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8074 halten bezüglich de» Rechte-, ibre Gesandtschaft«» zn be schützen und die nöthigen Borkehrungen dazu zu treffen, um jederzeit zu denselben gelange» zu können. Die Antwort erklärt schließlich, der Präsident nebme an, daß Fraukeeich und die anderen Mächte in den von Amerika gemachten Borbehalten kein Hmderniß für die Eröffnung von Berhand- lunaeu aus den vorgeschlageneu Grundlagen erblicken, und er hoffe, daß solche bald eingeleitrt werden. Der Krieg in Südafrika. -t-. Der Guerillakrieg, der den Engländern an allen Enden zu schaffen macht, hat wieder einmal einen Erfolg der Voeren gezeitigt. Wir berichteten schon, daß bei Kapmuiden, also bei einer der letzten Stationen der Delagoabahn in der Nähe der portugiesischen Grenze, die Boeren einen Bahnzug zum Entgleisen brachten und der Bedienungsmannschaft sowohl al- den zur Hilfe herbeieilenden Engländern, wie Lord Roberts selbst telegraphirt, schwere Verluste zufügten. Derartige Schläge werden ja das Gesammtresultat des Feldzuges nicht ändern, aber sie zeigen doch, daß die Kraft der Boeren noch keineswegs gebrochen ist, daß die Engländer das „occupirte" Terrain noch keineswegs be herrschen und daß die britischen Officiere noch keineswegs von der ihnen angeborenen blind und blöd drauflosgehenden Un vorsichtigkeit curirt sind. Auch bei Krügersdorp, nicht weit westlich von Johannesburg, haben die Engländer unter General Barton noch Kämpfe zu bestehen, rin erneuter Beweis dafür, daß der „Aufruhr" noch überall gährt. Bcncral Buller soll am 1. October noch ein Rencontre mit den Voeren bei Krügerspost, nördlich von Lydenburg, gehabt, worüber uns berichtet wird: * Loudon, kl. Lctover. Dem „Rentcr'jchcn Bureau" wird aus Lydenburg vom 2. Octobei gemeldet: Die Bocren beschossen gestern Morgen von 0 bis 7 Uhr das Lager Bullcr'S bei Krügcrspost; die britischen Truppen hatten nur wenig Verluste. Line Abtheitung von 200 Mann Cavalieri: verließ das Lager, nm die Kanonen der Boeren Zu nehmen. Sie rirr 4 Stundcr laug nach dem Hügel, wo die Boeren ihre Si-ellunz inne hauen; doch als sie dort anlamen, fanden sie dir Bocren und deren Kanonen nicht mehr vor. (Wiederholt und berichtigt.) Solch' vergebliche Ritte wird Bullcr im Norden von Lyden burg häufig haben machen muffen. Die Boeren haben ihm überall aufs Heftigste zugesetzt, er vermochte gegen sie nichts, auch rein gar nichts auszurichten, und zog es, nachdem er den Feind eine Zeit lang „in wilder Flucht vor sich hergejagt", schließlich Vor, über Lydenburg (am ö.) nach der Delagoabahn Zurückzulehren, um nicht noch zuletzt von seiner Verprovianti- rungsbasis abgeschnitten Zu werden. So kann sich noch Manches ereignen. . . . Kruger'S wrburtötaa; 12 Monate Krieg; (englische Mißerfolge. AuS Loudon, 10. Oktober, wird uns geschrieben: Heute ist der 75. Geburtstag des Präsidenten Krüger und gleich zeitig der Jahrestag der Uebersendung des Ultimatums leitens der beiden Präsidenten an die englische Regierung. Die ge stimmte englisch: Presse ergeht sich in weitschweifigen Betrach tungen über das verflossene Kriegsjahr und, soweit die Jingo- und Khakiblätter in Betracht kommen, in vielfach geradezu widerlichen Strafpredigten und bombastischen Anklagen gegen den bösen Ohm Paul Krüger, „der durch sein obstinates und selbstsüchtiges Verhalten eine riesige Blutschuld auf sich geladen und die beiden südafrikanischen Republiken zu Grunde gerichtet hat". — Es ist natürlich das Bequemste, die Schuld auf Andere zu wälzen und dadurch vielleicht die eigenen Ge wissensbisse zu beruhigen oder zu betäuben. — Die meisten Londoner Blätter nehmen sich die Mühe, den Inhalt des Boeren- Ultimatums zu recapituliren und von Neuem mit englischer Buldogg-Verbissenheit durchzuhecheln. England wird es eben dem Präsidenten Krüger niemals verzeihen, daß er damals John Dull die Masks vom Gesichte riß und den mit denkbar größter Unverfrorenheit in Scene