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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001002026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900100202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900100202
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-10
- Tag 1900-10-02
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Monat
1900-10
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Jahr
1900
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Reklamen unter dem RedactionSstrich (4gm spalten) 50vor den Familirnnachrichte» (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichuiß. Tabellarischer und Zisjernsatz nach höherem Tarif. Optra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen «Ausgabe, ohne Pvstbtsörderu.ig 60.—, mit Postbeförderung 70.—. ?.nnahmeschlvß für Anzeige«: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morge»«Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition »» richten. Druck and «erlag von L. Polz in Lei»,ich Dienstag den 2. October 1900. 94. Jahrgang. Die Wirren in China. —p Wir sind in der chinesischen Epopöe plötzlich und un erwartet bei dem Capitel Kaiserliche Lühneversuche anzelangt. Gestern überraschte und der Draht mit der Meldung von der Degradirung Tuan's und seiner Haupt mitschuldigen, beute veröffentlicht daS„BureauLaffan" folgenden Brief des Kaisers von China an den deutschen Kaiser: Der Kaiser von China sendet dem Deutschen Kaiser Grüße- Die plötzliche Erhebung in China hat die Ermordung Ihres Gesandten zur Folge gehabt. Meine Untergebenen haben schändlich gehandelt und die freundlichen Beziehungen abgebrochen, tva» ich tief bedauere. Ich habe heute dem Großkanzler Knn- kang besohlen, vor dem Sarge des tobten Gesandten Opfer Lar« zubringen, und ich habe Li«Hung«Tschang und Liu-Knnyi befohlen, die Nebersührung deS Sarges nach Deutschland in jeder Weise zu erleichtern. Meinem Gesandten in Berlin habe ich be fohlen, beim Eintreffen des Sarges in Deutschland wiederum Opfer darzubringen. So wünsche ich mein tiefes Bedauern zu bekunden. Früher waren unsere beiden Länder im Frieden. Ich oppellire jetzt an Sie, mit Rücksicht auf unsere beiderseitigen Interessen bald Friedensverhandlungen beginnen zu lassen, so daß rin beständiger Friede gesichert jein möge. Ich richte Liese be sondere ernste Berufung an Sie." Ein zweiter kaiserlicher Brief ist derselben Ouelle zufolge an den Kaiser von Japan adressirt. Derselbe brückt Bedauern über die Ermordung deö Sekretärs der japanischen Gesandtschaft aus und theilt mit, daß in Peking unv Japap Begräbnißopfer dargebrachl werden sollen, wofür 5000 TaclS bewilligt sind. Man weiß natürlich nicht, ob diese Briefe echt sind. Wenn ja, so lasten sie sich vielleicht als ein Echo der Salut schüsse bezeichnen, mit denen die Ankunft des Grasen Waldersee in China begrüßt wurde. Am kaiserlichen Hofe erkennt man jetzt, daß eS Ernst werden soll und sucht daher zu beschwich tigen und vorzubcugen. Graf Waldersee's Hauptbestreben wird voraussichtlich darauf gerichtet sein, Genuglhuung für die Ermordung deS deutschen Gesandten zu erlangen. