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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000915028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900091502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900091502
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-09
- Tag 1900-09-15
-
Monat
1900-09
-
Jahr
1900
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Abend-Ausgabe Sonnabend den 15. September 1900. -U171 -i- Lie Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, di« Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Filialen: ktsre» Hahn vvrm. D. Klemm'» Tortim. Uoiyersitätsstraße 3 (Paulinum», Lotti» Lösche. Lathariuniftr. purl. und konigsplotz L Redaktion und Expedition: Johannisgasse 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen »rössuet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. lveznzS'Prekb der Hauptexpeditiou oder den t» Gkadd» Kezirk und den Bororten errichteten AuS- ^bestellen ab geholt: vierteljährlich ^>4.50, -ei zweimaliger täglicher Zustellung in» HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestäbrlich » L.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung tu» Ausland: monatlich 7.50. UciWM Tag MM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Natljes und Nokizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzetgen'PretS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclam en unter dem RedactionSstrich (4 ge spalten) LO-H, vor den Familiennachrichlea (6 gespalten) 40 Gröbere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernlatz nach höherem Taris. 6xtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. I.nnahmeschluß für Iiryeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expeditto» zu richten. Druck und Verlag von L. Polj tu Leipzig 91. Jahrgang. Die Wirren in China. p. Die ostasiatische Nachrichten-Expedition des Deutschen Flottenvereins („Allgemeine Marine-Corrcspondeuz" in Berlin) scheint mit ihrem dem „Hamb. Corresp." und anderen deutschen Blättern übermittelten Shanghaier Telegramm über das „Ultimatum Rußlands" keinen guten Griff gethan zu haben. Von anderer Seite wird die Meldung nicht bestätigt, und auf keinen Fall kann, wenn anders die beule vorliegenden Telegramme Glauben verdienen, das angebliche Ultimatum Rußlands für Li-Hung- Tschang der Anlaß gewesen sein, die FriedenSverbandlungen ab zubrechen, ebenso wenig wie der Einspruch des Prinzen Tuan, von dem das New Yorker „Journal" ebenfalls aus Shanghai erfahren haben wollte. Schon gestern Abend traf von dort eine Depesche ein, nach welcher Li die Start am 14. verlassen habe, um nach Norden abzureisen, und heute wird berichtet: * Washington, 14. September. Ter chinesische b»c- sandtc Wu-tiiig-saiig hat soeben Sem Ltnntsöepnrtemrttt mitgcthcilt, Li-H u» g-Tsck e. >i p, Hube an ihn tclcgruphirk, das; er heute von Shanghai nach Peking abrcise. Nnng-ltt habe sich ihm und örm Prinzen Tsching als FricScnS » ntcrhändlcr angeichloffen. Sonderbarer Weise veröffentlicht heute die „Allgemeine Marine-Correspondcnz", ohne auch nur mit einem Worte auf den Widerspruch der Meldung zu ihrem gestrigen sensa tionellen Telegramm eiuzugeheu, folgende weitere Nachricht derselben ostasiatischen Nachnchtenexpebirion in Fettdruck: Shanghai» 14. September. Der Bice. Gouverneur von Shanghai bat von Ta-Jcn-Fu folgendes Telegramm erhalten: Es ist eine FriedenScoufercnz, bestehend aus demPrinzen Tsching, dem Directoc der chinesischen Zölle Sir Robert Hart und dem Kaiser von China eingesetzt worden. Üetzercr, sowie die Kaiserin sollen Ende dieses Monats nach Peking zurück kehren. So darf