gesetzten britischen Rüstungen durch fein Ultimatum, das den hochmüthigen Briten wie ein Peitschen hieb traf, und zwar sehr zur Unzeit, zuvorkam. Mit einer wahren Wolllust und mit rachsüchtigem Behagen wird also heute der arme, besiegte Ohm Paul von der Presse Englands in einer Weise ab- und ausgeschlachtct, die einem Kannibalenstamme Ehre machen würde, der soeben mit reicher Beute siegreich aus blutigem Kampfe mit einem Nivalenvolke hervorgcgangen ist. Schön und empfehlenswerth ist dieses wüste, frohlockende Jndianergcheul sicherlich nicht, und außer dem wird es noch durch einige wenig erfreuliche Nachrichten vom Kriegsschauplätze in gewissem Grade Lügen gestraft. General De Wet und seine „Banditen" sollen allerdings wieder einmal aufgerieben, decimirt, zersprengt und völlig ent- muthigt worden sein, und zwar in der Nähe von Dredefort im Freistaat, aber die Boeren, 1000 Mann mit fünf Kanonen, die angeblich „thoroughly demoralisrd", voll ständig demoralisirt, auseinandergrsioben und geflohen sind, haben sich natürlich einfach vor der zwanzigfachen Uebermacht der Engländer unter D: Lislc zurückgezogen, ohne «in einziges Geschütz in den Händen des Feindes zu lasse», so daß der bri tische Triumph wohl wieder einmal ein recht imaginärer ge wesen sein dürfte. — Andererseits haben dir Freistaatler in aller Seelenruhe die Orte Wcprncr, Nouxville und Ficksburg besetzt, die vor Kurzem von den Engländern wieder geräumt worden waren, weil man im Hauptquartier deren fernere Or-upation nicht mehr für erforderlich hielt. (Sie sollen nun wieder in den Händen der Engländer sein. D. Red.) Das Erstaunen der englischen Vcrwaltunzsbeamten an diesen Plätzen muß allerdings groß gewesen sein, als wie vom Himmel geschneit, einige regu läre BoerencommandoS anrücktcn, Alles mit Beschlag belegten und die Flagge des Freistaats auf den Stadthallen hißten, nach dem man sich längst in vollständiger Sicherheit gewiegt und den ganzen Bezirk als vom Feinde gesäubert betrachtet hatte. Das Räthsel für die Engländer ist immer wieder: „Woher kommen diese verflixten BoerencommandoS) Wir haben sie doch längst alle in die Winde zerstreut oder zerschmettert." — Heute kommt nun noch ein Telegramm von Südafrika, welches die stolze Mel dung macht, daß „General Rundl; bereits die Umzingelung dieser frechen Marodeurbanden in dem betreffenden Bezirke in Scene gesetzt hat, und daß es für dieselben schon kein Entkommen mehr giebt, es sei denn über di: Basutogrenze, wo natürlich die Ba- sutoneger schwer gewaffnet und blutdürstig auf den Moment lauern, wo sie über ihre alten Feinde, die Boeren, herfallcn und ihr Müthchen an denselben kühlen können." — Bereits früher sind derartige Meldungen in ähnlichen Fällen nach England ge macht, und nachher durch den Gang der Ereignisse Lügen gestraft worden. — Ein Blick auf die Karte genügt, um zu zeigen, daß es zum Mindesten eine langwierige und umfangreich; Operation sein muß, mittels derer diese prompte „Umzingelung" perfect gemacht werden könnte. Wepener liegt ca. 110 engl. Meilen in gerader Luftlinie und 150 Wegmeilen von FickSburg entfernt, sowie ca. 60 Meilen von Rouxville, während es von Rouxville bis Ficksburg 160 Meilen sind. Dieser Landcomplcx wird also nicht gut von heute auf morgen zu cernircn sein, und inzwischen bleibt das für die Engländer beschämende Factum bestehe, daß dieser District im Osten und Südosten des Freistaates mehrere Male unter schweren Verlusten an Mannschaften, Zeit und Geld „gesäubert" wurde, und doch noch heut» in dieser Weise von den Boeren regulär occupirt und beherrscht werden kann. Schla gendere Beweise für die Hinfälligkeit der beliebten englischen Theorie, daß der eigentliche Krieg längst vorbei ist und die noch fechtenden Boeren nichts als Marodeure sind, können gar nicht erbracht werden, und wenn Lord Roberts seiner Zeit sofort nach der Einnahme von Bloemfontein, wie von verständigen Leuten erwartet wurde, von