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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.10.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001017018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900101701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900101701
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-10
- Tag 1900-10-17
-
Monat
1900-10
-
Jahr
1900
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Änrtsösatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rnthes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen »Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reelame» «»ter dem RedacttouSstrich (4 gespalten) 75 vor den Famillennach- richten («gespalten) SO Tabellarischer nnd Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenaanahme 25 (excl. Porw). Extra Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AnSgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Anoahmeschluß für Anzeige«: Lbeud-LuSgabe: Lormittag« 10 Uhr. Morgeu-ÄuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei de» Filialen und Annahmestelle» je eise halb« Stunde früher. Anzeige» sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expeditton ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Druck und Berlag vo» E. Polz in Leipzig. Mittwoch den 17. October 1900. 91. Jahrgang. Das Kgl. Sächsische Oberverwaltungsgericht. i. Nach dem vom letzten Landtage verabschiedeten Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege wird mit dem I. Januar nächsten Jahres in Sachsen ein Oberverwaltungsgerichtshof ins Leben treten, wie er in Preußen bereits seit 25 Jahren besteht. Das Kgl. Sächsische Oberverwaltungsgericht nimmt seinen Sitz in Dresden. Es wird zunächst aus einem Präsidenten, einem Senatspräsidenten und 8 Räthen bestehen, die auf Vor schlag des Gesammtministeriums vom König auf Lebenszeit er nannt und zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienste befähigt sein müssen. Mit dem Oberverwaltungsgerichte zugleich treten die Kreishauptmannschaften als Verwal tungsgerichte erster Instanz in Thätigkeit. Die Zahl der Kreishauptmannschaften ist bekanntlich vom 1. October d. I. ab aus fünf (Dresden, Leipzig, Zwickau, Bautzen und Chemnitz) er höht worden. Die Kreishauptmannschaften als Verwaltungs gerichte erster Instanz entscheiden auf Klagen in Partei streitigkeiten des öffentlichen Rechts (§ 21 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 19. Juli d. I.). Unter Verwaltungsstreitsachen (streitigen Verwaltungssachen, Verwaltungsstreitigkeiten, Streitigkeiten des öffentlichen Rechts) sind alle diejenigen Angelegenheiten zu verstehen, die von den Ver waltungsgerichten in der Form der Verwaltungsrechtspflege zu erledigen sind. Es sind dies zunächst folgende, bisher bereits zur Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden (mit Ausnahme von Punct 1) gehörende Gegenstände: 1) Vermögensrechtliche Ansprüche der Ge meinde- oder Bezirksbeamten an die Gemeinde oder den Bezirk aus ihrem Dienstverhältniß, insbesondere Ansprüche auf Besoldung, Wartegeld, Unterstützung, Ruhegehalt, durch Ge setz oder Verordnung bestimmte Gebühren für dienstliche Verrich tungen, desgleichen die den Hinterbliebenen dieser Beamten zu stehenden Rechtsansprüche auf Ruhegehalt oder sonstige Bewil ligungen. Dabei sind die Entscheidungen der Tisciplinar- und Ver waltungsbehörden insoweit maßgebend, als sic einen Beamten aus seinem Amte entfernen, zeitweilig oder dauernd in den Ruhe stand versetzen, vorläufig seines Dienstes entheben oder mit Ver- mögenSslrasen belegen. Nach der bisher herrschenden Doctrin und Praxis gehörten bekanntlich überall da, wo nicht eine ausdrückliche gesetzliche Aus nahme vorlag, die Ansprüche der öffentlichen Beamten und ihrer Hinterbliebenen auf Gehalt und Pension auf den Rechtsweg. Gleichzeitig wird die Zuständigkeit des Ministeriums des Innern zur Entscheidung von Streitigkeiten über die Pensionsberech tigung besoldeter Rathsmitglieder (8 96 der Revidirten Städte- Ordnung) und der auf Lebenszeit augestellten Bürgermeister der mittleren und kleinen Städte (Art. IV, 8 17 der St.