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß als solche die Opfer und Ehrenbezeugungen, welche der Kaiser von China dem Sarge mit der Leiche des Ermordeten zu widmen verspricht, nicht angesehen werden dürsten, da hierdurch den Chinesen selbst die Größe ihres Verbrechens nicht klar genug ge macht wird. Genau wie wir es gethan, beurtheilen auch andere deutsche Blätter den plötzlichen, ja rapiden und deshalb höchst verdächtigen Umschwung der chinesischen Politik. So schreibt man der „Köln. Ztg." ossiciöS aus Berlin: Es ist bis heute nicht bekannt, ob das Edict über die Bestrafung deS Prinzen Tuan und anderer hochgestellter Rädelsführer echt ist; auch fehlt eS noch an einem Beweise, ob die chinesische Regierung, die Echtheit vorausgesetzt, ihm auch wirklich praktische und ausreichende Folge geben will. Auf solche kaiserliche Erlasse ist verzweifelt wenig Verlaß, und eS geschieht nicht selten, daß sie innerhalb 24 Stunden widerrufen oder in ihr Gegentbeil verkehrt werden. Bevor man also auf diese neueste Meldung große Hoffnungen baut, wird man abzuwarten haben, ob und inwieweit sic sich bestätigt. Was wir schon wiederholt über die Unzuverlässigkeit, und somit in diesem Falle über die Unzulässigkeit chinesischer Gerichtsverfahren gesagt haben, bleibt auch jetzt bestehen, wie überhaupt die Be deutung des EdictS im Wesentlichen darin zu suchen wäre, daß die chinesischen Machthaber einsehen und anerkennen, daß ein Widerstand gegen die Mächte ganz aussichtslos ist. Unter eben diesem Gesichtswinkel wird die Nachricht von einem anderen kaiserlichen Edict betrachtet werden müssen, der daS Bedauern über die Ermordung des Herrn v. Ketteler ausspricht und eine große Traucrfeierlichkeit in Aussicht stellt. Auch ein solcher Erlaß würde nur die Bedeutung eines Anzeichens haben dafür, daß die chinesischen Machthaber einzulenken gesonnen sind. Wir möchten darauf Hinweisen, daß die Veröffentlichung dieser Edikte zusammenfällt mit dem neuer dings wieder schärfer gewordenen militärischen Vorgehen der Mächte. Das Bombardement und die Eroberung von Peitang, die militärischen Erkundungszüge in der Umgebung von Peking, die Vorbereitung von Expeditionen nach Pao- tingfu nnd Schanhaikwan können den chinesischen Machthabern schon sehr Wohl bekannt sein und dazu bcigetragen haben, ihre wahlberechtigten Bedenklichkeiten zu vermehren. Der Londoner „Standard" verbreitet sich ebenfalls über die innere Nichtigkeit der chinesischen Sühnevorschläge, die höchstens als ein Beweis zu betrachten seien, daß China den bisherigen Trotz aufgebe und versuche, die in den Ver einigten Staaten zu seinem guten Willen bekundete Zuversicht zu rechtfertigen. Jedenfalls wäre es voreilig, den gegen wärtigen Druck zu lockern, denn es sei bekannt, daß auf solche Scheinbestrafungen in China sehr bald die Ehrenrettung zu folgen pflege. Man werde erst den klaren Beweis abwarten müssen, daß in diesem Fall die Uebelthäter, besonders der Prinz von Tuan, ernstlich heraugezogen würden. Sobald den Manvschu überzeugend klar werde, daß ihre eigene Sicherheit davon abhänge, daß mit Tuan ein Beispiel statuirt werde, würden sie ihn zweifellos opfern, andernfalls es aber beim Schein bewendet sein lassen. Die Absetzung deS Prinzen Tuan von seinen Aemtern bedeutet für diesen nur eine Geldstrafe. Den chine sischen Zeitungen zufolge entdeckte die Kaiserin-Wittwe am 19. September zuerst di- „Schlechtigkeit" des Prinzen Tuan. Am 2l. September erhielt sie ein? Depesche von Li-Hung-Tschaug, welche ihr mitthcilte, daß Prinz Tuan „schlecht" sei. Mit dieser Depesche ausgerüstet, befahl sie den Erlaß des EdictS. Li-Hung-Tschang, meint der Correspondent der „Morning Post" in Shanghai, habe sich offenbar den Rath der ameri kanischen Nigiernng, die Schuldigen durch reguläre chinesische Behörden bestrafen zu lassen, zu Nutze gemacht. Niemand in Shanghai lege dem Edikte großen Werth bei. Es zeige nur, daß eS den von deutscher Seite drohenden Schlag abschwächen