genanntem Orte bis zur Basutogrenze einen dichten Trupprncordon gezogen und in gehöriger Stärke er halten hätte, so würden die seit Monaten andauernden, unendlich ermüdenden und, wie Figura zeigt, undankbaren Operationen im Südosten von Anbeginn erfolgreicher und in ihren Resultaten nachhaltiger gewesen sein. — Aber damals mußte Lord Roberts mehr darauf bedacht sein, im Interesse der englischen Aktionärs dis Gold- und Diamantengruben des Johannesburg-Distriktes so schnell als möglich zu sichern, obwohl dieselben in ihrer Existenz niemals von der Transvaalregierung bedroht waren. Das Märchen von der beabsichtigten Zerstörung der Minen ge hört zu den unzähligen officiellen Lügen dieses Raubkrieges, und war ein von der Londoner Stock-Exchange geschickt und frech lancirte Ente. — „Der Krieg der Lüge" wurde der südafrika nische Feldzug sehr treffend von einem radikalen Politiker in voriger Woche genannt, und schwerlich ist jemals in der Welt geschichte ein derartiges officielles und officiöses Verdrehen und Entstellen der Wahrheit, ein solch' kolossales Lügensystem eines civilisirien Volles und seiner Regierung dagewesen, als wie es in diesen letzten zwölf Monaten auf englischer Sei:: zu Tage trat. Wie der Herr, so das System, und nicht nur dle englisch» Parlamentswahl, sondern anscheinend die ganze officrelle Moral Englands ist „verchamberlaint". Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. October. Wieder einmal werden in verschiedenen Blättern Angaben über den Taz gemacht, an dem der Reichstag werde ein berufen werden, wieder einmal sind diese Angaben ver schieden und wieder einmal wird voraussichtlich morgen von ofsiciöser Seite versichert, daß ein Beschluß über den Cin- berufungötaz noch nicht vorliege. Dann wird abermals ge fragt werde», warum ein solcher Beschluß noch nicht gefaßt sei, und zu der Fülle von Gerüchten über die Ursache der Verzögerung wird eine Menge von neuen Gerüchten kommen, die sicherlich nicht dazu beitragen werden, die Ungeduld der nach parlamentarischen Emotionen lüsternen Leser zu be schwichtigen. Es wäre daher zu wünschen, daß endlich von berufener Seite ein aufllärendes Wort gesagt würde. Jüngst war von anscheinend ofsiciöser Seile behauptet worden, die Nichteinberufunz deS Reichstags im Sommer sei im aus drücklichen Einvernehmen mit den Führern der großen parlamentarischen Gruppen erfolgt. Die Folge dieser Behauptung ist, daß heute die „Nat.-Lib. Corr." erklärt, von einem derartigen Einvernehmen sei der Führung der »a t io n al- liberalrn Fraclion des Reichstags nichts bekannt, mid daß die „Germania" sich folgendermaßen vernehmen läßt: „Wir können mit aller Bestimmtheit erkläre», daß mit Leu Führern de» CeutrumS über »tue Eiuberusuug deS Reichs- togS ouS Anlaß der chinesischen Wirren und der dadurch vrr- nrfachtcu Autgaben oder aus einem anderen Anlässe nicht ver- handelk worden ist, weder mündlich, noch schriftlich. Die Führer des CentrumS würde», wie wir ebenso bestimmt erkläre» könne», es sonst nicht unterlassen habe», sich mit allem Ernst und Nachdruck für die sofortige Berufung des Reichstages auSzuspreche». Ta aber die „B. N. Nachr." sich ihren Lesern gegenüber nicht nur als ein vssiciöstS, sogar in die augrblichen Ver handlungen der Regierung mit Leu „Führern der großen parla mentarischen Gruppen" besonders eingeweihtcS Blatt ausspielen, so fordern wir sie hiermit öffentlich zu einer Erklärung darüber auf, 1) ob überhaupt mit Führern des CentrumS über die Nicht- eiliberustmg deS Reichstags feitenS der Regierung verhandelt worden und ob mit denselben «in von ihr behauptetes Einver nehmen über die Nichteinberufung des Reichstags erfolgt ist; 2) eventuell welche Führer des CentrumS in diese Verhandlungen einbezogcn worden sind und ihr Einvernchmen kundgegebea haben." Nun hat es ja nickt viel auf sich, wenn die Führer maß gebender Fraktionen für die Verzögerung der Einberufuuz nicht mit verantwortlich gemacht fein