-Ordng. s. mittlere u. kl. Städte) beseitigt. 2) Ansprüche öffentlicher Bediensteter und öffentlich bestellter Gewerbetreibender an die Betheilgten auf Gebühren, sofern nicht dafür der ordentliche Rechtsweg offen steht oder ausdrücklich ein anderes Verfahren ge ordnet ist. Hierbei kommen insbesondere die Hebammen, die Leichenfrauen, die Fleischbeschauer, die mit der Grubenräumung beauftragten Gemeindeorgane u. s. w., im Gebiete der Schule unter Umständen auch die Schuldiener, ferner die öffentlich angestellten Gewerbe treibenden (K§ 36 u. 39 der Gew.-O.) in Betracht. 3) Die Zugehörigkeit eines Grundstücks zu einer politischen oder Schulgemeinde oder zu einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Verbände oder zu einem selbst ständigen Gutsbezirke, sowie die Frage, ob einem Gute die Eigenschaft eines selbstständigen Gutsbezirks zukommt, wenn hierüber unter diesen Betheiligten Streit entsteht. Hier sind Grenz st reitigkeiten gemeint, die zwischen den communalen Bezirken selbst entstehen. 4) Die Rechte und Verbindlichkeiten, die siH aus einem öffentlich -rechtlichen Verbände, s« es zwischen ihm und den einzelnen Bestandtheilen oder zwischen diesen unter einander ergeben (Ortsarmen- und Gemeinde verbände, Bezirks- und Schulverbände, Hebammenbezirke, Wege- und Spritzcnverbände u. s. w.), soweit nicht nach be sonderer gesetzlicher Vorschrift das Verfahren anders ge regelt ist. 5) Ansprüche der Armenverbände gegeneinander, sowie gegen den Staat wegen der öffentlichen Unterstützung Hilfsbedürftiger (wie sie schon jetzt im Administrativjustiz verfahren entschieden werden). 6) Die Frage, ob eine Straße fiscalisch i st oder nicht, desgleichen die Verpflichtung, öffentliche Wege sammt Zubehör nach Maßgabe des Gesetzes über die Wegebau pflicht vom 12. Januar 1870 zu bauen und zu unterhalten, oder den Aufwand dafür in den Fällen der Paragraphen 8, 7n und 11 (besondere Verbindlichkeiten einzelner Gemeinde glieder oder Elasten derselben, oder anderer Personen; Verbind lichkeiten dieser Art, die mit gewissen, den Verpflichteten dafür zustehenden Vortheilen verbunden sind; Aenderungcn der Ge- meindeflurzubehörigkeit) zu erstatten, sofern hierbei mehrere Betheiligte einander gegenüberstehen. Regulirungcn der Wegebaupflicht bei Aenderungen der Gemeindebezirke sind Acte der Regierungsgewalt und gehören daher nicht zur Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, sie bilden vielmehr für diese eine bindende Norm bei der Entscheidung über die Baupflicht. 7) Die sonstigen im öffentlichen Rechte begründeten An sprüche eines Unternehmers auf die Rückerstattung de» Auf» wandes für beschatte und freigelegte Straßen« und Platzflächen, für hergestellte Straßen, Plätze, Brücken und Entwässerungsanlagen, sowie für die übrigen Anliegerleistungen. 8) Die Frage, ob und in welchem Umfange einem Wege oder einem Platze die Eigenschaft eines öffentlichen zukommt, wenn die Wegebaupflichtigen mit einander oder mit dem betheiligten Grundstücksbesitzer darüber streiten. 