soll. Graf Waldersee. Die „Daily Mail" läßt sich auS Shanghai melden, daß die französischen, russischen und amerikanischen Officiere sich weigerten, sich unter Len Oberbefehl deö Grafen von Waldersee zu stellen, so lange noch keine kriegerischen Operationen begonnen hätten. Diese Mel dung trägt nach einer ofsiciöscn Versicherung der Berliner „Post" ebenso den Stempel der Erfindung an der Stirne, wie frühere ähnliche Nachrichten des Londoner Blattes über Zwietracht im Lager der verbündeten Truppen. ZurückzichlMl! der Truppen aus Peking. Eine in New Uork eingetroffene Depesche aus Peking vom 20. September berichtet: In einer Conferenz der Generale theilte General Lenewitsch mit, daß die russische Gesandt schaft und die Hauptmacht der russischen Truppen aus Peking zurückgezogen werden. Eine Abteilung gemischter Truppen bleibe in der Stärke von 2000 Mann zur Vertretung Rußlands in Peking zurück. Eine Depesche auS Tientsin vom 28. September besagt: Vorbereitungen für die Zurückziehung der amerika nischen Truppen wurden begonnen. Wie man hört, wird ein Regiment Infanterie, eine Schwadron Cavallerie und eine Batterie Artillerie in Peking zurückgelassen zum Schutze der amerikanischen Interessen. Der Rest der Truppen wird nach Manila gehen. Reue Kämpfe. Deutsche nnd japanische Trnppenabtheilungen operiren in südlicher Richtung nahe beim Jagdpark. Russen und Engländer halten kleinere Tbeilstrecken der Bahnlinie zum Zwecke der Ausbesserung besetzt und bewachen sie. Nach Meldungen, welche dem russischen Generalstab gestern zugegangen sind, ist der telegraphische Verkehr zwischen Chabarowsk und CHarbin (Mandschurei) am 27. September wieder eröffnet worden. In der Um gegend von Sjan-tscha-kou am Sui-fnn-Flusse, in der Nähr des Kosackenposlens in Poltawskaja, zeigte sich eine Bande bewaffneter Chinesen unter den ersten Tungusen- sührern. Die Kaufleute und die sonstigen Bewohner LeS OrteS flüchteten auf russisches Gebiet. Zur Vertreibung der Bande bildete General Tschitschagow ein Detachement aus 1l/r Schwadronen Kosacken und Freiwilligen von der Schutz wache der Bahnlinie unter dem Commando des Obersten Kopeikin. Letzterer nahm Sjan-tscha-kou am 2t. Sep tember und vertrieb die Chinesen, welche sich in früher auf geworfene Verschanzungen zurückzogen. Späterhin flüchteten die Chinesen auck aus diesen und ließen 43 Tobte in den selben zurück. Bei beiden Zusammenstößen leisteten die Chinesen hartnäckigen Widerstand; 1>/r Sotnien verfolgten die fliehenden Chinesen. Auf russischer Seite wurden drei Mann gelödtet und drei verwundet. Vitt russisches „Dementi". Ter gestrige Petersburger „Regierungsbote" meldet: In der auswärtigen Presse erschienen Nachrichten über eine ver meintliche Annexion der nachbarlichen mandschurischen Ge biete durch Rußland. Tie von der kaiserlichen Regierung im fernen Osten verfolgten Aufgaben wurden in den ofsiciellen Miltbeilungen ganz entschieden zum Ausdruck gebracht. — Aus dem Inhalt dieser Mittheilungen folgt hinlänglich klar, daß die oben genannten Nachrichten über eine Einverleibung der Mandschurei in das Reichsgebiet jeder Begründung entbehren. Kriegslasten. * Paris, 1. October. Die Regierung wird bei dem Wieder zusammentritt des Parlaments ein Gelbbuch über die chinesische Angelegenheit veröffentlichen und bis zum Ende des Jahres die erforderlichen Credite verlangen. Die Gesammt- summe der Credite wird 70 Millionen betragen. Bewilligt sind bereits 19 Millionen. Während der Parlamentsferien hat die Regierung im Staatsrathe einen Credit von 12 Millionen eröffnen