wollen, oder wenn ein Streit über die Personen entsteht, di» angeblich für die Nichteiubernfunz sich erklärt haben. Aber nicht ganz gleich- gilliz kann es für die Negierung sein, wenn Gerüchte über Uneinigkeit in ihrem Lager verbreitet und zur Erregung einer Mißstimmung anSgenützt werden. So batte d. T. ein Hamburger Blatt gemeldet, nach seinen Informationell habe s. Z. in den betbeiligten Regierungsstellen keineswegs Einhelligkeit der Meinungen darüber geherrscht, ob die Einberufung erforderlich sei oder nicht. Wen» die chleunige Berufung deS Reichstages trotzdem unterblieben sei, so sei dasauf persönliche» Betreiben des Reichs kan zlerS Fürsten Hohenlohe zurückznsühren, der die Berufung im Sommer unbequem gefunden habe, sowie unrathsam, weil der Kaiser abwesend sei und man außerdem zu fürchten habe, Laß die kurz vorher in Wilhelmshaven gehaltenen Reden über die deutsche Politik wahrscheinlich im Reichstage von frei sinniger und socialdemok'. arischer Seite zum Gegenstände miß liebiger Angriffe gemacht werden würde». Dem gegenüber behauptet nun das in Hagen erscheinende „Wests. Tazebl.": „Wir können auf Grund von Mittheilungen, die uns von durch aus zuständiger Seite geworden sind, mit Bestimmtheit be haupten, daß man in den bctheiligten Regierungsstellen ein stimmig der Meinung war, daß eine Einberufung des Reichs tages sehr opportun sei. Laß aber der Kaiser sich entschieden geweigert habe, diesen Schritt zn thun. Dir Nachricht des Hamburger Blattes von MeinungsverschieLenheiteii in NezierungS. kreisen und von dem Eingreifen Les Reichskanzlers ist demnach un zutreffend. WaS de» Kaiser zu seiucr Weigerung bewogen hat, ent zieht sich selbstverständlich unserer Beurtheilung, jedenfalls ist er durch die verantwortlichen Minister nicht eindringlich genug aus Len durch seinen Entschluß begaugruen Fehler der versäumten Gelegenheit aufmerksam gemacht worden." Da eS zu den Rechten deS Kaisers gehört, über die Einberufung deS Reichstage» zu befinden, so ist eS ja nicht ganz unmöglich, daß er dieses Recht seinen Ratbgebern gegen über gewahrt habe. Und ist eS auch nicht wahrscheinlich, daß er den Rath der Männer, die im Reichstage die späte Einberufung des Reichstags zu vertreten haben werden, zurückgewiesen haben sollte, so kümmern sich bekanntlich solche Kreise, die in der Erregung von Mißstimmung gegen die höchste Stelle im Reiche eine LteblingSausgabe erblicken, um die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit eines ihren Zwecke» dienenden Gerüchtes blutwenig. Soll weiterer Legendenbildung und ihren Folgen vorgebeugt werden, so wird endlich eine Entscheidung über die Einberufung dcS Parlaments getroffen werden müssen. Für daSZusammenwirken zwischen der orotzpolnischcn Pro paganda und den führenden Blättern des CentrumS lieHt wieder ein durchschlagendes Beweisstück vor. Aus Posen läßt sich die „Germania" soeben schreiben: „Bekanntlich hat eiue Reihe junger Damen (Polinnen) in Posen, welche armen polnischen Kindern unentgeltlich Unter- rtcHd iv der Muttersprache ertheilten, Strafmandate von 100 erhalten. Die jungen Mädchen legten dagegen Berufung ein, die Gerichte erklärten sich aber für inkompetent in dieser Angelegenheit. Schließlich ging die Sache an das Ministerium, kam dann wieder nach Posen zurück und man hörte Monate lang nichts Lavon. Eine der Damen, Fräulein Janina Omankowska, sollte vor längerer Zeit gepfändet werden, die Pfändung verlief aber resultatlo». Heute theilt der „Dzienntk" mit, Fräulein Oman» kowska fei zu btägiger Tefängntßstrafe verurthetlt worden uud hab« am heutigen Tag« ihre Strafe angetreteu." Bekamitlich haben diese Polinnen polnischen Sprach- »uterrichl ertheilt, obwohl ihnen die Erthcilung diese- Unter richt-, dessen Spitze sich gegen die Volksschule kehrte, vorher bei Strafe verboten worden war. Sie ertheilten den Schul unterricht au polnische Kinder, die ihnen von den Eltern zu geführt worden waren. Es mögen