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182 — davor schützt Sie wohl die Makellosigkeit Ihrer bisherigen Geschäftsführung. Aber Sie werden viele Scherereien haben, und ich glaube auch nicht, daß die grau Haller unter solchen Umständen dazu verpflichtet ist, Ihnen das Geld, das Sie auf das Schmuckstück ge liehen haben, zu ersetzen." August Jmberg lief in dem kleinen Raum hinter dem Ladentische umher, als würde er von heftigen körper lichen Schmerzen gepeinigt. Er, dessen Stolz es gewesen war, daß er in diesen langen dreißig Jahren mit der Polizei niemals in unliebsame Berührung gekommen, er sah sich da mit einem Mal in eine Angelegenheit ver wickelt, deren verhängnißvolle Tragweite sich noch gar nicht abschen ließ. Der Gedanke an den drohenden Berlust der beträchtlichen Summe und an alle die anderen damit verbundenen Möglichkeiten brachte ihn schier zur Verzweiflung. > „Es ist gräßlich! Aber diese Person — wenn ich ihrer habhaft werde — ich glaube, ich könnte sie erwürgen." „Tas lassen Sie doch lieber bleiben. Sie kriegt ihre Strafe auch so. Nun wird ihr ja voraussichtlich all ihr Leugnen nicht mehr viel helfen." Ter Pfandleiher horchte hoch auf. „Man hat sie also schon gefaßt? Sie befindet sich hinter Schloß und Riegel?" „Ja — immer vorausgesetzt, daß es die richtige ist. Tie Bestohlene, eine sehr vermögende Wittwe in der Buchen-Allee, erklärte von vornherein, den Umständen nach könne nur ihre Gesellschafterin, eine gewisse Mar garete Willisen, den Schmuck entwendet haben. Ich weiß nun zwar noch nicht, welche Berdachtsgründe gegen das Mädchen vorliegen, denn ich habe mich bis jetzt nicht viel um die Sache gekümmert. Aber das weiß ich, das; die Willisen heute Morgen von meinem Kollegen Braun verhaftet wurde. Sie bestreitet bis jetzt auf das Ent schiedenste ihre Schuld, aber wenn Sie im Stande sind, sie zu rekognosciren, ist sie natürlich geliefert." „O, ich will sie schon wiedererkennen, wie geschickt sie sich auch vermummt hatte. Ist mir's doch, als sähe ich sie noch hier leibhaftig vor mir stehen." „Testo besser! Sie werden ja noch heute oder spä testens morgen vorgeladen werden, damit man Ihnen die Person gegenüberstellen kann. Ten Schmuck nehme ich natürlich in Beschlag." Er fertigte dem Pfandleiher eine Empfangsbeschei nigung aus und verabschiedete sich, äußerst zufrieden mit dem unerwartet schnellen und günstigen Ergebniß seiner Nachforschungen. Als zwei Stunden später der Referendar Jmberg heimkehrte, fand er seinen Vater in so tiefer Bekümmer niß, daß er besorgt nach der Ursache seines Kummers fragte. Der Alte sah ihn traurig an, wie wenn es ihm schwer würde, mit der Sprache herauszukommen. „Wir Beide sind schmählich hintergangen worden, mein Junge!" begann er endlich. „Tie Person, die vor acht Tagen den Brillantschmetterling bei mir verpfändete, war eine gemeine Diebin." Der Referendar wurde blaß vor Bestürzung. „Tas ist nicht wahr, Vater," erklärte er dann mit Bestimmt heit. „Es kann nicht wahr sein. Wenn man etwas Derartiges von ihr behauptet, so muß sie das unglückliche Opfer eines Jrrthums oder einer Personenverwechslung geworden sein." „Und warum muß sie das? Weißt Du denn mehr von ihr als ich? Hatte sie Dir vielleicht noch Näheres über ihre Verhältnisse erzählt? Oder hast Du sie seitdem wieder gesehen?" „Nichts von qlledem. Aber ich würde überhaupt an kaiuo» Menschen