9) Ansprüche wegen der Benutzung und Unter haltung fließender Gewässer, sofern diese An sprüche nicht auf Privatrechtstiteln beruhen und bei ihnen mehrere Betheiligte sich gegenüberstehen. Eine grundsätzliche Regelung der Zuständigkeit der Justiz- und Verwaltungsbehörden auf dem Gebiete des Wasser- rechts muß dem diesen Gegenstand behandelnden besonderen Gesetzentwürfe, der bereits in Angriff genommen ist, Vorbehalten bleiben. 10) Ansprüche, die ». nach dem §58 des KrankenversicherungS - Ge setz e s in der Fassung vom 10. April 1892 und b. nach dem § 12 des Gesetzes vom 5. Mai 1886 über die Unfall- und Krankenversicherung der in Iand - und forstwirthschaftlichen Betrieben beschäftigten Personen, verbunden mit dem 8 25 des sächsischen Gesetzes vom 22. März 1888 zu entscheiden sind; (für die nach § 58 Abs. 1 des Krankenversicherungs-Gesetzes zu behandelnden Streitigkeiten war cs nach der neuen Fassung vom 10. April 1892 zweifelhaft geworden, ob sie noch im ordentlichen Rechtswege oder im Verwaltungsstreit verfahren zu entscheiden wären. Dieser Zweifel ist durch die Entscheidungen des Reichsgerichts vom 9. Juli 1896 und des Oberlandesgerichtes Dresden vom 28. October desselben Jahres zu Gunsten des Verwaltungsstreitverfahrens be hoben worden. Dadurch gestalten sich die auf diesem Gebiete früher verwickelten Zuständigkeitsverhältnisie erheblich einfacher); ferner c- in dem 8 8 des Gesetzes vom 11. Juli 1887 über die Unfallversicherung der bei Bauten beschäftigten Personen bezeichnet sind, sowie <t. über die in den Paragraphen 23 Abs. 2 und 50 Abs. 3 in Verbindung mit §51 desJnvalidenversicherungs- gesetzes in der Fassung vom 19. Juli 1899 genannten Er satzansprüche und Ansprüche auf Ueberweisung von Entschädi gungsbeträgen, allenthalben, soweit danach das Verwaltungsstreitverfahren vorgeschrieben oder zulässig ist. Indem nun aber die oben unter 1—10 aufgrzählten Gegen stände als Partei st reitigkeiten des öffentlichen Rechts bezeichnet und den Kreishauptmannschaften zur Ent scheidung übertragen werden, werden sie damit zugleich auch grundsätzlich der Zuständigkeit der ordentlichen Ge richte entzogen. Das Oberverwaltungsgericht entscheidet: 1) in zweiter Instanz über die Berufung und die Beschwerde, 2) in erster und letzter Instanz über dieAnfechtungS- klage, sowie über die Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens. (§ 22 des gen. Gesetzes). Die Berufung steht den Parteien zu gegen die Urtheile der Kreishauptmannfchaften und gegen Vorentscheidungen der letzteren; die Berufung ist ausgeschlossen, wenn die Urtheile nach besonderer gesetzlicher Vorschrift cndgiltig sind. (8 62.) Die Beschwerde gegen das Verfahren (8 70) ist in fol genden Fällen zulässig: 1) Verwerfung der Ablehnung eines Richters, eines Sach verständigen oder eines Dolmetschers; 2) Festsetzung einer Strafe wegen Ungebühr in der Sitzung oder gegen einen einzelnen Richter bei Vornahme von Amts handlungen außerhalb der Sitzung, sowie wegen ungebührlicher Schreibweise; 3) Verweigerung der Einsicht in die Acten und der Er- theilung von Abschriften; 4) Versagung der Genehmigung zur Zurücknahme der Klage; 5) Beiladung und Verwerfung deS Antrages auf Beiladung; 6) Straffestsetzung gegen die zum persönlichen Erscheinen ge ladene Partei wegen Ungehorsams; 7) Verurtheilung des geladenen, aber nicht erschienenen Zeugen in Kosten und Strafe, desgleichen Anordnung der zwangsweisen Vorführung; 8) Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Zeugnisses; 9) Verurtheilung des Zeugen in Kosten und Strafe wegen ungerechtfertigter Verweigerung d«S Zeugnisses oder des Eides, desgleichen Anordnung von Haft zur Erzwingung des Zeug nisses; 10) Verurtheilung des Sachverständigen in Kosten und Strafe wegen Nichterscheinens oder ungerechtfertigter Ver weigerung des