auch einige Kinder un begüterter Eltern darunter gewesen sein. Im Uebrigea wird mit dem Ausdruck „arme" Kinder lediglich die nichtsnutzige Spekulation auf Sentimentalität versucht, vie stet» wiederkehrt, sobald der KlerikaliSmu« einfache Leute, die der gesetzlichen Bestimmungen nicht kundig sind, in den Stacheldraht ihm un bequemer gesetzlicher Bestimmungen bineingetrieben hat. Und nun zu der „Märtyrerin", Fräulein Janina OmankowSka. Es ist dies dieselbe Dame, die in der am 8. September in Posen abzehaltencn polnischen Volksversammlung, die gegen die be kannte Sprachenverfügung de» CultuSministerS vr. Studt demonstrirle, eine regelrechte Hetzrede dielt und dabei da- be rüchtigte Schlagwort auSgab, die polnischen Kinder sagten jetzt statt „Gelobt sei Jesu- CbristuS", „Galopp JesuS Christus". Dieselbe Dame bat weiter zu der Deputation gehört, die nach der Versammlung dem Erzbischof l)r. v. StablewSli die Protestkundgebung überreichte, und ist, wie polnische Blätter weiter zu berichten wußten, sammt den übrigen Theilnehmern mit dem erzbischöf lichen Segen ausgezeichnet und in der polnischen Presse gehörig gefeiert worden. Wegen Uebertrrtung der gesetzlichen Vorschriften bei Ertheiluug von Privatunterricht war derselben Dame schon vorher eine Geldstrafe zudictirt worden, deren Geringfügigkeit daran zu crmesfen ist, daß im Falle der Nichtzahlung der Strafe eine Haft von fünf Tagen in Aussicht gestellt wurde. Der grvßpvlniscbeu Agitation wäre eS eine Kleinigkeit gewesen, dafür aufzukommen; denn erst vor wenigen Tagen sind einem der führenden Posener Polenblätter von einem unbekannten Geber 1000 zur Verfügung ge stellt worden, um polnische Schulfibeln dafür zu vertheilen. Fräulein Janina aber zog eS vor, sämmtliche Stationen des MärlyrertbuinS dnrchzumachen, und so ließ sie sich zunächst, natürlich resultatloS, pfänden und dann einstecken,woraufprompt die polnische Hctzpresse aufforderte, „die Märtyrerin dadurch zu ehren, daß man die polnische Fibel massenhaft aufkaufe und dir Kinder zum Polnischlernen mit demselben Eifer ansporne, mit dem Fräulein OmankowSka die polnischen Kinder unter richtet bade". Wir wollen nicht bestreiten, daß aus diese Weise dir genannte Dame auf dem besten Wege ist, bei den untersten Schichten der polnischen Bevölkerung als eine halbe „Jungfrau von Orleans" zu werden, aber bei den bevor stehenden Polendebatten im preußischen Abgeordnetenhaus« wird darauf hingewiese» werden müssen, welchen Antheil die Presse de- CentrumS an solchen Märtyrerkomödien hat. Uebrr den Genossen Miüeraud als kommenden Mairn schreibt man der „Täglichen Rundschau" vom 10. October aus Paris: Sollte Herr Millerand einmal, wie er und seine Freund: wohl hoffen, Präsident der socialen Republik werden, di: heraufzufühcen cr angeblich die allergrößten Anstrengungen macht, so dürfte er in Bezug auf äußere Ehrungen schon etwas verwöhnt sein. Denn was ihm vorgestern und gestern auf seiner Reise in das französische „schwarze Land", das im geographischen Handbuch den Namen de Calais führt, zu Theil wurde, das war der Empfang eines Staatschefs und nicht mehr eine» gewöhn lichen Mitarbeiters des Cabinets. Es heißt auch, daß man im Elysee diese etwas übertriebenen Ehrungen nicht ganz angenehm empfunden habe. Man glaubt, daß der Minister auf eine zu breite und glänzende Plattform gestellt worden sei. Die Nord bahn hatte ihm für di: Jnspectionsreise in dem Kohlenland einen Sondrrzuz zurecht gemacht, der „Figaro" entsandte zusammen mit dem Minister seinen berühmten Barden, den Sänger der officiellen Staatsfeste, Herrn Charles Chincholle, der sonst nur für den Präsidenten der Republik selbst in Anspruch genommen wird; Herr Chincholle sandte seinem Blatte spaltenlang:, b:- geistert; Depeschen über den Triumph Millerand's und wies mehrmals darauf hin, daß ein ähnlich begeisterter Empfang der ganzen Bevölkerung seit den Tagen des unglücklichen Carnot nicht mehr dagewesen