Rechtschaffenheit mehr glauben können, ' wenn dies Mädchen eine Diebin oder auch nur eine Lügnerin gewesen wäre." August Jmberg wiederholte ihm statt jeder anderen Antwort den Inhalt des Gespräches, das er vorhin mit dem Kriminalbeamten geführt hatte. Wenn nun der Referendar auch dadurch offenbar keineswegs überzeugt wurde, daß die junge Unbekannte einen Diebstahl ver übt habe, so machten ihn diese Mittheilungen doch sehr niedergeschlagen und nachdenklich. - Vater und Sohn saßen sich beim Mittagessen viel ernster und schweigsamer gegenüber als sonst. Sie be rührten zur Verwunderung des Dienstmädchens die einfache Mahlzeit kaum, und obgleich des Brillant schmetterlings zwischen ihnen zunächst nicht weiter Er- wähnungll eschah, unterlag es doch keinem Zweifel, daß sich die Gedanken beider, wenn auch vielleicht in sehr verschiedener Weise, ausschließlich mit ihm und mit seiner lleberbringerin beschäftigten. Wie der Äriminalschutzmann Fahrig es vorausgesagt hatte, wurde dem Pfandleiher noch am nämlichen Tage durch einen uniformirten Schutzmann die Vorladung übermittelt, die ihn für den nächsten Morgen in das Amtszimmer des Untersuchungsrichters Föhring beschick. Tavon sagte er seinem Sohne nichts, denn da Rudolf ja der eigentliche Urheber des ganzen Unglücks war, mußte er jede Erwähnung der Angelegenheit nothwendig wie eine verschleierte Anklage empfinden. August Jmberg liebte aber seinen Sohn, für den er seit einem Viertel jahrhundert unermüdlich schaffte und arbeitete, um ihm den Weg zu Ehre und Ansehen zu ebnen, viel zu zärtlich, als daß er nicht darauf bedacht gewesen wäre, ihm jede peinliche Empfindung nach Möglichkeit zu ersparen. Als er dann aber von der Vernehmung nach Hause zurück kam und sein inzwischen verschlossen gebliebenes Geschäfts lokal wieder öffnete, war es Rudolf selbst, der eine Frage nach dem Stande der Sache an ihn richtete. Und nun vermochte der cnte Mann mit seinem In grimm freilich nicht länger zurüüzuhalten. „Wie es steht? Schlecht steht es mein Junge — so schlecht als möglich! Die tausend Mark kann ich getrost in den Schornstein schreiben, und ich darf obendrein Gott danken, wenn es damit abgethan ist. Ter Untersuchungs richter hat mir über mein Geschäftsgebahren einige Artigkeiten gesagt, die ich wahrhaftig nie in meinem Leben zu hören erwartet hätte." „Es ist nicht das, was ich wissen möchte, Vater! Tu bist der angeblichen Diebin gegeniibergestellt worden und, nicht wahr, es war eine Andere als die, welche Dir den Schmuck brachte?" „Nein, nein," widersprach der Pfandleiher eifrig, „es war dieselbe! Eine geriebene Komödiantin, sage ich Dir — eine ganz gefährliche Kreatur! — Anfangs stutzte ich allerdings, und ich wäre wirklich beinahe irre daran geworden, ob sie es sei, so geschickt wußte sie es anzu stellen. Dann aber mußte sie auf den Befehl des Richters das rothe Kopftuch umnehmen, und nun erkannte ich sie wieder, obschon ich sie an jenem Abend ja nur wenige Augenblicke gesehen hatte." „Und sie hat ihre Schuld gestanden?" fragte der Referendar mit gepreßter Stimme. „Nichts hat sie gestanden. Jus Gesicht hinein hat sie mir's bestritten, mich jemals gesehen oder ein Wort mit mir gesprochen zu haben. Aber ihr Leugnen ist natür lich umsonst. Sie muß ohne Gnade ins Zuchthaus — die verstockte Person." „Tu solltest nicht in so harten Worten von Jemand sprechen, dessen