man nunmehr Wohl als sicher aunebmen, daß die Friedensverhandlungen trotz gcgentbeiliger, in Shanghai auf der Straße umlaufender Gerüchte beginnen werden, wenn der Correspondent auch mit seiner sonder baren Neuigkeit, der Kaiser von Ehiua werde in eigener Person zu der FriedenSconferenz in Peking gehören, wieder ungenau gehört haben dürfte. Auch glauben wir noch nicht an eine Reise der Kaiserin-Wittwe nach Peking, obgleich ihre Schuld noch nickt erwiesen, respcctive noch nicht im Einzelnen fcstgesteNt ist. Nach dieser Rich'uug hin muß natürlich erst das Ergebnis; der Untersuchung abgewartet werden. So schreibt die Berliner „Post" vfficiöö: Welche Folgerungen sich für die deutsche Politik aus der gestern hier eingelanfenen Pekinger Meldung ergeben, daß der Mörder des dcntschc» Gesandte» sich in der Gewalt der deutschen Truppen befinde und erklärt habe, „auf höheren Befehl" gehandelt zu haben, läßt sich zur Zeit noch nicht sagen, La zuvor nähere Mittheilungen abgewartet und namentlich der Mörder auch mit jenen Per sonen confrontirt werden muß, die sich während deS Mordes in der Nähe deS Freiherrn v. Ketteler befanden. Auch die „Köln. Ztg." weist darauf bin, welchen Schwierigkeiten man in dieser Hinsicht begegnen wird. Sie schreibt: Selbst wenn es gelingt und wenn sich erweisen lassen sollte, daß in der That die Kaiserin die Anstifterin der Fremdenbetze war, so erfordert es eine sorgfältige Erwägung, wie die Sühne, die nvlhwcndiger Weise allem schon im Interesse der Ausländer selbst durch ein ab schreckendes Beispiel verlangt werden muß, in Einklang zu bringen ist mit dem nicht minder großen Interesse, für die Zukunft Ruhe und Bürgschaften für Erhaltung der Ordnung zu schaffen. Ein Beispiel dafür, welche Schwierig keiten die Ehinesen der Erforschung der Wahrheit entgegen stellen werden, liefert in Len letzten Tagen der Gesandte in Loudon Lofengluh, der die Darstellung MorrisonS einfach als „Mißverstäntniß" abtbut und sich neuerdings einem Zeitungsberichterstatter gegenüber in dem Streben, die Mächte zu verhetzen, die folgenden tactlosen und unverschämten Aeußerungcn erlaubt Hal: „Ich möchte, daß Sie (England) die Führung der Mächte übernommen hätten, ehe Rußland mit seinem Vorschlag hervortrat. Einige Leute in verantwortlichen Stellungen sagen mir, England könne Deutsckstand nicht meistern (overule), aber das ist Unsinn. Lord Salisbury ist ein Staatsmann erster Elasse und hat in staatsmännischen Dingen mehr Ersahrustg als Wilhelm II.; er würde doch sicherlich diesen jungen Mann meistern können. Das will jetzt, wie es scheint, Nikolaus II. versuchen." Man wird sich sicherlich in England wie in Rußland Lie vorlauten Nathschläge dieses MauncS, der froh sein kann, daß er nach Allem, was vorgefallcn, noch geduldet wird, verbitten, aber wenn schon bei den Ehinesen, die europäische Tinge nach langer Erfahrung kennen sollten, cine^ solche GcisteSrichtung zu Tage tritt, so gestattet das einen Schluß darauf, wie ge schwollen diejenigen seiner Landsleute immer noch sein müssen, die Ebina nie verlassen haben. In der heute eiugctroffeucn „North Ehiua Daily News" liegt Lie damals kurz mitgetheilte Angabe des Reitknechts des Herrn v. Ketteler über Len Verlauf der Dinge in Peking und die Ermordung des deutschen Gesandten vor. Dieser Reitknecht halte Peking am 9. Juli verlassen und erzählt,Jung-lu sei anfangs Len Boxern eutgegeugctreteu, am 23. Junr aber habe er mit Tungfubsiang gemeinsame Sache gemacht und sich an dem Angriff auf die Gesandtschaften bc- theiligt, Tung habe vom Tschienthorc und Dung-lu vom Haite- tbore auS angegriffen. Der Reitknecht