lassen, so Laß nach dem Wiederbeginn der parlamentarischen Arbeiten ein Ergänzungscredit in Höhe von 39 Millionen Francs beantragt werden wird. (Wiederholt.) Oer Krieg in Südafrika. Tie Reise des Präsidenten Krüger. AuS Amsterdam, 29. September, wird der „Münchner. Allzem. Ztg." geschrieben: Die Aufregung, welche ein großer Theil der englischen Presse darüber an Len Tag legt, daß die niederländische Regierung dem Präsidenten Krüger Len Dampfer „Gelderland" zu seiner beabsichtigten Reise nach Europa zur Verfügung gestellt hat, kann in unfern maß gebenden Kreisen kaum verstanden werden. Denn obwohl die niederländische Regierung allerdings das Recht hätte, dem gefallenen Staatsoberhaupt«: eines nicht bloS befreundeten, sondern blutsverwandten Volkes Gastfreundschaft auf ihrem Boden anzubieten, ohne erst England um Erlaubniß zu fragen, so ist sie in ihrem Bestreben, die Empfindlichkeit des englischen Volkes nicht zu verletzen, sogar so weit gegangen, sich mit dem Cabinet von St. James über die Ueberfühtung des Präsidenten Krüger nach Europa an Bord eines nieder ländischen Kriegsschiffes eigens zu verständigen. Es hat hierüber ein umständlicher Notenwechsel stattgefunden, aus welchem hervorgeht, daß England die Reise Krüger'S von Louren^o Marques als eine Privatsache betrachtet und gegen die Ueberfübrung Les alten, durch Unglück und Krankheit schwer gebeugten Mannes an Bord eines niederländischen Schiffes keinen Widerspruch erhebt. ES ist also nickt zu verstehen, weßhalb die englische Presse vie Niederlande mit der Rache des englischen Volkes bedroht, weil Krüger es naturgemäß vorzieht, sich in ein Land zu begeben, mit dem ihn die Bande der Blutsverwandtschaft verknüpfen. Zur Begründung ihrer Angriffe gegen die Haager Regie rung führt die englische Presse die angebliche Thatsacke an, daß Krüger nicht als Privatmann reist, sondern als Ober haupt eines Staates, welcher die englische Oberhoheit nicht anerkennen will, was schon daraus hervorgehen soll, daß Krüger die trauSvaalischen Staatsarchive und Staats gelder mit sich sühre. Die letztere Angabe ist durchaus unbegründet. Vielmehr sind die wichtigsten transvaalischen Staatsdocumente, welche ein grelles Streiflicht auf die weiteren Ursachen des südafrikanischen Krieges werfen, schon längst in Sicherheit gebracht. Ebenso wurden diejenigen Staatsgelder, die nicht zur Bestreitung der Kriegskosten ver wendet wurden, schon vor geraumer Zeit in der Niederländischen Bank deponirt. Die Engländer haben sonach feinen triftigen Vorwand, sich der Abreise des Präsidenten Krüger zu widersetzen, und dies wird hoffentlich auch nicht geschehen. Der niederländischen Regierung fällt dann die Aufgabe zu, dafür zu sorgen, daß sich an die Ueber- führung Krüger's an Bord der „Gelderland" und an seine Landung .auf holländischem Boden keine Kundgebungen knüpfen, welche das zwar nicht gute, aber immer noch leid liche Verhältnis; zwischen England unv Holland noch weiter verschlechtern könnten. Der alte Präsident wird wohl selbst Alles vermeiden, was der niederländischen Regierung Unan- nchmlickkeiten bereiten könnte, und man versichert bereits auS guter Ouelle, daß er gar nickt daran denkt, seinen dauernden Aufenthalt in Holland zu nehmen. * Lissabon, 1. October. Der Aeneralgouverneur von Mozam bique übermittelte dem König Carlos auf Wunsch Krüger's dessen Glückwünsche zum Geburtstage, sowie den Dank Krüger's für die Gastfreundschaft, die er im Hanse des Gouverneurs in Louren^o Marques genossen hat. * Lourenc.0 Marques, 1. October. (Telegramm des