Gutachtens; 11) Festsetzung der Gebühren für Zeugen und Sach verständige durch den Vorsitzenden deS Gerichts oder durch die ersuchte Behörde; 12) Berichtigung einer Entscheidung; 13) Ablehnung der Einleitung oder Fortsetzung deS Ver fahrens; 14) Entscheidung über Einwendungen im Zwangsvoll streckungsverfahren in Betreff des Streitgegenstandes oder gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung; 15) Entscheidung über den Kostenpunkt, wenn keine Ent scheidung in der Hauptsache ergangen ist; 16) Verurtheilung von Vertretern u. s. w. zum Tragen schuldhafter Weise veranlaßter Proceßkosten; 17) Festsetzung der erstattungifähigen Proceßkosten und 18) Entscheidung über Erinnerungen gegen den Ansatz ge richtlicher Gebühren oder Auslagen. Die Wirren in China. Grtzetzitta« nach Paattngf«. DaS britische Contingent der auf dem Marsche nach Paotingfu befindlichen Eolonne bat, wie auS Tientsin 15/10. gemeldet wird, gestern Tulin erreicht. Die britische LuftschifffahrtS-Abtheilung traf hier rin. „Agence HavaS" berichtet au» Tientsin unter dem 15. October: Gerüchtweise verlautet, in Paotingfu sei der Befehl der Kaiserin-Wittwe einaetroffen. Widerstand bis auf da» Aeußerst« zu Insten. Die Verbündeten werden sofort bei ihrer Ankunft di« Uebergabe der Stadt verlangen und sie, fall» Widerstand geleistet wird, beschießen. Die Einwohner sollen dann exemplarisch bestraft werden. — Dem diplomatischen EorpS ist da» kaiserlich« Edict vom 1. October noch sicht zugegange»; »an begiuat daher, an seiner Echtheit zu zweifeln. Sun-jat-sen, der Organisator deS Aufstandes gegen die Mandschu-Dynastie, wie er genannt wird, ist, woran der .Bert. Local-Anzeiger" erinnert, bereits vor einigen Jahren Mittelpunkt eines Vor gangs gewesen, der die gesammte Culturweit beschäftigte und mit Unwillen gegen China erfüllte. Ungeheures Aufsehen erregte damals in London die Nachricht, ein dort lebender Zopfträger sei mit List in die chinesische Ge ¬ sandtschaft" gelockt worden. Dort halte man ihn gefangen und wolle ihn nach China tranSportiren. Welches Schicksal dort des als Rebellen gekennzeichneten Mannes harrte, war leicht vorauszuschen. Unk so größer war daber der Eifer der Bevölkerung und der Behörden, den Chinesen seinen Landsleuten zu entreißen, waS denn auch nach einigem Sträuben der Gesandtschaft und einigen Ouerzügen gelang. Der Chinese aber, der damals das all gemeine menschliche Interesse erregt und Englands Volk und Negierung veranlaßt batte, für ihn einznschrciten, war kein anderer als der in dieser Zeit der Wirrnisse plötzlich aufgetauchtc Sun-jat-sen. Damals war er aus Geheiß des bekannten ViceköuigS von Nanking Tschou-tschi-tong ergriffen worden, um todt oder lebendig nach der Heimath gebracht zu werden. Den Haß der Machthaber zu Peking hatte er aber auch verdient. Denn Sun-jat-sen war in Wort und Schrift gegen die Mandschn-Herrschast zu Felde gezogen. Die Dynastie allein machte er für den Niedergang seines Vater landes verantwortlich, und dementsprechend erblickte er in der Vertreibung der MandschuS die Vorbedingung für Chinas Wiedergeburt. Insofern steht Sun-jat-sen Kang-yu-wei feind lich gegenüber. Auch dieser betrieb die Reformirung des Reichs, aber er glaubte dies möglich mit Hilfe des jetzigen Kaiserhauses. Eine Erhebung unter Sun-jat-sen ist daher gleichbedeutend mit einer Erhebung der Chinesen gegen die ihnen fremde Dynastie ter Mandschus. Weitere Meldungen. * Tientsin, 15. October. („Reuter'S Bureau".) Der neue britische Gesandte Satow ist heute Morgen nach Peking abgereist. * Petersburg, 16. October. (Telegramm.) Der „Rc- gieeungSbote" weilt mit, daß infolge der Vermehrung der Zahl der