begleitete Herrn v. Ketteler und Herrn EordeS am 2O.Juu i auf dem Wege zumTsung li Damen. Der Gesandte habe eine Büchse in der Hand gehalten und sich in einer Sänfte tragen lassen. Als sie sich dem Damen »äberten, sahen sie chin-sische Soldaten mit Gewehren. Der Reitknecht, der vorauSgrritteu war, hörte einen Schuß und als er sich umdrebte, sah er, wie der Gesandte verwundet war, Lie Büchse aber noch in der Hand hielt. Der Reit knecht galoppirte dann voraus zu dem Damen und machte den dort versammelten Ministern von dem Vorgefallencn Mittbeilung. Als er mit Leu Kulis zurückkehrle, traf er eine Abtheilung deutscher Seesoldatcn, die gerate augekommen waren. Von dem Gesandten fand er keine Spur mehr; der Dolmetscher Cordes wurde in der belgischen Gesandtschaft verwundet aufgefundeu. Verfolgung der Missionare. * Köln, 14. September. Die „Kölnische VolkS-Ztg." erhielt eine Correspondenz aus Hank au vom 2. August, worin es heißt: Der Vernichtungskampf gegen die katholi schen Missionen in China nimmt einen größeren Umfang an. Wenn bisher nur im Westen der Provinz Hupe Unruhen ausgebrochen sind, haben nun auch im Osten, ungefähr 200 Kilo meter von hier, solche stattgefunden. In Tschitsou hat man unsere Missionsgebäude, bestehend aus Kirche, Waisenhaus, Schule und anderen Gebäuden, vollständig zerstört. In Hunan erlaubt man den Christen nicht, ihre zerstörten Wohnungen auf zurichten. Die dort von den Heiden versteckt gehaltenen Missio nare, darunter der Generalvicar, leben noch. Letzterer schreibt: Zwei Eilboten aus der Provinz Schansi melden, daß das aposto lische Vicariat in Süd-Schansi, das vor mehreren Jahren den holländischen Franziskanern übergeben worden war, vollständig vernichtet ist. Die von den Missionaren kaum fertig gestellten Kirchen, die zu den schönsten Chinas zählten, sind zerstört, die Christen vertrieben und die Häuser niedergerisscn worden. In Taiyuenfu, dem Sitze des Bischofs für Nord-Schansi, befinden sich zahlreiche Missionare, die dorthin geflüchtet sind. Sie sind von Aufrührern umgeben, so daß an eine Flucht nicht zu denken ist. Das in der Nähe von unseren Patres erbaute schöne Waisenhaus ist niedergebrannt worden; zugleich sind die in demselben befindlichen 300 Waisenkinder verbrannt. Eine De pesche aus Sz'tschwan besagt, daß auch dort die Verfolgungen begonnen hätten. Zwei in der Nähe der Hauptstadt Tschingtu befindliche Missionen sind zerstört. In den Provinzen Mnnan und Kweitschou ist das Schlimmste zu befürchten. (Wicderh.) Tic Kämpfe itt der Mandschurei. Beim russischen Generalstabe sind am 14. September folgende Nachrichten ciugetroffcn: DaS Detachement deS Generals Orlow erreichte am 2. September Fuljarda, 30 Werst von Tsitsikar, und marsclsirte in zwölf Tagen über 300 Werst vorwärts, um sich mit dem General Nennenkampf zu vereinigen. Eine Brücke über den Nonai - Fluß wurde ausgebessert. Die Truppen Orlow's sind gut ver- proviantirt, mit Transportmitteln und Munition ausgerüstet, und haben viele Wage», am 1. September 37 chinesische Tranöportwagen, erbeutet. Gerücktweise verlautet, der General gouverneur von Tsitsikar habe sich ver giftet. Nach den Aussagen von Gefangenen soll General Pao in dem Kampfe bei Jackscki gelödtet worden sein. Die chinesischen Truppen zogen sich aus Tsitsikar nach Süden zurück. Weitere Meldungen. "Petersburg, 15. Cevtember. (Telegramm.) Am25.A»gust ist dec telegraphische Verkehr zwischen Peking und Tientsin wieder eröffnet worden und seit dem 4. September ist das Kabel zwischen Tjchiiu und Port Arthur im Betriebe. * Paris, 14. September. Der Marineminister Lancssan erhielt die Berichte deS