Schuld noch nicht erwiesen ist. Hat man denn das Geld bei ihr gefunden?" „Nichts! Aber sie hatte ja auch eine ganze Woche Zeit, es beiseite zu schaffen. Jedenfalls hat sie einen Liebhaber, der sie zu der That angestiftet hat und dem sie es dann zustecken konnte." Dem Referendar war plötzlich das Blut ins Gesicht gestiegen. „Ist vielleicht etwas Derartiges zur Sprache gekommen?" „Ter Untersuchungsrichter äußerte es als Vermuth- ung, und er wird damit wohl auf dem rechten Wege ge wesen sein. Aber das F-räulein Willisen wies es mit Ent rüstung zurück, wie sie überhaupt Alles mit Entrüstung zurückwcist. Na, bei der Verhandlung wird sie schon aus einer anderen Tonart singen." „In dieser Gerichtsverhandlung soll man auch mich als Zeugen vernehmen", erklärte Rudolf Jmberg ent schieden. „Ich selbst werde es beantragen." Ter Alte schüttelte mißbilligend den Kopf. „Du solltest Dir das doch noch überlegen, mein Junge! Jcb habe absichtlich Deinen Antheil an der Geschichte ver schwiegen, damit Tu nicht mit hineingezogen wirst. Am Ende" — (amd er blickte dabei verlegen zu Boden — „am Ende braucht doch nicht alte Welt zu erfahren, daß der Referendar Jmberg der Sohn eines Pfandleihers ist." Zwischen den Augenbrauen des jungen Mannes er schien eine Falte des Unmuths. „Soll ich mich dessen etwa schämen, Vater? Dürfte ich unter Teinem Dache leben und Tein Brot essen, wenn ich cs thäte?" „Nein, nein, ich sage ja nicht, daß Tu Dich Deiner Herkunft schämen sollst. Aber es giebt doch nun ein mal Leute, die mich nm meines Geschäftes willen ver achten." „Und deren Verachtung wir, wie ich denke, mit Gleichmut!) ertragen können, so lange nns das eigene Ge wissen sagt, daß sie ungerecht und thöricht ist. Laß nns nicht weiter davon reden, lieber Vater!" Mit einem Blick voll unendlicher Zärtlichkeit und Liebe sah Augnst Jmberg zu seinem stattlÄ)« Sohne auf. „Thue denn, was Dir gut und zweckmäßig scheint, Rudolf! Es wird ja gewiß immer das Richtige sein." Der Referendar drückte ihm die Hand und ging in das Wohnzimmer hinüber. Aber seine innere Bewegung schien doch stärker, als er es in dein Gespräch mit seinem Vater gezeigt hatte. Ruhelos ging er lange aus und nieder, und als er endlich in seiner Wanderung innehielt, genau an der näm lichen Stelle, wo er den dankbaren Händedruck der an geblichen Melanie v. Neuhofs empfangen, sagte er nach schwerem Aufathmen halblaut vor sich hin: „Nein, es ist unmöglich! Und ich werde es nicht glauben, so lange ich es nicht ans ihrem eigenen Munde gehört habe." Drittes Kapitel. „Die Zeugen in der Strafsache gegen Margarethe Willisen!" rief der Geriet;tsdicner mit schallender Stimme in den Korridor hinaus. „Fran Rentiere Therese Haller! — Herr August Jmberg! — Herr Referendar Rudolf Jmberg! — Alle anwesend? Gut! — Frau Haller soll zuerst eintrcten." Er öffnete der ältlichen, wohlbeleibten und mit übertriebener Eleganz gekleideten Dame die Thür des Sitzungszimmers und winkte den beiden anderen Zeugen noch einmal zu, sich auf seinen Ruf bereit zu halten. Fran Haller, die zwar vor Aufregung sehr roth war, in, Uebrigen aber durch den feierlichen Ernst des Lrtes keineswegs allzusehr eingeschüchtert schien, steuerte ge radeswegs auf den mit einer grünen Decke belegten Richtertisch zu, um dann, als man sie bedeutete, stehen zu bleiben, einen majestätischen, zornsprühenden Blick nach der