Truppen im Amur- und im Kaulung-Gebietr, sowie infolge der Errichtung neuer Anstalten und der Eröffnung von Lazarethen die Beschaffung von Unterkünften für die Familien von Militärpersonen äußerst schwierig und in einigen Orten ganz unmöglich sei und daß Personen, die sich nicht in Dienst, angelegenheiten nach Ostasien begeben, sich der Gefahr aussetzen, den Winter über obdachlos zu sein. Der Aufenthalt der aus dem europäischen Rußland nach Ostasien commandirten Truppen könne voraussichtlich nicht von so langer Dauer sein, daß sich eine so weite Reise für Familien rechtfertige. Chinas Zukunft. I. Der „Ostasiatische Lloyd" schreibt in seiner Nummer vom 7. September: Die Ereignisse, deren Zeuge wir heute sind, sind in der Weltgeschichte unerhört; sie erregen das Staunen und Grauen selbst Derer, «die seit Jahrzehnten mit ruhigem Blicke den Gang der Dinge hier im fernen Osten verfolgt haben. Man darf sich heute keinem Zweifel mehr darüber hingeben, daß die Mord- thaten der Boxer und der mit ihnen verbündeten kaiserlichen Truppen nur die Symptome einer Bewegung sind, di« auf den Ausbruch lang verhaltener vulcanischer Leidenschaften schließen lassen. Wo aber Aulcane ausbrechen, geht es nicht ohne fürchter liche Verheerungen sorgsam gepflegter Eulturgüter ab. Der Don den Ereignissen Ueberraschte schlägt vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen und zittert. Wer aber gewohnt ist, hinter den Ausschreitungen der aufgeregten Massen nach den Ur sachen zu forschen, die den Tod so vieler Unschuldiger zur Folge hatten, der wird — weit entfernt, sich in bloßen Klagen oder Verwünschungen ans inferiore Rassen zu ergehen — vielmehr darauf bedacht sein müssen, Mittel und Wege zu finden, wie einer Wiederholung jener furchtbaren Ereignisse, deren Zeug« wir soeben gewesen sind, am erfolgreichsten vorgebugt werden kann. Thränen vermögen die Hingrmordeten nicht wieder inS Leben zurückzurufen, und das Verharren im Rachegedanken, so gerecht fertigt dieser zunächst ist, und so sehr er menschlicher Empfindung entspricht, Würde zu nichts Anderem führen, als der Wiederholung der Thaten von fanatischen Mengen, über die Niemand eine Controle zu üben vermag. ES wäre zu viel verlangt, wollte man von den Chinesen, ja, von den Asiaten überhaupt, fordern, sie sollten unS — seien wir nun Deutsche oder Russen, Engländer oder Franzosen — lieben. Niemand liebt den, der ihm unter diesem oder jenem Vorwande, in diesem oder jenem Gewand«, sei eS nun als Kaufmann, sei es als Missionar, oder sei eS als sonst etwas, nach dem Seinigcn trachtet, gleichgiltia, db daS Seinig« Geld oder Gut oder Glaube und Brauch sei. Jeder hat ein angeborene» Recht daraus, seinen Besitz vor Nachstellungen zu wahren. Vom rein menschlichen Standpunkte aus müssen wir es verstehen und nachempfinden können, daß, wer sich in seinem heiligsten Besitze gefährdet oder benachtheiligt sieht, fei er nun Mohamedaner, Brahmine oder Büddhist, die Selbstbeherrschung verliert, sich mit Gewalt gegen den wendet, der ihm das Seine nehmen will, und schließlich in wildem Wahne, wie «in reißendes Thier, gegen Alles wüthet, waS nicht seinen Zopf trägt. Kann aber dann gar die aufgeregte, zu einer Alles verheerenden Mordbande geworden« Menge sich für Vie Vertheidigerin eines uralten, nationalen Cultur.