Obersten Pelacot über die Kämpfe um Tientsin am II. und 13. Juli. Tie französischen Verluste betrugen darnach: 30 Mann todt, 142 verwundet. * Wien, 14. September. Nach einer Meldung der „Wiener Abendpost" ist das von dem Kreuzer „Zenta" auSgcschisfte erste österreichisch-ungarische LandungSdetachement, das die heißen Kampsestage in Peking mitgemacht hat, in Stärke von 30 Mann wieder an Bord der „Zenta" zurückgekehrt. Das zweite Detachement von dem Kreuzer „Zenta" unter Linien- schisfsfähnrich Vurkert und das große Detachement von dem Kriegs schisse „Maria Theresia" unter Linienschisfsleutnant Wickerhauser — insgcsammt 200 Mann — sind in Peking zurück- geblieben. (Wiederholt.) * Koustautittoprl, 14. September. (Wiener „Politische Cor respondenz.") Tas russische Schis? „Harbin" hat den Bosporus passirt, als viertes binnen drei Tagen, mit 1000 russischen Soldaten und 24 Lfsicicren aus dem Wege nach China. (Wiederholt.) Der Krieg in Südafrika. Feldmarschall Roberts hat nachstehende, schon in einem Theil der Auflage unseres heutigen Morgenblattes abgedruckte Proklamation erlassen: „Krüger hat die portugiesische Grenze über schritten und formell auf die Präsidentschaft ver zichtet. Sein Verlassen der Boerensache sollte den Burghers klar machen, daß es nutzlos ist, den Kampf länger fortzusetzen. Es ist ihnen wahrscheinlich unbekannt, daß 15 000 ihrer Landsleute kriegsgefangen sind und daß nicht einer der selben befreit werden wird, so lange nicht Diejenigen, die noch jetzt die Waffen tragen, sich bedingungslos ergeben haben. Die Burghers müssen bedenken, daß von keiner großen Macht eine Intervention kommen kann. Großbritannien ist entschlossen, den von der bisherigen Regierung der Republiken erklärten Krieg zu Ende zu führen. Von den kleinen Gebieten abgesehen, die von der Armee des Generals Botha besetzt sind, ist der Krieg in unregelmäßige und unverantwortliche Operationen ausgeartet. Ich würde meine Pflicht verletzen, wenn ich versäumte, jedes Mittel anzuwenden, um solcher unregelmäßigen Kriegsführung ein Ende zu machen. Die Mittel, die ich anzuwenden gezwungen bin, sind diejenigen, die durch den Kriegsgebrauch vorgeschrieben sind. Sie sind verderblich für das Land und häufen endlose Leichen auf die Burghers. Je länger dieser Guerillakrieg an dauert, desto strenger müssen sie durchgeführt werden." Kriigcr'S Flucht. Gegenüber den englischen Blättern, die die Politik der eng lischen Regierung unterstützen, äußert sich der radicale, also re gierungsfeindliche „Daily Chronicle" über Krüger's Flucht mit mehr objectiver Ruhe folgendermaßen: Paul Krüger hat Transvaal verlassen und in einem por tugiesischen Seehafen Zuflucht gesucht. Das ist wahrscheinlich das Ende einer bemerkenswerthen Laufbahn. Ohne Frage ist Krüger der größte Mann, den Südafrika bisher hervorgebracht hat, und die Geschichte wird ihn nicht vergessen. Krüger ist einer der typischen Männer, auf den die typischen Worte und Handlungen anderer Personen unbewußt übertragen werden. Durch die Stärke seines Willens und Charakters, durch die Zähigkeit, mit der er seine Pläne verfolgte, durch seine schroffe Gradheit stand er an der Spitze einer Rasse, die sich durch diese Eigenschaften auszeichnet. Als Präsident war er der typische Boer der „guten, alten Zeit", tapfer, ausdauernd, mit großen physischen Kräften, einfach und fromm nach der alten evange lischen Schule. Er war ein Charakter, mit dem sich ein Carlyle der Zukunft gern beschäftigen wird. Man wird ihn als den Kämpfer für Einfachheit und Unabhängigkeit einer einfachen Rasse gegen den Einfluß der jüngsten Civilisation mit ihrem