sssi. In Arras, der Hauptstadt des Arondisse- ments, wo der Minister den Extrazug verließ, ward er von den Spitzen der civilen Gewalt, den Oberstcominandirenden der Gar nison und dem höhen Klerus empfangen, die mit einander wett eiferten, dem „Socialisien" ihre Huldigung zu Füßen zu legen. In Lens ging es ähnlich. Wie man auch über die Reden denken mag, die der Minister bei dieser Gelegenheit hielt, so ist doch jedenfalls die große Geschicklichkeit dieses Mannes, der offenbar im Ministerium commandirt und sich ein breites Piedestal für seine Person in der Oeffentlichkeit zu schaffen versteht, nicht zu bezweifeln. Man wird sich in der Zukunft noch mit ihm zu beschäftigen haben. Denn seine Carrisre beginnt erst. nicht sprechen. Vielleicht hatte sie auch ein wenig Furcht, um ihrem Vater zu sagen, was sie bewegte. „Was hast Du ihr wieder für Teufelspossen erzählt, Du altes Waschmaul", fuhr Herr Nichbert nun ärgerlich und polternd die alte Machtild an, die ihrerseits nun sehr aufgeregt wurd: und in ihrer sonderlichen Art drohend mit dem Kopfe nickend sich vcrtheidigte: „Ja, ich, und immer wieder nur ich! Was soll ich ihr denn erzählt haben? Gehe ich vielleicht auch bis spät in der Nacht aufs Rathhaus und lasse arme, wehrlose Frauen in der Nacht allein im Hause? Immer nur ich und nie er!" „Das ist ein rechter Jammer mit Euch Weibervolk", fuhr Herr Richbert polternd und zornig auf die Alte blickend fort, zu gleicher Zeit aber sanft mit der Hand über Friedcl's dunklen Lockenkopf fahrend, „Du weißt doch, daß Friedel leicht erregbar und sehr empfindlich ist für allerhand Eindrücke, und wenn Du ihr dann allerlei Teufclsspuk und Fabelkram erzählst, so setzt sie sich gar leicht allerlei ins Köpfchen." Dann wieder zu Friedel gewandt, fuhr er zärtlich fort: „Sei gut Friedel, weine nicht und leg Dich zu Bett, so wird morgen Alles wieder gut. Du weißt, morgen ist's Walpertstag, morgen geht's lustig her und sind schon eine Menge Pfeifer in der Stadt, die Euch jungem Volk morgen zum Tanz aufspirlen wollen. Da mußt Du mir gesund sein, Friedel. Jetzt geh'." Schüchtern fragend sah ihm Friedel ins Gesicht. Sie hätte wohl gern gesagt, was sie auf dem Herzen hatte, aber sie traute ihrem Vater nicht das rechte Verständniß dafür zu, oder schämte sich vielleicht vor ihm, ihre innersten, ihr kaum selbst verständlichen Gefühle zu erklären. „Fort, Alte, koch' ihr Thee", räsonnirte Herr Richbert un- muthig weiter, „so wird sich'S wohl wieder geben." Brummend, in fast komischer Weise für sich hin räsonnirend und drohend mit dem Kopfe nickend, führte die alle Machtild Friedel davon. Herr Richbert reckte sich müde aus und griff dann nach dem Sims in die Höhe, von wo er eine Weinlanne herlongte, aus der er einen tüchtigen Trunk that. Darauf setzte er sich an das offene Fenster und sah nachdenklich in dir Nacht hinaus. Es war jetzt Alles ruhig da draußen. Aber Herr Richbert horchte auch nicht, wie Friedel, nach wandernden Spiel leuten und fahrenden Gesellen, sondern seine Augen lagen viel mehr prüfend auf Thor und Wall und Mauern, soweit er es augenblicklich übersehen konnte, und fragte sich, ob sie wohl auch fest genug sein mochten, um die gute Stadt Rappoltsweiler in so unruhigen und bösen Zeiten gegen olle Gefahren zu schützen. Es that wohl noih, nach Wall und Mauern zu schcn, denn es war eine Zeit, die alle Bande sprengen, alles Hergebrachte verändern und vernichten wollte. Keiner wollte mehr Knecht und Keiner sollte mehr Herr sein. Niemand wußte mehr, was eigentlich im Land: Rechtens sei, denn das alte, gute, hergebrachte Recht der Deutschen sollte plötzlich nicht mehr gelten — man sandte von jenseits der Alpen, von Rom, ftudirte Leute nach ganz Deutschland, die ein neues Recht brachten. Sogar der alte Gott sollte nicht mehr so sein, wie cr immer war, sondern oben im Norden von Deutschland waren Leute aufgestandcn, Bilder stürmer und Wiedertäufer, di; viel Unfug und Grausamkeiten