-rbes halten, so wird sie in ihrem Fr«mbenhaß «twaS durchaus Be rechtigtes sehen und sich kalten Bl-utes zu Greuelkhaten hinreißen lassen, wie wir es letzthin hier in China gesehen haben. Welches Volk der Welt aber könnt« sich einer älteren Cultur rühmen, als die Chinesen? Schon drei Jahrtausende vor Christus gab eS ein« zum Dheik hochentwickelte Geisiescultur der Chinesen; so weit reichen di« imzwcifekhaft echten Aufzeichnungen der chinesischen Kckisergeschicht« zurück, während die ältesten astro nomischen Berechnungen der Chinesen auf Beobachtungen deS gestirnten Himmels zurückzusühren sind, die nach Ansicht der Fachforscher noch viele Jahrtausende früher gemacht worden sein müssen. Das chinesische Reich war bereits Jahrtausende alt, als da» römisch« gegründet wurde. Seine Liedersammluna, um die e» alle Völker Europa» bcneiden können, reicht bi» w» dritte Jahrtausend vor Christus zurück. Ebenso alt find die Grund-» lagen einer chinesischen Philosophie, die den Vergleich mit den Upanischaden (der Geheimlehr«) der Hindus, mit den Dialogen Giordano Bruno's oder der Ethik Spinoza's aushält. Und in wie vielen Erfindungen ist uns China vorausgegangen! In der Porzellan- und Seidenmanusactur, in der Papierfabrikation und im Buchdruck, im Gebrauche des Compasses und in so vielen anderen Nutzanwendungen der Naturbeobachtung. Als der italienische Reisende Marco Polo im 13. Jahrhundert unserer Zeitrechnung vom Hofe des Mongolenkhans und Kaisers von China in seine Vaterstadt Venedig zurückgekshrt war und in einer kurzen Uebersicht sein« Erlebnisse und Erfahrungen erzählte, da hielt ihn das ganze christliche Abendland für einen Auf schneider, so groß war der Culturvorsprung, den China vor Italien, dem damals oivilisirtesten Lande Europas, voraus hatte. Und zu wie vielen Malen hat nicht schon die chinesische Technik, z. B. in der Nadel- und Fanbenfabrikation, di« europäische auf den großen Weltausstellungen beschämt! Noch zur Stunde sind die chinesischen Seidenbrokat« völlig unerreicht. Mit einem Volke von Hunderten von Millionen aber, daS sich solcher Vorzüge bewußt ist und auch seine außerordentliche Ueberlegenheit an Seelenzahl, oder, wie die chinesische Beamten statistik es ausdrückt, an Zahl der „Mäuler", kennt, wird Europa nicht so im Handumdrehen fertig, wie etwa mit einem Indianer stamm. Die Eigenart eines solchen Volkes verlangt vom Abend lande das eindringendste Studium schon aus dem sehr einfachen, wenn auch selbstsüchtigen Grunde, daß, wer immer mit einem fremden Volke verkehren will, nur -dann Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn er dessen Eigenart in den Bereich seiner psychologischen und wirthschaftlichen Berechnungen zu ziehen vermag. Es lohnt sich wohl der Müh«, dem Chinesenthum auf den Grund zu schauen, die letzten Gründe seines Wollens und Empfindens zu beleuchten, sein« großen Vorzüge und seine ebenso großen Schattenseiten ins richtige Licht zu setzen. Nur dann läßt es sich begreifen, daß dieses Volk, das den Stein der Wersen gefunden zu haben glaubt, schließlich doch in die elende Lag« g«rathen mußt«, in der wir es heute haltlos hin- und her schwanken sehen. Die Zustände im heutigen China erinnern Vielfach an die des römischen Reicher zur Zen Kaiser Constantin'S. Zwei Welt anschauungen liegen mit einander in hartem Kampfe: die national-chinesisch«, die sich aus Jahrtausende alte Ueberlicfe- rungen beruft, und Vie kosmopolitisch-abendländische, die ihre Expansionskraft, nachdem sie sich die übrigen Festlande und Inseln des Erdballes dienstbar gemacht hat, nun auch am letzten ihr noch nicht unterworfenen Ländergebrete, an Ostasien» zur Geltung bringen will. H. Eine der hervorragendsten Eigenschaften des Chinesen ist seine staatsbürgerliche Begabung, sein Sinn für Ein- und Unterordnung, seine aus freier Einsicht hervorgegangene Willig keit, sich einer Leitung zu fügen. Aus dieser seiner Grundanlage stammt dann ebensowohl das freie Behagen an patriarchalischen Regierungsformen, d. h. also an