Wohlleben und ihrer Johannesburger Moral betrachten. Ec wird als Vertreter des Kampfes von Stadt gegen Land, alt gegen neu, Einfachheit gegen Luxus dastehen. Ob wir mit dieser Darstellung seines Charakters übereinstimmen oder nicht, es scheint uns ziemlich gewiß, daß die Geschichte dieses Bild vom Präsidenten Krüger malen wird, der jetzt, nach einem elf monatigen Kriege sich in Verbannung außerhalb des Landes be findet, für das er so hart, wenn auch unrichtig gearbeitet hat, und der jetzt von einem so traurigen Schicksal ereilt worden ist, und zwar theilweise in Folge seiner Hartnäckigkeit. Schalk Burger, der von Präsident Krüger zu seinem Stellvertreter ernannt wurde, ist ein Selfmademan. Im Feldzug von 1881 wurde er Fettilletsn. s) Der neue Tag. Roman von Klara Zahn., Nachdruck verboten. Anny fand, daß die Darstellung des Sachverhalts an Klar heit zu wünschen übrig ließ, und warf die verwunderte Frage ein: „Ist denn das gesetzlich möglich, daß man den Bruder darum verklagt, daß er sein Eigenthum hergiebt?" „Das nicht, natürlich, das nicht gerade. Aber sehen Sie, um das Testament meiner Mutter handelt cs sich. Der Vater war schon früher und vermögenslos gestorben, die gute Mutter ist nun auch schon 18 Jahre todt! Damals war ich 22 Jahre alt, und die gute Mutter wußte, was sie an mir hatte, immer pünktlich, immer verläßlich, was wahr ist, ist halt wahr, mein Fräulein. Der Fred war damals erst zehn Jahre alt, — na, ich will von damals nicht weiter reden, aber ein Schlingel war er schon auf der Schulbank. Kein Eifer, kein Ehrgeiz. Meine Mutter war eine kluge Frau. Wozu Vormundschafts sachen, wenn doch der Aelteste majorenn war und das Geld in der Familie bleiben konnte! Also setzte sie mich zum Universal erben ein, mit der Bedingung, die Hälfte des Vermögens an Fred zu zahlen, und zwar ratenweise, jeden Monat 60 Mark, nicht mehr, nicht weniger, damit ihn sein Leichtsinn nicht ver führen konnte, Alles durchzubringen, ehe er in der Lage war, sich selbst zu erhalten. Nun sagen Sie selbst, war das nicht gut so? „Mir scheint in der That — wo aber ist nun der Grund zur Klage? „Hören Sie weiter. — Fred lernte nicht viel, mein Geschäft wuchs und blühte, ich wollte ihn zu mir nehmen ins Geschäft! Kein Gedanke! Maler wollte er werden! Ein Künstler, ein Hungerleider! Es war ihm nicht auszureden. Also gut, er bekam seine 60 Mark monatlich und konnte nun seine Farben reiben wie und wo er wollte. Was hat er mich gedrängt und gequält schon dazumal, ich sollt' ihm den Rest seines Ver mögens auszahlen! Verhungert wär' er heute schon, hätt' ichs gethan. Wie und wo er geborgt, was er angestellt hat, um seine Reisen durchzusetzen, das weiß ich nicht, ich zahlte ihm seine Raten und damit basta. Gestimmt hatte es nicht mehr zwischen uns, das können Sie denken! Ja, wenn man noch Ehre hätte mit ihm einlegen können! Aber was wollen Sie, was Tüchtiges lernen und dann sich sein Theil redlich verdienen, das war nicht Fred's Sache! — Unter die „Modernen" mußte er natürlich, wo nichts zu holen war als Spott, zum Führer hat er sich auf geworfen und das Tollste noch übertrumpft. — Nachher schien's ihm selber leid zu werden. — Nicht die Verrücktheit, die kriegt der sobald nicht über. Aber daß es noch Andere giebt, die mit ihm an einen Strang ziehen! Für sich ganz allein wollt' er seinen Blödsinn malen. Na, da ist er dem? auch glücklich allein. — Seine frühere Partei ist wüthend auf ihn, der gediegenen alten Kunst mag er sich nicht anschlicßen, verkaufen thut er nichts, was er da in seinem Goitseligkeitsdllnkel zusammenschmiert, und so kann er ja eines Tages mit dem Hut in