Anklagebank hinüberzuwerfen. Tort, auf dem erhöhten Platz hinter der Gitte»« schranke, stand das junge Mädchen, dessen Schicksal in dieser Stunde entschieden lverden sollte. Sie trug eiU einfaches, schwarzes Meid, ihr reiches, blondes Haar wa» in zwei dicken Flechten um den Kvpf geschlungen, und ihr blasses, sanftes Gesicht war von rührender Lieblichkeit obwohl Ängst und Kummer ihren Zügen sicherlich viel von der früheren Weichheit genommen hatten, und ob«! wohl ihre Augen vom Weinen geröthet waren. Unter dem Blick der Frau Haller brach sie aufs Neue in Thränen aus, und sie ließ das Taschentuch kaum von den Augen, solange die Vernehmung dies« Zengin währte. Mit lauter, fester Stimme hatte die Dame die üblichen Fragen nach ihren Personalien be antwortet und die Eidesformel nachgesprochen. Nuu sagte der Richter: „Tie Angeklagte Margarethe Willisen, die verdächtig ist. Sie bestohlen zu haben, stand als Gesellschafterin in Ihren Diensten?" „Ja. Ich hatte sie vor einem halben Jahre en- gagirt — halb aus Mitleid, weil sie mir als sehr be dürftig empfohlen worden war. Ihr Vater war kurz vorher gestorben, und die kleine Pension, auf die seine Wittwe angewiesen Ivar, reichte nicht hin, um Mutt« und Tochter zu erhalten. Da dachte ich ein Werk d« Menschenliebe zu thun, aber ich bin schlecht dafür be lohnt worden." „Haben Sie schon vor diesem letzten Ereigniß Zeichen! von Unzuverlässigkeit oder Unredlichkeit an der Ange- klagren wahrgenommen?" „Mein Gott — nein! Ich schenkte ihr eben unbe grenztes Vertrauen, weil sie dock) am Ende aus eia« anständigen Familie war und sehr gewinnende Manier« hatte." „So erzählen Sie uns, wie der Diebstahl Urer Ansicht nach verübt worden ist, und auf welche Weise Sie ihn entdeckten." Mit großer Redefertigkeit kam die resolute Dame dieser Aufforderung nach. „Es war am Vorabend meines Geburtstages, und ich ivar mit meiner Gesellschafterin allein. Ta meinte ich ihr eine Freude zu machen, indem ich ihr meine Schmucksachen zeigte. Ich habe deren ziemlich vtÄ, denn mein seliger Gatte pflegte mich sehr reich zu be schenken, und Manches habe ich auch von meiner v«- storbenen Mutter geerbt. Ich bin nämlich aus gute« Hause, Herr Präsident! Mein Vater " „Tas interessirt uns hier nicht weiter. Lassen Ei« uns, bitte, bei der Sache bleiben." „Nnn also! Ich gab der Margarethe Willisen di« Schlüssel zu dem eisernen Sckrank, der in die Wand meines Schlafzimmers eingelassen ist, und beauftragte sie, mir die beiden großen Kassetten mit den Juwel« zu holen. Wir breiteten Alles auf dem Tisch im Em- psangssalon aus, weil dort die beste Beleuchtung is^ und ich ließ sie die einzelnen Stücke betrachten, indem! ich ihr sagte, welchen Werth jedes von ihnen ungefähr habe. Ter Brillantschmetterling mit den Rubin« rnchi Saphiren schien ihr ganz besonders zu gefall«, und ich erzählte ihr, daß mein seliger Gatte ihn mir auf unserer Hochzeitsreise in Paris für achttausend Frank« gekauft habe. Tann packte ich mit eigenen Händen Alles wieder in die beiden Kassetten ein und befahl iht sie an ihren Platz zurückznbringen. Da ich ihr d« ganzen Schlüsselbund mitgeben mußte, weil sie doch d« Wandschrank verschließen sollte, hatte sie auf dem Weg« nach dem Schlafzimmer die allerbeguemste Gelegenheit die eine Kassette zu öffnen und sich den Brillantschmettev- Ung, der wahrscheinlich obenauf lag, anzueiga«, AW