psannkuch- Ginger. Der FractionSvorfland verfährt »eg«, da» Leipziger Parteiblatt noch schonend insofern, al» er ZU glaube, vor- gieb», daß die Leipziger Parteigenoffen vollzäbttg hinter bet „Bolk-zeitung" stänke», und al» er auch Vie Kampf^weif« be» Buchdruckerverbände» tadelt. Ader dies« Schonung reicht nickt hin, die Bitterkeit de» Rüffel» zu vrrsüßeu, den di« „Bolk-zeitung" vorläufig schweigend binniwwt.
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