der Hand am Wege stehen. Mich schiert das nicht mehr, wie man's treibt, so geht's!" Anny war ganz beklommen von der Schilderung, es war etwas in ihr, das schon jetzt Partei nahm für den stürmenden, selbstherrlichen Mannesgeist, wenn es ihr auch noch unklar war, ob sein Weg der rechte oder nicht. Angstvoll unterbrach sie die Pause: „Und der Proceß?" „Ja so. Na, vor zwei Jahren hatte ich ihm seine letzte Rate geschickt und die Mittheilung, daß er nun mit seinem Vermögen fertig sei und keine Ansprüche mehr an mich habe. Er war auch ein paar Monate ganz stille. Auf einmal schreibt er mir, gute Freunde haben ihm gesagt, daß er noch die Zinsen seines Capitols von mir einzufordern habe, und da er noch nicht so weit sei, wie er's wünschte, sie mir schenken zu können, so müsse er, im Interesse seiner hohen Kunst — hören Sie nur, seiner hohen Kunst! — auf seinem Rechte bestehen!" „Ja, ist denn das nicht auch sein Recht?" fragte Anny rasch. „Ja, sehen Sie, liebes Fräulein, das war ja eben die große Streitfrage! Durch drei Instanzen ist es gegangen; die Einen sagten „Ja!", die Anderen „Nein!" Es ist traurig, sehr traurig, daß solche Verschiedenheit der Auffassung in unserem guten deutschen Rechte möglich ist! Ich hab' doch das Dokument! Ich hab's doch schwarz auf weiß! Kein Wort von den Zinsen, keine Silbe! Wenn mich meine Mutter bevorzugen wollte, hat da irgend ein Mensch dreinzureden, oder gar das Gericht? — Wenn die gute, sterbende Mutter wollte, daß das von Ge schlechtern her angesammelte Vermögen nicht zersplittert und ver geudet wurde, wenn sie im Kleinen that, was jedes Fideicommiß im Großen thut und immer thun durfte, wer will ihr das ver wehren, oder nun noch im Grabe ihren Willen kreuzen?" „Mein Gott, wer?" fragte Anny leidenschaftlich, „die ge sunde Vernunft, das Recht der Menschlichkeit! — Es ist doch klar, daß Ihre Mutter den jüngsten Sohn unsäglich liebte, und ihm, nur ihm zu Liebe das Testament so gestaltete, weil sie glaubte, ihn nirgend besser geborgen zu sehen, als bei dem eigenen Bruder! O, Sie haben das nicht bedacht, nicht wahr? Sie können ja gar nicht so hart, so ungerecht sein, so völlig den Glauben einer Mutter an ihres Kindes Herz zu Schanden machen!" Anny war aufgesprungen und stand mit bittendem Ausdruck in ihren bewegten Mienen vor dem völlig Fassungslosen. Ihr leidenschaftliches Temperament, das sie sonst so gut unter den anerzogenen Formen verbarg, hatte sie fortgerissen, sie wußte selbst nicht, wie das so plötzlich über sie kommen konnte. Sie suchte die alte Herrschaft über sich zu gewinnen und sah nun fragend zu dem vor ihr Sitzenden auf. Fritz Heyl räusperte sich verlegen, ehe er begann: „Gnädiges Fräulein scheinen für so — na, sagen wir verkannte Genies eine Schwäche zu haben, die ich nicht theile. Alles Unkorrekte ist mir verhaßt, und ich weiß mich damit in völliger Ueberein- stimmung mit Ihrem Herrn Vater, der denn doch auf einem völlig anderen Standpunkt steht dieser Angelegenheit gegen über." „Mein Vater vertheidigt diese schlechte Sache?" — bestürzt klang Anny's Frage. „Schlechte Sache! In der That, gnädiges Fräulein wählen sehr seltsame Ausdrücke! Ich wußte nicht, daß Sie meinem Bruder so nahe stehen!" „Ich kenne Ihren Bruder nicht, würde aber gern die Bekannt schaft eines Mannes machen, der Ihnen so unähnlich ist", sagte Anny stolz. „Sie sind eine Dame, — daher — — ah, Herr Rechts anwalt, Sie selber, ich will es von Ihrer Entscheidung ab hängig machen, ob ich dies Haus als ein ungerecht schwer ver letzter Mann verlassen muß!" „Was geht denn vor?" fragte der eben eingetretene Rechts anwalt, von Anny zu Fritz