Reuter« scheu BurcauS.) Der Tampser „Styria" vom österreichischen Lloyd geht mit 400 Flüchtlingen aus Transvaal in See; e» befinden Fenilleton. i6j Oer neue Tag. Roman von Klara Zahn. Natbtrnck verboten Schlimme Zeit brach über Anny herein. Jede Kränkung, die der Rechtsanwalt erlitt, ließ er sie entgelten, seine Anforderungen an ihre Leistungen steigerten sich, er behandelte sie wie eine Magd und schalt auf sie in gröblichster und gehässigster Weife. Anny drohte oft zu erliegen unter der Last solcher Zumuthungen. Ver gessen schien Alles, was der Rechtsanwalt an ihr gesündigt hatte; zuweilen klang aus des Vaters bösen Worten manch versteckter, giftiger Vorwurf, als habe sie im Grunde Schuld an allem Unglück. — Und es fanden sich „Freunde" zu dem Rechtsanwalt, die aus Lust am Skandal, aus niederer Neugier und Klatschsucht sich zu ihm gesellten und ihn auszuforschen suchten. Sein reicher Haushalt war den Nürnbergern bekannt, nicht aber die Art seiner VermogenSverhältnisse. Nun tuschelte man untereinander, der arme Vater habe sich für die schön« Tochter ruinirt. Vermuthlich hatte sie ihn bestimmt zu der großartigen Führung des Haus standes, sie hatte wohl gehofft, so leichter einen reichen Freier anzulocken. Wie hochmiithig sie doch sein mußte und hart und herzlos! — Fs war doch Mancher in der Stadt, der Anny zum Weib« begehrt hatte, Keiner war ihr gut genyg. — Sie glaubte sich wohl im Besitze ewiger Jugend und Schönheit? — Nun sah man es ja, wie eitel das bischen „Aeußere" ist. Bleich und ab gezehrt sah sie aus, und mochte sie den Kopf noch so hoch tragen, ihr« Jahre sah ihr nun Jeder an. Der arme Vater! Nun hatte er eine anspruchsvoll« alte Jungfer auf dem Halse! So und ähnlich dachten die lieben Mitmenschen von Anny, denn Keiner verzieh es ihr, daß sie ihr Unglück aufrecht und klaglos trug. Der alte Rechtsanwalt sah ja schon weit mitleidsbedürftiger aus, da konnte man sich eher ein« klein« Nachsicht gegen menschliche Schwächen gestatten. Und von dieser Stimmung hörte und em pfand der Rechtsanwalt doch genug, um sie sich für die eigene Rechtfertigung zurecht zu legen. Die ihm verloren gegangene Selbstachtung seinen Kindern gegenüber wollte er auf künstliche Weise zurückgewinnen, also mußte die Schuld auf einen Anderen abgeienkt werden. Mit heimlicher Grnugthuung hörte er es, wenn man ihm sagte, ein braves Weib habe ihm allein gefehlt, die sein Leben ausgefüllt hätte und den Ueberblick über seine Ver hältnisse gehabt und mit treuer Sorge und Sparsamkeit das Er worbene zusammengehalten hätte. Ein Mann kann sehr große Einnahmen haben und dennoch rückwärts statt vorwärts kommen, wenn mit leichtsinniger Hand gewirthschaftet wird. Das war an sich Alles zweifellos richtig, nur angcwendet war es falsch. Ein Spieler, der Hab und Gut der Seinen vergeudet, dem das Laster den Hellen Blick getrübt und das moralische Bewußtsein langsam abgebröckelt hatte, er galt den Urtheilsbereiten als bemitleidens- werth, während sie sein unschuldiges Kind um nichts verdammten. — Um nichts! — Nicht einmal aus Haß, den Anny ja nirgendwo hervorgerufen hatte. Nur aus der Kleinlichkeit und Selbstgefälligkeit niederer Na turen, die sich an den eigenen Argumenten berauschen und ihr Mitleid — vielleicht unbewußt — an den Meistbietenden ver schachern. Anny ahnte nichts von alledem. Wer hätte es ihr auch sagen sollen? Sie empfand nur die völlige Wandlung, die in der Sinnesart des Vaters vor sich ging, und ihr Trotz, der vor dem Unglück sich gebeugt hatte, erwachte gegen diese harteUngerechtigkeit. WaS hatte