der Herrschaft des aufgeklärten Absolutismus, wie das organisatorische Element, das überall, in China selbst nicht minder, als in der Fremde blühende Gemein wesen, aber auch festgefügte Geheimbünde ins Leben ruft. Aus der freiwilligen Unterordnung unter ein väterlich wohlwollendes Regime folgt dann auch die unverhältnißmäßig geringe Anzahl von Staatsbeamten. Der etwa dennoch empfundene Druck eines reinen Absolutismus wird wieder gemäßigt und aufgehoben von dem durch und durch demokratischen Princip, dem seiner Zeit der erste Napoleon Ausdruck mit den Worten verliehen hat: „l-L esrriörs ouvorto aux tsioots". Jeder Chinese, und stammte er aus den untersten Volksschichten, kann sich zu den höchsten StaatSämtern emporschwingen, wenn anders er nur die vor geschriebenen Examina besteht, deren Absolvirung zu diesen StaatSämtern berechtigt. So regiert denn seit Jahrtausenden in China eine nur auf der echt demokratischen Grundlage der Befähigung zu Amt und Würden gelangende GeisteSaristokratie. Die Bureaukratie in China ist der Ausdruck der organtsirten chinesischen Geistesaristokratie. Daraus crgiebt sich dann wieder ganz von selbst der Schluß, daß die Bureaukratie in China der widerhaarigste Gegner aller an ihrer Allmacht rüttelnden Maß nahmen ist, d. h. aller Reformen, die auS der zwingenden Macht der abenoländischen Civilisation, auS der Herrschaft kosmopo- litisch-weltwirthschaftlicher GesichtSpuncte stammen. Der Grundzug der chinesischen Religiosität ist Loyalität und Pietät, sei es des Bürgers gegen den Vorgesetzten, sei es Aller zu sammen gegen den „Sohn deS Himmels", den Kaiser, sei es deS ganzen Volkes und seines Kaisers gegen die Ahnen. Die Bel ehrung der Vorfahren, die liebevolle Hingabe an die dahin geschiedenen Geliebten sind der schönste Charakterzug der Chi nesen. Wie wir am JohanniSfeste oder am Allerseelentage die Gräber unserer verstorbenen Familienangehörigen, Freund« und Geistesheroen mit Kränzen schmücken, so bringt der Chinese seinen Ahnen Opfer dar, und wären eS auch nur die kleinen symbo lischen farbigen Papierschnitzel. Jedenfalls ist eS, wenn auch un serem abendländischen Denken noch so fremd, unter allen Um ständen rührend, wenn sogar noch der Vater eines ausgezeichneten Sohnes, ja selbst der verstorbene Vater, im Range erhöht wird, während der unbegabte Sohn eines bis in den Fürstenstanv emporgestiegenen Vaters seinem Range nach für den Staat ein Plebejer ist und bleibt. So stark nachhaltig ist der Glaub« an die Unzerstörbarkeit und Würde der Persönlichkeit in China. Auf diesem Glauben an die geistliche Macht der Persönlichkeit beruht dann auch die Verantwortlichkeit der Eltern für ihre Kinder, des Familienoberhauptes für sämmtlich« Geschlechts angehörige, eine Solidarität, die im Strafrechte ihre große Rolle spielt. Wie sich aber auf der Ausbildung der Persönlichkeit die Fa milie, auf der Familie wieder der Staat aufbaut, daS hat der Chinese nar «xooUeno«, der Staatsbeamte und Deltweise Kon fuzius, sechs Jahrhunderte vor Christus in folgendin Worten niedergelegt: „Die Männer deS Alterthums, di« die erlauchte Tugend in der Welt zum Glanze bringen wollten, ordneten zuerst ihr Staatswesen; die ihr Staatswesen ordnen wollten, regelten zuvor ihr Hauswesen; die ihr HauSwesen regeln wollten, bildeten zuvor ihre Persönlichkeit auS; die ihre Persönlichkeit auSbilden wollten, läuterten zuvor ihre Herzen; die ihre Herzen I läutern wollten, machten zuvor ihr Denken wahrhaftig; die ihr I Denken wahrhaftig machen wollten, vervollkommneten zuvor ihr I Wissen. Da» Dissen vervollkommnen, besteht darin, die Dinge
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