verübten, sengend und brennend das Land durchzogen und einen neuen Gott predigten. Was Wunder, wenn Len Leuten von all' dem die Köpfe rappelten. Herr Richbert wußte es sehr wohl, und alle rechtlich denkenden Leut: in der guten Stadt Rappoltsweiler fühlten es mit ihm, daß Welt und Menschen seiner Zeit leider Gottes nicht so waren, wie sie hätten sein sollen oder sein können. Man sehnte und seufzte nach einem neuen Heiland, nach einem Welt verbesserer oder Erlöser, aber diese Unthaten, grausig und henkermäßig, diese Mordbrennereien, Bauernaufstände und Bar bareien, von denen das Land von einem Ende zum anderen widerhallte — davon konnte man Loch keine Verbesserung der Welt erwarten! Das war Ruin, Untergang, dessen man sich mit aller Macht erwehren mußt». Der Bundschuh regte sich, nachdem er den Sundgau, Schwaben und Baden verheert, nun auch in Rappoltsweiler und Umgegend. Geheim: Zusammenkünfte wurden abgehalten, ein unheimliches Bangen und Fragen ging unter den Leuten hin und her, Keiner traute mehr dem Anderen, Nachbar dem Nach bar nicht, und der Rath von Rappoltsweiler war unter dem Vortritt des regierenden Herrn der Herrschaft Rappoltstein, zu der Rappoltsweiler als Hauptort gehörte, des Herrn Ulrich von Rappoltstein, zusammengetreten, um zu berathen, was unter solchen Umständen zur Sicherheit der Stadt und zur Sicherheit von Blut und Leben und Eigenthum der Bürger zu thun sei. Man war nicht geneigt, herumsirolchendem Gesindel Haus und Hof als gute Beute zu überliefern, und Herr Richbert war einer der kräftigsten und heftigsten Redner im Rath der Stadt gewesen. Das war noch keine Stunde her, daß er an seiner Bank auf dem Rathhause gestanden und mit lautem und eindringlichem Wort" seinen Mitbürgern und seinem angeerbten Herrn Treue unterein ander und Einigkeit gepredigt. Noch jetzt zitterte die Erregung davon in ihm nach. Was waren aber alle Worte und Reden gegen den neuen aufrührerischen Geist der Freiheit und Unab hängigkeit, der wie ein Rausch die Leute erregte? Es mochten darunter viele Leute sein, denen es ehrlich darum zu thun war, Bedrückung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit von sich und An deren mit guten Waffen und im guten Streit abzuwehren. Mochte man gerechte Ansprüche befriedigen. DaS war Herrn Nichbert's heiligstes Gebet. Mochte man gerecht sein gegen Freund und Feind, gegen Hoch und Niedrig, damit nicht die Ungerechtigkeit der wenigen Großen im Lande d:n Sauerteig ab gäbe, der den Umsturz aller Dinge und das große Unglück des Landes entwickle. Herr Ulrich von Rappoltstein war nicht der Schlechtesten Einer in jener Zeit. Er hatte schon vor mehreren Jahr;n, eben in Folg» der unruhigen und unsicheren Zeiten, aus eigenen Mitteln eine Stadtmiliz zum Schutze der Stadt Rappoltsweiler eingesührt. Das hatte sich bisher auch ganz gut bewährt. Die Miliz bestand aus Rappoltsteinschen Söldnern, die aber meist in Rappoltsweiler geboren waren. Jetzt aber stand die Sache so, daß Herr Richbert sich fragte, ob cs nicht hohe Zeit sei, eine neue Stadtmiliz zu schaffen, die auf die alte aufpasse. Die alte Miliz mit dem Junker von Hohnaä an der Spitze, war ein faules, verbummeltes Pack, auf das kein Verlaß in Zeiten wirk licher Gefahr war, wenngleich es aus dem Säckel des Herrn Ulrich bezahlt wurde. Es sah fast aus, als ob die Söldner das Geld nähmen wie eine Gebühr dafür, daß sie Ruhe hielten, nicht daß sie für Ruhe sorgen sollten. Dazu kam noch ein anderer Umstand, der just in dieser Zeit die Leute von Rappoltsweiler in Aufregung brachte und Herrn Richbert zu denken gab. Im Chorgang der St. Eregori-Kirche, wo sich das Erobegräbniß Derer von Rappoltstein befand, stand nämlich seit undenklichen Zeiten ein steinerner Sarkophag, aber nicht, wie das in Begräbnißstätten gewöhnlich ist, wagerccht, sondern aufrecht, so daß der darin Begrabene auch noch in seinem Tode auf dcn Füßen stand. Von diesem Sarkophag erzählte die Sage, daß er die