sie denn gethan? Sie hatte gelebt für die Ihrigen, so lange sie denken konnte. Sie hatte ihnen gedient in Treue und Redlichkeit, auch dann noch, als ihr eigen Glück ihr er barmungslos zerrissen wurde. Sie hatte nicht gedacht an die eigene, heißersehnt« Freiheit, als ihres Vaters Geschick über ihnen Allen zusammenbvach. Nur der jungen Brüder, des alten, rath losen Mä'nnes dachte sie und trat ein für ihre Ehr« mit bestem Wissen und hcklf mit ihren schwachen, wehrlosen Händen, so gut sie es vermochte. Und dafür ward ihr nun fast des Vaters Hatz. Warum? — Warum? — Anny war eine schaffende, keine duldende Natur. Mit dem Bewußtsein, nutzlose Opfer zu bringen, hätte sie sich niemals abfinden können- Ausfüllen wollte sie ihren Platz, an dem sie wirkte, gelang ihr das nicht, dann war sie fähig, jede Schranke zu durchbrechen, jede Verbindung zu lösen, und sei es die zwischen Vater und Kind. Im tiefsten Grunde ihrer Natur lag «ine Härte, die vor nichts zurückbebte, am wenigsten vor dem eigenen Schmerze, wenn es galt, ihr eigenstes Selbst durchzusetzen. Diese -gewaltsam hervorgerufenc Stimmung setzte sich naturgemäß in ein zum Kampfe bereites Wesen um. Das machte den Rechts anwalt stutzen. Verlieren wollte er ANny nicht, nur nieder zwingen, nur einen „Prügelknaben" für sein widriges Schicksal hatte er in ihr haben wollen. Natürlich machte er sich das selbst nicht Aar, auch nicht den tiefsten Grund, der ihn von je ge trieben hatte, sich an Anny's innerstem Wesen zu reiben. Er fühlte instinctiv, daß sie ihn seelisch überragte, und nun wuchsen ihre Geisteskräfte, ihre Energie weit hinaus über den schwäch lichen, vom Leben und von seinem Laster aufgeriebenen Mann. — Ja, hätte er noch spielen können! Nur hin und wieder einmal, es wäre der ewige Jungbrunnen gewesen für sein leicht be schwingtes Hoffen! Es wäre -doch etwas gewesen, das Reiz und Lust für ihn bedeutete! Warum hatte er auch so thöricht ge handelt, den kleinen Besitz erst an Anny auszuliefern! Die sprach vom „trockenen Brode", das den Knaben bleiben müsse, bis sie wenigstens confirmirt und schulfrei waren. — Er hätte ihnen ja eben mehr, viel mehr zu schaffen gewußt, wenn seine Taschen nicht so völlig leer gewesen wären! — So ließ er sich denn herab, eine Art Winkelconsulent zu werden, bei dem arme Leute sich für ein paar baare Groschen Rath erholten. — Nur unterdessen — bis wieder Praxis kam. Die Nürnberger aber sind vor ¬ sichtige Leute. Sie wollten lieber zusehen, wie der Rechtsanwalt Folgers sich aus seinen verzwickten Verhältnissen herauswickelte, als daß sie ihn jetzt mit gewichtigen Processen betrauten und ihm thatkräftig beigesprungen wären. — Nun hatte der Rechtsanwalt doch eine Beschäftigung, und sein Vergnügen verschaffte er sich, wenn es auch, entsprechend seinen jetzigen Einnahmen, nicht in dem „großen Stile" sein konnte, den er einst so sehr geliebt. Nachdem die erste, verwirrende Zeit, die dem Zusammenbruche ihre Hauses folgte, vorüber war, kam es Anny schmerzlich und staunend zum Bewußtsein, daß Eda Reitzig nicht ein einziges Mal bei ihr war, ihr mit einem guten Worte beizuspringen in der trüben Zeit. Evchen, die ihr so oft versichert hatte, wie sehr lieb sie ihr sei, wie hoch vor Allen sie die Freundin schätze, es konnte doch gar nicht sein, daß der erste, böse Schicksalswind sie Vertrieb? — Zwar hatte Anny die Leichtbewegliche nie überschätzt, sie hatte nie gehofft, in ihr die Freundeshand zu fühlen, die stützen und tragen kann in Zeiten der Noth. Aber wie ein lieber, warmer Sonnen strahl war ihr Evchen