Heyl die Blicke gerichtet. Anny war jetzt völlig ruhig, nur die tiefe Blässe ihres Ge sichtes und das leise Zittern der eiskalten Hände zeugten von tiefgehender innerer Erregung. Ruhig erwiderte sie den fragen den Blick ihres Vaters und sagte: „Ich nannte den Bruderstreit, von dem mir Herr Heyl berichtete, eine schlechte Sache, ich hoffe, daß Du, mein lieber Vater, sie nicht vertheidigst!" Dem Rechtsanwalt wurde unbehaglich. Er kannte seine Tochter sehr genau und wußte, daß sie nicht einzuschiichtern war, wenn sie einmal in solcher Haltung vor ihm stand. — Sein Bestreben war stets gewesen, den in ihr schlummernden Geist nicht zu wecken. Einen Skandal wollte er vor Fremden um jeden Preis vermeiden, so griff er zu dem ihm immer zur Ver fügung stehenden Ton des leichten Spottes, indem er sagten „Natürlich, jeder Streit ist eftzk schlechte Sache, N»L daß wir Rechtsanwälte von solchen „schlechten Sachen" leben müssen!" Fritz Heyl schien ganz befriedigt über die Wendung, die diese unangenehme Angelegenheit nahm. Mit trotzigem Ernste fragte Anny: „Willst Du mir sagen, lieber Vater, ob Du in dieser Rechtsfrage wirklich die Interessen dieses Herrn vertrittst?" „Aber natürlich! Was soll der Unsinn? Was kümmern Dich meine Geschäfte?" rief der Rechtsanwalt nun barsch und unwillig. „Die Kenntniß derselben hat Herr Heyl zu verantworten, ich begehrte sie nicht, nun ich aber darum weiß, erkläre ich diesem Herrn, daß ich seine Sache für eine unehrliche halte, mag sic verthcidigen, wer will!" „Bist Du von Sinnen! Zurück, sag' ich Dir!" schrie der Rechtsanwalt der sich Entfernenden zu und riß die halb Wider strebende zu sich. — Seine Augen flammten blutunterlaufen in die ihrigen, aber sie prallten zurück an der furchtlosen Kälte, die ihm aus Anny's Augen entgegenblickte. — Seine Zähne knirschten in ohnmächtigem Grimm. Erschlagen hätte er sie können, sein eigen Kind. Anny erwartete auch etwas dem Aehnliches. Sie wußte sich preisgegeben der Gewalt des Vaters; und dennoch kein Zucken der Furcht in ihren Mienen, kein Gedanke an Nachgeben in ihrer Seele. Langsam löste sich die wilde Spannung in des Rechts anwalts Mienen, er sah zu Fritz Heyl hinüber, in dessen weibi schen Zügen unverkennbare Furcht ausgeprägt war. „Feigling", murrte er in sich hinein, laut aber sagte er: „Mein lieber Freund, ich bin Ihnen Genugtuung schuldig; meine Tochter, die sich in so ungebührlicher Weise gegen Sie wie gegen mich vergaß, wird noch heute mein Haus verlassen. Wohin ich sie schicken werde, überlege ich noch, jedenfalls wissen Sic, mein Freund, wie ich zu ihnen stehe, und werden mich die Unarten einer schlecht erzogenen Tochter nicht entgelten lassen." Nun endlich fiel eS Fritz Heyl ein, daß es anständig und chevaleresk für ihn wäre, den Vermittler zu spielen, er stammelte etwas von den romantischen Ideen junger Damen, die ja doch nicht ernst zu nehmen seien, und verließ mit dem Rechtsanwalt das Zimmer. Folgers wußte dem Kaufmann klar zu machen, daß es ebenso sehr im Interesse des noch nicht erledigten Processcs liege, al» auch um Heyl's Renommö rathsam sei, nichts von der statt gehabten Scene verlauten zu lassen. — „Gedanken, und wären es die absurdesten, sind wie Fliegen, die überall eindringcn und sich vermehren können, es ist besser, man deckt gleich auf den ersten die Hand, ehe er ausflicgen kann", meinte der Rechtsanwalt. Heyl pflichtete ihm bei. Anny war im Salon zurückgeblieben. Nun sie allein war, lass) die Reaction der furchtbaren Erregung. Sie brach in bitteres Schluchzen aus, das alles Denken auslöschte. Endlich
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