sterblichen Ueberreste des Ahn herrn der Rappoltsteiner, oder doch des Begründers der Herr schaft Rapoltstein, Namens Ratbert oder Ratpold enthalte, der in seiner Todesstunde die Prophezeiung gemacht habe, daß die Herrschaft Rappoltstein so lange blühen und gedeihen werde, so lange er aufrecht stehe. Nun behaupteten die Leute von Rappolts weiler, und besonders Diejenigen, die mit dem jetzigen Zustand der Dinge unzufrieden waren, der Sarkophag s«i in der Nacht umgefallen, dann aber heimlich, ohne daß es Jemand erfahren habe, wieder von Neuem aufgerichtet worden, um das bevor stehende Ende der Herrschaft Rappoltstrin nicht ruchbar werden zu lassen. Herr Richbert war ein kluger, vielgereister Mann. Er hatte als Handwerksmann in seiner Jugend ein gut Theil von Ober- und Niederdeutschland, Wälschland und die freien Eidgenossen schaften durchwandert und wußte wohl, was von solchen Sagen und Aberglauben zu halten war. Kein Mensch konnte wissen, ob die Sage Recht behielt oder nicht, am allerwenigsten aber Diejenigen, di« jetzt am lautesten schrieen vom bevorstehenden Ende drr Rappoltsteiner Herrschaft. Er sah in ihren Machen schaften und Zettelungrn nur d«n Wunsch Derer, dir mit der be stehenden Ordnung nicht zufrieden, sie beseitigen und dabei im Trüben sischen wollten. Nichts lag dem einfachen und ehrlichen Rechtsgefühl Meister Nichbert's ferner, als den bedrückten und von den Gewalthabern bis aufs Blut geschundenen Bauern sein Mitgefühl und seine werkthätige Hilfe zur Verbesserung ihrer Lage vorzuenthalten, oder den Vollsaussaugcrn das Wort zu reden. Im Gegentheil erachtete er es für eine der vornehmsten Pflichten der Herren und Großen im Reiche, für das „Wohl" des Volkes zu sorgen, uud diese Pflicht war verletzt. Das Wohl des Volkes hatte sich in grauenhaftes Elend verwandelt. Dummheit, Aberglaube und Armuth des Volkes war die Saat, aus der Gewaltthätigkeit und Barbarei, Aufstand gegen die eigenen Herren, Uneinigkeit, der alte Jammer der Deutschen, aufschoß und das Reich dem fremden Eindringling in die Hände spielte. Mochte also Der zu Grunde gehen, der seine Pflicht am Volke verletzte. In dieser Beziehung war Herr Richbert zugleich der ordnungsliebende und der revo lutionärste Mann seiner Zeit. Aber er wollte nichts m>t Wege lagerern, mit Mordbrennern und Gaunerbanden zu thun haben. Was aber konnte er, der einzelne Mann, wenngleich er die Bewegung seiner Zeit sah und begriff, thun? Seufzend stand er wieder auf und ging nach dem anstoßenden Gemach, wo sein Kind auf dem Ruhebett lag und schlief. Das war seine Welt; was ging ihm das Reich an? Lange leuchtete er mit der Lampe in die frischey, zarten und doch so energischen Gcsichtszüge Walfriedens. Er sah zum ersten Mal, daß sein Kind zu einer Jungfrau erblüht war, und besann sich darauf, daß sie nun bald achtzehn Jahre alt sein würde. Herr Richbert war davon überrascht, und es wurde ihm sonderbar wohlig und sorglich ums Herz, als er sich sagen mußte, daß wohl nun auch die Zeit kam, wo er für einen würdigen Eidam sorgen mußte. Als sorgsamer Mann und guter Hausvater hatte Rich bert eine hübsche Anzahl Goldgulden in der Truhe, Haus und Heim waren wohl im Stande, er hatte also auch das Recht und die Pflicht, für Friedel einen Eidam zu verlangen, der sich sehen lassen konnte. Plötzlich wurde sein Gedankengayg unterbrochen und mit angehaltenrm Äthern lauschte er auf einige verworrene Worte oder Töne, die Walfrieda im Schlaf sprach oder sang. Was war das? Leise, eintönig, unbewußt wie die nach zitternden Regungen der Seele im erschlafften Körper, kam es von Friedel's Lippen: „Fremd zieh' ich meine Straßen, Verlassen verlassen verlassen!" „Hm, hm!" machte Herr Richbert verdutzt. „Das Kind ein; Frau!" Der Gedanke schien ihm noch nicht recht einleuchtend zu sein, und beschäftigte ihn noch lange Zeit, als er ebenfalls schon auf seinem Ruhrlager au-gestreckt lag. Endlich schlief auch er «in. (Fortsetzung folgt.)