stets erschienen, der auch in die Kammern des Elends huscht und eine Stunde lang die Finsterniß erhellt. Warum kam sie nicht zu ihr? War sie denn nicht damals gekommen, als Alle von ihr wichen um eines bösen Scheines willen, und hatte mit ihrer goldenen Treuherzigkeit Besitz genommen von Anny's Herzen? Don jener Stunde an hatte Anny die holde Gefährtin geliebt, still und warm, und hätte sie Schätze der Liebe und Opferfähigleit ge fordert, Anny hätte sie ihr gern gegeben. Danach stand niemals Evchen's Sinn. Sie brauchte nicht so viel, sich befriedigt zu fühlen. Nur ein zärtliches Anschmiegen, nur das Bewußtsein, zu gefallen, wie sie war, und die Lust, gehätschelt zu werden, war ihr Begehr. — Anny fühlte das wohl und gab niemals daS Unverlangte. Aber sie hielt es bereit für ihr Evchen, es konnte ja sein, daß ihr Herz so langsam nur und leise reifte und eine Stunde kam, in der ihm die Welt nicht mehr genug that mit ihren leichten, billigen Gaben. Daß aber Evchen sie verlassen könne in großer Lebensnoth, so hart, so brutal, nicht einmal mit dem Schein des Mitgefühls sich loszukaufen von der Freundin für nöthig fand, — das hätte Anny nie geglaubt. Auch jetzt noch, trotz des Beweises, zweifelte sie. So niedrig, so feige denkt kein Weib, dem ich einst Vertrauen und Freundschaft schenken konnte, dachte Anny. Vielleicht erklärt es sich irgendwie, sie ist verreist — vielleicht gar krank. — Ein Schrecken erfaßte Anny bei diesem Gedanken. Auch das Unglück macht selbstsüchtig, meinte sie, ich habe die ganze Zeit kaum ein mal der Freundin gedacht. — Sie wollte sich erkundigen. — Das Schicksal hatte die Aufklärung schon für sie bereit. Ihr Vater hatte in früheren Zeiten kleine Beträge von dem Goldschmied entliehen, und dieser hatte gern genug den „reichen Rechtsanwalt" sich durch solche Gefälligkeiten verpflichtet. Nun hätte der Goldschmied den Verlust leicht verschmerzen können, aber es ärgerte ihn doch, „hineingefallen" zu sein, und nach Art solcher Naturen, wie die seine es war, machte er seinem Groll darüber in häufigen, nicht gerade zarten Auslassungen gegen seine Frau Luft. Eva, in ihrer zerrissenen, widerspruchsvollen Stimmung nahm aus reiner Oppositionslust des Rechtsanwalts Partei und warf einmal voreilig hin: „Man könne ja gar nicht wissen, ob nicht die Verzweiflung über traurige Familienverhältnisse den Mann dahin gebracht habe." Das war natürlich Wasser auf des Goldschmieds Mühle. — Alles Vergangene wurde durchgehechelt, und plötzlich stand wieder Anny's seltsamer Hotelbesuch im Vordergründe der Ereignisse. — Eva hatte das nicht gewollt. Jnconsequent und wenig über legt, wie sie war, hatte sie die Folgen ihrer gereizten Bemerkung nicht bemessen und sah nun mit eigenem Schreck, wie sie als eine Lawine auf der Freundin Haupt niederrollten. Ihr half kein Beschönigen, kein Protestiren. Das Signal war gegeben, und eine Art von Gloriole, di« Gloriole eines tragischen Geschickes, um des Rechtsanwalts Haupt gewunden. Alle Bekannten näherten sich ihm wieder, sie wollten trösten, wie die satte Tugend tröstet! — Und auf diesem Wege der „Tröstung", die sich ausnahmsweise auch einmal an sie wandte, erfuhr Anny den Hergang und die Ursache der Stimmung, die in den ihr einst nahestehenden Kreisen herrschte. — Es war an einem Sonnabend Nachmittag. Anny hatt« ihre beiden Stübchen in Ordnung gebracht, der Vater war ausge gangen, Hans gab Nachhilfestunde bei einem hartköpfigen Quar- taner, und Ernst war ein wenig spazieren gegangen. Anny
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